Verfahrensgang
LG Landshut (Aktenzeichen 44 O 1813/03) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
I.
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Verfahrensdauer eines Zivilprozesses.
1. Der Beschwerdeführer erhob im Juli 2003 vor dem Landgericht eine Schadensersatzklage gegen einen Architekten (im Folgenden: Beklagter) wegen behaupteter fehlerhafter Planung und Überwachung eines gewerblichen Bauvorhabens.
Nachdem mehrfach mündlich verhandelt und ein Sachverständigengutachten eingeholt worden war, wurde im April 2005 ein weiterer Sachverständiger mit einem Gutachten zu den im Wege der Hilfsaufrechnung geltend gemachten Vergütungsansprüchen des Beklagten beauftragt. Nachfolgend versäumte es der Beklagte, dem Sachverständigen notwendige Unterlagen innerhalb der vom Gericht formlos gesetzten Fristen zu übermitteln und einen weiteren Kostenvorschuss zu zahlen. Nach weiteren Verzögerungen bei der Fertigstellung des Gutachtens wurde dieses im August 2007 erstattet. Im September 2010 wurde der Rechtsstreit dann nach weiteren Ergänzungsgutachten durch Vergleich beendet.
2. Mit der Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seines Rechts auf effektiven Rechtsschutz (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip) wegen überlanger Verfahrensdauer.
3. Das Bayerische Staatsministerium der Justiz und für Verbraucherschutz hat Gelegenheit zur Stellungnahme erhalten. Die Akten des Ausgangsverfahrens waren beigezogen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Die Voraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor.
Die Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht ist zwar mit dem Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar (1.). Das mit der Verfassungsbeschwerde verfolgte Ziel des Beschwerdeführers, eine Entscheidung in dem fachgerichtlichen Klageverfahren zu beschleunigen, hat sich jedoch erledigt, nachdem der Rechtsstreit beendet worden ist. Damit ist für das Verfassungsbeschwerdeverfahren auch das Rechtsschutzbedürfnis entfallen (2.).
1. Die Dauer des zivilgerichtlichen Verfahrens von über sieben Jahren genügt nicht den Anforderungen von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG.
a) Für bürgerlichrechtliche Streitigkeiten gewährleistet Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip einen wirkungsvollen Rechtsschutz im materiellen Sinne (vgl. BVerfGE 82, 126 ≪155≫; 93, 99 ≪107≫). Die Fachgerichte müssen Gerichtsverfahren in angemessener Zeit zu einem Abschluss bringen (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫; 60, 253 ≪269≫; 93, 1 ≪13≫). Die Angemessenheit der Dauer eines Verfahrens ist stets nach den besonderen Umständen des einzelnen Falls zu bestimmen (vgl. BVerfGE 55, 349 ≪369≫); weder das Bundesverfassungsgericht noch der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte machen in ihrer Rechtsprechung insofern allgemein gültige Zeitvorgaben (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2011 – 1 BvR 314/11 –, juris, Rn. 6 m.w.N.; EGMR, Urteil der Großen Kammer vom 27. Juni 2000 – 30979/96 – Frydlender/Frankreich, Tz. 43).
Bei der verfassungsrechtlichen Beurteilung der Frage, ab wann ein Verfahren unverhältnismäßig lange dauert, sind insbesondere die Natur des Verfahrens und die Schwierigkeit der Sachmaterie, die Bedeutung der Sache und die Auswirkungen einer langen Verfahrensdauer für die Parteien zu berücksichtigen sowie das ihnen zuzurechnende Verhalten, vor allem Verfahrensverzögerungen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, juris, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. Dezember 2011 – 1 BvR 314/11 –, juris, Rn. 7 m.w.N.).
Im Hinblick auf Verzögerungen durch die Tätigkeit von Sachverständigen müssen die Gerichte die gutachterliche Tätigkeit zeitnah überwachen und gegebenenfalls gemäß § 411 Abs. 1 und 2 ZPO Bearbeitungsfristen setzen und Ordnungsgelder androhen (vgl. BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 20. Juli 2000 – 1 BvR 352/00 –, juris, Rn. 16; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/07 –, juris, Rn. 11; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 2. September 2009 – 1 BvR 3171/08 –, juris, Rn. 35; Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 23. Juni 2010 – 1 BvR 324/10 –, juris, Rn. 10).
b) Gemessen an diesen Voraussetzungen ist die Dauer des Verfahrens vor dem Landgericht mit dem Recht des Beschwerdeführers auf effektiven Rechtsschutz unvereinbar.
aa) Zwar ist zu berücksichtigen, dass der Rechtsstreit – wie regelmäßig bei Bauprozessen – in tatsächlicher Hinsicht komplex und in der Verfahrensführung aufwändig war. Es mussten mehrere Sachverständigengutachten nebst Ergänzungsgutachten eingeholt werden. Das Gericht hat trotz dieser Schwierigkeiten durch Beweisbeschlüsse, Stellungnahmefristen und Fortsetzungstermine zunächst eine verfassungsrechtlich nicht zu beanstandende Verfahrensförderung erzielt.
bb) Nach Aktenlage ergeben sich aber Verzögerungen im weiteren Prozessverlauf, die mit den Schwierigkeiten der Rechtssache nicht erklärt werden können und die auch nicht dem Beschwerdeführer zuzurechnen sind.
Unter anderem wurde das zweite Gutachten erst mehr als zwei Jahre nach dem Beweisbeschluss vorgelegt. Grund dafür war zum einen, dass der Beklagte die notwendigen Unterlagen anfangs nicht zur Verfügung stellte und den weiteren Kostenvorschuss verspätet überwies. Mangels Fristsetzung durch Beschluss gemäß § 356 ZPO blieben diese Fristversäumnisse jedoch beweisrechtlich ohne Folgen. Zum anderen verzögerte sich die Erstellung des Gutachtens selbst, ohne dass das Gericht die prozessualen Möglichkeiten des § 411 Abs. 1 und 2 ZPO genutzt und dem Sachverständigen Bearbeitungsfristen gesetzt oder unter Nachfristsetzung die Festsetzung eines Ordnungsgelds angedroht hätte. Insofern hat das Landgericht das Verfahren nicht in ausreichendem Maße betrieben und gefördert. Insbesondere verdichtete sich mit zunehmender Dauer des Verfahrens auch die mit dem Justizgewährleistungsanspruch verbundene Pflicht des Gerichts, sich nachhaltig um eine Beschleunigung des Verfahrens und dessen Beendigung zu bemühen (vgl. BVerfG, Beschluss der 3. Kammer des Ersten Senats vom 20. September 2007 – 1 BvR 775/05 –, juris, Rn. 12 m.w.N.).
2. Nach Abschluss des streitgegenständlichen Rechtsstreits fehlt dem Beschwerdeführer für das Verfassungsbeschwerdeverfahren das Rechtsschutzbedürfnis.
a) Nach Beendigung der geltend gemachten Grundrechtsverletzung besteht ein Rechtsschutzbedürfnis nur unter besonderen Umständen fort, etwa dann, wenn die beeinträchtigenden Wirkungen andauern, wenn eine Wiederholung der angegriffenen Maßnahme zu besorgen ist (vgl. BVerfGE 91, 125 ≪133≫; BVerfGK 2, 33 ≪35≫ m.w.N.) oder wenn der gerügte Grundrechtseingriff besonders schwer wiegt (vgl. BVerfGE 104, 220 ≪233≫).
b) Anhaltspunkte für eine Fortdauer des Rechtsschutzbedürfnisses in diesem Sinne hat der Beschwerdeführer weder schlüssig vorgetragen noch sind solche ersichtlich. Die vage Möglichkeit, erneut einen Rechtsstreit vor dem betreffenden Landgericht führen zu müssen, reicht nicht aus.
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Kirchhof, Schluckebier, Baer
Fundstellen
Haufe-Index 2997507 |
IBR 2012, 621 |