Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft ein bußgeldrechtliches Verfahren wegen Verstößen gegen die Schulpflicht, denen religiöse Erwägungen zugrunde liegen.
I.
1. Die Beschwerdeführer sind Eltern zweier 1998 und 1999 geborener Söhne, die eine Grundschule in Ostwestfalen besuchen. Sie gehören einer baptistischen Glaubensgemeinschaft an.
An der Schule fanden im Februar 2007 das zweitägige Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir” und die Karnevalsveranstaltung „Lütke Fastnacht” als teilnahmepflichtige Schulveranstaltungen statt. Zweck des Theaterprojektes war es, die Kinder für das Thema „sexueller Missbrauch” durch Fremde oder auch Familienangehörige zu sensibilisieren. Bei der „Lütke Fastnacht” handelt es sich um eine seit Jahren gepflegte Schultradition, bei der die Kinder bis zum Unterrichtsschluss um 10.30 Uhr gemeinsam im Klassenverband feiern, spielen und essen können. Es ist ihnen freigestellt, sich zu verkleiden und an dem anschließend stattfindenden Umzug auf dem Schulgelände teilzunehmen. Abgesehen davon bestand im Jahr 2007 während der Karnevalsveranstaltung in der gesamten Unterrichtszeit die Möglichkeit, stattdessen den Schwimmunterricht zu besuchen oder eine in der Turnhalle aufgebaute Bewegungslandschaft zu nutzen.
Die Kinder der Beschwerdeführer nahmen nicht an den genannten Veranstaltungen teil. Eine Befreiung nach § 43 Abs. 3 SchulG NRW lag nicht vor.
2. Das Amtsgericht setzte nach § 126 Abs. 1 Nr. 4 SchulG NRW wegen eines zweifachen vorsätzlichen Verstoßes gegen die in § 41 Abs. 1 Satz 2 SchulG NRW statuierte Elternverantwortung für die Einhaltung der Schulpflicht jeweils eine Gesamtgeldbuße von 80 Euro gegen die Beschwerdeführer fest. Deren Antrag auf Zulassung der Rechtsbeschwerde nach den §§ 79 ff. OWiG verwarf das Oberlandesgericht unter Verweis auf das Nichtvorliegen der Voraussetzungen des § 80 OWiG. Desgleichen verwarf es die gegen diesen Beschluss erhobene Anhörungsrüge der Beschwerdeführer nach § 46 Abs. 1 OWiG in Verbindung mit § 356a StPO.
Entscheidungsgründe
II.
Mit der rechtzeitig erhobenen Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer eine Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 4 Abs. 1 und 2, Art. 6 Abs. 2 Satz 1 und Art. 103 Abs. 1 GG.
1. Die angegriffenen Entscheidungen hätten verkannt, dass Eltern nicht dazu gezwungen werden könnten, ihre Kinder an Schulveranstaltungen teilnehmen zu lassen, die auf einem anderen Glaubensbekenntnis beruhten. Die Glaubenserziehung der Kinder sei Sache der Eltern. Die staatliche Schule sei zur Neutralität und Toleranz verpflichtet. Diese Pflicht sei verletzt, wenn Kinder gezwungen würden, an einer katholischen Fastnachtsveranstaltung teilzunehmen. Fastnacht sei ein katholisches Fest. Es werde heute so gefeiert, dass Katholiken sich vor der Fastenzeit Ess- und Trinkgelagen hingäben, sich maskierten und meist völlig enthemmt – befreit von jeglicher Moral – wie Narren benähmen. In dieser Weise werde Fastnacht auch an der Grundschule gefeiert. Mit ihrem – der Beschwerdeführer – Glauben sei es aber unvereinbar, sich wie Narren zu benehmen. Von dem Alternativangebot zu der Faschingsveranstaltung sei ihnen im Übrigen nichts bekannt gewesen, da dieses nicht allen betroffenen Eltern bekannt gemacht worden sei.
2. Das Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir” basiere auf einer absolut einseitigen emanzipatorischen Sexualerziehung. Sie vermittele den Kindern, dass sie über ihre Sexualität allein zu bestimmen hätten. Ihr einziger Ratgeber, der sie niemals täusche, sei danach ihr Gefühl. Dieses trete an die Stelle elterlicher Erziehung. Damit werde auch das Wohl der Kinder gefährdet, weil diese mit der vermeintlichen Freiheit überfordert seien. Ihr, der Beschwerdeführer, Gewissen verbiete es, ihre Kinder einer solch unguten Erziehung auszusetzen, die Gottes gute Gebote zur Sexualität aufhebe und Kinder zu sexuellen Handlungen animiere bis hin zur Pädophilie.
3. Ihr Recht auf rechtliches Gehör sei verletzt, da die Gerichte ihren Gewissenskonflikt nicht ernst genommen und nicht in Erwägung gezogen hätten. Zudem liege eine Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG auch deshalb vor, weil die von ihnen gestellten Beweisanträge abgelehnt worden seien.
III.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen, weil die Annahmevoraussetzungen nach § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht vorliegen (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪24 f.≫). Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung zu (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Grundrechte und grundrechtsgleichen Rechte der Beschwerdeführer angezeigt (vgl. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
Die Entscheidungen der zuständigen Fachgerichte, namentlich die Feststellung und Würdigung des Tatbestandes sowie die Auslegung des einfachen Rechts und seine Anwendung auf den Einzelfall sind grundsätzlich der Nachprüfung durch das Bundesverfassungsgericht entzogen. Nur bei einer Verletzung spezifischen Verfassungsrechts kann das Bundesverfassungsgericht auf Verfassungsbeschwerde hin eingreifen. Dabei hängen die Grenzen seiner Eingriffsmöglichkeiten namentlich von der Intensität der geltend gemachten Grundrechtsbeeinträchtigung ab: Die Schwelle eines Verstoßes gegen objektives Verfassungsrecht, den das Bundesverfassungsgericht zu korrigieren hat, ist erreicht, wenn die Entscheidung etwa der Strafgerichte Fehler bei der Tatsachenfeststellung oder der Auslegung erkennen lässt, die auf einer grundsätzlich unrichtigen Auffassung von der Bedeutung eines Grundrechts, insbesondere vom Umfang seines Schutzbereichs beruhen und auch in ihrer materiellen Bedeutung für den konkreten Rechtsfall von einigem Gewicht sind. Je nachhaltiger ferner eine Verurteilung im Ergebnis die Grundrechtssphäre des Verurteilten betrifft, desto strengere Anforderungen sind an die Begründung dieses Eingriffs zu stellen und desto weiter reichen die Nachprüfungsmöglichkeiten des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 43, 130 ≪135 f.≫; 67, 213 ≪222 f.≫).
Auch bei Zugrundelegung dieses Prüfungsmaßstabs auf das Ordnungswidrigkeitsverfahren haben die Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Grundrechtsverletzung nicht hinreichend dargelegt.
1. a) Die in Art. 4 Abs. 1 GG verbürgte Glaubensfreiheit umfasst auch den Anspruch, nach eigenen Glaubensüberzeugungen leben und handeln zu dürfen (vgl. BVerfGE 32, 98 ≪106≫; 93, 1 ≪15≫). In Verbindung mit Art. 6 Abs. 2 Satz 1 GG, der den Eltern das Recht zur Pflege und Erziehung ihrer Kinder garantiert, gewährleistet Art. 4 Abs. 1 GG das Recht zur Kindererziehung in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht. Danach ist es Sache der Eltern, ihren Kindern Überzeugungen in Glaubens- und Weltanschauungsfragen zu vermitteln (vgl. BVerfGE 41, 29 ≪44, 47 f.≫) und nicht geteilte Ansichten von ihnen fernzuhalten (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪17≫).
Auch wenn dieses Grundrecht keinem Gesetzesvorbehalt unterliegt, ist es Einschränkungen zugänglich, die sich aus der Verfassung selbst ergeben. Hierzu gehört der dem Staat in Art. 7 Abs. 1 GG erteilte Erziehungsauftrag (vgl. BVerfGE 34, 165 ≪181≫; 93, 1 ≪21≫). Infolgedessen erfährt das elterliche Erziehungsrecht durch die zur Konkretisierung dieses staatlichen Auftrags erlassene allgemeine Schulpflicht in grundsätzlich zulässiger Weise eine Beschränkung (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989 – 1 BvR 235/89 –, juris). Im Einzelfall sind Konflikte zwischen dem Erziehungsrecht der Eltern und dem Erziehungsauftrag des Staates im Wege einer Abwägung nach den Grundsätzen der praktischen Konkordanz zu lösen (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪21≫).
Zwar darf der Staat auch unabhängig von den Eltern eigene Erziehungsziele verfolgen (vgl. BVerfGE 34, 165 ≪182≫; 47, 46 ≪71≫), dabei muss er aber Neutralität und Toleranz gegenüber den erzieherischen Vorstellungen der Eltern aufbringen (vgl. Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. April 1989 – 1 BvR 235/89 –, juris). Der Staat darf keine gezielte Beeinflussung im Dienste einer bestimmten politischen, ideologischen oder weltanschaulichen Richtung betreiben; er darf sich auch nicht durch von ihm ausgehende oder ihm zuzurechnende Maßnahmen ausdrücklich oder konkludent mit einem bestimmten Glauben oder einer bestimmten Weltanschauung identifizieren und dadurch den religiösen Frieden in der Gesellschaft von sich aus gefährden (vgl. BVerfGE 93, 1 ≪16 f.≫; 108, 282 ≪300≫). Diese Verpflichtung stellt bei strikter Beachtung sicher, dass unzumutbare Glaubens- und Gewissenskonflikte nicht entstehen und eine Indoktrination der Schüler etwa auf dem Gebiet der Sexualerziehung unterbleibt (vgl. BVerfGK 1, 141 ≪144≫).
b) Hieran gemessen lässt der Vortrag der Beschwerdeführer die Möglichkeit einer Verletzung der angeführten Grundrechte durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen nicht erkennen.
aa) Hinsichtlich der Präventionsveranstaltung hat das Amtsgericht in verfassungsrechtlich nicht zu beanstandender Weise darauf abgestellt, dass die Schule mit der Sensibilisierung der Kinder für etwaigen sexuellen Missbrauch und dem Aufzeigen von Möglichkeiten, sich dem zu entziehen, das ihr obliegende Neutralitätsgebot nicht verletzt hat. Es hat nachvollziehbar darauf verwiesen, dass die auf der Glaubensüberzeugung der Beschwerdeführer beruhenden elterlichen Vorstellungen von der Sexualerziehung ihrer Kinder durch die Präventionsveranstaltung nicht in Frage gestellt worden sind, weil diese die Kinder nicht dahin beeinflusst hat, ein bestimmtes Sexualverhalten zu befürworten oder abzulehnen (vgl. insoweit auch BVerfGK 8, 151 ≪156≫).
Diese Würdigung und die Feststellung des zugrundeliegenden Sachverhalts ist mit Blick auf die als verletzt gerügten Grundrechte auch sonst nicht zu beanstanden. Die Bewertung der Beschwerdeführer, das Theaterprojekt „Mein Körper gehört mir” basiere auf einer absolut einseitigen „emanzipatorischen” Sexualerziehung, die Kindern suggeriere, sie könnten Sex allein abhängig von ihren Gefühlen haben und hätten dabei weder Gottes Gebote noch die der Eltern zu beachten, haben sich die Fachgerichte aus nachvollziehbaren und vertretbaren Gründen nicht zueigen gemacht. Die Behauptung der Beschwerdeführer, das Theaterprojekt spreche Kindern eine „freie Sexualität” zu oder stelle gar eine „Erziehung der Kinder zur Pädophilie” dar, findet in dem vom Amtsgericht festgestellten Sachverhalt und in dem vorgelegten Text des sogenannten „Körpersongs” keinerlei Stütze. Unter diesen Umständen besteht kein Anhalt dafür, dass die Fachgerichte die Glaubensfreiheit und das Recht der Beschwerdeführer auf Erziehung ihrer Kinder in religiöser und weltanschaulicher Hinsicht in ihrer Wirkkraft und Tragweite verkannt haben könnten. Demnach ist von Verfassungs wegen offensichtlich auch nichts dagegen zu erinnern, dass die Fachgerichte das in Rede stehende Theaterprojekt und seine Zielsetzung im Ergebnis im Rahmen des Erziehungsauftrags des Staates für unbedenklich erachtet haben.
bb) Hinsichtlich der Karnevalsveranstaltung hat das Amtsgericht festgestellt, dass diese nicht mit religiösen Handlungen verbunden gewesen ist und die Kinder weder gezwungen waren, sich zu verkleiden noch aktiv mitzufeiern. Dass Karneval beziehungsweise Fastnacht kein katholisches Kirchenfest ist und in der Art und Weise der Begehung als bloßes Brauchtum heutzutage der früher etwa vorhandenen religiösen Bezüge weitgehend entkleidet ist, kann als allgemein bekannt vorausgesetzt werden. Vor diesem Hintergrund begegnet die Bewertung des Amtsgerichts, dass ein Verstoß gegen das Neutralitätsgebot durch die Karnevalsveranstaltung nicht vorliegt, ersichtlich keinerlei Bedenken. Gleiches gilt für seine Auffassung, die Grundrechte der Beschwerdeführer aus Art. 4 und 6 GG geböten nicht, ihren Kindern eine Konfrontation mit dem Faschingstreiben der übrigen Schüler zu ersparen. Denn solche mit dem Schulbesuch verbundenen Spannungen zwischen der religiösen Überzeugung einer Minderheit und einer damit in Widerspruch stehenden Tradition einer anders geprägten Mehrheit sind grundsätzlich zumutbar (vgl. BVerfGK 8, 151 ≪156≫). Dies gilt umso mehr, als – worauf das Amtsgericht ebenfalls zu Recht hingewiesen hat – vorliegend die Schule einen schonenden Ausgleich zwischen den Rechten der Eltern und dem staatlichen Erziehungsauftrag auch dadurch gesucht hat, dass sie mit einem Schwimmunterricht und der Bewegungslandschaft in der Turnhalle zwei alternative Angebote zur Verfügung gestellt hat. Die Feststellung des Amtsgerichts, dass die Beschwerdeführer hiervon gewusst haben müssen, haben diese nicht mit verfassungsrechtlich erheblichen Argumenten angegriffen.
2. Schließlich ist die behauptete Verletzung von Art. 103 Abs. 1 GG nicht hinreichend substantiiert dargelegt.
Hinsichtlich der vom Amtsgericht zurückgewiesenen Beweisanträge ist mangels entsprechenden Vortrags und Vorlage der Rechtsbeschwerdeschrift schon nicht erkennbar, ob die Beschwerdeführer im Rahmen der Rechtsbeschwerde die Versagung rechtlichen Gehörs (vgl. § 80 Abs. 1 Nr. 2 OWiG) überhaupt gerügt und insoweit den Rechtsweg erschöpft haben.
Angesichts der ausführlichen Erwägungen des Amtsgerichts entbehrt auch der Vorwurf jeder Grundlage, dieses habe den Gewissenskonflikt der Beschwerdeführer nicht ernst und deren Ausführungen nicht zur Kenntnis genommen; das Gegenteil ist richtig.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2338198 |
NJW 2009, 3151 |
DÖV 2009, 866 |
JuS 2010, 369 |
BayVBl. 2010, 142 |
DVBl. 2009, 1190 |
FamRB 2009, 362 |
KomVerw 2009, 371 |
FuBW 2009, 945 |