Leitsatz

Die Durchsuchung einer Wohnung bei Tage ohne richterliche Anordnung ist regelmäßig rechtswidrig.

 

Sachverhalt

Der Beschwerdeführer war an einer Messerstecherei in seiner Wohnung in München beteiligt. Der Vorfall ereignete sich an einem Werktag. Nachdem die herbeigerufenen Polizeibeamten eingetroffen waren, durchsuchten sie gegen 18.00 Uhr die Wohnung des Beschwerdeführers, um die Tatwaffe zu finden. Der Beschwerdeführer befand sich zu diesem Zeitpunkt nicht in seiner Wohnung. Seinen Antrag auf nachträgliche Feststellung der Rechtswidrigkeit der Durchsuchung wies das Amtsgericht zurück. Zur Begründung führte es unter anderem aus, dass die Durchsuchung ohne vorherige richterliche Genehmigung wegen Gefahr im Verzug zulässig gewesen sei; denn um 18.00 Uhr sei ein richterlicher Durchsuchungsbeschluss nicht mehr zu erwirken gewesen. Eine Beschwerde zum LG blieb ergebnislos. Der Beschwerdeführer war mit der dagegen gerichteten Verfassungsbeschwerde erfolgreich.

 

Entscheidung

Die Strafverfolgungsbehörden, die Ermittlungsrichter und die Gerichtsorganisation haben im Rahmen des Möglichen sicherzustellen, dass auch in der Masse der Alltagsfälle die in der Verfassung vorgesehene Regelzuständigkeit des Richters gewahrt bleibt. Die Strafverfolgungsbehörden müssen regelmäßig versuchen, vor einer Durchsuchung eine richterliche Anordnung zu erlangen. Die Annahme von Gefahr im Verzug i.S. von § 105 StPO kann nicht allein mit dem abstrakten Hinweis begründet werden, eine richterliche Entscheidung sei um 18.00 Uhr nicht mehr zu erlangen. Dem korrespondiert die verfassungsrechtliche Verpflichtung der Gerichte, die Erreichbarkeit eines Ermittlungsrichters zu sichern. Bei Tage[1] muss die Regelzuständigkeit des Ermittlungsrichters uneingeschränkt gewährleistet sein[2]. Deshalb verpflichtet der Richtervorbehalt die Länder, sowohl innerhalb als auch außerhalb der üblichen Dienstzeiten für die Erreichbarkeit des Ermittlungsrichters bei Tage Sorge zu tragen. Soweit es erforderlich erscheint, ist auch sicherzustellen, dass der nichtrichterliche Dienst dem Richter zur Verfügung steht.

Es kann nicht hingenommen werden, dass in einer Stadt der Größe Münchens am frühen Abend eine Wohnung allein auf Grund der Anordnung von Polizeibeamten ohne Gefahr im Verzug und ohne den Versuch, einen richterlichen Durchsuchungsbeschluss zu erwirken, durchsucht wird.

 

Praxishinweis

Die Ermittlungsbehörden haben auch eine erlaubte Durchsuchung auf das erforderliche Maß zu begrenzen, um die Integrität der Wohnung nicht mehr als nötig zu beeinträchtigen. In der zu entscheidenden Sache hatten die Beamten bei der Durchsuchungsmaßnahme einen Drogenspürhund hinzugezogen. Auch dies stuft das BVerfG schon für sich genommen als verfassungswidrig ein. Es ist kein sachlicher Grund dafür erkennbar, zur Suche nach der Tatwaffe einer Messerstecherei einen solchen speziell ausgebildeten Spürhund einzusetzen.

Das BVerfG setzt mit seinem Beschluss die Linie der Entscheidungen fort, die sich sehr kritisch mit der ermittlungsrichterlichen Durchsuchungs-[3] und Haftpraxis[4] befassen. Angesichts der immer höher werdenden verfassungsgerichtlichen Vorgaben werden die Landesjustizverwaltungen wohl in absehbarer Zeit kaum umhin kommen, einen richterlichen Dauerbereitschaftsdienst einzurichten.

 

Link zur Entscheidung

BVerfG, Beschluss vom 28.09.2006, 2 BvR 876/06

[1] § 104 Abs. 3 StPO definiert im Zusammenhang mit der nächtlichen Hausdurchsuchung als Nachtzeit für die Sommermonate die Zeit von neun Uhr abends bis vier Uhr morgens und für die Wintermonate von neun Uhr abends bis sechs Uhr morgens
[2] Grundlegend BVerfG-Beschluss vom 20.2.2001, 2 BvR 1440/00, wistra 2001, S. 137; s. auch BVerfG-Beschluss vom 10.12.2003, 2 BvR 1481/02, NJW 2004, S. 1442
[3] Vgl. ebenda

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