Entscheidungsstichwort (Thema)
Verurteilung zur Unterlassung bestimmter Äußerungen
Verfahrensgang
Schleswig-Holsteinisches OLG (Urteil vom 05.05.1995; Aktenzeichen 1 U 129/94) |
LG Lübeck (Urteil vom 07.07.1994; Aktenzeichen 10 O 14/94) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde richtet sich gegen eine Verurteilung des Beschwerdeführers zur Unterlassung bestimmter Äußerungen.
Die Annahmevoraussetzungen des § 93 a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Der Verfassungsbeschwerde kommt keine grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe a BVerfGG zu. Die von ihr aufgeworfenen verfassungsrechtlichen Fragen lassen sich anhand der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts beantworten (vgl. insbesondere BVerfGE 85, 1 ≪21 ff.≫; 93, 266 ≪292 ff.≫; 99, 185 ff.). Die Annahme der Verfassungsbeschwerde ist auch nicht im Sinne des § 93 a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt. Sie hat keine hinreichende Aussicht auf Erfolg, da sie teilweise unzulässig und im Übrigen unbegründet ist.
1. Soweit sich der Beschwerdeführer gegen das Urteil des Landgerichts wendet, ist die Verfassungsbeschwerde bereits mangels Beschwer unzulässig. Das Oberlandesgericht hat nämlich in der Berufungsentscheidung nicht nur die Berufung des Beschwerdeführers zurückgewiesen, sondern das Urteil des Landgerichts insgesamt neu gefasst, so dass sich die für den Beschwerdeführer belastende Wirkung ausschließlich aus dem Urteil des Oberlandesgerichts ergibt.
2. Die Verfassungsbeschwerde gegen das Urteil des Oberlandesgerichts ist zwar zulässig, in der Sache jedoch nicht begründet.
a) Mit seinem Einwand, er sei zur Unterlassung von Äußerungen verurteilt worden, die er nie getätigt habe, kann der Beschwerdeführer von vornherein nicht gehört werden. Ob eine bestimmte Äußerung ihrem Wortlaut nach gefallen ist, wird von den Fachgerichten festgestellt, unterliegt jedoch nicht der Prüfungskompetenz des Bundesverfassungsgerichts (vgl. nur BVerfGE 93, 266 ≪296≫). Nach den Feststellungen des Oberlandesgerichts stammen jedoch die im Tenor aufgeführten Äußerungenunstreitig von dem Beschwerdeführer.
b) Im Übrigen kann offen bleiben, ob das Oberlandesgericht in jeder Hinsicht den Anforderungen des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG entsprochen hat. Auch wenn es sich bei den streitgegenständlichen Äußerungen insgesamt – entgegen den Ausführungen des Oberlandesgerichts – um von dem Schutzbereich des Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG erfasste Meinungen und nicht in erster Linie Tatsachenbehauptungen handeln würde, könnte von einer Verletzung der Meinungsfreiheit nicht ausgegangen werden.
aa) Die Meinungsfreiheit ist nicht vorbehaltlos gewährleistet. Gemäß Art. 5 Abs. 2 GG findet sie ihre Schranken unter anderem in den allgemeinen Gesetzen und dem Recht der persönlichen Ehre. Dazu gehören auch die Vorschriften der §§ 823 Abs. 2, 1004 BGB und § 186 StGB, auf die das Oberlandesgericht sein Urteil gestützt hat. Diese Bestimmungen müssen ihrerseits im Lichte des eingeschränkten Grundrechts ausgelegt und angewandt werden, damit der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts auch auf der Rechtsanwendungsebene Rechnung getragen wird. Dies erfordert eine Abwägung zwischen der in dem Verbot liegenden Beeinträchtigung der Meinungsfreiheit auf der einen und der Gefährdung des von § 823 Abs. 2 BGB und § 186 StGB geschützten Rechtsguts durch die Äußerung auf der anderen Seite. Das Ergebnis dieser Abwägung lässt sich wegen ihres Fallbezugs nicht generell und abstrakt vorweg nehmen. Das Bundesverfassungsgericht hat insoweit jedoch bestimmte Regeln entwickelt. Geht es um Tatsachenbehauptungen, kommt bei der Abwägung dem Wahrheitsgehalt der Äußerung entscheidende Bedeutung zu. Dies gilt auch, wenn sich wertende und tatsächliche Elemente in einer Äußerung so vermengen, dass diese insgesamt als Werturteil anzusehen ist. Die Richtigkeit der tatsächlichen Bestandteile kann dann im Rahmen der Abwägung eine Rolle spielen. Enthält die Meinungsäußerung erwiesen falsche oder bewusst unwahre Tatsachenbehauptungen, tritt regelmäßig das Grundrecht der Meinungsfreiheit hinter das durch das grundrechtsbeschränkende Gesetz geschützte Rechtsgut zurück (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪17≫). Allerdings kann auch eine unwahre Tatsachenbehauptung alsim Äußerungszeitpunkt rechtmäßig angesehen werden, insbesondere wenn jemand eine herabsetzende Behauptung über Dritte aufstellt, die nicht seinem eigenen Erfahrungsbereich entstammt (vgl. BVerfGE 85, 1 ≪22≫) und er die ihm obliegenden Sorgfaltspflichten eingehalten hat. In diesem Fall kommen weder Bestrafung noch Widerruf oder Schadensersatz in Betracht (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪198≫; 85, 1 ≪22≫), da ansonsten der öffentliche Kommunikationsprozess zu sehr eingeschränkt würde. Es gibt aber kein durch das Grundrecht der Meinungsfreiheit gerechtfertigtes Interesse, nach Feststellung der Unwahrheit an der Behauptung festzuhalten. Besteht die Gefahr, dass die Äußerung dessen ungeachtet aufrechterhalten wird, kann der sich Äußernde zur Unterlassung verurteilt werden (vgl. BVerfGE 99, 185 ≪198≫).
bb) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze verletzt das Urteil des Oberlandesgerichts den Beschwerdeführer nicht in seinem Grundrecht aus Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG.
Ungeachtet der Einordnung der Äußerungen des Beschwerdeführers als Tatsachenbehauptungen oder als Werturteile enthielten sie als wesentlichen tatsächlichen Kern jedenfalls die Behauptung, der Kläger habe Mitarbeiter des Jugendzentrums mit der Erstellung der „Schwarzen Listen” und der damit im Zusammenhang stehenden Aktivitäten beauftragt oder entsprechend auf sie eingewirkt. Die in den angegriffenen Urteilen dahingehend vorgenommene Deutung der von dem Beschwerdeführer gewählten Formulierung, der Kläger habe die Erstellung der Listen etc. „veranlasst”, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Dieser Tatsachenkern der Äußerungen entsprach jedoch nicht der Wahrheit. Der Kläger hatte lediglich die Eingabe der Jugendlichen vom 30. Mai 1990 zur Stellungnahme den Mitarbeitern der Jugendfreizeitstätte zugeleitet. Etwaige Aufforderungen oder sonstige Initiativen des Klägers zum Erstellen von „Schwarzen Listen” bzw. zur Beobachtung von Jugendlichen sind von seiner Seite nicht erfolgt; dies stand in dem Ausgangsverfahren auch nicht mehr im Streit. Ob die Äußerungen des Beschwerdeführers möglicherweise wegen des Artikels in der Reinbeker Zeitung vom 3. Oktober 1990, wonach die Mitarbeiter der Jugendeinrichtungen die „Anweisung” hätten, über Beobachtungen mit Jugendlichen Aufzeichnungen zu führen, im Äußerungszeitpunkt rechtmäßig waren, ist unerheblich. Dem Beschwerdeführer ist – lediglich – untersagt worden, die streitgegenständlichen Behauptungen inZukunft zu wiederholen. Nach Feststellung der Unwahrheit des wesentlichen Tatsachenkerns der Äußerungen hat er hieran jedoch kein legitimes Interesse mehr.
3. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 93 d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Steiner, Hoffmann-Riem
Fundstellen