Entscheidungsstichwort (Thema)
Annahmevoraussetzungen einer Verfassungsbeschwerde
Beteiligte
Rechtsanwälte Dr. Werner Mielke und Koll. |
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Der Antrag auf Wiedereinsetzung in den vorigen Stand wird abgelehnt.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde ist unzulässig und ihre Annahme daher mangels hinreichender Aussicht auf Erfolg nicht zur Durchsetzung der als verletzt bezeichneten Verfassungsrechte angezeigt im Sinne von § 93a Abs. 2 Buchstabe b BVerfGG (vgl. BVerfGE 90, 22 ≪25 f.≫).
1. a) Die Verfassungsbeschwerde wurde nicht innerhalb der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG in einer den Darlegungsanforderungen der §§ 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz, 92 BVerfGG entsprechenden Weise substantiiert begründet (vgl. BVerfGE 5, 1 ≪1≫; 18, 85 ≪89≫; 88, 40 ≪45≫). Die fristgemäße Begründung erfordert insbesondere, dass die angegriffene Entscheidung selbst vorgelegt oder doch wenigstens ihrem wesentlichen Inhalt nach mitgeteilt bzw. sich mit diesem Inhalt auseinander gesetzt wird (vgl. BVerfGE 88, 40 ≪45≫; 93, 266 ≪288≫). Nur so wird der die behauptete Grundrechtsverletzung enthaltende Vorgang vollständig in einer der verfassungsgerichtlichen Prüfung zugänglichen Weise aus sich heraus verständlich und nachvollziehbar dargelegt (vgl. BVerfGE 81, 208 ≪214≫).
Vorliegend gingen die angegriffenen fachgerichtlichen Entscheidungen erst verspätet beim Bundesverfassungsgericht ein. Die einmonatige Beschwerdefrist lief entsprechend § 222 Abs. 1, 2 ZPO i.V.m. §§ 187 ff. BGB am Mittwoch, dem 22. Dezember 1999, ab. Mit der vor Fristablauf am 21. Dezember 1999 per Telefax erhobenen Verfassungsbeschwerde wurden keinerlei Anlagen übersandt. Die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen folgten auf dem normalen Postweg und gingen erst am Donnerstag, dem 23. Dezember 1999, also nach Fristablauf beim Bundesverfassungsgericht ein. Die am 22. Dezember 1999 hier vorliegende Begründung der Verfassungsbeschwerde ist auch aus sich heraus nicht ausreichend, um die behauptete Grundrechtsverletzung substantiiert darzutun.
b) Die Voraussetzungen für die beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 93 Abs. 2 BVerfGG) sind nicht erfüllt. Es fehlt an einer hinreichenden Glaubhaftmachung von Tatsachen, die auf eine unverschuldete Fristversäumnis schließen ließen.
aa) Eine den Verschuldensvorwurf auslösende Verletzung der von einem Bevollmächtigten zu wahrenden Sorgfaltspflicht fällt diesem unter dem Gesichtspunkt des Organisationsverschuldens insbesondere dann zur Last, wenn er nicht durch allgemeine Weisung dafür Sorge trägt, dass der Ablauf von Rechtsmittelfristen einschließlich der Rechtsmittelbegründungsfristen zuverlässig rechtzeitig bemerkt wird (vgl. BVerwG, Beschluss vom 22. Dezember 2000 – BVerwG 11 C 10.00 –, JURIS; Beschluss vom 24. August 1995 – BVerwG 3 B 37.95 –, Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 202). Diese Sorgfaltspflicht macht es erforderlich, dass er die Wahrung der Fristen eigenverantwortlich überwacht (vgl. BVerwGE 74, 289 ≪293≫). Eine gesteigerte Aufmerksamkeit (vgl. etwa auch BVerwGE 74, 289 ≪293 f.≫ für die Revisionsbegründungsfrist) erfordert die Einhaltung der Frist des § 93 Abs. 1 Satz 1 BVerfGG. Dies ergibt sich vor allem daraus, dass das fristgebundene Begründungserfordernis gemäß § 92 i.V.m. § 23 Abs. 1 Satz 2, 1. Halbsatz BVerfGG maßgeblich durch die Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 5, 1 ≪1≫; 18, 85 ≪89≫; 78, 320 ≪327≫; 88, 40 ≪45≫; 93, 266 ≪288≫) konkretisiert ist, mit der sich der Bevollmächtigte befassen muss, um die Einhaltung der Frist sicherstellen zu können (vgl. Beschluss der 1. Kammer des Zweiten Senats des Bundesverfassungsgerichts vom 21. Februar 2001 – 2 BvR 1469/00 –, NJW 2001, S. 1567 f.). Dies schließt es freilich nicht aus, dass sich der Rechtsanwalt im Allgemeinen darauf verlassen darf, dass eine damit beauftragte erfahrene Hilfsperson den Fristenkalender ordentlich führt und entsprechend den erteilten allgemeinen Anweisungen im Einzelfall die maßgeblichen Fristen beachtet (BVerwGE 74, 289 ≪294≫). Bei der normalen und regelmäßigen Überwachung ist u.a. durch eine geeignete Büroorganisation eine wirksame End- oder Ausgangskontrolle für fristwahrende Schriftsätze zu gewährleisten (vgl. BGH, Beschluss vom 27. September 1994 – XI ZB 9/94 –, NJW 1994, S. 3235; Beschluss vom 26. September 1994 – II ZB 9/94 –, NJW 1994, S. 3171).
bb) Unter Zugrundelegung dieses Maßstabes ist – ausgehend von den tatsächlichen Angaben der Bevollmächtigten des Beschwerdeführers zur Begründung des Wiedereinsetzungsantrags – nicht glaubhaft gemacht, dass es ohne ein nach Maßgabe von § 93 Abs. 2 Satz 6 BVerfGG dem Verschulden des Beschwerdeführers gleichstehendes Verschulden des Bevollmächtigten zu der Fristversäumung gekommen ist.
Das Vorbringen enthält nur unzureichende Angaben zur Organisation der Fristenkontrolle in der Kanzlei der Bevollmächtigten im Allgemeinen und hinsichtlich einer Ausgangskontrolle im Besonderen. Dies gilt erst recht, soweit konkret die fristgemäße Erhebung einer Verfassungsbeschwerde in Rede steht. Der Hinweis darauf, die zuständige Rechtsanwaltsfachangestellte sei „stets zuverlässig” bzw. erledige die Aufgabe der Notierung von Fristen „fehlerfrei”, greift offensichtlich zu kurz bzw. wird durch die vorliegend offenkundige Falschberechnung der Frist relativiert. Es ist auch nicht ersichtlich, dass die Prozessbevollmächtigten des Beschwerdeführers den besonderen Erfordernissen der fristgebundenen Begründung bei Erhebung der Verfassungsbeschwerde durch eine eigene Fristenkontrolle oder durch eine spezifische Anweisung gegenüber der zuständigen Büroangestellten Rechnung getragen haben. Im Übrigen darf sich der Rechtsanwalt zwar auch bei der Führung des Fristenkalenders Hilfspersonen bedienen; jedoch setzt eine gesteigerte Sorgfaltspflicht des Rechtsanwalts dann wieder ein, wenn ihm in der Fristsache die betreffende Akte zur Bearbeitung vorgelegt wird. In diesem Fall obliegt es ihm, sich dieser Akte mit besonderer Sorgfalt anzunehmen und sich erforderlichenfalls durch Einsicht in die Akte selbst Gewissheit über den Ablauf der Frist zu verschaffen (vgl. BVerwGE 74, 289 ≪294≫). Als dem zuständigen bearbeitenden Rechtsanwalt hier die Fristsache hinsichtlich Erhebung und Begründung der Verfassungsbeschwerde vorgelegt worden ist, hätte er jedenfalls ohne Weiteres erkennen können, dass der auf dem Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vermerkte Fristablauf „23.12.” zur Erhebung der Verfassungsbeschwerde falsch sein musste, da direkt darunter der Eingangsstempel „22. NOV. 1999” aufgebracht war.
2. Ungeachtet der vorstehenden Erwägungen ist die Verfassungsbeschwerde ohnehin nicht hinreichend substantiiert begründet worden und auch deshalb unzulässig. Der Beschwerdeführer setzt lediglich seine Rechtsauffassung zur Gleichheitswidrigkeit des Abzuges der Erstattungen seiner gesetzlichen Krankenversicherung von den Beihilfeaufwendungen im Verhältnis zur Behandlung von privatversicherten Beamten der unter Bezugnahme auf Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dargelegten abweichenden Rechtsauffassung der Fachgerichte entgegen. Mangels hinreichender Auseinandersetzung mit den Entscheidungsgründen der angegriffenen Entscheidungen fehlt die substantiierte Darlegung, warum seine Rechtsauffassung zutreffend und die der Fachgerichte in verfassungsrechtlich erheblicher Weise falsch sein sollte.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Sommer, Broß, Mellinghoff
Fundstellen
Haufe-Index 635235 |
DStR 2002, 465 |
NJW 2001, 3534 |
NVwZ 2002, 74 |
KammerForum 2002, 90 |