Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerden betreffen den Abbruch einer Ausschreibung von Notarstellen aufgrund der so genannten Landeskinder-Klausel.
I.
1. Die Beschwerdeführer sind seit 1998 als Notare an verschiedenen Amtssitzen in einem der neuen Länder bestellt. Beide haben ihre juristischen Staatsexamina in Nordrhein-Westfalen abgelegt und den Notaranwärterdienst in dem neuen Bundesland abgeleistet.
a) Am 15. September 1999 wurden in Nordrhein-Westfalen eine unplanmäßig vakant gewordene Notarstelle sowie eine neu eingerichtete Notarstelle ausgeschrieben, auf die sich unter anderem die Beschwerdeführer bewarben.
Mit Bescheiden vom 2. Februar 2000 teilte der Justizminister den Beschwerdeführern mit, die Ausschreibungsverfahren würden abgebrochen, da keine Bewerbung eines Notarassessors aus dem Land Nordrhein-Westfalen vorliege. Im Hinblick auf § 7 Abs. 1 der Bundesnotarordnung (BNotO) würden die Notarstellen erneut ausgeschrieben. Dies geschah. Wiederum bewarben sich keine Assessoren des Landes, weil die fünf in Betracht kommenden Personen bis Mai 2001 andere inzwischen frei gewordene Notariate übernommen hatten. Das Ministerium griff – nachdem die vorliegenden Verfassungsbeschwerden schon anhängig waren – die alten Besetzungsverfahren wieder auf. Es widerrief in entsprechender Anwendung des § 49 Abs. 1 des Verwaltungsverfahrensgesetzes des Landes Nordrhein-Westfalen seine Nicht-Besetzungs-Bescheide und entschied sich für den Beschwerdeführer zu 2) sowie einen dritten aus den neuen Ländern stammenden Bewerber. Der Beschwerdeführer zu 1) hat hiergegen innerhalb der Frist des § 111 Abs. 2 BNotO keinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung gestellt.
b) Die Anträge der Beschwerdeführer auf gerichtliche Entscheidung gegen den Abbruch der ersten Ausschreibung wurden vom Oberlandesgericht unter Hinweis auf die Organisationsgewalt des Justizministeriums zurückgewiesen. Die sofortigen Beschwerden gegen diese Entscheidungen wies der Bundesgerichtshof mit Beschluss vom 26. März 2001 zurück. Die Landesjustizverwaltung habe bei ihrer Entscheidung keiner der vorliegenden Bewerbungen Folge leisten müssen; sie habe das ihr eingeräumte Ermessen pflichtgemäß ausgeübt. Die Bestimmung des § 7 Abs. 1 BNotO schütze nicht nur die individuellen Belange von Notarassessoren, sondern auch die vom Justizministerium zu wahrenden Interessen der Rechtspflege. Die Überlegung der Justizverwaltung, nur noch Notarassessoren aus Nordrhein-Westfalen zu Notaren zu bestellen, da ansonsten 2003 ein Überhang an ausgebildeten Notarassessoren entstünde, entspreche der Notwendigkeit vorausschauender Personalplanung. Im Hinblick darauf, dass das Justizministerium beabsichtige, in seinem Dienst stehende Notarassessoren mit den ihm zur Verfügung stehenden Mitteln zur Bewerbung um die Notarstellen zu veranlassen, könne der Abbruch der Ausschreibung „dieses Mal” noch hingenommen werden.
2. Hiergegen erhoben die Beschwerdeführer Verfassungsbeschwerden. Sie rügen Verletzungen der Art. 3, Art. 12 und Art. 33 Abs. 2 GG.
Zur Begründung machen die Beschwerdeführer im Wesentlichen geltend, ihre Ablehnung beruhe nicht auf einer fehlenden persönlichen oder fachlichen Eignung, wie sie § 6 Abs. 1 BNotO verlange. Grund hierfür seien nicht Zweifel an ihrer Qualifikation, sondern allein die Tatsache, dass sie ihren Anwärterdienst nicht in Nordrhein-Westfalen abgeleistet hätten. Es mangele jedoch in absehbarer Zeit an Notarassessorinnen und -assessoren, mit denen die unvorhersehbar frei gewordene und die neu geschaffene Notarstelle besetzt werden könnten. Mit einer vorausschauenden Personalplanung könne ein angeblich drohender Personalüberhang vermieden werden, ohne dass es einer generellen Ablehnung von Bewerbern aus anderen Bundesländern bedürfe.
3. Zu den Verfassungsbeschwerden haben das Bundesministerium der Justiz, das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen, das Bayerische Staatsministerium der Justiz, die Bundesnotarkammer, die Rheinische Notarkammer und der Deutsche Notarverein Stellung genommen.
Das Bundesministerium der Justiz hat sich ausschließlich zu der Vorschrift des § 7 Abs. 1 BNotO geäußert, die es für verfassungskonform erachtet. Die übrigen Stellungnahmen halten auch die Rechtsanwendung im konkreten Fall für verfassungsrechtlich unbedenklich. Sie äußern Zweifel daran, ob die Verfassungsbeschwerden noch zulässig seien, nachdem die Ausschreibungsverfahren wieder aufgegriffen worden seien.
Die Bayerische Staatsregierung und die Rheinische Notarkammer weisen darüber hinaus auf die Anwartschaft der heimischen Notarassessoren, die Wahrung eines hohen Qualitätsstandards des hauptberuflichen Notariats sowie die Sicherung der notariellen Versorgung in ländlichen Gebieten hin. Zudem müsse berücksichtigt werden, dass die Notarkammer oder -kasse, von der die Notarassessoren ihre Bezüge erhalten, an einer geordneten Altersstruktur und der Bestellung der jeweils von ihnen alimentierten Assessoren zu Notaren interessiert sein müsse. Das Justizministerium des Landes Nordrhein-Westfalen hebt das Erfordernis einer geordneten Rechtspflege hervor. Die Chancengleichheit der Bewerber werde allein im Rahmen der Auswahl der Notarassessoren gewahrt; später verpflichteten nicht einmal überragende juristische Kenntnisse und Fähigkeiten die Landesjustizverwaltung zur Bestellung eines Seiteneinsteigers. Es sei aber andererseits nicht ausgeschlossen, dass Bewerber aus anderen Bundesländern berücksichtigt würden.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen, da die Voraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG nicht mehr vorliegen. Die Annahme ist nicht zur Durchsetzung der als verletzt gerügten Grundrechte angezeigt.
1. An der Vereinbarkeit der angegriffenen Entscheidungen mit Art. 12 Abs. 1 GG bestehen Bedenken.
Notare üben einen staatlich gebundenen Beruf aus, für den grundsätzlich Art. 12 Abs. 1 GG gilt. Da sie Inhaber eines öffentlichen Amtes sind, finden allerdings Sonderregelungen in Anlehnung an Art. 33 GG Anwendung, die die Wirkungen des Grundrechts aus Art. 12 Abs. 1 GG zurückdrängen können (BVerfGE 7, 377 ≪398≫; 17, 371 ≪377 ff.≫; 73, 280 ≪292≫; stRspr).
Die Verwirklichung der Grundrechte fordert – auch im Verfahren der Notarauswahl – eine dem Grundrechtsschutz angemessene Verfahrensgestaltung. Das gilt gerade auch für die Wahrung der Rechte der Notarbewerber aus Art. 12 Abs. 1 GG. Durch die Gestaltung des Auswahlverfahrens wird unmittelbar Einfluss auf die Konkurrenzsituation und damit auf das Ergebnis der Auswahlentscheidung genommen. Insbesondere durch die Art der Bekanntgabe der offenen Stellen und die Terminierung von Bewerbungen und Besetzungen, aber auch den Abbruch von laufenden Verfahren lässt sich die Zusammensetzung des Bewerberkreises steuern (vgl. BVerfGE 73, 280 ≪296≫). So wird mit jedem Abbruch einer Ausschreibung und der erneuten Ausschreibung der Notarstelle die Bewerbersituation durch das Nachrücken dienstjüngerer Notarassessoren verändert.
Die Ausgestaltung des Auswahlverfahrens entsprach im vorliegenden Fall nicht den Anforderungen an die Rechtfertigung eines Eingriffs in die Freiheit der Berufsausübung (vgl. BVerfGE 101, 331 ≪347≫). Es ist allerdings nicht zu verkennen, dass der Justizverwaltung bei der Auswahl der Notare im Rahmen ihrer Organisationsgewalt ein weiter Ermessensspielraum zukommt. Die im Rahmen der Stellungnahmen ins Feld geführten, öffentlichen Interessen verdienen bei der Notarauswahl Berücksichtigung. Sie sind jedoch im Hinblick auf die Grundrechte der Bewerber zu gewichten und mit verhältnismäßigen Mitteln durchzusetzen.
a) So stellt die Sicherung einer hohen Qualität des hauptberuflichen Notariats einen gewichtigen öffentlichen Belang dar. Allerdings fehlt es dem Auswahlverfahren insofern an Transparenz. Der Abbruch der Auswahlverfahren wurde unter Qualitätsgesichtspunkten nicht nachvollziehbar begründet.
Dass es sich bei den Bewerbern nicht um Landeskinder handelt, begründet für sich genommen die mangelnde Eignung nach § 7 Abs. 2 BNotO nicht – wie im Übrigen auch die inzwischen erfolgte Vergabe der beiden Notarstellen an den Beschwerdeführer zu 2) und einen weiteren Bewerber aus einem anderen Bundesland zeigt.
Die Tatsache, dass sich unter den Bewerbern kein Landeskind befindet, ist im Übrigen auch nicht ausreichend, das Verfahren nach § 7 Abs. 7 Nr. 3 BNotO auszulösen. Die vorhandenen Bewerber müssten dafür vielmehr verbindlich und überprüfbar als ungeeignet eingestuft werden. Denn das Druckmittel des § 7 Abs. 7 Nr. 3 BNotO setzt voraus, dass kein geeigneter Bewerber gefunden werden konnte, was bei einem Abbruch der Ausschreibung letztlich offen bleibt, wenn als Begründung lediglich angeführt wird, die Bewerber seien keine Landeskinder.
b) Aus § 4 BNotO ergibt sich eine zahlenmäßige Begrenzung von Notarstellen. Hieraus folgt für die Justizverwaltung das Erfordernis einer vorausschauenden Personalplanung, um zu gewährleisten, dass genügend Notarassessoren für die Besetzung der Notarstellen zur Verfügung stehen. Beruht die Ablehnung eines auswärtigen Bewerbers auf diesem Kriterium, bedürfte es auch insofern einer auf die konkrete Situation bezogenen Begründung. Die ausgeschriebenen Stellen, die demnächst frei werdenden Amtssitze und Zahl und Ausbildungsstand der beschäftigten Assessoren sind zueinander in Beziehung zu setzen.
Eine vorausschauende Personalplanung kann allerdings nur bedingt ins Feld geführt werden, wenn – wie im vorliegenden Fall – Stellen unplanmäßig, also nicht aus Altersgründen, zu besetzen sind. Gleiches gilt für den Fall, dass keine ernennungsreifen Notarassessoren zur Verfügung stehen. Zwar sind auch die Rechte der dienstjüngeren Notarassessoren zu berücksichtigen, deren Chancen durch so genannte Seiteneinsteiger gemindert würden. Ebenso sind die Belange der Notarkammern beziehungsweise Notarkassen in die Abwägung einzubeziehen, denen die Besoldung der Notarassessoren obliegt. Besteht die Gefahr, dass die Berücksichtigung auswärtiger Bewerber zu einem Überhang ausgebildeter Notarassessoren führen würde, ist dies konkret darzulegen.
c) Auch soweit das Interesse an einer geordneten Altersstruktur das Auswahlverfahren beeinflusst, muss dies im Auswahlverfahren gegenüber Seiteneinsteigern konkretisiert werden. Ob dieser Gesichtspunkt in den vorliegenden Verfahren zum Tragen gekommen wäre, kann offen bleiben. Es handelte sich um junge Seiteneinsteiger; solche Überlegungen sind für den Abbruch auch nicht angeführt worden.
d) Schließlich wurde in den Stellungnahmen die Besorgnis um die geordnete Rechtspflege, insbesondere die notarielle Versorgung ländlich strukturierter Gebiete, geäußert. Hierzu ist zunächst festzustellen, dass innerhalb eines Bundeslandes derzeit eine Fluktuation nach Ablauf einer Mindestverweildauer von fünf Jahren grundsätzlich hingenommen wird. Um der Unterversorgung bestimmter Regionen entgegenzuwirken, steht jedem Bundesland im Übrigen das Verfahren nach § 7 Abs. 7 Nr. 3 BNotO offen.
Bei einem Wechsel über Landesgrenzen hinweg können diese Gesichtspunkte von dem aufnehmenden Bundesland nur bedingt ins Feld geführt werden, obwohl ersichtlich die Ausbildung der Notarassessoren in den einzelnen Bundesländern – insbesondere unter finanziellen Gesichtspunkten – es grundsätzlich erfordert, dass jedes Land selbst für seinen Notarnachwuchs verantwortlich ist. Dem Argument kommt allerdings keine erhebliche Bedeutung zu, wenn in dem abgebenden Bundesland strukturbedingt Notarstellen eingezogen werden müssten. Das ist vorliegend nicht unwahrscheinlich, weil der starke Bedarf an notariellen Leistungen in den neuen Ländern nach der Wiedervereinigung deutlich abgenommen hat. Ein Handeln zu Lasten des abgebenden Landes läge dann nicht vor.
e) Schließlich fehlt es auch an sachlich nachvollziehbaren Gründen, wenn die einmal vorgenommene Ausschreibung einer Stelle, auf die Bewerbungen vorliegen, mit der Begründung abgebrochen wird, die Justizverwaltung halte das Notariat – bei zahlenmäßig unverändertem Bedarf – nunmehr für entbehrlich oder jedenfalls die Besetzung für nicht mehr dringlich. Solche „Probe-Ausschreibungen” zur Sichtung von Bewerbern nehmen den vom Bundesverfassungsgericht als grundrechtsrelevant eingestuften Einfluss auf die Chancengleichheit der Bewerber, ohne von hinlänglichen Sachgründen getragen zu sein.
2. Die Verfassungsbeschwerden bleiben im Ergebnis allerdings erfolglos, da sie sich mit der Wiederaufnahme der Auswahlverfahren erledigt haben. Die Justizverwaltung hat die ablehnenden Bescheide mit Schreiben vom 17. Oktober 2001 widerrufen. Damit ist für beide Beschwerdeführer die Beschwer entfallen.
Die ursprünglichen Bewerbungsverfahren wurden mit den drei Bewerbern aus den neuen Ländern wieder aufgenommen. Für die beiden Notarstellen wurden der Beschwerdeführer zu 2) und der dritte Bewerber ausgewählt. Die von den Beschwerdeführern geltend gemachten Grundrechtsverletzungen durch Anwendung der so genannten Landeskinder-Klausel sind damit letztlich unterblieben.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93 d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Jaeger, Hömig, Bryde
Fundstellen
Haufe-Index 845661 |
NVwZ 2002, 1349 |