Verfahrensgang
LG München I (Beschluss vom 24.03.2006; Aktenzeichen J Qs 7/06) |
AG München (Beschluss vom 17.02.2006; Aktenzeichen 1022 Gs 405/05 jug.) |
Tenor
Der Beschluss des Landgerichts München I vom 24. März 2006 – J Qs 7/06 – und der Beschluss des Amtsgerichts München vom 17. Februar 2006 – 1022 Gs 405/05 jug. – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 13 Absatz 1 und 2 des Grundgesetzes. Die Beschlüsse werden aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht München I zurückverwiesen.
Der Freistaat Bayern hat dem Beschwerdeführer die notwendigen Auslagen zu erstatten.
Gründe
Der Beschwerdeführer wendet sich gegen die Durchsuchung seiner Wohnung in einem strafrechtlichen Ermittlungsverfahren ohne vorherige richterliche Genehmigung.
A.
I.
1. Der Beschwerdeführer war an einem Montag im Juni 2005 an einer Messerstecherei in seiner Wohnung in München beteiligt. Er verließ die Wohnung und hielt sich in einem Ladenlokal im Erdgeschoss des Hauses auf, als herbeigerufene Polizeibeamte gegen 17.30 Uhr eintrafen. Der Beschwerdeführer wies teils weit klaffende Schnittverletzungen an einem Ohr, an der Schläfe und an mehreren Fingern auf. Die Polizeibeamten verdächtigten den Beschwerdeführer der gefährlichen Körperverletzung und durchsuchten seine Wohnung. Dabei setzten sie einen Drogenspürhund ein.
2. Der Beschwerdeführer beantragte, die Rechtswidrigkeit der Durchsuchung und der Art und Weise der Durchsuchung festzustellen.
3. Mit dem angegriffenen Beschluss bestätigte das Amtsgericht die Durchsuchung und deren Art und Weise. Dazu führt es aus, der Beschwerdeführer selbst habe mit den Polizeibeamten seine Wohnung zur Erstsichtung aufgesucht. Seine Hinzuziehung bei der späteren Durchsuchung sei indes nicht möglich gewesen, weil er unter Schock gestanden habe und ärztlich behandelt worden sei. § 160 Abs. 1 StPO sei zudem eine Ordnungsvorschrift, deren Verletzung keine Rechtsfolgen nach sich ziehe. Die Durchsuchung sei zum Auffinden der Tatwaffe gerechtfertigt gewesen. Gefahr im Verzug habe vorgelegen, weil um 18.00 Uhr ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss nicht mehr zu erwirken gewesen sei. Die Art und Weise der Durchsuchung begegne keinen durchgreifenden Bedenken. Der Einsatz des Drogenspürhundes sei zwar nicht veranlasst gewesen, sei aber ohne Folgen geblieben.
4. Die Beschwerde des Beschwerdeführers verwarf das Landgericht mit dem angegriffenen Beschluss. Die Entscheidung des Amtsgerichts entspreche im Ergebnis und auch in der Begründung der Sach- und Rechtslage und sei nicht zu beanstanden.
II.
Der Beschwerdeführer hat Verfassungsbeschwerde erhoben. Sowohl die Durchsuchung als auch ihre Art und Weise verletzten das Grundrecht aus Art. 13 GG. Er habe den Polizeibeamten weder sein Einverständnis zum Betreten seiner Wohnung erklärt, noch sei er dabei zugegen gewesen, sondern habe sich, unter Schock stehend, im Krankenwagen aufgehalten. Die Voraussetzungen für die Annahme von Gefahr im Verzug hätten nicht vorgelegen. Es hätte versucht werden müssen, einen Ermittlungsrichter oder einen Staatsanwalt zu erreichen. Die Wohnung sei ohne Zusammenhang mit dem Tatvorwurf durchsucht worden. Die Suche nach Drogen mit Hilfe eines Hundes habe keine Grundlage.
III.
1. Der Freistaat Bayern hält die Verfassungsbeschwerde für unbegründet.
2. Dem Bundesverfassungsgericht haben die Akten 457 Js 313191/05 der Staatsanwaltschaft München I vorgelegen.
B.
Die Verfassungsbeschwerde ist in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer begründenden Weise (§ 93c BVerfGG) offensichtlich begründet. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG.
I.
Die nicht durch einen richterlichen Beschluss angeordnete Durchsuchung der Wohnung des Beschwerdeführers durch Polizeibeamte an einem Montag im Juni 2005 gegen 18.00 Uhr verletzte den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG. Die angegriffenen Beschlüsse verletzen das Grundrecht, indem sie die Durchsuchung für rechtmäßig erklären.
1. Der Eingriff in die Unverletzlichkeit der Wohnung bedarf der vorherigen richterlichen Genehmigung. Nur bei Gefahr im Verzug darf die richterliche Genehmigung durch die Anordnung eines Staatsanwalts oder eines Ermittlungsbeamten ersetzt werden (Art. 13 Abs. 2 GG, § 105 Abs. 1 Satz 1 StPO).
Das Amtsgericht hat Gefahr im Verzug angenommen, weil um 18.00 Uhr ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss nicht mehr zu erwirken gewesen sei. Das ist von Verfassungs wegen zu beanstanden. Es kann nicht hingenommen werden, dass in einer Stadt der Größe Münchens am frühen Abend gegen 18.00 Uhr eine Wohnung allein auf Grund der Anordnung von Polizeibeamten ohne Gefahr im Verzug und ohne den Versuch, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, durchsucht wird.
Sowohl die Strafverfolgungsbehörden als auch die Ermittlungsrichter und die Gerichtsorganisation haben im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters gewahrt bleibt. Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, eine Anordnung des instanziell und funktionell zuständigen Richters zu erlangen, bevor sie eine Durchsuchung beginnen. Die Annahme von Gefahr im Verzug kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei in einer Großstadt gewöhnlicherweise am späten Nachmittag oder frühen Abend nicht zu erlangen. Dem korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters, auch durch die Einrichtung eines Eil- oder Notdienstes, zu sichern (vgl. BVerfGE 103, 142 ≪155 f.≫). Bei Tage (vgl. § 104 Abs. 3 StPO) muss die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters uneingeschränkt gewährleistet sein. Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt aus Art. 13 Abs. 2 GG die Länder insoweit dazu, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen. Gleichzeitig müssen dem Richter die notwendigen Hilfsmittel für eine sachangemessene Wahrnehmung seiner richterlichen Aufgaben zur Verfügung gestellt werden (vgl. BVerfGK 2, 176 ≪178≫; vgl. für den richterlichen Haftdienst: BVerfGE 105, 239 ≪248≫). Soweit es erforderlich erscheint, ist auch sicherzustellen, dass der nichtrichterliche Dienst für den Richter erreichbar ist und gegebenenfalls zur Verfügung steht.
2. Gründe, die die Polizeibeamten selbst bei – unterstelltem – Bestehen eines richterlichen Eildienstes zum sofortigen Durchsuchen der Wohnung des Beschwerdeführers berechtigt hätten, sind weder ersichtlich noch von den Gerichten ansatzweise geprüft worden.
II.
Die Art und Weise der Durchsuchung, nämlich der Einsatz eines Drogenspürhundes, verletzte den Beschwerdeführer ebenfalls in seinem Grundrecht aus Art. 13 Abs. 1 und 2 GG. Die Ermittlungsbehörden haben auch eine erlaubte Durchsuchung auf das erforderliche Maß zu begrenzen, um die Integrität der Wohnung nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, zur Suche nach der Tatwaffe einer Messerstecherei einen Drogenspürhund einzusetzen.
III.
Die angegriffenen Entscheidungen werden gemäß § 95 Abs. 2 Satz 1 BVerfGG aufgehoben. Die Sache wird an das Landgericht zurückverwiesen, das noch über die Kosten des Beschwerdeverfahrens zu entscheiden haben wird.
IV.
Die Entscheidung über die notwendigen Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen
NJW 2007, 1444 |
Inf 2006, 852 |
ZAP 2006, 1141 |
PStR 2006, 266 |
GuT 2006, 355 |
NJW-Spezial 2007, 280 |
NPA 2008 |
RÜ 2007, 375 |
StV 2006, 676 |
StraFo 2006, 451 |