Verfahrensgang
OLG Hamburg (Beschluss vom 05.05.2008; Aktenzeichen 1 U 69/07) |
OLG Hamburg (Beschluss vom 27.03.2008; Aktenzeichen 1 U 69/07) |
Tenor
Die Verfassungsbeschwerde wird nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
Die Verfassungsbeschwerde wendet sich gegen die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss und wirft vornehmlich die Frage nach der Vereinbarkeit von § 522 Abs. 3 ZPO mit dem allgemeinen Gleichheitssatz auf.
I.
Die Beschwerdeführerin und Klägerin des Ausgangsverfahrens wurde im August 2001 in einem Hamburger Krankenhaus geboren. Etwa sechs Wochen nach der Geburt wurden im Anschluss an eine Vorsorgeuntersuchung, die so genannte U 3, erstmals zahlreiche, zum Teil sehr schwere Behinderungen der Beschwerdeführerin festgestellt.
Im Ausgangsverfahren nahm die Beschwerdeführerin die Beklagten – Krankenhausträger und Ärzte – auf Schadensersatz und Schmerzensgeld in Anspruch. Sie führte ihren Zustand auf ärztliche Versäumnisse im Zusammenhang mit ihrer Geburt zurück. Das Landgericht wies die Klage nach Einholung eines gynäkologischen sowie eines pädiatrischen Sachverständigengutachtens und anschließender mündlicher Anhörung der Sachverständigen ab. Das Oberlandesgericht wies nach vorangegangenem Hinweis die Berufung mit einstimmigem Beschluss gemäß § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO zurück. Die Beschwerdeführerin habe einen Behandlungsfehler nicht beweisen können. Überdies habe sie auch nicht nachweisen können, dass ihre gesundheitlichen Schäden auf Vorgänge während der Geburt zurückzuführen seien. Beweiserleichterungen kämen ihr nicht zugute. Eine gegen den Zurückweisungsbeschluss gerichtete Anhörungsrüge der Beschwerdeführerin blieb ohne Erfolg.
Mit ihrer rechtzeitig eingegangenen Verfassungsbeschwerde rügt die Beschwerdeführerin die Verletzung von Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3, Art. 3 Abs. 1 und Art. 103 Abs. 1 GG unmittelbar durch die angegriffenen Entscheidungen sowie mittelbar durch § 522 Abs. 3 ZPO in Verbindung mit § 522 Abs. 2 ZPO. Im Anschluss an einen kürzlich erschienenen Beitrag in der Literatur (Krüger, NJW 2008, S. 945) macht die Beschwerdeführerin vornehmlich geltend, die genannten zivilprozessualen Vorschriften seien verfassungswidrig, weil sie hinsichtlich der Anfechtbarkeit der Entscheidung über die Berufung in sachlich nicht zu rechtfertigender Weise zwischen einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss und einer solchen durch Urteil differenzierten. Jedenfalls zwängen die Besonderheiten eines Arzthaftungsprozesses dazu, von einer Berufungszurückweisung durch Beschluss Abstand zu nehmen.
II.
Die Annahmevoraussetzungen des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Die Verfassungsbeschwerde, der grundsätzliche verfassungsrechtliche Bedeutung nicht zukommt, hat keine Aussicht auf Erfolg. Weder die Regelung des § 522 Abs. 2 und 3 ZPO noch deren Auslegung und Anwendung durch die Fachgerichte unterliegen mit Blick auf die von der Beschwerdeführerin als verletzt gerügten Grundrechte verfassungsrechtlichen Bedenken.
1. Es verstößt entgegen zum Teil anders lautender Stimmen in der Literatur (vgl. Lindner, ZIP 2003, S. 192; Krüger, NJW 2008, S. 945; siehe auch Münch-KommZPO/Rimmelspacher, ZPO, 3. Aufl., § 522 Rn. 35; zweifelnd Meyer-Seitz, in: Hannich/Meyer-Seitz, ZPO – Reform 2002, § 522 Rn. 16) nicht gegen das aus Art. 3 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG folgende Gebot der Rechtsschutzgleichheit, dass die Zurückweisung einer Berufung durch Beschluss gemäß § 522 Abs. 3 ZPO unanfechtbar ist, hingegen ein die Revision nicht zulassendes Urteil im Fall einer über 20.000 € hinausgehenden Beschwer (vgl. § 26 Nr. 8 EGZPO) im Wege einer erfolgreichen Nichtzulassungsbeschwerde angegriffen werden kann.
Wie bereits die 1. Kammer des Ersten Senats in ihrem Beschluss vom 18. Juni 2008 – 1 BvR 1336/08 – (zur Veröffentlichung vorgesehen in BVerfGK) ausgeführt hat, ist die in § 522 Abs. 2 ZPO vorgesehene Abgrenzung, die für die Zurückweisung einer Berufung durch einen unanfechtbaren Beschluss neben der fehlenden Erfolgsaussicht des Rechtsmittels (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 ZPO) und dem Fehlen eines Bedürfnisses für revisionsrechtliche Klärung (§ 522 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 und 3 ZPO) die Einstimmigkeit des Spruchkörpers verlangt, in den Grenzen des Willkürverbotes sachgerecht und genügt damit den sich aus dem Gleichheitssatz ergebenden Anforderungen an die Ausgestaltung des Instanzenzuges (siehe auch schon Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 13. März 2007 – 1 BvR 1377/04 –, NJW-RR 2007, S. 1194 ≪1195≫). Dadurch, dass sowohl die erste Instanz als auch einstimmig das Berufungsgericht in seiner Besetzung mit drei Richtern das angegriffene Urteil im Ergebnis für richtig erachten, ist nach der nahe liegenden, jedenfalls aber nicht sachwidrigen Einschätzung des Gesetzgebers hinreichend gewährleistet, dass der Rechtsstreit zutreffend entschieden worden ist (vgl. BTDrucks 14/4722, S. 97).
Eine gegen das Willkürverbot verstoßende sachwidrige Ungleichbehandlung liegt auch nicht im Blick auf den Vergleich mit einer Zurückweisung der Berufung durch Urteil vor, wenn diese nicht durch den Einzelrichter, sondern einstimmig durch den Spruchkörper erfolgt, die Revision nicht zugelassen wird und überdies eine Beschwer von 20.000 € überschritten ist, die Nichtzulassungsbeschwerde also statthaft ist. Maßgebliches Differenzierungsmerkmal ist in diesem Fall, dass im Beschlussverfahren nach § 522 Abs. 2 Satz 1 ZPO bereits nach Eingang der Berufungsbegründung, spätestens aber nach Vorliegen der Berufungserwiderung und gegebenenfalls einer Replik innerhalb des Spruchkörpers Einvernehmen über die fehlende Erfolgsaussicht des Rechtsmittels und das Fehlen eines Bedürfnisses für revisionsgerichtliche Klärung herrschen muss, dies hingegen bei dem einstimmig gefassten Urteil entsprechenden Inhaltes regelmäßig erst nach Durchführung einer mündlichen Verhandlung der Fall ist (siehe auch BVerfG, Beschluss der 1. Kammer des Ersten Senats vom 18. Juni 2008 – 1 BvR 1336/08 –, zur Veröffentlichung vorgesehen in BVerfGK).
Die Differenzierung ist damit nicht nur an dem Ziel einer erhöhten Richtigkeitsgewähr der einstimmig im Berufungsspruchkörper getroffenen Entscheidung ausgerichtet, die das erstinstanzliche Urteil im Ergebnis bestätigt; sie dient darüber hinaus der Verfahrensbeschleunigung im Interesse der in erster Instanz erfolgreichen, berufungsbeklagten Partei und der effektiven Nutzung justizieller Ressourcen. Das berechtigte Interesse des Berufungsbeklagten an einer möglichst baldigen rechtskräftigen Entscheidung war dem Gesetzgeber ein wesentliches Anliegen bei der Neukonzeption des Berufungsrechts (BTDrucks 14/4722, S. 61 f. und S. 64). Es war eines seiner erklärten Ziele, für die in der ersten Instanz unterlegene Partei den Anreiz zu mindern, durch die Einlegung der Berufung ausschließlich Zeit zu gewinnen und die Vollstreckung des titulierten Anspruchs hinauszuzögern. Hierdurch sollte die Zahl der aus solchen Erwägungen eingelegten Rechtsmittel verringert werden (BTDrucks 14/4722, S. 64). Auch unter diesen Gesichtspunkten erweist sich die in Rede stehende Regelung nicht als sachwidrig.
2. Entgegen der Ansicht der Beschwerdeführerin zwingen die Besonderheiten eines Arzthaftungsprozesses von Verfassungs wegen nicht dazu, von einer Zurückweisung der Berufung durch Beschluss Abstand zu nehmen. Für eine solche Einschränkung des Anwendungsbereichs der verfassungsgemäßen Vorschrift bieten schon Wortlaut und Gesetzesbegründung keinen Ansatzpunkt. Auch kann nicht allgemein von einer Ungleichgewichtslage zwischen den Parteien eines Arzthaftungsprozesses ausgegangen werden, bei der der Grundsatz der “Waffengleichheit” als Ausprägung der Rechtsstaatlichkeit und des allgemeinen Gleichheitssatzes im Zivilprozess (vgl. BVerfGE 52, 131 ≪165≫) die Anwendung des Beschlussverfahrens nach § 522 Abs. 2 ZPO generell ausschlösse. Dieser spezifischen Prozesssituation begegnen die Fachgerichte mit den Mitteln des einfachen Rechts auf andere Weise, namentlich im Blick auf die Verteilung von Darlegungs- und Beweislast (vgl. dazu nur Zöller/Greger, ZPO, 26. Aufl., vor § 284 Rn. 20a mit weiteren Nachweisen aus der Rechtsprechung der Fachgerichte).
Von einer weiteren Begründung wird nach § 93d Abs. 1 Satz 3 BVerfGG abgesehen.
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Unterschriften
Papier, Bryde, Schluckebier
Fundstellen
Haufe-Index 2067431 |
NJW 2009, 137 |
MDR 2008, 1411 |
GesR 2008, 634 |