Verfahrensgang
OLG Stuttgart (Beschluss vom 03.11.2006; Aktenzeichen 1 Ws 314/2006) |
LG Stuttgart (Beschluss vom 26.10.2006; Aktenzeichen 6 KLs 142 Js 39289/02) |
LG Stuttgart (Entscheidung vom 19.10.2006; Aktenzeichen 6 KLs 142 Js 39289/02) |
Tenor
Der Beschluss des Oberlandesgerichts Stuttgart vom 3. November 2006 – 1 Ws 314/2006 –, der Nichtabhilfebeschluss des Landgerichts Stuttgart vom 26. Oktober 2006 und der Haftbefehl des Landgerichts Stuttgart vom 19. Oktober 2006 – 6 KLs 142 Js 39289/02 – verletzen den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht aus Artikel 2 Absatz 2 Satz 2 in Verbindung mit Artikel 104 Absatz 1 Satz 1 des Grundgesetzes.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts wird aufgehoben. Die Sache wird an das Oberlandesgericht zurückverwiesen.
Damit erledigt sich der Antrag auf Erlass einer einstweiligen Anordnung.
Das Land Baden-Württemberg hat dem Beschwerdeführer seine notwendigen Auslagen zu erstatten.
Tatbestand
Die Verfassungsbeschwerde betrifft den mittelbaren Widerruf eines Haftverschonungsbeschlusses durch Erlass eines neuen Haftbefehls wegen neu hervorgetretener Umstände im Sinne von § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO.
A. – I.
1. Dem Beschwerdeführer liegt zur Last, Einkommensteuern und Solidaritätszuschläge sowie Gewerbesteuern für die Veranlagungsjahre 1997 bis 2000 in Höhe von über 1,6 Mio. DM verkürzt zu haben. Gegen ihn wurde deshalb unter dem 1. Juli 2002 vom Amtsgericht Heidenheim ein auf den Haftgrund der Fluchtgefahr gestützter Haftbefehl erlassen. Zur Begründung führte das Amtsgericht aus, der Beschwerdeführer sei spätestens im Sommer 1999 zusammen mit seiner Ehefrau nach Florida/USA übersiedelt. Gegenüber Zeugen habe er erklärt, dort seinen Altersruhesitz nehmen zu wollen. Nach seinen eigenen Angaben halte er sich spätestens seit Mitte 1999 in den Vereinigten Staaten auf. Das frühere Wohnhaus in S. habe er im Frühjahr 2000 veräußert. Bei seinen Aufenthalten in Deutschland nutze er eine angemietete Zwei-Zimmer-Wohnung.
2. Mit Beschluss vom 8. Juli 2002, geändert und ergänzt durch Beschluss vom 12. Juli 2002, setzte das Amtsgericht Heidenheim den Haftbefehl gegen Meldeauflagen, die Abgabe des Passes und die Hinterlegung einer Barkaution von 100.000 Euro und Erbringung einer Bankbürgschaft in Höhe von 250.000 Euro außer Vollzug. Über die Berechtigung der Steuerforderung ist ein Rechtsstreit beim Finanzgericht anhängig. Eine Entscheidung in der Hauptsache steht noch aus.
3. Nach Zustellung der Anklage im Juli 2004 erhob der Beschwerdeführer durch seinen Verteidiger Einwendungen. Am 18. März 2005 kam es zwischen den berufsmäßigen Mitgliedern der Strafkammer des Landgerichts, der Vertreterin der Staatsanwaltschaft, dem Verteidiger und dem Steuerberater des Beschwerdeführers zu einem Gespräch über eine absprachegemäße Erledigung der Strafsache. Dem Beschwerdeführer wurde eine Bewährungsstrafe in Aussicht gestellt, wenn er eine Zahlung in Höhe von 1.000.000 DM (511.291,88 Euro) erbringe. Hiervon sollten 411.291,88 Euro auf die Steuerschuld und 100.000 Euro als Bewährungsauflage geleistet werden. Für den Fall, dass eine Verständigung nicht erzielt werden könne, stellte die Strafkammer gemäß der anwaltlichen Versicherung des Verteidigers ein Strafmaß in Höhe von dreieinhalb Jahren Freiheitsstrafe in Aussicht. Nach Rücksprache mit dem Beschwerdeführer stimmte der Verteidiger dieser Vereinbarung grundsätzlich zu. Im weiteren Verlauf stellte sich jedoch heraus, dass die Staatsanwaltschaft davon ausgegangen war, dass die 1.000.000 DM vom Beschwerdeführer zusätzlich – unabhängig von den bereits durch die Finanzbehörden beschlagnahmten Vermögenswerten – zu leisten seien. Hierzu war der Beschwerdeführer nicht imstande. Zugleich bestritt er die Behauptung der Finanzbehörden, noch über weiteres Vermögen in den USA zu verfügen. Eine Einigung kam nicht zustande.
4. Stattdessen fand nach Ergänzung der Anklage um den Veranlagungszeitraum 2000 – 2001 in der Zeit vom 20. September 2005 bis zum 18. Oktober 2006 das Hauptverfahren gegen den Beschwerdeführer statt, das sich auf insgesamt 32 Verhandlungstage erstreckte. Mit Beschluss vom 16. März 2006 hob das Landgericht die Meldeauflagen auf. Am 5. Oktober 2006 beantragte die Vertreterin der Staatsanwaltschaft die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Steuerhinterziehung. Der Verteidiger beantragte Freispruch.
5. Am 18. Oktober 2006 wurde der Beschwerdeführer vom Landgericht wegen Steuerhinterziehung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren verurteilt. Anschließend begab er sich wieder in seine Wohnung nach N. zurück. Gegen das Urteil wurde Revision eingelegt.
6. Unter dem 19. Oktober 2006 erließ das Landgericht einen neuen, auf den Haftgrund der Fluchtgefahr (§ 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO) gestützten Haftbefehl, der noch am gleichen Tage in der Wohnung des Beschwerdeführers vollstreckt wurde. Zur Begründung führte das Landgericht aus, der Beschwerdeführer habe bis zum Ende der Hauptverhandlung daran geglaubt, dass der Nachweis der vorsätzlichen Steuerhinterziehung nicht erbracht werden könne. Nunmehr sehe er sich einer Gesamtfreiheitsstrafe von drei Jahren gegenüber. Er müsse befürchten, dass das Urteil rechtskräftig werde und er die Haftstrafe auch werde verbüßen müssen. Unabhängig hiervon habe er damit zu rechnen, dass er in den streitigen finanzgerichtlichen Verfahren, in denen es ebenfalls um die den Gegenstand des Steuerstrafverfahrens bildenden Forderungen gehe, unterliege und die Finanzbehörden auf seine verbliebenen, bereits in Beschlag genommenen inländischen Vermögenswerte endgültig Zugriff nähmen. Schon daraus ergebe sich ein sehr hoher Fluchtanreiz. Außerdem habe der Beschwerdeführer seinen Wohnsitz auf Dauer nach Florida verlegt, um dort seinen Lebensabend zu verbringen. Seine Ehefrau lebe bereits dort. Die hiesige Geschäftstätigkeit habe er eingestellt und die Geschäfte auf seine Kinder übertragen. Diese könnten ihn und seine Frau jederzeit in Amerika besuchen. Nicht zuletzt befinde sich das ihm verbliebene oder an seine Ehefrau abgetretene Vermögen bereits in den Vereinigten Staaten. Angesichts dieser Umstände liege nichts näher als die Annahme, dass es der Beschwerdeführer im Zweifel vorziehen werde, sich in seine neue Heimat abzusetzen, um sich so seiner strafrechtlichen und sonstigen Inanspruchnahme zu entziehen. Um dies zu verhindern, bedürfe es der Anordnung und des Vollzuges der Untersuchungshaft. Mildere Maßnahmen reichten zur Sicherung der Verfahrensdurchführung nicht aus. Der hiergegen gerichteten Haftbeschwerde half das Landgericht mit Beschluss vom 26. Oktober 2006 nicht ab.
7. Mit Beschluss vom 3. November 2006 verwarf das Oberlandesgericht die auch bereits mit einer Verletzung von Grundrechten begründete Haftbeschwerde als unbegründet. Durch die Verkündung des Urteils habe sich für den Beschwerdeführer die Gefahr der Strafverbüßung wesentlich erhöht. Bis dahin habe er darauf hoffen können, dass die Strafkammer zu einem für ihn günstigen Beweisergebnis gelange. Dass der Beschwerdeführer dies auch tatsächlich erhofft habe, ergebe sich aus dem auf Freispruch lautenden Antrag im Plädoyer seines Verteidigers, dem er sich in seinem letzten Wort angeschlossen habe. Die Verurteilung stelle einen neu hervorgetretenen Umstand dar, der die (nach Außervollzugsetzung des früheren Haftbefehls des Amtsgerichts Heidenheim vom 1. Juli 2002 nunmehr erneute) Verhaftung des Beschwerdeführers erforderlich mache (§ 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO). Auch die Tatsache, dass der Beschwerdeführer sich in den Stunden nach der Urteilsverkündung in seine Wohnung in N. begeben habe und nicht sofort geflohen sei, stehe der Annahme von Fluchtgefahr nicht entgegen. Nachdem er anlässlich der Urteilsverkündung nicht verhaftet worden sei, habe er damit rechnen können, für eine zu planende Flucht noch mehrere Wochen Zeit zu haben. Zudem habe der Beschwerdeführer bereits im Februar 2000 sein Wohnhaus in S. verkauft, seinen Hausrat nach Florida verschiffen lassen und zuvor im Oktober 1999 seine Mitgliedschaft im „Bund der Steuerzahler” und im „Europaverband für Selbstständige” gekündigt, um seinen Ruhestand in den USA zu verbringen. Für den Aufenthalt in Deutschland stehe ihm und seiner Frau lediglich eine angemietete Wohnung in N. zur Verfügung. Mildere Maßnahmen als der Vollzug von Untersuchungshaft seien nicht geeignet, der Fluchtgefahr in ausreichendem Maße entgegenzuwirken.
II.
1. Der Beschwerdeführer rügt eine Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG und Art. 3 Abs. 1 GG. Der Haftbefehl des Landgerichts, der Nichtabhilfebeschluss und die Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts verletzten ihn in seinem Grundrecht der Freiheit der Person. Die Regelung des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO sei zudem in objektiv willkürlicher Weise zu seinen Lasten angewandt worden.
a) Das Landgericht verhalte sich in seinem Haftbefehl vom 19. Oktober 2006 zu § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO überhaupt nicht, sondern stütze seine Entscheidung alleine auf § 112 Abs. 2 Nr. 2 StPO. Dabei werde verkannt, dass er auf Grund des Haftverschonungsbeschlusses des Amtsgerichts vom 12. Juli 2002 bis zu seiner Verhaftung am 19. Oktober 2006 Gelegenheit gehabt habe, sein Verhalten gegenüber dem Strafverfahren zu dokumentieren und das in ihn gesetzte Vertrauen, namentlich durch strikte Beachtung der ihm erteilten Auflagen zu rechtfertigen. Er habe durch sein gesamtes Verhalten im maßgeblichen Zeitraum für jedermann sichtbar zum Ausdruck gebracht, sich dem Verfahren zur Verfügung halten zu wollen.
b) Das Oberlandesgericht habe sich in seiner Haftfortdauerentscheidung vom 3. November 2006 zwar ausdrücklich auf § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO bezogen, als „neu” hervorgetretenen Umstand jedoch lediglich die Verkündung des Urteils vom 18. Oktober 2006 angeführt. Der Widerruf einer einmal gewährten Haftverschonung setze jedoch voraus, dass von der Prognose des Haftrichters bezüglich der Straferwartung der Rechtsfolgenausspruch des Tatrichters oder die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweiche und sich die Fluchtgefahr dadurch wesentlich erhöhe. Davon könne vorliegend keine Rede sein. Bereits der ursprüngliche Haftbefehl des Amtsgerichts vom 1. Juli 2002 habe im Wesentlichen dieselben Vorwürfe zum Gegenstand gehabt, die auch dem Urteil vom 18. Oktober 2006 zugrunde lägen. Zudem habe die Strafkammer anlässlich des Gesprächs vom 18. März 2005 ein Strafmaß von dreieinhalb Jahren für den Fall in Aussicht gestellt, dass eine Verständigung nicht erzielt werden könne. Genau in diesem Rahmen bewege sich der Antrag der Staatsanwaltschaft vom 5. Oktober 2006 mit drei Jahren Freiheitsstrafe. Trotz dieser „Aussichten” habe er sich dem Verfahren fortwährend zur Verfügung gehalten. Das Urteil vom 18. Oktober 2006 sei mithin alles andere als eine Überraschung gewesen. Eine erhebliche Abweichung der Straferwartung, die allein Grundlage einer erneuten Verhaftung sein könne, liege nicht vor.
2. Das Justizministerium des Landes Baden-Württemberg hatte Gelegenheit zur Stellungnahme.
Entscheidungsgründe
B.
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerde zur Entscheidung an, weil dies zur Durchsetzung der Grundrechte des Beschwerdeführers angezeigt ist (§ 93b i.V.m. § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG). Die Verfassungsbeschwerde ist zulässig und – in einer die Entscheidungszuständigkeit der Kammer gemäß § 93c Abs. 1 BVerfGG eröffnenden Weise – auch offensichtlich begründet; die für die Beurteilung maßgeblichen verfassungsrechtlichen Fragen hat das Bundesverfassungsgericht bereits entschieden.
I.
1. a) In die materielle Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG darf nur auf Grund eines förmlichen Gesetzes und nur unter Beachtung der darin vorgeschriebenen Formen eingegriffen werden (Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG). Die formellen Gewährleistungen des Art. 104 GG stehen mit der materiellen Freiheitsgarantie des Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in einem unlösbaren Zusammenhang (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪322≫; 58, 208 ≪220≫; 105, 239 ≪247≫). Art. 104 Abs. 1 GG nimmt den schon in Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG enthaltenen Gesetzesvorbehalt auf und verstärkt ihn für alle Freiheitsbeschränkungen, indem er neben der Forderung nach einem förmlichen Gesetz die Pflicht, die sich aus diesem Gesetz ergebenden Formvorschriften zu beachten, zum Verfassungsgebot erhebt (vgl. BVerfGE 10, 302 ≪323≫; 29, 183 ≪195≫; 58, 208 ≪220≫; 105, 239 ≪247≫). Verstöße gegen die durch Art. 104 GG gewährleisteten Voraussetzungen und Formen freiheitsbeschränkender Gesetze stellen daher stets auch eine Verletzung der Freiheit der Person dar (BVerfGE 10, 302 ≪323≫; 58, 208 ≪220≫; 65, 317 ≪321 f.≫). Inhalt und Reichweite freiheitsbeschränkender Gesetze sind deshalb von den Gerichten so auszulegen und anzuwenden, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts angemessene Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪322 f.≫; 96, 68 ≪97≫; 105, 239 ≪247≫).
b) Das in § 116 Abs. 4 StPO zum Ausdruck kommende Gebot, die Aussetzung des Vollzuges eines Haftbefehls durch den Richter nur dann zu widerrufen, wenn sich die Umstände im Vergleich zu der Beurteilungsgrundlage zur Zeit der Gewährung der Verschonung verändert haben (vgl. hierzu OLG Düsseldorf, Beschluss vom 24. Mai 1993 – 1 Ws 456/93 –, StV 1993, S. 480 ≪481≫; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Februar 1988 – 3 Ws 142/88 –, StV 1988, S. 207; KG, Beschluss vom 14. Oktober 1996 – 4 Ws 168/96 –, StraFo 1997, S. 27; Meyer-Goßner, StPO, 48. Aufl., 2005, § 116 Rn. 22; Boujong, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., 2003, § 116 Rn. 27; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 1997, § 116 Rn. 44), gehört zu den bedeutsamsten (Verfahrens-)Garantien, deren Beachtung Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG fordert und mit grundrechtlichem Schutz versieht (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2005 – 2 BvR 1618/05 –, StV 2006, S. 26 ≪27≫ und vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 –, StV 2006, S. 139 ≪140≫).
Ist ein Haftbefehl einmal unangefochten außer Vollzug gesetzt worden, so ist jede neue haftrechtliche Entscheidung, die den Wegfall der Haftverschonung zur Folge hat, nur unter den einschränkenden Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 StPO möglich (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. November 2001 – 4 Ws 544/01 –, StV 2002, S. 207). Der erneute Vollzug des Haftbefehls durch den Richter kommt nach Nr. 3 jener Vorschrift nur dann in Betracht, wenn neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung erforderlich machen (vgl. hierzu auch BGH, Urteil vom 16. September 2004 – 4 StR 84/04 –, NStZ 2005, S. 279 ≪280≫). Dagegen kann eine lediglich andere Beurteilung des unverändert gebliebenen Sachverhalts einen Widerruf nicht rechtfertigen (vgl. Beschlüsse der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 26. Oktober 2005 – 2 BvR 1618/05 –, StV 2006, S. 26 ≪27≫ und vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 –, StV 2006, S. 139 ≪140≫; OLG Frankfurt am Main, Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493; Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, § 116 Rn. 44; Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001, Rn. 1093).
2. „Neu” im Sinne des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO sind nachträglich eingetretene oder nach Erlass des Aussetzungsbeschlusses bekannt gewordene Umstände nur dann, wenn sie die Gründe des Haftverschonungsbeschlusses in einem so wesentlichen Punkt erschüttern, dass keine Aussetzung bewilligt worden wäre, wenn sie bei der Entscheidung bereits bekannt gewesen wären (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. November 2000 – 1 Ws 139/00 –, StraFo 2001, S. 144; Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. September 1999 – 4 Ws 250/99 –, StV 2000, S. 211; Beschluss vom 8. November 2001 – 4 Ws 544/01 –, StV 2002, S. 207). Das maßgebliche Kriterium für den Widerruf besteht mit anderen Worten in einem Wegfall der Vertrauensgrundlage der Aussetzungsentscheidung (vgl. KG, Beschluss vom 27. März 1998 – 1 AR 301/98 – 4 Ws 61/98 – ≪juris≫). Ob dies der Fall ist, erfordert vor dem Hintergrund der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) eine Beurteilung sämtlicher Umstände des Einzelfalls (vgl. hierzu auch OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2002 – 2 Ws 474/02 –, StV 2003, S. 512 ≪513≫).
Dabei sind die Grenzen, innerhalb derer eine Haftverschonung wegen neu hervorgetretener Umstände widerrufen werden kann, nach der einschlägigen Rechtsprechung der Oberlandesgerichte eng gesteckt (vgl. KG, Beschluss vom 27. März 1998 – 1 AR 301/98 – 4 Ws 61/98 – ≪juris≫; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493). Denn das Gericht ist an seine Beurteilung der Umstände, auf denen die Aussetzung beruht, grundsätzlich gebunden (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. November 2000 – 1 Ws 139/00 –, StraFo 2001, S. 144 ≪145≫). Lediglich eine nachträglich andere Beurteilung bei gleichbleibender Sachlage rechtfertigt den Widerruf nicht (vgl. OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493). Vielmehr ist angesichts der Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) die Schwelle für eine Widerrufsentscheidung grundsätzlich sehr hoch anzusetzen (vgl. KG, Beschluss vom 27. März 1998 – 1 AR 301/98 – 4 Ws 61/98 – ≪juris≫; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493). Im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung stets zu berücksichtigen ist deshalb vor allem, dass der Angeklagte inzwischen Gelegenheit hatte, sein Verhalten gegenüber dem Strafverfahren zu dokumentieren (vgl. KG, Beschluss vom 27. März 1998 – 1 AR 301/98 – 4 Ws 61/98 – ≪juris≫; OLG Frankfurt, Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493) und das in ihn gesetzte Vertrauen (vgl. hierzu § 116 Abs. 4 Nr. 2 StPO), namentlich durch strikte Beachtung der ihm erteilten Auflagen, zu rechtfertigen (vgl. hierzu bereits Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 –, StV 2006, S. 139 ≪140 f.≫).
3. Ein nach der Haftverschonung ergangenes (nicht rechtskräftiges) Urteil oder ein hoher Strafantrag der Staatsanwaltschaft können zwar durchaus geeignet sein, den Widerruf einer Haftverschonung und die Invollzugsetzung eines Haftbefehls zu rechtfertigen. Dies setzt jedoch voraus, dass von der Prognose des Haftrichters bezüglich der Straferwartung der Rechtsfolgenausspruch des Tatrichters oder die von der Staatsanwaltschaft beantragte Strafe erheblich zum Nachteil des Angeklagten abweicht und sich die Fluchtgefahr dadurch ganz wesentlich erhöht (vgl. KG, Beschluss vom 27. März 1998 – 1 AR 301/98 – 4 Ws 61/98 – m.w.N. ≪juris≫; OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. November 2000 – 1 Ws 139/00 –, StraFo 2001, S. 144; Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493; OLG Düsseldorf, Beschluss vom 8. November 2001 – 4 Ws 544/01 –, StV 2002, S. 207). Ob dies der Fall ist, ist durch Abwägung und Beurteilung sämtlicher Umstände des Einzelfalls zu ermitteln (vgl. OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2002 – 2 Ws 474/02 –, StV 2003, S. 512 ≪513≫). Die insoweit heranzuziehenden Umstände müssen sich jeweils auf die Haftgründe beziehen (vgl. näher Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 1997, § 116 Rn. 50). In Betracht kommen vor allem Fälle, in denen ein weiterer Haftgrund zu dem im Haftbefehl aufgeführten hinzutritt oder sich der dem Haftbefehl zugrunde liegende Haftgrund verschärft (vgl. Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001, Rn. 1095).
Neu hervorgetretene Umstände können sich dagegen nicht auf den (dringenden) Tatverdacht beziehen (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 1997, § 116 Rn. 50 m.w.N.). Dieser ist bereits Grundvoraussetzung für Erlass und Aufrechterhaltung jeden Haftbefehls (vgl. § 112 Abs. 1 StPO). Demgemäß ist ohne Bedeutung, dass sich der dem Haftbefehl oder der Anklage zugrunde gelegte dringende Tatverdacht auf Grund der Beweisaufnahme in der Hauptverhandlung bestätigt hat und damit noch „dringender” geworden ist (vgl. OLG München, Beschluss vom 27. Juli 1977 – 1 Ws 852/77 –, NJW 1978, S. 771 ≪772≫; OLG Frankfurt, Beschluss vom 6. November 2000 – 1 Ws 139/00 –, StraFo 2001, S. 144).
Der erneute Vollzug des Haftbefehls auf Grund von § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO kommt auch in Betracht, wenn ein Beschuldigter unerwartet streng verurteilt wird oder wenn sonstige (auch zeitlich vor dem Aussetzungsbeschluss entstandene) schwerwiegende Tatsachen nachträglich bekannt werden, die das Gericht, hätte es sie im Zeitpunkt der Aussetzungsentscheidung gekannt, zur Ablehnung der Haftverschonung veranlasst hätten (vgl. Hilger, in: Löwe-Rosenberg, StPO, 25. Aufl., 1997, § 116 Rn. 50). War dagegen schon zu diesem Zeitpunkt mit der später ausgesprochenen – auch höheren – Strafe zu rechnen und hat der Beschuldigte die ihm erteilten Auflagen gleichwohl korrekt befolgt, so liegt kein Fall des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO vor (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 29. Februar 1988 – 3 Ws 142/88 –, StV 1988, S. 207: sogar für den Fall einer lebenslangen Freiheitsstrafe; Beschluss vom 27. September 1999 – 4 Ws 250/99 –, StV 2000, S. 211; Beschluss vom 8. November 2001 – 4 Ws 544/01 –, StV 2002, S. 207; OLG Frankfurt, Beschluss vom 7. November 1997 – 1 Ws 161/97 –, StV 1998, S. 31; Beschluss vom 6. November 2000 – 1 Ws 139/00 –, StraFo 2001, S. 144; Beschluss vom 3. Juni 2004 – 1 Ws 46/04 –, StV 2004, S. 493; KG, Beschluss vom 27. März 1998 – 1 AR 301/98 – 4 Ws 61/98 – ≪juris≫; Beschluss vom 21. November 2001 – 1 AR 1438/01 – 3 Ws 609/01 – ≪juris≫; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2002 – 2 Ws 474/02 –, StV 2003, S. 512 ≪513≫; erst jüngst auch BGH, Urteil vom 16. September 2004 – 4 StR 84/04 –, NStZ 2005, S. 279 ≪280≫).
Vor dem Hintergrund, dass Inhalt und Reichweite freiheitsbeschränkender Gesetze so auszulegen und anzuwenden sind, dass sie eine der Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit angemessene Wirkung entfalten (vgl. BVerfGE 65, 317 ≪322 f.≫; 96, 68 ≪97≫; 105, 239 ≪247≫), fordert die Anwendung jener Norm nachvollziehbare Feststellungen dazu, von welcher Straferwartung der Beschuldigte im Zeitpunkt der Außervollzugsetzung des Haftbefehls ausging (vgl. OLG Koblenz, Beschluss vom 30. Juni 1999 – 2 Ws 392/99 und 399/99 –, StraFo 1999, S. 322 f.). Bloße Mutmaßungen können insoweit nicht genügen (vgl. OLG Düsseldorf, Beschluss vom 27. September 1999 – 4 Ws 250/99 –, StV 2000, S. 211 ≪212≫). Selbst der Umstand, dass der um ein günstigeres Ergebnis bemühte Angeklagte infolge des Schlussantrags der Staatsanwaltschaft oder gar durch das Urteil selbst die Vergeblichkeit seiner Hoffnungen erkennen muss, kann einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen, sofern ihm die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Ausgangs während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen stand und er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nachkam (vgl. Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001, Rn. 1095; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2002 – 2 Ws 474/02 –, StV 2003, S. 512 ≪513≫). Insoweit setzt sich der vom Angeklagten auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses gesetzte Vertrauenstatbestand (vgl. § 116 Abs. 4 Nr. 2 StPO) als Ausprägung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) im Rahmen der vorzunehmenden Abwägung durch (vgl. bereits Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 –, StV 2006, S. 139 ≪141≫).
4. Selbst wenn die Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO vorliegen, bleibt infolge des Grundsatzes der Verhältnismäßigkeit stets zu prüfen, ob statt einer Rücknahme der Haftverschonung nicht mildere Mittel der Verfahrenssicherung – namentlich eine Verschärfung der Auflagen – in Betracht kommen (vgl. Boujong, in: Karlsruher Kommentar, StPO, 5. Aufl., 2003, § 116 Rn. 32 a.E.).
II.
Diesen sich aus Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG ergebenden Anforderungen werden die angegriffenen Entscheidungen nicht gerecht. Weder das Landgericht noch das Oberlandesgericht haben dargelegt, dass der Rechtsfolgenausspruch des Tatrichters vom 18. Oktober 2006 von der Prognose des Haftrichters oder dem Strafantrag der Staatsanwaltschaft vom 5. Oktober 2006 zum Nachteil des Beschwerdeführers abweicht und sich dadurch die Fluchtgefahr ganz wesentlich erhöht hat.
1. Das Landgericht hat sich mit den Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO erst gar nicht befasst. Die Widerrufsvoraussetzungen einer Haftverschonungsentscheidung können jedoch nicht dadurch umgangen werden, dass kurzerhand ein neuer Haftbefehl erlassen wird, ohne den oben beschriebenen verfassungsrechtlichen Rahmen zu beachten. Ein solches Vorgehen verletzt das Freiheitsrecht (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) des Beschwerdeführers. Untersuchungshaft ist keine antizipierte Strafhaft. Sie steht dieser weder in ihren Wirkungen noch in ihren Voraussetzungen gleich. Der Begünstigte einer Haftverschonungsentscheidung hat grundsätzlich Anspruch, die Rechtskraft des Urteils in Freiheit zu erwarten.
2. a) Das Oberlandesgericht hat die erneute Anordnung von Untersuchungshaft in seinem Beschluss vom 3. November 2006 allein damit begründet, dass mit der Verurteilung zu einer (noch nicht rechtskräftigen) Freiheitsstrafe von drei Jahren ein neuer Umstand (§ 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO) eingetreten sei, der die – erneute – Verhaftung des Beschwerdeführers erforderlich mache, weil nunmehr die Gefahr, dass er sich dem Verfahren entziehe, deutlich erhöht sei.
b) Damit ist das Oberlandesgericht dem oben beschriebenen verfassungsrechtlichen Rahmen des Widerrufs einer Haftverschonungsentscheidung nicht gerecht geworden. Es hat einseitig auf die Höhe der ausgeurteilten Strafe abgestellt und dem Umstand, dass der Beschwerdeführer durch das Befolgen der ihm erteilten Auflagen einen Vertrauenstatbestand geschaffen hat und hierin grundsätzlich schutzwürdig ist, zu Unrecht keine Bedeutung beigemessen. So hat es unberücksichtigt gelassen, dass der Beschwerdeführer nach der Haftverschonungsentscheidung des Amtsgerichts vom 12. Juli 2002 über vier Jahre hinweg Gelegenheit hatte, sein Verhalten gegenüber dem Strafverfahren zu dokumentieren und das in ihn gesetzte Vertrauen zu rechtfertigen und – wie sein gesamtes Verhalten während dieses Zeitraums zeigt – auch tatsächlich gerechtfertigt hat.
Auch der 4. Strafsenat des Bundesgerichtshofs hat in seinem Urteil vom 16. September 2004 – 4 StR 84/04 –, NStZ 2005, S. 279 (280) ausdrücklich festgestellt, dass die mögliche Verurteilung als solche oder auch die Höhe einer zu erwartenden Strafe nicht als neu hervorgetretene Umstände die Verhaftung des Angeklagten rechtfertigen, wenn schon bei der Aussetzungsentscheidung von der Möglichkeit der Verurteilung ausgegangen und für den Fall des Schuldnachweises mit einer erheblichen Freiheitsstrafe gerechnet worden war.
Der Beschwerdeführer musste spätestens nach dem Scheitern einer absprachegemäßen Erledigung der Strafsache im März 2005 von der Verhängung einer mehrjährigen – nach der anwaltlichen Versicherung seines Verteidigers dreieinhalbjährigen – Freiheitsstrafe ausgehen. Gleichwohl hat er sich dem Verfahren weiter zur Verfügung gehalten und an allen 32 Hauptverhandlungstagen teilgenommen. Nicht zuletzt auf Grund dieses Verhaltens hat das Landgericht mit Beschluss vom 16. März 2006 sämtliche Meldeauflagen aufgehoben. Auch mit der dadurch eingetretenen Verdichtung des vom Beschwerdeführer gesetzten Vertrauenstatbestandes hat sich das Oberlandesgericht nicht auseinander gesetzt.
Von Bedeutung ist des Weiteren, dass der Beschwerdeführer an der Hauptverhandlung und Urteilsverkündung vom 18. Oktober 2006 weiter teilgenommen hat, obwohl zuvor am 5. Oktober 2006 die Staatsanwaltschaft in ihrem Schlussvortrag die Verhängung einer Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen Steuerhinterziehung beantragt hatte. Spätestens zu diesem Zeitpunkt hatte sich das Risiko einer Bestrafung für den die Vorwürfe bestreitenden, aus seiner Sicht also einen Freispruch erwartenden, Beschwerdeführer deutlich erhöht. Auch hierauf ist das Oberlandesgericht nicht eingegangen.
Mit seiner Teilnahme an der Urteilsverkündung hat der Beschwerdeführer für jedermann sichtbar dokumentiert, dass er sich dem Verfahren und einer gegebenenfalls drohenden Strafvollstreckung im Falle des Scheiterns der Revision zur Verfügung halten will (vgl. insoweit OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2002 – 2 Ws 474/02 –, StV 2003, S. 512 ≪513≫ zu einer vergleichbaren Konstellation; siehe im Übrigen auch Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 –, StV 2006, S. 139 ≪142≫).
Allein der Umstand, dass der um ein günstigeres Ergebnis bemühte Angeklagte infolge des Schlussantrages der Staatsanwaltschaft oder gar durch das Urteil selbst die Vergeblichkeit seiner Hoffnungen erkennen muss, kann einen Widerruf der Haftverschonung nicht rechtfertigen, wenn ihm – wie hier – die Möglichkeit eines für ihn ungünstigen Ausgangs während der Außervollzugsetzung des Haftbefehls stets vor Augen stand und er gleichwohl allen Auflagen beanstandungsfrei nachkam (vgl. Schlothauer/Weider, Untersuchungshaft, 3. Aufl., 2001, Rn. 1095; OLG Hamm, Beschluss vom 27. Dezember 2002 – 2 Ws 474/02 –, StV 2003, S. 512 ≪513≫). Insoweit setzt sich der vom Beschwerdeführer auf der Grundlage des Verschonungsbeschlusses gesetzte Vertrauenstatbestand (vgl. § 116 Abs. 4 Nr. 2 StPO) als Ausprägung der wertsetzenden Bedeutung des Grundrechts der persönlichen Freiheit (Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG) durch (vgl. bereits Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 –, StV 2006, S. 139 ≪141≫). Der Beschwerdeführer ist weder unerwartet streng bestraft worden noch sind sonstige schwerwiegende Tatsachen nachträglich bekannt geworden.
c) Auch soweit das Oberlandesgericht eine Erhöhung des Fluchtanreizes damit zu begründen versucht, dass der Beschwerdeführer im Oktober 1999 seine Mitgliedschaft beim „Bund der Steuerzahler” wie auch im „Europaverband für Selbstständige” gekündigt und am 25. Februar 2000 sein Wohnhaus in S. verkauft und seinen Hausrat in die Vereinigten Staaten verbracht habe, um dort seinen Altersruhesitz zu begründen, und ihm für seinen Aufenthalt in Deutschland lediglich eine angemietete Wohnung zur Verfügung stehe, kann ihm nicht gefolgt werden. Diese Umstände rühren aus einem Zeitraum deutlich vor Einleitung des Ermittlungsverfahrens im Frühjahr 2002 her. Die Außervollzugsetzung des Haftbefehls des Amtsgerichts vom 1. Juli 2002 ist in Kenntnis dieser Umstände erfolgt.
III.
Gemäß § 95 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG ist die Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 GG in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG durch den Haftbefehl des Landgerichts vom 19. Oktober 2006, den Nichtabhilfebeschluss vom 26. Oktober 2006 und die Haftfortdauerentscheidung des Oberlandesgerichts vom 3. November 2006 festzustellen.
Der Beschluss des Oberlandesgerichts ist unter Zurückverweisung der Sache aufzuheben (§ 93c Abs. 2 i.V.m. § 95 Abs. 2 BVerfGG). Das Oberlandesgericht hat unter Berücksichtigung der angeführten Gesichtspunkte, vor allem aber unter Beachtung des bereits im Beschluss der 3. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 1. Februar 2006 – 2 BvR 2056/05 –, StV 2006, S. 139 (140 f.) entwickelten und hier nochmals dargelegten Maßstabes (vgl. oben unter B. I. 1. bis 4.) erneut zu entscheiden. Liegen die Voraussetzungen des § 116 Abs. 4 Nr. 3 StPO für einen Widerruf der Haftverschonung nicht vor, wovon nach gegenwärtigem Erkenntnisstand auszugehen ist, muss der Haftbefehl des Landgerichts vom 19. Oktober 2006 aufgehoben und der Beschwerdeführer unverzüglich aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Allenfalls kann eine Wiederherstellung der mit Beschluss des Landgerichts vom 16. März 2006 ausgesetzten Meldeauflagen in Betracht kommen.
Angesichts der festgestellten Verletzung von Art. 2 Abs. 2 Satz 2 in Verbindung mit Art. 104 Abs. 1 Satz 1 GG bedarf keiner Entscheidung mehr, ob die angegriffenen Beschlüsse auch gegen das Willkürverbot (Art. 3 Abs. 1 GG) verstoßen.
Die Entscheidung über die Auslagen beruht auf § 34a Abs. 2 BVerfGG.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar (§ 93d Abs. 1 Satz 2 BVerfGG).
Unterschriften
Broß, Osterloh, Mellinghoff
Fundstellen