Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Beschluss vom 27.02.2009; Aktenzeichen 2 LA 4/08) |
VG Oldenburg (Urteil vom 06.12.2007; Aktenzeichen 5 A 2696/06) |
Tenor
1. Der Beschluss des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2009 – 2 LA 4/08 – verletzt die Beschwerdeführerin in ihrem Grundrecht aus Artikel 19 Absatz 4 des Grundgesetzes. Der Beschluss wird aufgehoben. Die Sache wird an das Niedersächsische Oberverwaltungsgericht zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
2. Das Land Niedersachsen hat der Beschwerdeführerin ihre notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft verwaltungsgerichtliche Entscheidungen in einem Prüfungsrechtsstreit.
1. a) Die Beschwerdeführerin unterzog sich im Juli 2005 erstmalig der ersten juristischen Staatsprüfung in Niedersachsen. Die Summe der Einzelbewertungen ihrer Aufsichtsarbeiten im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 2 Buchstabe a des Niedersächsischen Gesetzes zur Ausbildung der Juristinnen und Juristen (NJAG) in der damals maßgeblichen Fassung vom 22. Oktober 1993 (Nds.GVBl S. 449) betrug 10 Punkte, der Anteil der schriftlichen Prüfungsleistungen an der Prüfungsgesamtnote im Sinne des § 14 Abs. 1 Nr. 3 NJAG betrug weniger als 1,8 Punkte. Damit war die Prüfung nach den genannten Bestimmungen nicht bestanden.
Die Klausur 1 (Zivilrecht) der Beschwerdeführerin war mit der Note „ungenügend” (0 Punkte) bewertet worden. Im Gutachten des Erstprüfers, dem sich der Zweitprüfer anschloss, wurde unter anderem bemängelt, dass die Beschwerdeführerin völlig fernliegend mit einem kaufvertraglichen Anspruch begonnen habe, während der naheliegende Leihvertrag nicht angesprochen worden sei. Das Gutachten schließt mit der Aussage, angesichts der vielen zentralen Mängel der Arbeit sei die Gesamtleistung offenbar völlig unbrauchbar.
b) Gegen die Bescheide des Niedersächsischen Justizministeriums, dem Beklagten des Ausgangsverfahrens (im Folgenden: Beklagter), mit denen festgestellt wurde, dass die Prüfung nicht bestanden wurde, legte die Beschwerdeführerin erfolglos Widerspruch und Klage ein. Das Verwaltungsgericht führte im angegriffenen Urteil aus, die Bescheide seien rechtmäßig und der Beschwerdeführerin stehe kein Anspruch auf Neubewertung zu. Bei der Überprüfung von Prüfungsentscheidungen sei zwischen Fachfragen einerseits und prüfungsspezifischen Wertungen andererseits zu unterscheiden. Fachwissenschaftliche Fragen unterlägen generell der vollen gerichtlichen Kontrolle auf ihre Richtigkeit beziehungsweise Vertretbarkeit (so genannter Antwortspielraum). Die Beschwerdeführerin habe zwar zunächst die unrichtige Bewertung derartiger fachwissenschaftlicher Fragen gerügt; aus ihrem Vorbringen werde jedoch erkennbar, dass sie in Wahrheit prüfungsspezifische Bewertungsentscheidungen rüge. Bei diesen komme dem Prüfer eine letzte Entscheidungskompetenz zu. Dessen gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum sei allerdings dann überschritten, wenn die Prüfungsbehörden Verfahrensfehler begingen, anzuwendendes Recht verkannten, von einem unrichtigen Sachverhalt ausgingen, allgemeine Bewertungsmaßstäbe verletzten oder sich von sachfremden Erwägungen leiten ließen. Derartige Rechtsfehler seien nicht zu erkennen. Die Einwendungen der Beschwerdeführerin gegen die Bewertung der Klausur 1 mit „ungenügend” ließen sich insgesamt dahingehend zusammenfassen, dass die Prüfer ihrer Auffassung nach die positiven Leistungen in ihrer Klausur im Verhältnis zu den beanstandeten Schwächen nicht ausreichend gewürdigt hätten. Insoweit müsse ein Prüfling aber zur Kenntnis nehmen, dass Art und Umfang der Wertung einer positiven oder einer negativen Leistung ebenso wie deren Gewichtung im Gesamtzusammenhang dem Bewertungsspielraum des Prüfers unterfielen. Die Prüfer hätten in ihren Beurteilungen und in ihren Stellungnahmen detailliert und nachvollziehbar die erheblichen Fehler und zentralen Mängel sowie die nicht bearbeiteten Aufgabenteile herausgearbeitet und gewichtet und seien dabei auch bei nochmaliger Überprüfung ihrer Entscheidung bei der Einschätzung geblieben, dass trotz einzelner zutreffender Ergebnisse die Gesamtleistung offenbar völlig unbrauchbar gewesen sei. „Ungenügend” sei auch eine Leistung, die sich trotz einiger positiver Ansätze im Ergebnis als völlig unbrauchbar erweise. Dabei handele es sich um eine prüfungsspezifische Wertung, ob eine Prüfungsleistung als „brauchbar” zu werten sei. Anhaltspunkte für Rechtsfehler ergäben sich nicht. Insbesondere sei das Erstvotum ausreichend begründet.
c) Die Beschwerdeführerin beantragte daraufhin die Zulassung der Berufung und berief sich im Wesentlichen darauf, es bestünden ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils (§ 124 Abs. 2 Nr. 1 der Verwaltungsgerichtsordnung ≪VwGO≫). Insbesondere habe das Verwaltungsgericht ihre zahlreichen Einwände gegen die Bewertung der Klausur 1 sämtlich pauschal dem Bewertungsspielraum der Prüfer zugeordnet, obwohl sie tatsächlich gerichtlich voll überprüfbare Verstöße gerügt habe. So habe es sich bei ihrem Einwand, unter der Berücksichtigung der Angaben im Sachverhalt sei die Prüfung eines Kaufvertrags vertretbar gewesen, während die Annahme einer Leihe nicht dem Sachverhalt entspreche, um eine fachwissenschaftliche Rüge gehandelt, denn sie habe einen Antwortspielraum für sich reklamiert. Daher hätte das Verwaltungsgericht überprüfen müssen, ob ihre Wertung des Sachverhalts und die daraus resultierende Prüfung eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darstelle und daher nicht als falsch habe bewertet werden dürfen. Die Auslegung einer Prüfungsaufgabe sei eine gerichtlich voll überprüfbare Fachfrage (unter Hinweis auf SaarlOVG, Beschluss vom 30. Juni 2003 – 3 Q 70/02 –, juris); gleiches gelte für die Frage, ob es nach dem Aufgabentext in einer Klausur der ersten juristischen Staatsprüfung erforderlich gewesen sei, eine bestimmte Rechtsnorm zu prüfen (unter Hinweis auf VG Braunschweig, Urteil vom 6. Juni 2007 – 6 A 311/06 –, NVwZ-RR 2008, S. 323 ≪324≫). Rechtsfehlerhaft habe das Verwaltungsgericht davon abweichend seiner Entscheidung implizit den Rechtssatz zugrunde gelegt, dass die Frage, ob eine bestimmte Norm nach dem Sachverhalt geprüft werden könne oder müsse, dem gerichtlich nicht überprüfbaren Bewertungsspielraum des Prüfers unterfalle. Darüber hinaus beanstandete die Beschwerdeführerin, das Verwaltungsgericht habe die gerichtlich voll überprüfbaren Anforderungen an eine schlüssige Begründung der Note „ungenügend” in Abgrenzung zur Note „mangelhaft” bei Vorliegen brauchbarer Teilleistungen verkannt, einen unzutreffenden Maßstab an das Vorliegen eines Verstoßes gegen das Sachlichkeitsgebot angelegt sowie verkannt, dass ein Prüfer einen allgemeinen Bewertungsgrundsatz verletze, wenn er ein zutreffendes Ergebnis als „zufällig” bezeichne.
Das Oberverwaltungsgericht lehnte die Zulassung der Berufung mit Beschluss vom 27. Februar 2009 ab. Von den Grundsätzen zur gerichtlichen Überprüfung von Prüfungsentscheidungen ausgehend bestehe kein Anlass, die Berufung nach § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zuzulassen. Insbesondere sei ein Anspruch auf Neubewertung der Klausur 1 zutreffend abgelehnt worden. Mit ihrer Rüge, die Vorinstanz habe verkannt, dass die von ihr vorgenommene vorrangige Prüfung eines Kaufvertrags zumindest vertretbar gewesen sei, und daher die Kritik des Erstvotums, sie hätte zunächst das Vorliegen eines Leihvertrags prüfen müssen, angesichts des ihr zustehenden Antwortspielraums ins Leere gehe, vermöge die Beschwerdeführerin nicht durchzudringen. Auch der Senat sehe bei einem Sachverhalt wie dem der Klausur 1 keinerlei Anhaltspunkte für die Annahme, es sei ein Kaufvertrag abgeschlossen worden, sodass die Prüfung kaufvertraglicher Ansprüche sehr fernliegend gewesen sei. Ferner verstoße die Vergabe der Note „ungenügend” trotz positiver Ansätze nicht gegen allgemeine Bewertungsgrundsätze. Das Verwaltungsgericht habe auch keinen allgemeinen Bewertungsgrundsatz des Inhalts verkannt, dass sich Wortgutachten und Punktbewertung decken müssten, die positive Erwähnung von Teilleistungen im Erstgutachten die Vergabe der Note „ungenügend” nicht trage und ohne eine – hier fehlende – Begründung, wieso die brauchbaren Ansätze wieder entwertet würden, nicht von einer völlig unbrauchbaren Leistung ausgegangen werden dürfe. Vielmehr habe der Erstkorrektor die umfangreich dargestellten Bearbeitungsmängel als derart zentral angesehen, dass den von ihm erwähnten positiven Ansätzen insoweit kein ausschlaggebendes Gewicht zukomme. Schließlich sei kein Verstoß gegen das Sachlichkeitsgebot verkannt worden und habe das Verwaltungsgericht zu Recht die Bezeichnung eines gefundenen Ergebnisses als „zufällig” nicht beanstandet.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin eine Verletzung von Art. 19 Abs. 4 GG durch den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts und eine Verletzung von Art. 12 Abs. 1 GG durch beide gerichtlichen Entscheidungen.
Indem das Oberverwaltungsgericht das Vorliegen des Zulassungsgrundes der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils verneint habe, habe es Bedeutung und Tragweite ihres Grundrechts auf effektiven Rechtsschutz verkannt. Der Zugang zum Berufungsrechtszug sei unzumutbar erschwert worden. Durch ihr Vorbringen zum Berufungszulassungsantrag habe sie verschiedene tragende Rechtssätze des verwaltungsgerichtlichen Urteils mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt, was für die Darlegung ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des Urteils ausreiche. Obwohl es für die Zulassung nicht darauf ankomme, wie die aufgeworfenen Fragen letztlich zu entscheiden seien, habe das Oberverwaltungsgericht im angegriffenen Beschluss abschließende Erwägungen angestellt und so das Berufungsverfahren unzulässigerweise vorweggenommen.
Beide gerichtlichen Entscheidungen verletzten sie zudem in ihrer Berufsfreiheit. Vor allem seien die verfassungsrechtlichen Anforderungen an eine nachvollziehbare Begründung speziell der Bewertung einer Arbeit mit der Note „ungenügend” verkannt worden.
3. Dem Niedersächsischen Justizministerium wurde – auch als Beklagtem des Ausgangsverfahrens – Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an und gibt ihr statt, soweit sich die Beschwerdeführerin gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2009 wendet. Im Übrigen wird die Verfassungsbeschwerde nicht zur Entscheidung angenommen.
1. Im Hinblick auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2009 ist die Annahme der Verfassungsbeschwerde zur Durchsetzung des Grundrechts der Beschwerdeführerin aus Art. 19 Abs. 4 GG angezeigt (§ 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Insoweit liegen auch die weiteren Voraussetzungen des § 93c Abs. 1 Satz 1 BVerfGG für eine stattgebende Kammerentscheidung vor. Die für die Beurteilung der Verfassungsbeschwerde maßgeblichen Fragen zur verfassungsrechtlichen Gewährleistung effektiven Rechtsschutzes sind durch das Bundesverfassungsgericht bereits geklärt. Die Verfassungsbeschwerde ist insoweit zulässig und offensichtlich begründet.
a) Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2009 verletzt das Grundrecht der Beschwerdeführerin aus Art. 19 Abs. 4 GG.
aa) Art. 19 Abs. 4 GG enthält ein Grundrecht auf effektiven und möglichst lückenlosen richterlichen Rechtsschutz gegen Akte der öffentlichen Gewalt (vgl. BVerfGE 96, 27 ≪39≫; 104, 220 ≪231≫; stRspr). Dabei fordert Art. 19 Abs. 4 GG zwar keinen Instanzenzug (vgl. BVerfGE 92, 365 ≪410≫; 104, 220 ≪231≫; stRspr), eröffnet das Prozessrecht aber mehrere Instanzen, so darf der Zugang zu ihnen nicht in unzumutbarer und durch Sachgründe nicht mehr zu rechtfertigender Weise erschwert werden (vgl. BVerfGE 77, 275 ≪284≫; 78, 88 ≪99≫; 84, 366 ≪369 f.≫; 104, 220 ≪231 f.≫). Das bedeutet für die Anwendung des § 124 Abs. 2 VwGO, dass die Anforderungen an die Begründung eines Zulassungsantrags nicht überspannt werden dürfen, so dass die Möglichkeit, die Zulassung der Berufung zu erstreiten, für den Rechtsmittelführer leer läuft (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 – 1 BvR 2524/06 –, NVwZ 2009, S. 515 ≪516≫ m.w.N.). Das gilt nicht nur hinsichtlich der Anforderungen an die Darlegung der Zulassungsgründe gemäß § 124a Abs. 4 Satz 5 VwGO, sondern in entsprechender Weise auch für die Auslegung und Anwendung der Zulassungsgründe des § 124 Abs. 2 VwGO selbst (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 24. Januar 2007 – 1 BvR 382/05 –, NVwZ 2007, S. 805 ≪806≫; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 – 1 BvR 2524/06 –, NVwZ 2009, S. 515 ≪516≫).
bb) Hier hat das Oberverwaltungsgericht den Zugang der Beschwerdeführerin zur Berufungsinstanz in unzumutbarer Weise erschwert. Die Ablehnung der Zulassung der Berufung wegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit des erstinstanzlichen Urteils gemäß § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist mit den verfassungsrechtlichen Vorgaben nicht vereinbar.
(1) Ernstliche Zweifel an der Richtigkeit des Urteils im Sinne des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO sind immer schon dann gegeben, wenn ein einzelner tragender Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt werden. Sie sind nicht erst gegeben, wenn bei der im Zulassungsverfahren allein möglichen summarischen Überprüfung der Erfolg des Rechtsmittels wahrscheinlicher ist als der Misserfolg (vgl. BVerfGE 110, 77 ≪83≫). Das Zulassungsverfahren hat nicht die Aufgabe, das Berufungsverfahren vorwegzunehmen (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2000 – 1 BvR 830/00 –, NVwZ 2000, S. 1163 ≪1164≫; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 – 1 BvR 2524/06 –, NVwZ 2009, S. 515 ≪516≫).
(2) Der angegriffene Beschluss des Oberverwaltungsgerichts verstößt danach gegen das Grundrecht der Beschwerdeführerin auf effektiven Rechtsschutz aus Art. 19 Abs. 4 GG, soweit er das Vorliegen ernstlicher Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung verneint.
Die Beschwerdeführerin hatte mit ihrem Antrag auf Zulassung der Berufung jedenfalls einen tragenden Rechtssatz des erstinstanzlichen Urteils mit schlüssigen Gegenargumenten in Frage gestellt (dazu ≪a≫). Die Berufung hätte daher zugelassen werden müssen. Stattdessen hat das Oberverwaltungsgericht unter Verkennung der Aufgabe des Berufungszulassungsverfahrens bereits in diesem Verfahrensstadium über die aufgeworfene Frage abschließend entschieden (dazu ≪b≫). Auf die weiteren mit Blick auf Art. 19 Abs. 4 GG erhobenen Einwände der Beschwerdeführerin kommt es daneben nicht an (dazu ≪c≫).
(a) Die Beschwerdeführerin hatte geltend gemacht, ihre gegen die Bewertung der Klausur 1 erhobene Rüge, entgegen der Auffassung des Erstprüfers sei die Prüfung eines Kaufvertrags vertretbar gewesen, während die Annahme einer Leihe nicht dem Sachverhalt entspreche, sei vom Verwaltungsgericht zu Unrecht dem gerichtlich nicht überprüfbaren Bewertungsspielraum des Prüfers zugeordnet und daher für unbeachtlich gehalten worden. Richtigerweise handele es sich bei der Auslegung einer Prüfungsaufgabe ebenso wie bei der Frage, ob es nach dem Aufgabentext in einer Klausur der ersten juristischen Staatsprüfung erforderlich gewesen sei, eine bestimmte Rechtsnorm zu prüfen, um gerichtlich voll überprüfbare Fachfragen. Daher hätte das Verwaltungsgericht überprüfen müssen, ob ihre Wertung des Sachverhalts und die daraus resultierende Prüfung eine vertretbare und mit gewichtigen Argumenten folgerichtig begründete Lösung darstelle und daher nicht als falsch habe bewertet werden dürfen.
Mit diesem Vorbringen hat die Beschwerdeführerin einen das erstinstanzliche Urteil tragenden Rechtssatz in Frage gestellt. Zwar ist das Verwaltungsgericht nicht ausdrücklich davon ausgegangen, dass die Frage, ob eine bestimmte Norm nach dem Klausursachverhalt geprüft werden musste oder konnte, in den gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbaren Bewertungsspielraum des Prüfers falle. Der näher begründete und im Tatbestand des verwaltungsgerichtlichen Urteils zutreffend wiedergegebene Einwand der Beschwerdeführerin, die Annahme einer Leihe sei nach dem Sachverhalt fernliegend und das Anprüfen eines Kaufvertrags vertretbar gewesen, hat das Verwaltungsgericht allerdings – wie auch die übrigen inhaltlichen Einwände der Beschwerdeführerin gegen die Bewertung der Klausur 1 – pauschal als in den Bewertungsspielraum des Prüfers fallend angesehen. Dies lässt einzig den Schluss zu, dass das Verwaltungsgericht seinem Urteil insoweit den von der Beschwerdeführerin angegriffenen Rechtssatz zugrunde gelegt hat.
Das Vorbringen der Beschwerdeführerin im Berufungszulassungsverfahren ist geeignet, die Richtigkeit der Auffassung des Verwaltungsgerichts nach dem oben dargestellten Maßstab in Frage zu stellen. Die Beschwerdeführerin hat nachvollziehbar und unter Bezugnahme auf verschiedene ihre Ansicht stützende Urteile (Hinweis unter anderem auf VG Braunschweig, Urteil vom 6. Juni 2007 – 6 A 311/06 –, NVwZ-RR 2008, S. 323 ≪324≫; so auch BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1997 – 6 B 55/97 –, NVwZ 1998, S. 738) dargelegt, dass es sich bei ihrem Einwand um eine fachwissenschaftliche Rüge handelte, die demgemäß vollständig hätte gerichtlich überprüft werden müssen. Sie hat auch geltend gemacht, dass ihre Lösung innerhalb des ihr zukommenden Antwortspielraums lag und daher nicht als falsch habe bewertet werden dürfen.
(b) Offenbar hat auch das Oberverwaltungsgericht erkannt, dass die Beschwerdeführerin insoweit einen tragenden Rechtssatz des erstinstanzlichen Urteils schlüssig in Frage gestellt hat. Auch wenn es auf diesen Umstand nicht ausdrücklich eingeht und den Maßstab der praktizierten Kontrolle nicht klarstellt, nimmt es eine fachwissenschaftliche Würdigung der in Rede stehenden Kritik der Beschwerdeführerin am Votum des Erstprüfers vor. Es stellt hierzu fest, die Rüge könne nicht durchdringen, weil die Prüfung kaufvertraglicher Ansprüche auch nach Ansicht des Senats „sehr fern liegend” gewesen sei. Diese fachwissenschaftliche Richtigkeits- beziehungsweise Vertretbarkeitskontrolle hätte allerdings im Zulassungsverfahren nicht vorgenommen werden dürfen, sondern war dem Berufungsverfahren vorbehalten. Im Rahmen der Berufungsbegründung hätte die Beschwerdeführerin Gelegenheit gehabt, über die im Zulassungsverfahren geforderte – und ihr gelungene – schlüssige Infragestellung des tragenden Rechtssatzes des Verwaltungsgerichts hinaus zur umstrittenen fachwissenschaftlichen Problematik näher vorzutragen. Die endgültige Entscheidung dieser Frage durfte im Rahmen des Zulassungsverfahrens nicht vorweggenommen werden. Dies verdeutlicht die Überlegung, dass in einer entsprechenden prozessualen Konstellation bei einer nichtjuristischen Prüfung eine Berufungszulassung erfolgen würde, weil in diesem Fall die volle gerichtliche Überprüfung einer substantiierten fachwissenschaftlichen Rüge, die im erstinstanzlichen Urteil fälschlich den prüfungsspezifischen Rügen zugeordnet worden war, regelmäßig eine – im Zulassungsverfahren nicht statthafte – Beweisaufnahme erforderlich machen würde. Der Umstand, dass das Oberverwaltungsgericht sich das erforderliche Fachwissen zur Überprüfung einer fachwissenschaftlichen Beanstandung auf juristischem Gebiet zumisst, kann aus verfassungsrechtlichen Gründen nicht rechtfertigen, die abschließende Beantwortung der umstrittenen Fachfrage hiervon abweichend in das Zulassungsverfahren vorzuverlagern und so dem Betroffenen den Zugang zum Berufungsverfahren zu verwehren.
(c) Hätte das Oberverwaltungsgericht bei Beachtung der verfassungsrechtlichen Vorgaben den Berufungszulassungsgrund des § 124 Abs. 2 Nr. 1 VwGO demnach bereits deshalb bejahen und die Berufung zulassen müssen, weil die Beschwerdeführerin unter dem ausgeführten Gesichtspunkt ernstliche Zweifel an der Richtigkeit der erstinstanzlichen Entscheidung geweckt hatte, so kommt es für die Entscheidung über die Verfassungsbeschwerde nicht darauf an, ob ihre weiteren mit Blick auf das Gebot effektiven Rechtsschutzes gegen den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts erhobenen Einwände durchgreifen. Keiner Entscheidung bedarf somit, ob die Behauptung der Beschwerdeführerin zutrifft, das Oberverwaltungsgericht habe durch die Nichtzulassung der Berufung auch insoweit gegen Art. 19 Abs. 4 GG verstoßen, als sie auch im Hinblick auf die Begründungsanforderungen bei Vergabe der Note „ungenügend”, im Hinblick auf eine Verletzung des Sachlichkeitsgebots oder im Hinblick auf die Bezeichnung eines Ergebnisses als „zufällig” einen tragenden Rechtssatz oder eine erhebliche Tatsachenfeststellung des verwaltungsgerichtlichen Urteils mit schlüssigen Argumenten in Frage gestellt habe.
b) Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts beruht auf der festgestellten Grundrechtsverletzung. Es kann daher offen bleiben, ob der Beschluss auch gegen Art. 12 Abs. 1 GG verstößt.
2. Soweit sich die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Verwaltungsgerichts vom 6. Dezember 2007 richtet, wird sie nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen insoweit nicht vor. Die Beschwerdeführerin ist nach dem in § 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG zum Ausdruck kommenden Grundsatz der Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde (vgl. BVerfGE 84, 203 ≪208≫) gehalten, zunächst den fachgerichtlichen Rechtsweg auszuschöpfen, um der geltend gemachten Beschwer abzuhelfen. Nachdem der den Antrag auf Zulassung der Berufung ablehnende Beschluss des Oberverwaltungsgerichts aufgehoben wurde, steht noch ein fachgerichtlicher Rechtsweg zur Verfügung (vgl. BVerfGE 104, 220 ≪237≫; BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 21. Januar 2009 – 1 BvR 2524/06 –, NVwZ 2009, S. 515 ≪518≫).
3. Der Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 27. Februar 2009 ist aufzuheben; die Sache ist an das Oberverwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG).
4. Die Entscheidung über die Auslagenerstattung beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Unterschriften
Hohmann-Dennhardt, Gaier, Kirchhof
Fundstellen
Haufe-Index 2280319 |
NJW 2010, 1062 |
NJW 2010, 6 |
LL 2010, 545 |