Entscheidungsstichwort (Thema)
Verurteilung zur Unterlassung der öffentlichen Verbreitung einer Äußerung
Beteiligte
Rechtsanwälte Dr. Paul Witz und Partner |
Verfahrensgang
LG Freiburg i. Br. (Urteil vom 19.01.1995; Aktenzeichen 3 S 73/94) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen ein zivilgerichtliches Berufungsurteil, mit dem die Beschwerdeführerin zur Unterlassung der öffentlichen Verbreitung einer Äußerung verurteilt worden ist.
I.
1. Die Beschwerdeführerin gibt die Tageszeitung „Badische Zeitung” heraus. In einem in ihrer Ausgabe vom 30. September 1993 unter der Überschrift „Wie Rechtsradikale salonfähig werden wollen” erschienenen Bericht wurde unter anderem ausgeführt, dass zu den Mitarbeitern der von der Klägerin des Ausgangsverfahrens herausgegebenen Zeitung „Junge Freiheit” auch Vertreter der Freien Arbeiterpartei (FAP) gehörten. Wörtlich heißt es insoweit in dem Bericht:
„Auch Interviewpartner wie … machen die Zeitung hoffähig – auch wenn zu deren Mitarbeitern Vertreter der FAP gehören, einer rechtsextremen Organisation, deren Verbot die Bundesregierung anstrebt.”
Der Bericht der Beschwerdeführerin geht zurück auf einen zuvor am 19. August 1993 in der Berliner Zeitung „Die Tageszeitung” (taz) veröffentlichten Artikel, in dem berichtet worden war, dass zu den Autoren der Zeitung „Junge Freiheit” Vertreter der FAP gehören. Dieser Tatsachenbehauptung war die Klägerin des Ausgangsverfahrens öffentlich nicht vor dem 30. September 1993 entgegengetreten.
Das Amtsgericht hat die Klage auf Unterlassung der Behauptung, zu den Mitarbeitern der Zeitung „Junge Freiheit” gehörten Vertreter der FAP, abgewiesen.
Auf die Berufung der Klägerin hat das Landgericht dieses Urteil abgeändert und die Beschwerdeführerin antragsgemäß verurteilt. Es hat zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt:
Die Voraussetzungen eines Unterlassungsanspruchs seien erfüllt. Insbesondere sei von der Unwahrheit und damit der Rechtswidrigkeit der Behauptung auszugehen. Zwar obliege grundsätzlich der Klägerin als Anspruchstellerin der Nachweis für die Unwahrheit der angegriffenen Tatsachenbehauptung. Sie sei auch gewillt gewesen, den von ihr geforderten Nachweis zu erbringen. Die damit verbundenen Schwierigkeiten, die sich die Beschwerdeführerin zunutze machen wolle, seien aber offensichtlich. Die Klägerin müsse sämtliche Mitarbeiter aus Vergangenheit und Gegenwart als Zeugen benennen und damit ihre gesamte Organisationsstruktur und personelle Ausstattung offenbaren. Aus dieser Zeugenbenennung könnten Rückschlüsse auf Tatsachen gezogen werden, die einem natürlichen Geheimhaltungsinteresse der Unternehmung unterlägen. Diese Schwierigkeiten beruhten einzig darauf, dass die Beschwerdeführerin ihrer Darlegungspflicht nicht in dem gesetzlich zu fordernden Umfang nachgekommen sei. Hätte sie nämlich die Personen, die in Verbindung zur FAP stünden, bezeichnet, müsste die Klägerin sich nicht für jeden Mitarbeiter rechtfertigen. Die Nennung von Namen müsse der Beschwerdeführerin auch möglich sein, da allein deren Kenntnis zu einer so weit reichenden Behauptung berechtige.
Ob die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der Veröffentlichung ihrer Verpflichtung zur sorgfältigen Recherche nachgekommen sei, könne außer Betracht gelassen werden. Jedenfalls müsse die Beschwerdeführerin, wenn sie sich die Möglichkeit einer späteren Berichterstattung desselben Inhalts offen halten wolle, im Prozess ihrer Verpflichtung zur Substantiierung durch Nachrecherche nachkommen, nachdem die Klägerin die Unwahrheit der Tatsachenbehauptung postuliert habe. Dem stehe nicht die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts im Fall der Kritischen Bayer-Aktionäre (BVerfGE 85, 1) entgegen. Denn jener Sachverhalt sei mit dem vorliegenden nicht vergleichbar. Für die Beschwerdeführerin als Presseorgan mit ihren presseüblichen Recherchemöglichkeiten gälten strengere Darlegungsanforderungen als für den Einzelnen.
Nachdem die Beschwerdeführerin somit ihrer in § 138 Abs. 1 ZPO verankerten Erklärungspflicht nicht genügt habe, sei auch in der Berufungsinstanz von einer Beweiserhebung abzusehen und von einem rechtswidrigen Eingriff der Beschwerdeführerin auszugehen. Wenn bereits ein rechtswidriger Eingriff stattgefunden habe, bestehe für die Besorgnis der Wiederholung eine tatsächliche Vermutung. Im Übrigen werde die Wiederholungsgefahr durch Ablehnung der vorprozessual geforderten Unterlassungserklärung und dadurch belegt, dass die Beschwerdeführerin in der letzten mündlichen Verhandlung zum Ausdruck gebracht habe, sie erachte ihr Verhalten für gerechtfertigt und wolle sich die Möglichkeit einer nochmaligen Veröffentlichung offen halten.
2. Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung ihrer Grundrechte aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 GG. In ihrer fristgerecht eingereichten Beschwerdeschrift macht sie geltend:
Der Schutzbereich der Pressefreiheit sei berührt. Das Landgericht habe zum einen der Beschwerdeführerin untersagt, sich auf unwidersprochene Presseberichte zu stützen, zum anderen habe es sie einer Pflicht zur Nachrecherche unterworfen. Es habe überdies entgegen der grundsätzlichen Vermutung für die Zulässigkeit der freien Rede der Beschwerdeführerin eine beweisrechtliche Substantiierungsobliegenheit aufgebürdet. Hierdurch werde die Beschwerdeführerin wie die gesamte Presse einer sehr weit gehenden Recherche- und Mitwirkungspflicht im Zivilprozess unterworfen. Damit seien die Voraussetzungen freier Berichterstattung betroffen.
Die Entscheidung des Landgerichts beruhe auf Auslegungsfehlern, die eine grundsätzlich unrichtige Auffassung von der Bedeutung und Tragweite der betroffenen Grundrechte erkennen ließen. Das Landgericht habe verkannt, dass die Grundrechte die Beschwerdeführerin wie die gesamte Presse vor überzogenen Anforderungen an die Wahrheitspflicht schützen; diese überhöhten Anforderungen könnten aber die Presse an der Wahrnehmung ihrer spezifischen Aufgabe im Prozess der Bildung der öffentlichen Meinung empfindlich behindern. Sie könnten sich – im Bereich der Meinungsfreiheit – zudem auf den generellen Gebrauch des Grundrechts abschreckend auswirken. Für das Grundrecht der Meinungsfreiheit habe das Bundesverfassungsgericht ausgesprochen, dass der Einzelne Tatsachen, die er der Presse entnommen habe, aufgreifen und zur Stützung seiner Meinung anführen dürfe (BVerfGE 85, 1 ≪22≫). Dies müsse auch für die Berichterstattung durch die Presse gelten, jedenfalls dann, wenn derjenige, der sich nun gegen den – erneuten – Pressebericht zur Wehr setze, zuvor nicht seine Rechte auf Gegendarstellung gegen die „Erstveröffentlichung” wahrgenommen habe.
In einem nach Ablauf der Frist des § 93 BVerfGG eingereichten Schriftsatz hat die Beschwerdeführerin die Verfassungsbeschwerde ergänzend und umfassend begründet. Sie verweist darauf, dass von einer Pflicht zur Nachrecherche vor allem kleinere Publikationsorgane und Zeitungen schwerwiegend und nachteilig betroffen seien, weil diese typischerweise nicht über sachliche oder personelle Ressourcen verfügten, um selbst aufwendig recherchieren zu können. Das Landgericht habe die Voraussetzungen für eine Beweislastumkehr verkannt und die Substantiierungspflicht überspannt. Es sei zu Unrecht von der Unwahrheit der streitigen Behauptung ausgegangen. Beweisschwierigkeiten auf Seiten der Klägerin hätten entgegen der Auffassung des Landgerichts nicht bestanden, diese habe ohne weiteres ihre Mitarbeiter als Zeugen benennen können. Ein schützenswertes Interesse der Klägerin an Geheimhaltung ihrer Organisationsstruktur und personellen Ausstattung bestehe nicht. Ein Anrecht auf konspirative Erstellung ihrer Zeitung habe die Klägerin nicht und sei von ihr im Ausgangsverfahren auch nicht geltend gemacht worden. Eine Substantiierungspflicht sei nicht erforderlich, weil die Beschwerdeführerin sich auf unwidersprochen gebliebene Presseberichte gestützt habe; die Grundsätze der Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 85, 1 ≪22≫) müssten erst recht für Presseorgane gelten.
Das Landgericht habe fälschlich ohne Feststellung eines bereits erfolgten rechtswidrigen Eingriffs die Wiederholungsgefahr aus dem beanstandeten Pressebericht hergeleitet. Auch bei der prospektiven Weiterverbreitung bleibe der Kläger gehalten, die Unwahrheit darzutun und nachzuweisen; insoweit gehe es darum, Äußerungen in der Vergangenheit, die sich erst nach eingehender Beweisaufnahme als unwahr erwiesen hätten, nicht nachträglich mit Sanktionen zu belegen. Den Nachweis der Unwahrheit habe die Klägerin bis heute nicht geführt, so dass die Beschwerdeführerin weiterhin berechtigt bleibe, diese Tatsache zu verbreiten.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde ist nicht zur Entscheidung anzunehmen. Die Voraussetzungen für eine Annahme (§ 93 a Abs. 2 BVerfGG) liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde wirft keine verfassungsrechtlichen Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf. Ihre Annahme ist auch nicht zur Durchsetzung von Grundrechten der Beschwerdeführerin angezeigt, weil die Verfassungsbeschwerde keine Aussicht auf Erfolg hat.
1. Welche Anforderungen an die Lösung eines Konflikts zwischen der Meinungs- und Pressefreiheit einerseits und dem Schutz des von einer Äußerung nachteilig Betroffenen andererseits zu stellen sind, ist in der Verfassungsrechtsprechung geklärt (BVerfGE 85, 1 ≪15 f.≫; 99, 185 ≪193 ff.≫). Diese Maßstäbe ermöglichen auch die Entscheidung dieses Falles.
2. Ob die Verfassungsbeschwerde innerhalb der Beschwerdefrist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG hinreichend begründet worden ist, bedarf keiner Entscheidung. Auch unter Berücksichtigung des verspäteten Vorbringens ist die Verfassungsbeschwerde unbegründet. Die angegriffene Entscheidung verletzt die Beschwerdeführerin nicht in ihren Grundrechten aus Art. 5 Abs. 1 GG.
a) Allerdings fällt die der Beschwerdeführerin verbotene Äußerung in den Schutzbereich von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG, obwohl es sich um eine Tatsachenbehauptung handelt. Denn auch Tatsachenbehauptungen genießen den Schutz der Meinungsfreiheit, wenn die mitgeteilten Tatsachen der Meinungsbildung dienen (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫; 94, 1 ≪7≫). Das ist vorliegend der Fall, weil die hier in Frage stehende Tatsachenbehauptung zur Meinungsbildung über die von der Klägerin verlegte Zeitung beitragen will.
Ob daneben auch der Schutzbereich der Pressefreiheit betroffen ist, kann offen bleiben. Dies ist nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts der Fall, wenn es um die im Pressewesen tätigen Personen in Ausübung ihrer Funktionen, um ein Presseerzeugnis selbst, um seine institutionell-organisatorischen Voraussetzungen und Rahmenbedingungen sowie um die Institution einer freien Presse überhaupt geht. Handelt es sich dagegen – wie hier – um die Frage, ob eine bestimmte Äußerung erlaubt ist oder nicht, insbesondere, ob ein Dritter eine für ihn nachteilige Äußerung hinzunehmen hat, ist ungeachtet des Verbreitungsmediums Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG einschlägig (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪12 f.≫; 95, 28 ≪34≫; 97, 391 ≪400≫).
Soweit mit der Beschwerdeführerin in den vom Landgericht aufgestellten Anforderungen an die Substantiierungs- und Recherchepflichten ein Eingriff auch in die Rahmenbedingungen zur Wahrung einer freien Presse zu erblicken sein sollte, wäre dieser Eingriff ebenso wie derjenige in das Grundrecht auf Meinungsfreiheit verfassungsrechtlich gerechtfertigt.
b) Sowohl die Meinungsfreiheit als auch die Pressefreiheit genießen keinen vorbehaltlosen Schutz. Sie finden ihre Schranken nach Art. 5 Abs. 2 GG unter anderem in den Vorschriften der allgemeinen Gesetze. Hierzu gehören auch die §§ 823, 1004 BGB, auf die das Landgericht den Unterlassungsanspruch gestützt hat.
Auslegung und Anwendung dieser Vorschriften sind ebenso Sache der Zivilgerichte wie die Feststellung des Sachverhalts. Werden im Zuge der Anwendung verfassungsrechtlich unbedenklicher Normen des Zivilrechts jedoch grundrechtlich geschützte Positionen berührt, müssen die Zivilgerichte der Bedeutung und Tragweite der Grundrechte Rechnung tragen, damit deren wertsetzende Bedeutung auch auf der Rechtsanwendungsebene gewährleistet ist (vgl. BVerfGE 7, 198 ≪205 ff.≫; stRspr). Das verlangt in der Regel eine Abwägung zwischen der Schwere der Beeinträchtigung der Ehre oder des guten Rufs einerseits und der Einbuße an Meinungsfreiheit durch die Untersagung der Äußerung andererseits, die im Rahmen der auslegungsfähigen Tatbestandsmerkmale des einfachen Rechts vorzunehmen ist und die besonderen Umstände des Falles zu berücksichtigen hat. Geht es – wie hier – um Tatsachenbehauptungen, hängt die Abwägung vom Wahrheitsgehalt ab. Wahre Aussagen müssen in der Regel hingenommen werden, auch wenn sie nachteilig für den Betroffenen sind, unwahre dagegen nicht (vgl. BVerfGE 97, 391 ≪403≫).
Für die Verbreitung unwahrer Tatsachenbehauptungen gibt es regelmäßig keinen rechtfertigenden Grund. Das bedeutet aber nicht, dass unwahre Tatsachenbehauptungen von vornherein aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen. Zwar hat das Bundesverfassungsgericht festgestellt, dass die unrichtige Information unter dem Gesichtspunkt der Meinungsfreiheit kein schützenswertes Gut sei (vgl. BVerfGE 54, 208 ≪219≫). Außerhalb des Schutzbereichs von Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG liegen aber nur bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen und solche, deren Unwahrheit bereits im Zeitpunkt der Äußerung unzweifelhaft feststeht. Alle übrigen Tatsachenbehauptungen mit Meinungsbezug genießen den Grundrechtsschutz, auch wenn sie sich später als unwahr herausstellen (vgl. BVerfGE 61, 1 ≪8≫; 90, 1 ≪15≫; 90, 241 ≪254≫; 99, 185 ≪197≫).
Der Wahrheitsgehalt fällt dann aber bei der Abwägung ins Gewicht (vgl. BVerfGE 94, 1 ≪8≫). Grundsätzlich hat die Meinungsfreiheit bei unwahren ehrenrührigen oder rufschädigenden Äußerungen zurückzutreten. Dabei muss aber bedacht werden, dass die Unwahrheit vielfach im Zeitpunkt der Äußerung ungewiss ist und sich erst später etwa durch eine gerichtliche Klärung herausstellt. Zur Vermeidung eines vom Grundrechtsgebrauch abschreckenden Effekts, der mit der Sanktionierung einer erst nachträglich als unwahr erkannten Äußerung einherginge, hat die Rechtsprechung der Zivilgerichte dem sich Äußernden Sorgfaltspflichten auferlegt. Gegen diese Sorgfaltspflichten, die sich im Einzelnen nach den Aufklärungsmöglichkeiten richten und etwa für Medien strenger sind als für Privatleute (vgl. BGH, NJW 1966, S. 2010 ≪2011≫; NJW 1987, S. 2225 ≪2226≫; BGHZ 132, 13 ≪23 f.≫), bestehen verfassungsrechtlich keine Einwände, sofern die Wahrheitspflicht nicht überspannt wird. Der freie Kommunikationsprozess, den Art. 5 Abs. 1 GG im Sinn hat, darf nicht eingeschnürt werden (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪198≫).
Die Abwägung hängt von der Beachtung dieser Sorgfaltspflichten ab. Sind sie eingehalten, stellt sich aber später die Unwahrheit der Äußerung heraus, ist die Äußerung als im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig anzusehen, so dass weder Bestrafung noch Widerruf oder Schadensersatz in Betracht kommen. Dagegen gibt es kein legitimes Interesse, nach Feststellung der Unwahrheit an der Behauptung festzuhalten (vgl. BVerfGE 97, 125 ≪149≫). Besteht die Gefahr, dass die Äußerung dessen ungeachtet aufrechterhalten wird (so genannte Erstbegehungsgefahr, vgl. BGH, NJW 1986, S. 2503 ≪2505≫), kann der sich Äußernde folglich zur Unterlassung verurteilt werden.
Da die Ermittlung der Wahrheit von Tatsachenbehauptungen oft außerordentlich schwierig ist, haben die Zivilgerichte demjenigen, der sich nachteilig über einen Dritten äußert, außerdem eine erweiterte Darlegungslast auferlegt, die ihn anhält, Belegtatsachen für seine Behauptung anzugeben (vgl. BGH, NJW 1974, S. 1710 ≪1711≫). Diese Darlegungslast bildet die prozessuale Entsprechung der materiellrechtlichen Regel, dass bei haltlosen Behauptungen der Schutz der Meinungsfreiheit zurückzutreten hat. Ist der sich Äußernde nicht in der Lage, seine Behauptung mit Belegtatsachen zu erhärten, wird sie wie eine unwahre behandelt (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪199≫).
Auch dies begegnet von Verfassungs wegen keinen Bedenken. Allerdings dürfen ebenso wie bei den materiellrechtlichen Sorgfaltspflichten an die Darlegungslast keine überzogenen Anforderungen gestellt werden, die sich generell auf den Gebrauch des Grundrechts der Meinungsfreiheit abschreckend auswirken könnten (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪21≫).
c) Gemessen hieran verstößt die angegriffene Entscheidung nicht gegen Art. 5 Abs. 1 GG.
Die vom Landgericht an die Beschwerdeführerin gestellten Darlegungsanforderungen enthalten keine aus verfassungsrechtlicher Sicht zu beanstandende Überspannung.
Hierbei kann dahinstehen, ob das Verlangen nach näherer Konkretisierung durch namentliche Benennung derjenigen Mitarbeiter, die nach dem Bericht der Beschwerdeführerin Vertreter der FAP sein sollen, eine Überspannung der Darlegungslast sein könnte, wenn es retrospektiv um die Sanktionierung der bereits verbreiteten Behauptung ginge. Dann käme der Frage Bedeutung zu, ob die Beschwerdeführerin ihren journalistischen Sorgfaltspflichten genügt hat, als sie die streitige Behauptung ohne weitere eigene Recherche aus dem anderweitig veröffentlichten Bericht übernahm. In der Fachliteratur wird die kritiklose Übernahme nicht stets, grundsätzlich aber für den Fall gebilligt, dass die Meldung von einer ohne weiteres als zuverlässig anerkannten Quelle – wie etwa einer anerkannten Nachrichtenagentur – stammt (vgl. Wenzel, Das Recht der Wort- und Bildberichterstattung, 4. Aufl., S. 324 f.; Soehring, Presserecht, 2. Aufl., S. 16; Löffler/Steffen, Presserecht, 4. Aufl., § 6 LPG, Rn. 169).
Ob die Beschwerdeführerin angesichts dessen vor der Veröffentlichung der streitigen Behauptung in der von ihr verlegten Zeitung den journalistischen Sorgfaltsanforderungen gerecht geworden ist und welche Konsequenzen sich insoweit für die Anforderungen an die Darlegungslast ergeben könnten, bedarf jedoch keiner Entscheidung. Denn hier steht allein prospektiv die Weiterverbreitung der streitigen Äußerung in Frage, die der Beschwerdeführerin vom Landgericht verboten worden ist.
Die Auffassung des Landgerichts, die Beschwerdeführerin müsse die Behauptung konkretisieren, wenn sie sich die Möglichkeit der erneuten Weiterverbreitung offen halten wolle, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Sie berücksichtigt die zwangsläufig mit einer pauschalen Behauptung einhergehenden Beweisschwierigkeiten für den von ihr Betroffenen, dem der Nachweis der Unwahrheit obliegt. So würden sich vorliegend Zweifel an der erschöpfenden Benennung sämtlicher Mitarbeiter und dem umfassenden Nachweis, dass keiner von ihnen je in Verbindung zur FAP gestanden habe, zu Lasten der Klägerin auswirken.
Auch unter Beachtung der besonderen Situation kleinerer Tageszeitungen, die – wie die Beschwerdeführerin geltend macht – häufig nur über begrenzte Recherchemöglichkeiten verfügen, stellt sich in dieser Situation das auf § 138 Abs. 1 ZPO gestützte Verlangen nach näherer Konkretisierung nicht als überzogene Anforderung an die Substantiierungspflicht dar. Jedenfalls nachdem nunmehr Zweifel an der Richtigkeit der Behauptung bestehen, liegt es nahe, dass die Beschwerdeführerin sich nicht mehr nur auf die Berichterstattung in einer anderen Zeitung zurückziehen darf, auch wenn die Klägerin sich gegen diese bislang nicht zur Wehr gesetzt hat. Eine unbewiesene Tatsachenbehauptung herabsetzenden Charakters wird nicht deswegen zulässig, weil sie auch von anderen unwidersprochen aufgestellt worden ist. Es steht dem Gekränkten frei, gegen einzelne Schädiger vorzugehen und andere zu verschonen (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪22≫).
Soweit eine nachteilige Behauptung zunächst unwidersprochen in der Presse erschienen ist, darf ein Einzelner, der den Pressebericht guten Glaubens aufgegriffen hat, zwar erst dann zur Unterlassung verurteilt werden, wenn die Berichterstattung erkennbar überholt oder widerrufen ist (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪22 f.≫). Diese Situation ist hier aber nicht gegeben. Zum einen verfügt die Beschwerdeführerin als Presseunternehmen über Recherchemöglichkeiten, die der Einzelne nicht hat, mögen diese auch begrenzt sein. Zum anderen kann sie sich für die Zukunft nicht mehr auf einen guten Glauben berufen, nachdem die Richtigkeit der Behauptung in Frage gestellt worden ist. Die Beschwerdeführerin befindet sich vielmehr nun in einer Lage, in der eine kritiklose Weiterverbreitung nicht mehr gerechtfertigt ist. Mit Blick darauf erscheint es nicht unzumutbar, die Möglichkeit der erneuten Weiterverbreitung strengeren Maßstäben zu unterwerfen und von einer näheren Konkretisierung abhängig zu machen.
Dies trägt dem Umstand Rechnung, dass die Anforderungen an die pressemäßige Sorgfalt nicht starr sind, sondern von der jeweiligen konkreten Situation abhängen (vgl. Wenzel, a.a.O., S. 320; Soehring, a.a.O., S. 13; Löffler/Steffen, a.a.O., § 6 LPG, Rn. 163). Eine übermäßige Einengung des gesellschaftlichen Kommunikationsprozesses, zu dem die Beschwerdeführerin durch meinungsbildende Presseberichte beiträgt, geht damit nicht einher. Reichen ihre Recherchemöglichkeiten zu einer Präzisierung der Behauptung nicht aus, wird die Teilnahme der Beschwerdeführerin am öffentlichen Meinungsbildungsprozess nicht unzumutbar eingeschränkt, wenn sie sich der erneuten Weiterverbreitung einer fraglich gewordenen Pressemeldung enthalten muss.
Die Beschwerdeführerin rügt allerdings zu Recht, dass das Landgericht die nach der Rechtsprechung der Zivilgerichte für ein auf ein vorangegangenes Verhalten gestütztes Unterlassungsbegehren erforderliche Wiederholungsgefahr mit verfehlter Begründung angenommen hat. Die Annahme einer Wiederholungsgefahr setzt nach einhelliger Auffassung in der fachgerichtlichen Rechtsprechung und Literatur die Rechtswidrigkeit der beanstandeten Veröffentlichung voraus, weil nur dann, wenn bereits ein rechtswidriger Eingriff erfolgt ist, eine tatsächliche Vermutung für das Vorliegen einer Wiederholungsgefahr besteht (vgl. BGH, NJW 1986, S. 2503 ≪2505≫ und NJW 1987, S. 2225 ≪2227≫; Wenzel, a.a.O., S. 627 f.; Soehring, a.a.O., S. 532 f.; Löffler/Steffen, a.a.O., § 6 LPG, Rn. 264).
Das Landgericht hat jedoch ausdrücklich offen gelassen, ob die Beschwerdeführerin im Zeitpunkt der von ihr vorgenommenen Veröffentlichung ihrer Verpflichtung zur sorgfältigen Recherche nachgekommen und damit die Veröffentlichung rechtswidrig war. Gleichwohl begründet es die Wiederholungsgefahr mit einem bereits stattgefundenen rechtswidrigen Eingriff, der Ablehnung der Abgabe einer hierauf beruhenden Unterlassungserklärung sowie der Auffassung der Beschwerdeführerin, sie halte die von ihr vorgenommene Veröffentlichung für gerechtfertigt.
Dieser Mangel verhilft der Verfassungsbeschwerde jedoch nicht zum Erfolg. Denn mit seiner weiteren Erwägung, die Beschwerdeführerin wolle sich die Möglichkeit einer nochmaligen Veröffentlichung offen halten, hat das Landgericht der Sache nach mit tragfähiger Begründung auch eine Erstbegehungsgefahr angenommen, die den Unterlassungsanspruch rechtfertigt. Eine Erstbegehungsgefahr liegt vor, wenn zwar ein Rechtsverstoß noch nicht begangen ist, er aber in nicht allzu ferner Zukunft greifbar bevorsteht bzw. ersichtlich droht (vgl. Wenzel, a.a.O., S. 633 f.; Löffler/Steffen, a.a.O., § 6 LPG, Rn. 269). Das ist unter anderem der Fall, wenn sich der sich Äußernde die erneute Verbreitung vorbehält (vgl. Wenzel, a.a.O., S. 627). Einen solchen Vorbehalt hat die Beschwerdeführerin sowohl im Ausgangsverfahren als auch im Verfassungsbeschwerdeverfahren ausdrücklich geltend gemacht.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen
Haufe-Index 565187 |
NJW-RR 2000, 1209 |
AfP 2000, 272 |