Verfahrensgang
Hauptzollamt Kiel (Entscheidung vom 13.01.2014; Aktenzeichen RK-0000-134574-08-2013-6200-G14) |
AG Lübeck (Aktenzeichen 51 M 813/14) |
Tenor
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung wird abgelehnt.
Tatbestand
I.
Der Beschwerdeführer bezieht Grundsicherung nach dem Sozialgesetzbuch Zweites Buch – SGB II – und wandte sich unter anderem mit einem Vollstreckungsschutzantrag gemäß § 765a Zivilprozessordnung – ZPO – an das Amtsgericht Lübeck, um die mit Pfändungs- und Überweisungsverfügung des Hauptzollamts Kiel vom 13. Januar 2014 verfügte Pfändung in sein Konto zum Schutz seiner Grundsicherungsleistungen abzuwehren. Das Amtsgericht (Vollstreckungsabteilung) erklärte sich für unzuständig, weil es sich um einen Fall der Verwaltungsvollstreckung handele. Überdies verneinte es das Rechtsschutzbedürfnis des Beschwerdeführers, weil er seine Grundsicherungsleistungen durch die Umwandlung seines Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto gemäß § 850k ZPO vor Vollstreckungsmaßnahmen schützen könne. Vor diesem Hintergrund teilte das Amtsgericht dem Beschwerdeführer mit Schreiben vom 27. Februar 2014 mit, seinen Vollstreckungsschutzantrag als erledigt zu betrachten.
Mit seiner Verfassungsbeschwerde und seinem gleichzeitig gestellten Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung rügt der Beschwerdeführer, dass eine förmliche Entscheidung über seinen Vollstreckungsschutzantrag bislang nicht ergangen sei, obwohl er mit Schreiben vom 31. März 2014 eine förmliche Entscheidung verlangt habe.
Entscheidungsgründe
II.
Der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung ist abzulehnen.
1. Nach § 32 Abs. 1 BVerfGG kann das Bundesverfassungsgericht im Streitfall einen Zustand durch einstweilige Anordnung vorläufig regeln, wenn dies zur Abwehr schwerer Nachteile, zur Verhinderung drohender Gewalt oder aus einem anderen wichtigen Grund zum gemeinen Wohl dringend geboten ist. Eine einstweilige Anordnung kann danach unter anderem dann erlassen werden, wenn sie notwendig ist, um die Effektivität der künftigen Entscheidung in der Hauptsache zu sichern, insbesondere den Eintritt irreversibler Zustände zu verhindern (vgl. BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Zweiten Senats vom 15. Mai 2014 – 2 BvR 1006/14 –, WM 2014, S. 1172 ≪1173≫ m.w.N.).
2. Der Beschwerdeführer hat aus der Rechtsschutzgarantie des Art. 19 Abs. 4 Satz 1 GG beziehungsweise aus dem aus Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip (Art. 20 Abs. 3 GG) folgenden allgemeinen Justizgewährungsanspruch einen Anspruch auf effektiven Rechtsschutz; diesen dürfen die Fachgerichte nicht „leer laufen” lassen (vgl. BVerfGE 117, 244 ≪268≫). Dem Rechtsschutzsuchenden garantiert das Grundgesetz nicht nur den Zugang zu den Gerichten, sondern auch und gerade eine wirksame gerichtliche Kontrolle in einem förmlichen Verfahren mit einer innerhalb angemessener Zeit herbeizuführenden verbindlichen gerichtlichen Entscheidung (vgl. BVerfGE 107, 395 ≪401≫; 113, 273 ≪310≫; BVerfGK 1, 201 ≪204 f.≫; BVerfG, Beschluss der 2. Kammer des Ersten Senats vom 5. September 2013 – 1 BvR 2447/11 –, NVwZ 2014, S. 62 ≪63, Rz. 10≫). Ein Gericht darf deshalb einen wirksam eingelegten, aus seiner Sicht aber nicht erfolgversprechenden Rechtsbehelf nicht im vermeintlich wohlverstandenen Kosteninteresse des Rechtsschutzsuchenden ohne förmliche Entscheidung als erledigt betrachten. Dies gilt vor allem dann, wenn der Betroffene ausdrücklich auf einer gerichtlichen Entscheidung über seinen Rechtsbehelf besteht.
3. Gleichwohl ergibt sich aus dem Vorbringen des Beschwerdeführers nicht, dass nach dem anzulegenden strengen Maßstab der Erlass der begehrten einstweiligen Anordnung gemäß § 32 Abs. 1 BVerfGG zur Beseitigung der von ihm angeführten schweren Nachteile dringend geboten wäre.
Zwar können nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs Ansprüche auf laufende Geldleistungen nach dem SGB II gemäß § 54 Abs. 4 Sozialgesetzbuch Erstes Buch – SGB I – wie Arbeitseinkommen gepfändet werden (vgl. BGH, Beschluss vom 25. Oktober 2012 – VII ZB 31/12 –, MDR 2013, S. 57 ≪57 f., Rn. 10≫ m.w.N.). Wie die Vollstreckungsabteilung des Amtsgerichts dem Beschwerdeführer zutreffend mitgeteilt hat, hat er jedoch die Möglichkeit, den im Wege der Pfändung und Überweisung erfolgenden Zugriff auf seine Grundsicherung nach dem SGB II dadurch abzuwenden, dass er das Konto, auf das die Grundsicherungsleistungen überwiesen werden, als Pfändungsschutzkonto im Sinne des § 850k Abs. 1 Satz 1 ZPO führen lässt. Dabei kann hier offen bleiben, inwieweit die Pfändungsschutzvorschrift des § 850k ZPO Vorrang gegenüber einem Vollstreckungsschutzantrag nach § 765a ZPO hat (vgl. dazu FG München, Beschluss vom 2. April 2013 – 5 V 834/13 –, juris, Rn. 9; LG Saarbrücken, Beschluss vom 6. Juni 2012 – 5 T 189/12 –, VuR 2014, S. 69 ≪70≫). Jedenfalls für den Erlass einer einstweiligen Anordnung nach § 32 Abs. 1 BVerfGG bleibt wegen der Möglichkeit der Erlangung von hinreichendem Pfändungsschutz nach § 850k ZPO im vorliegenden Fall kein Raum.
Sobald sein Konto als Pfändungsschutzkonto geführt wird, darf der Beschwerdeführer gemäß § 850k Abs. 1 Satz 1 ZPO jeweils bis zum Ende des Kalendermonats über Guthaben in Höhe des monatlichen Freibetrags nach § 850c Abs. 1 Satz 1 in Verbindung mit § 850c Abs. 2a ZPO verfügen. Der von der Pfändung danach nicht erfasste monatliche Grundbetrag beläuft sich derzeit auf 1.045,04 EUR im Monat (vgl. Bekanntmachung zu § 850c ZPO – Pfändungsfreigrenzenbekanntmachung 2013 – vom 26. März 2013, BGBl I S. 710) und übersteigt damit die dem Beschwerdeführer zufließenden Grundsicherungsleistungen in Höhe von monatlich 673,46 EUR. Dieser gemäß § 319 Abgabenordnung – AO – (gegebenenfalls in Verbindung mit § 5 Abs. 1 Verwaltungs-Vollstreckungsgesetz – VwVG –) auch im Rahmen der Verwaltungsvollstreckung geltende Pfändungsschutz greift automatisch und erstreckt sich auf alle auf dem Pfändungsschutzkonto gutgeschriebenen Beträge, also auch auf die Grundsicherungsleistungen des Beschwerdeführers (vgl. BTDrucks 16/12714, S. 19; Becker, in: Musielak, ZPO, 11. Aufl. 2014, § 850k Rn. 1 f.).
Diesen Pfändungsschutz wird der Beschwerdeführer zwar nicht mehr rückwirkend erlangen können, wenn seit der Zustellung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung an die kontoführende Bank mehr als vier Wochen vergangen sind (vgl. § 850k Abs. 1 Satz 4 ZPO). Die Umwandlung eines Girokontos in ein Pfändungsschutzkonto ist aber auch mehr als vier Wochen nach Zustellung der Pfändungs- und Überweisungsverfügung an den Drittschuldner für die Zukunft möglich (vgl. AG Hannover, Beschluss vom 9. März 2011 – 705 M 56075/10 –, juris, Rn. 7; Baumbach/Lauterbach/Albers/Hartmann, ZPO, 72. Aufl. 2014, § 850k Rn. 83; Becker, a.a.O., Rn. 8c; Seiler, in: Thomas/Putzo, ZPO, 35. Aufl. 2014, § 850k Rn. 3; Stöber, in: Zöller, ZPO, 30. Aufl. 2014, § 850k Rn. 2, 16; wohl auch Riedel, in: Vorwerk/Wolf, BeckOK-ZPO, Stand 15. Juni 2014, § 850k Rn. 5; vgl. auch BTDrucks 16/12714, S. 19). Er tritt indes erst zum Beginn des vierten Geschäftstages nach dem Antrag des Beschwerdeführers auf Umwandlung des gepfändeten Kontos in ein Pfändungsschutzkonto ein (vgl. § 850k Abs. 7 Satz 3 ZPO).
Anhaltspunkte dafür, dass der Beschwerdeführer nicht über ein in ein Pfändungsschutzkonto umwandelbares Girokonto im Sinne des § 850k Abs. 7 Satz 1 ZPO verfügt, sind weder vorgetragen noch sonst erkennbar. Auch hat der Beschwerdeführer nicht substantiiert dargelegt, dass ihm die Umwandlung seines Kontos in ein Pfändungsschutzkonto aus anderen Gründen unmöglich oder unzumutbar wäre. Er kann die Führung seines Girokontos als Pfändungsschutzkonto jederzeit gegenüber dem Kreditinstitut beanspruchen (vgl. § 850k Abs. 7 Satz 2 ZPO).
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Gaier, Schluckebier, Paulus
Fundstellen
Haufe-Index 7384267 |
NJW 2014, 3771 |