Verfahrensgang
OLG Hamm (Beschluss vom 19.05.2005; Aktenzeichen 1 Vollz (Ws) 52/05) |
LG Aachen (Beschluss vom 28.02.2005; Aktenzeichen 33 Vollz 778/04) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft die Anforderungen an die Gewährung effektiven Rechtsschutzes bei durch Fehler des Rechtspflegers verursachter Formwidrigkeit einer Rechtsbeschwerde.
I.
1. Der Beschwerdeführer ist Strafgefangener. In einem Verfahren, das er wegen ihn betreffender Sicherungsmaßnahmen angestrengt hatte, lehnte das Landgericht mit Beschluss vom 28. Februar 2005 seinen Antrag auf gerichtliche Entscheidung als unbegründet ab. Gegen diesen Beschluss erhob der anwaltlich nicht vertretene Beschwerdeführer zu Protokoll der Geschäftsstelle des Landgerichts Rechtsbeschwerde. Mit Beschluss vom 19. Mai 2005 verwarf das Oberlandesgericht die Rechtsbeschwerde als unzulässig, weil sie nicht den Formerfordernissen des § 118 Abs. 3 StVollzG entspreche. Wie sich aus dem Vergleich des Schriftbildes der Rechtsbeschwerde mit den übrigen in den Akten befindlichen Eingaben des Betroffenen ergebe, sei die Rechtsbeschwerde vom Beschwerdeführer selbst verfasst und geschrieben worden. Eine inhaltliche Änderung sei – mit Ausnahme der Streichung der für eine Niederschrift eines Rechtspflegers unüblichen Schlussfloskel „Hochachtungsvoll” – nicht erfolgt; vielmehr habe der Rechtspfleger das Schreiben des Betroffenen unverändert übernommen und unterzeichnet, ohne erkennbar zu machen, dass er für deren Inhalt und Form nach eigenständiger Überprüfung Verantwortung übernehme. Damit liege eine formgerechte Rechtsbeschwerdebegründung nicht vor. Ein Anlass, dem Beschwerdeführer von Amts wegen die Möglichkeit zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages zu geben, bestehe nicht, da ein Zulassungsgrund im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG für die Rechtsbeschwerde nicht ersichtlich sei.
2. Mit seiner Verfassungsbeschwerde rügt der Beschwerdeführer eine Verletzung seiner Grundrechte aus Art. 3 Abs. 1, Art. 19, Art. 103 Abs. 3 und Art. 104 Abs. 1 GG.
Entscheidungsgründe
II.
Die Verfassungsbeschwerde wird gemäß § 93a Abs. 2 BVerfGG nicht zur Entscheidung angenommen, weil sie keine Aussicht auf Erfolg hat (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫). Sie ist unzulässig; es fehlt an der Erschöpfung des Rechtsweges (§ 90 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG).
1. Kann ein Beschwerdeführer mit einem Rechtsmittel, für das ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist, erreichen, dass seine Rechte im Wege des fachgerichtlichen Rechtsschutzes gewahrt werden, so ist regelmäßig von ihm zu verlangen, dass er diesen Weg beschreitet, bevor er Verfassungsbeschwerde einlegt (vgl. BVerfGE 10, 274 ≪281≫; 42, 252 ≪256 f.≫; 77, 275 ≪282≫). Diese Möglichkeit besteht im vorliegenden Fall.
Die vom Oberlandesgericht festgestellte Unzulässigkeit der Rechtsbeschwerde beruhte nicht auf einem Verschulden des Beschwerdeführers, sondern darauf, dass sie von dem zuständigen Geschäftsstellenbeamten nicht in einer den Anforderungen der fachgerichtlichen Rechtsprechung entsprechenden Weise aufgenommen worden war; ursächlich für die Unzulässigkeit war somit ein Fehler der Justiz. In derartigen Fällen besteht die Möglichkeit der Wiedereinsetzung in den vorigen Stand.
2. Eine Wiedereinsetzung scheidet im vorliegenden Fall nicht wegen Fristablaufs aus.
a) Jedenfalls in den Fällen, in denen der Wiedereinsetzungsgrund, wie hier, in einem den Gerichten zuzurechnenden Fehler liegt, fordert der Grundsatz fairer Verhandlungsführung eine Belehrung des Betroffenen über die Möglichkeit der Wiedereinsetzung; erst diese Belehrung setzt die Wiedereinsetzungsfrist in Lauf (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundverfassungsgerichts vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 BvR 907/04 – JURIS; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2005 – 2 BvR 975/03 –, NStZ-RR 2005, S. 238 ≪239≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 –, Rpfleger 2002, S. 279).
b) Die gebotene Belehrung wurde im vorliegenden Fall nicht erteilt. Die Feststellung, es bestehe kein Anlass, dem Beschwerdeführer zur Stellung eines Wiedereinsetzungsantrages von Amts wegen Gelegenheit zu geben, war nicht geeignet, den Beschwerdeführer davon in Kenntnis zu setzen, dass und in welcher Weise es ihm oblag, die Folgen des Justizfehlers, der zur Unzulässigkeit seiner Rechtsbeschwerde geführt hatte, mit Hilfe eines Wiedereinsetzungsantrages zu korrigieren. Es war auch nicht der Sinn dieser Feststellung, den Beschwerdeführer über die Möglichkeit einer Wiedereinsetzung zu belehren. Mit der getroffenen Feststellung brachte das Oberlandesgericht vielmehr die Annahme zum Ausdruck, eine Belehrung des Beschwerdeführers erübrige sich, weil ein Zulassungsgrund im Sinne des § 116 Abs. 1 StVollzG für die Rechtsbeschwerde nicht ersichtlich sei.
Die aus Gründen der Verfahrensfairness und zur Gewährleistung der Effektivität des Rechtsschutzes erforderliche Belehrung ist jedoch grundsätzlich auch dann nicht verzichtbar, wenn das Gericht dem Rechtsbehelf aus anderen Gründen keine Erfolgsaussichten einräumt. Sinn des in § 118 Abs. 3 StVollzG – wie in der Parallelvorschrift § 345 Abs. 2 StPO – aufgestellten Formerfordernisses ist es, sicherzustellen, dass das Vorbringen des Betroffenen in sachlich und rechtlich geordneter Weise in das Verfahren eingeführt wird. Das Formerfordernis des § 118 Abs. 3 StVollzG soll demnach einerseits der Entlastung der Gerichte dienen. Daneben soll es aber auch zugunsten des regelmäßig unkundigen Rechtsmittelführers dazu beitragen, dass sein Rechtsmittel nicht von vornherein an Formfehlern oder anderen Mängeln scheitert (vgl. zu § 345 Abs. 2 StPO BVerfGE 64, 135 ≪153≫; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 – Rpfleger 2002, S. 279; BGHSt 25, 272 ≪273≫). Die Feststellung, dass eine Rechtsbeschwerde nicht in der durch § 118 Abs. 3 StVollzG geforderten Weise vom Rechtspfleger überprüft und verantwortet ist, schließt demnach die Feststellung ein, dass die vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene Unterstützung des Rechtspflegers dem Rechtsschutzsuchenden nicht zuteil geworden ist und dem Gericht somit die vom Gesetzgeber für erforderlich gehaltene Grundlage für die Prüfung des Rechtsschutzbegehrens nicht vorliegt. Die Erfolgsaussichten der Rechtsbeschwerde, einschließlich der Zulässigkeitsvoraussetzungen des § 116 Abs. 1 StVollzG, dürfen daher grundsätzlich erst dann beurteilt werden, wenn eine durch Beteiligung des Rechtspflegers ordnungsgemäß zustande gekommene Rechtsbeschwerde tatsächlich vorliegt.
c) Der vorliegende Fall gibt keinen Anlass, zu klären, ob in Ausnahmefällen eine ohne ausreichende Mitwirkung des Rechtspflegers zustandegekommene Rechtsbeschwerde den Schluss rechtfertigen kann, dass auch eine den gesetzlichen Anforderungen entsprechende Mitwirkung des Rechtspflegers der Rechtsbeschwerde unter keinen Umständen zur Zulässigkeit verhelfen könnte. Ob in einem solchen Fall trotz Verwerfung des Rechtsmittels wegen eines justizbedingten Zulässigkeitsmangels die Belehrung über die Wiedereinsetzungsmöglichkeit aus Gründen der Prozessökonomie ausnahmsweise entfallen könnte oder ob rechtsstaatliche Grundsätze es in einem solchen Fall gebieten, die Rechtsbeschwerde statt wegen unzureichender Mitwirkung des Rechtspflegers sogleich wegen der als unabänderlich erkannten Unzulässigkeitsgründe zu verwerfen und damit – auch für den nicht rechtskundigen Betroffenen – eindeutig erkennbar zu machen, dass er keinen Rechtsverlust aufgrund eines Fehlers der Justiz erleidet, bedarf hier keiner Entscheidung. Denn das Oberlandesgericht hat weder festgestellt noch ist ohne weiteres ersichtlich, dass auch eine ausreichende Mitwirkung des Rechtspflegers der Rechtsbeschwerde unter keinen Umständen zur Zulässigkeit verhelfen könnte.
3. Da der Beschwerdeführer über die Möglichkeit, Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu erlangen, erst durch den vorliegenden Beschluss in der notwendigen Weise informiert wird, beginnt die maßgebliche Wiedereinsetzungsfrist erst mit der Zustellung dieses Beschlusses zu laufen (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. März 2005 – 2 BvR 975/03 –, NStZ-RR 2005, S. 238 ≪239≫; Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 27. September 2005 – 2 BvR 172/04, 2 BvR 834/04 und 2 BvR 907/04 – JURIS; Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 11. November 2001 – 2 BvR 1471/01 –, Rpfleger 2002, S. 279).
Der Beschwerdeführer kann daher innerhalb einer Woche seit Zustellung dieses Beschlusses durch eine von einem Rechtsanwalt unterzeichnete Schrift oder zur Niederschrift der Geschäftsstelle des Landgerichts Aachen erneut Rechtsbeschwerde einlegen, indem er gleichzeitig Wiedereinsetzung in den vorigen Stand beantragt (§ 118 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 2, § 120 Abs. 1 StVollzG, § 45 Abs. 1 Satz 1 StPO). Hierzu ist ihm rechtzeitig Gelegenheit zu geben.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Lübbe-Wolff, Gerhardt
Fundstellen