Entscheidungsstichwort (Thema)
Nichtannahmebeschluss: Erfolglose Verfassungsbeschwerden gegen das vereinsrechtliche Verbot von "linksunten.indymedia". Unzulässigkeit ua mangels hinreichender Darlegung einer Verletzung der Rechtsschutzgarantie sowie der Selbstbelastungsfreiheit
Normenkette
GG Art. 1 Abs. 1, Art. 2 Abs. 1, Art. 9 Abs. 3; BVerfGG § 23 Abs. 1 S. 2, § 92; StGB § 129 Abs. 1 S. 1; VereinsG § 3 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
Tenor
Die Verfassungsbeschwerden werden nicht zur Entscheidung angenommen.
Gründe
I.
Rz. 1
Die Verfassungsbeschwerden richten sich gegen das vereinsrechtliche Verbot von "linksunten.indymedia" und die dieses Verbot bestätigenden Gerichtsentscheidungen.
Rz. 2
1. Das Bundesministerium des Innern (BMI) verbot "linksunten.indymedia" auf der Grundlage von Art. 9 Abs. 2 GG und § 3 des Gesetzes zur Regelung des öffentlichen Vereinsrechts (Vereinsgesetz, nachfolgend VereinsG) mit Verfügung vom 14. August 2017. Es stützte sich darauf, dass "linksunten.indymedia" ein Verein sei, der nach Zweck und Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufe und sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung richte. Das Ministerium beschied die Auflösung des Vereins, verbot seine Internetpräsenzen sowie die Verwendung seiner Kennzeichen. Das Vermögen des Vereins und eingeschränkt auch Forderungen und Sachen Dritter wurden beschlagnahmt und zugunsten des Bundes eingezogen. Die Verbotsverfügung wurde den Beschwerdeführenden persönlich übergeben. Sie wies drei Beschwerdeführende als "Mitglieder" des Vereins aus. Gegen sie leitete die Staatsanwaltschaft wegen des Verdachts der Bildung einer kriminellen Vereinigung gemäß § 129 Strafgesetzbuch (StGB) ein Ermittlungsverfahren ein. Dieses wurde aufgrund der beim Bundesverwaltungsgericht anhängigen Klagen der Beschwerdeführenden gegen das Vereinsverbot gemäß § 154d Strafprozessordnung (StPO) vorläufig eingestellt.
Rz. 3
2. Das Bundesverwaltungsgericht wies die Klagen der Beschwerdeführenden gegen die Verbotsverfügung jeweils mit Urteilen vom 29. Januar 2020 ab. In diesen Verfahren wollten die Beschwerdeführenden ausdrücklich nicht als Vertreter und im Namen von "linksunten.indymedia" auftreten, denn dies sei kein Verein, sondern ein Nachrichtenportal, das nicht dem Vereinsrecht, sondern dem Telemedienrecht unterfalle. Zudem müssten sie sich nicht selbst belasten.
Rz. 4
a) Das Bundesverwaltungsgericht bejahte ihre Klagebefugnis nur im Umfang der durch Art. 2 Abs. 1 GG geschützten Betätigungsfreiheit, nicht aber darüber hinaus.
Rz. 5
Das Vereinsverbot sei in diesen Verfahren nicht am Maßstab des Art. 9 Abs. 2 GG zu überprüfen; das könne nur die Vereinigung erreichen. Es liege nicht in der Hand der Verbotsbehörde, insoweit ein Klagerecht zu verleihen, indem es Personen die Verbotsverfügung aushändige oder sie in der Verbotsverfügung als Mitglieder des verbotenen Vereins behandele. Die Verbotsverfügung betreffe nicht die Rechtsstellung natürlicher Personen, sondern nur die Rechtsstellung der verbotenen Vereinigung als einer Personengesamtheit; nur an sie richte sich das Verbot. Einzelne Mitglieder oder sonstige interessierte Personen könnten nicht ersatzweise eine umfassende gerichtliche Kontrolle herbeiführen. Daher sei der Umfang der gerichtlichen Kontrolle in einem von ihnen angestrengten Verfahren beschränkt.
Rz. 6
Die Beschwerdeführenden könnten sich auch nicht auf eine Verletzung von Art. 5 Abs. 1 GG stützen. Das Recht auf freie Meinungsäußerung sei durch das Vereinsverbot nicht berührt. Dieses sei nicht am Grundrecht der Informationsfreiheit, sondern gegebenenfalls an der Presse- und Medienfreiheit des Vereins zu messen. Aus Art. 5 Abs. 1 GG ergebe sich im Übrigen kein Anspruch auf Fortbestand einer ehemals allgemein zugänglichen Quelle.
Rz. 7
b) Der Umfang der verwaltungsgerichtlichen Kontrolle sei folglich auf die individuelle Betätigungsfreiheit aus Art. 2 Abs. 1 GG beschränkt. Zwar hätten die Beschwerdeführenden nicht erklärt, Mitglieder von "linksunten.indymedia" zu sein, doch sei ihre Zugehörigkeit erkennbar. Entscheidend sei daher, ob ihnen durch die Auflösung von "linksunten.indymedia" zu Recht die Möglichkeit entzogen worden sei, sich in diesem Personenzusammenschluss wie bisher zu betätigen. Dazu werde nur geprüft, ob ein Verein im Sinne des Gesetzes vorliege und das Vereinsgesetz anwendbar sei. Eine umfassende Prüfung der materiellen Verbotsgründe des Vereins erfolge nicht.
Rz. 8
Eine Erweiterung des gerichtlichen Kontrollumfangs sei auch nicht geboten. Dazu zwinge weder, dass sich die Beschwerdeführenden nun gehindert sähen, eine vergleichbare Plattform zu betreiben. Noch sei der Kontrollumfang zu erweitern, weil sie die von dem verbotenen Verein zur Verfügung gestellte Informations- und Kommunikationsstruktur nicht mehr nutzen könnten. Desgleichen könnten sie nicht auf eine Überprüfung des Vereinsverbots klagen, weil sie von Maßnahmen im vereinsrechtlichen Ermittlungsverfahren oder der Durchsetzung des Vereinsverbotes betroffen gewesen seien oder eine Stigmatisierung als Mitglied einer verbotenen Vereinigung befürchteten. Aus dem verwaltungsgerichtlichen Verfahren ergebe sich für die Frage, welche Personen Vereinsmitglieder waren, keine Bindungswirkung in straf- oder zivilgerichtlichen Verfahren. Angaben dazu seien auch keine staatlich erzwungene Auskunft. Es gehe um die Vertretung der verbotenen Vereinigung und damit um deren Innenverhältnis. Strebe der Verein eine gerichtliche Klärung an, so entscheide er dies autonom; es gebe dazu keine Auskunftspflicht. Klandestine Strukturen schütze das Prozessrecht jedoch nicht. Daher müssten die umfassenden Rechtsschutzmöglichkeiten, die die verbotene Vereinigung habe, nicht auch den Beschwerdeführenden eröffnet werden. Art. 19 Abs. 4 GG gebiete hier kein Klagerecht Dritter, denn es liege keine Rechtsschutzlücke vor.
Rz. 9
c) Die Verbotsverfügung sei, soweit die gerichtliche Kontrolle hier reiche, rechtmäßig. Das zuständige Ministerium habe auf der Rechtsgrundlage des § 3 Abs. 1 VereinsG tätig werden dürfen. Die Gesetzgebungskompetenz der Länder für das Medienrecht komme nicht zum Tragen. Gegenstand des Verbots sei nicht das von "linksunten.indymedia" betriebene Portal, sondern der dahinter stehende Personenzusammenschluss. Dieser sei ausweislich der dem Fall angemessenen Ermittlungen ein Verein im Sinne des § 2 Abs. 1 VereinsG. Höchstrichterlich sei geklärt, dass Vereine auch Organisationen sein könnten, deren Zweck in der Verbreitung von Nachrichten und Meinungsbeiträgen bestehe. Dass sich ein solcher Verein dann auch auf die in Art. 5 Abs. 1 GG verbürgten Rechte berufen könne, stehe der Anwendbarkeit des Vereinsgesetzes nicht entgegen. Dem Schutz durch Art. 5 Abs. 1 GG sei nicht auf der Ebene der Anwendbarkeit der vereinsrechtlichen Verbotsnorm, sondern bei der Prüfung der Verbotsgründe des Art. 9 Abs. 2 GG Rechnung zu tragen.
Rz. 10
3. Die Verfassungsbeschwerden rügen im Wesentlichen eine Verletzung der allgemeinen Handlungsfreiheit (Art. 2 Abs. 1 GG), der Pressefreiheit (Art. 5 Abs. 1 GG), der Vereinigungsfreiheit (Art. 9 Abs. 1 GG) und hilfsweise der Rechtsschutzgarantie (Art. 19 Abs. 4 GG).
II.
Rz. 11
Die Kammer nimmt die Verfassungsbeschwerden nicht zur Entscheidung an. Annahmegründe im Sinne des § 93a Abs. 2 BVerfGG liegen nicht vor. Sie haben keine Aussicht auf Erfolg. Entgegen den Anforderungen aus § 23 Abs. 1 Satz 2, § 92 BVerfGG an die Begründung einer Verfassungsbeschwerde zeigen sie nicht hinreichend substantiiert auf, dass die Möglichkeit besteht, durch die angegriffenen gerichtlichen Entscheidungen in Grundrechten oder grundrechtsgleichen Rechten verletzt zu sein (vgl. BVerfGE 140, 229 ≪232 Rn. 9≫; 151, 67 ≪84 f. Rn. 49≫; 159, 223 ≪270 Rn. 89≫ jeweils m.w.N.).
Rz. 12
1. Die Verfassungsbeschwerden zeigen nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht bei der Auslegung und Anwendung des Fachrechts Verfassungsrecht verkannt haben könnte. Verfassungsrecht wird von den Gerichten nicht schon dann verletzt, wenn eine Entscheidung am einfachen Recht gemessen objektiv fehlerhaft ist (vgl. BVerfGE 1, 418 ≪420≫; 18, 85 ≪92 f.≫; 113, 88 ≪103≫; 128, 193 ≪209≫). Vielmehr muss aufgezeigt werden, dass eine spezifische Verletzung von Verfassungsrecht möglich erscheint (stRspr; vgl. BVerfGE 18, 85 ≪92 f.≫), weil sich die Auslegung und Anwendung des einfachen Rechts in krassem Widerspruch zu den zur Anwendung gebrachten Normen befindet oder Rechtspositionen verkürzt, die der Gesetzgeber unter Konkretisierung allgemeiner verfassungsrechtlicher Prinzipien gewährt hat (vgl. BVerfGE 49, 304 ≪320≫; 69, 315 ≪372≫; 71, 354 ≪362 f.≫; 113, 88 ≪103≫; 128, 193 ≪209≫), oder weil das Gericht willkürlich entschieden hat, indem es eine einschlägige Norm nicht berücksichtigt oder den Inhalt der Norm oder sonst rechtsstaatliche Grundsätze krass verkennt (vgl. BVerfGE 89, 1 ≪13 f.≫; 90, 22 ≪25≫; 96, 189 ≪203≫). Hier stützen die Beschwerdeführenden ihre Rügen jedoch im Wesentlichen darauf, dass nicht das Bundesverwaltungsgericht, sondern die Verbotsverfügung ihre Grundrechte verletze. Eine mögliche Grundrechtsverletzung gerade durch die gerichtlichen Entscheidungen wird damit nicht substantiiert. Insbesondere die Einschätzung des Bundesverwaltungsgerichts, das Grundrecht aus Art. 9 Abs. 1 GG gestatte dem einzelnen Mitglied nicht, die Verbotsverfügung in eigenem Namen anzugreifen, wird nicht substantiiert angegriffen (vgl. kritisch zur Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts Jarass, in: Jarass/Pieroth, GG, 17. Auflage 2022, Art. 9 Rn. 12; Höfling, in: Sachs, GG, 9. Auflage, Art. 9 Rn. 36; s.a. BVerfGE 80, 244 ≪253≫).
Rz. 13
2. Die Verfassungsbeschwerden zeigen auch nicht auf, dass das Bundesverwaltungsgericht den Anspruch der Beschwerdeführenden auf effektiven Rechtsschutz oder ihr allgemeines Persönlichkeitsrecht im Sinne der Selbstbelastungsfreiheit verletzt haben könnte. Sie legen nicht dar, inwiefern das Bundesverwaltungsgericht mit der Auslegung und Anwendung des Prozessrechts verfassungsrechtliche Gewährleistungen krass verkannt hätte, indem es den Umfang der gerichtlichen Kontrolle darauf beschränkt hat, dass sie als Einzelpersonen nur eigene Rechte geltend machen können, nicht aber Rechte des Vereins.
Rz. 14
Insbesondere ist nicht erkennbar, inwiefern der Grundsatz der Selbstbelastungsfreiheit verletzt sein könnte. Die Selbstbelastungsfreiheit ist Teil des allgemeinen Persönlichkeitsrechts, das mit Art. 2 Abs. 1 in Verbindung mit Art. 1 Abs. 1 GG grundrechtlich geschützt ist (vgl. BVerfGE 38, 105 ≪113 f.≫; 133, 168 ≪201 Rn. 60≫ m.w.N.); sie vermittelt Schutz vor staatlich erzwungener Selbstbezichtigung. Eine solche liegt insbesondere vor, wenn Einzelne gezwungen werden, sich selbst der Gefahr der Strafverfolgung auszusetzen (vgl. BVerfGE 56, 37 ≪48 ff.≫). Dafür ergeben sich aus den Verfassungsbeschwerden keine Anhaltspunkte.
Rz. 15
Die Beschwerdeführenden tragen vor, dass ihnen eine Klageerhebung im Namen der verbotenen Vereinigung unzumutbar sei, weil sie dann strafrechtlich belangt werden könnten. Das bleibt zu allgemein. Gegen drei Beschwerdeführende hatte die Staatsanwaltschaft bereits Ermittlungsverfahren wegen Bildung einer kriminellen Vereinigung nach § 129 StGB eingeleitet. Die Annahme, dass weitere Angaben zu Handlungen in oder für die Vereinigung im verwaltungsgerichtlichen Verfahren die Strafverfolgungsgefahr erhöhen würden, liegt daher zwar für sie wie auch für diejenigen Beschwerdeführenden, die keine Angaben zu etwaigen Strafverfahren gemacht haben, nicht ganz fern. Doch fließen Einlassungen im Verwaltungsprozess nicht ungefiltert in die Strafverfolgung ein. Das Bundesverwaltungsgericht führt selbst aus, dass der Verbotsbescheid für die Frage, welche Personen Vereinsmitglieder waren, keine Bindungswirkung in straf- oder zivilgerichtlichen Verfahren entfalte. Grundsätzlich gilt, dass Tat und Schuld im Strafverfahren prozessordnungsgemäß eigenständig nachgewiesen werden müssen (vgl. BVerfGE 133, 168 ≪197 ff. Rn. 53 ff.≫). Ob Einlassungen zur Klagebefugnis im verwaltungsgerichtlichen Verfahren dennoch eine Strafverfolgungsgefahr begründen oder erhöhen, wäre daher näher zu begründen. Desgleichen wäre näher zu begründen, inwiefern eine Zwangslage vorliegen soll, in welcher der Selbstbezichtigungsgrundsatz greift, obwohl verwaltungsgerichtlicher Rechtsschutz eröffnet ist, wenn auch mit einem anderen Kontrollumfang. Schließlich fehlt eine substantiierte Auseinandersetzung mit der Frage, ob die hier vom Bundesverwaltungsgericht gestellten Anforderungen an die Darlegung der Klagebefugnis auch deshalb nicht zu beanstanden seien, weil für eine damit verbundene notwendige Selbstbezichtigung ein strafprozessuales Verwertungsverbot in Betracht kommen könnte (vgl. BVerfGE 56, 37 ≪48 ff.≫).
Rz. 16
Aus dem Vorbringen der Verfassungsbeschwerden ergibt sich daher nicht, dass die Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, den Umfang der gerichtlichen Kontrolle auf individuelle Rechte zu beschränken, wenn Personen ausdrücklich nicht für eine Vereinigung auftreten wollen, mit verfassungsrechtlichen Anforderungen nicht vereinbar wäre. Über die Frage, welche Grundrechte diejenigen schützen, die ein wie hier organisiertes Internetportal betreiben, ist damit nicht zu entscheiden.
Rz. 17
Diese Entscheidung ist unanfechtbar.
Fundstellen
Dokument-Index HI15615917 |