Verfahrensgang
BGH (Beschluss vom 10.10.2006; Aktenzeichen 5 StR 343/06) |
LG Osnabrück (Urteil vom 29.09.2005; Aktenzeichen 2 KLs 3/02) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen. Ein Annahmegrund gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG liegt nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde hat keine Aussicht auf Erfolg.
I.
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig, soweit der Beschwerdeführer weitere, von den Fachgerichten nicht berücksichtigte Verstöße gegen das Beschleunigungsgebot geltend macht.
1. Insoweit hat der Beschwerdeführer den Grundsatz der materiellen Subsidiarität der Verfassungsbeschwerde nicht beachtet, der es gebietet, im Verfahren vor den Fachgerichten alle zumutbaren prozessualen Möglichkeiten zu ergreifen, um die vermeintliche Grundrechtsverletzung abzuwenden (vgl. BVerfGE 68, 384 ≪389≫; 112, 50 ≪60≫); hierzu gehört auch, dass der Beschwerdeführer Rechtsmittel vor den Fachgerichten in gehöriger Weise erhoben und prozessualen Rüge- und Darstellungslasten genügt hat (vgl. BVerfGE 87, 1 ≪33≫).
Der Beschwerdeführer hat es hier versäumt, im Revisionsverfahren eine entsprechende formgerechte Verfahrensrüge zu erheben. Macht ein Beschwerdeführer im Revisionsverfahren das Vorliegen rechtsstaatswidriger Verfahrensverzögerungen geltend, hat er grundsätzlich eine Verfahrensrüge zu erheben (vgl. BGHSt 49, 342 = NJW 2005, S. 518). Ein Ausnahmefall, in welchem das Revisionsgericht schon auf die Sachrüge Verfahrensverzögerungen im Instanzverfahren korrigieren kann, lag hier nicht vor.
2. Darüber hinaus ist die Verfassungsbeschwerde insoweit auch mangels ausreichender Begründung gemäß §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 92 BVerfGG unzulässig, weil das Bundesverfassungsgericht anhand des Vorbringens nicht prüfen kann, ob weitere rechtsstaatswidrige Verfahrensverzögerungen vorlagen. Insbesondere ist es nicht die Aufgabe des Bundesverfassungsgerichts, das ohne eine Darstellung des Verfahrensablaufs sowie ohne eine Erläuterung der für die Terminierung des Tatgerichts maßgeblichen Gesichtspunkte vorgelegte umfangreiche Hauptverhandlungsprotokoll auszuwerten und den Verlauf der Beweisaufnahme zu rekonstruieren (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. September 2006 – 2 BvR 1377/06 –, zur Veröffentlichung in juris bestimmt).
II.
Im Übrigen ist die Verfassungsbeschwerde jedenfalls unbegründet.
1. Das Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes fordert – nicht zuletzt im Interesse des Beschuldigten – die angemessene Beschleunigung des Strafverfahrens. Eine von den Strafverfolgungsorganen zu verantwortende erhebliche Verzögerung des Strafverfahrens verletzt deshalb den Beschuldigten in seinem Recht auf ein faires rechtsstaatliches Verfahren (vgl. BVerfGE 63, 45 ≪69≫; BVerfGK 2, 239 ≪246≫).
Ob eine mit dem Rechtsstaatsprinzip des Grundgesetzes nicht in Einklang stehende Verfahrensverzögerung vorliegt, richtet sich nach den besonderen Umständen des Einzelfalls, die in einer umfassenden Gesamtwürdigung gegeneinander abgewogen werden müssen. Faktoren, die regelmäßig von Bedeutung sind, sind dabei insbesondere der durch die Verzögerungen der Justizorgane verursachte Zeitraum der Verfahrensverlängerung, die Gesamtdauer des Verfahrens, die Schwere des Tatvorwurfs sowie der Umfang und die Schwierigkeit des Verfahrensgegenstands sowie das Ausmaß der mit dem Andauern des schwebenden Verfahrens für den Betroffenen verbundenen besonderen Belastungen. Keine Berücksichtigung finden hingegen Verfahrensverzögerungen, die der Beschuldigte selbst, sei es auch durch zulässiges Prozessverhalten, verursacht hat (vgl. Beschluss des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts ≪Vorprüfungsausschuss≫ vom 24. November 1983 – 2 BvR 121/83 –, NJW 1984, S. 967; Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 19. April 1993 – 2 BvR 1487/90 –, NJW 1993, S. 3254; BVerfGK 2, 239 ≪246 f.≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 30. Juni 2005 – 2 BvR 157/03 –, NStZ-RR 2005, S. 346 ≪347≫).
2. Hieran gemessen halten die Wertungen in den angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlicher Prüfung stand.
Im Rahmen der vorgenommenen Gesamtwürdigung durfte das Landgericht berücksichtigen, dass die lange Dauer der Hauptverhandlung, wie in der Verfassungsbeschwerde jedenfalls nicht substantiiert bestritten, auch auf mehreren wahrheitswidrigen Tatsachenbehauptungen des Beschwerdeführers beruhte, denen das Gericht durch aufwändige Beweiserhebungen nachgehen musste.
Im Übrigen hat das Landgericht die Verfahrensdauer und die festgestellten Verfahrensverzögerungen in erheblichem Umfang strafmildernd berücksichtigt, wobei es dem Beschwerdeführer eine besondere Belastung zugute gehalten hat. In Anbetracht des Umfangs des Verfahrensgegenstands, der hohen Komplexität der vom Beschwerdeführer begangenen Wirtschaftsstraftaten und der erheblichen Schadenshöhe waren die Fachgerichte jedenfalls auf der Grundlage der festgestellten rechtsstaatswidrigen Verfahrensverzögerungen verfassungsrechtlich nicht gehalten, das Strafmaß noch weiter zu reduzieren.
Von einer weiteren Begründung der Entscheidung wird abgesehen (§ 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG).
III.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Di Fabio, Gerhardt, Landau
Fundstellen
Haufe-Index 1644033 |
www.judicialis.de 2006 |