Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 18.03.2014; Aktenzeichen 10 LB 91/13) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 18. März 2014 wird verworfen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beteiligten streiten darüber, ob der Klägerin, einer Ratsfraktion, Akteneinsicht in bestimmte Verwaltungsvorgänge der Stadt mit der Begründung verwehrt werden kann, sie habe kein konkretes Kontrollinteresse dargelegt. Die Klage vor dem Verwaltungsgericht war erfolgreich. Auf die Berufung des Beklagten hat das Oberverwaltungsgericht das Urteil des Verwaltungsgerichts geändert und die Klage abgewiesen. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Klägerin mit ihrer Beschwerde.
Die auf sämtliche Zulassungsgründe des § 132 Abs. 2 VwGO gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig. Mit der Beschwerde werden weder die geltend gemachten Verfahrensmängel hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), noch sind die Zulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung und der Divergenz fristgerecht geltend gemacht (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO).
Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO muss in der Beschwerdebegründung der Verfahrensmangel bezeichnet werden. Für die Bezeichnung eines Verfahrensmangels ist ein substantiierter Tatsachen- und Rechtsvortrag notwendig (Beschluss vom 10. November 1992 – BVerwG 3 B 52.92 – Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Der verletzte prozessuale Rechtssatz muss dargelegt werden. Die verletzte Rechtsnorm sollte dabei genau genannt werden. Über die Bezeichnung des Verfahrensmangels hinaus muss die Beschwerde darlegen, dass und aus welchen Gründen die angegriffene Entscheidung auf dem bezeichneten Verfahrensfehler beruhen kann (Beschluss vom 3. November 1971 – BVerwG 1 B 68.71 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 84). Es muss ersichtlich werden, dass die angegriffene Entscheidung bei Vermeidung des Verfahrensfehlers möglicherweise anders ausgefallen wäre.
Wird eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) geltend gemacht, muss die Beschwerdebegründung darlegen, worin dieser konkret bestehen soll. Der Anspruch auf rechtliches Gehör verpflichtet das Gericht, die Ausführungen der Beteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen, soweit sie entscheidungserheblich sind (BVerfG, Beschluss vom 17. November 1992 – 1 BvR 168/89 u.a. – BVerfGE 87, 363 ≪392 f.≫). Eine Verletzung des Anspruchs auf rechtliches Gehör ist nur dann dargetan, wenn sich im Einzelfall klar ergibt, dass das Gericht dieser Pflicht nicht nachgekommen ist. Denn grundsätzlich ist davon auszugehen, dass die Gerichte das Beteiligtenvorbringen zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen haben. Dazu muss das Gericht nicht auf sämtliches Tatsachenvorbringen und alle Rechtsauffassungen eingehen. Nur der wesentliche Kern des Vorbringens eines Beteiligten, der nach der materiell-rechtlichen Auffassung des Gerichts von Bedeutung für den Ausgang des Verfahrens ist, muss in den Gründen der Entscheidung behandelt werden (Urteil vom 20. November 1995 – BVerwG 4 C 10.95 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 267). Ein Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG ist deshalb nur dann gegeben, wenn auf den Einzelfall bezogene Umstände deutlich ergeben, dass das Vorbringen eines Beteiligten entweder überhaupt nicht zur Kenntnis genommen oder doch bei der Entscheidung ersichtlich nicht erwogen worden ist (BVerfG, Beschluss vom 19. Mai 1992 – 1 BvR 986/91 – BVerfGE 86, 133 ≪146≫). Solche Umstände sind vorliegend weder ersichtlich noch ist erkennbar, dass die Entscheidung des Oberverwaltungsgerichts bei Vermeidung der geltend gemachten Verfahrensfehler möglicherweise anders ausgefallen wäre.
Die Beschwerde bemängelt, dass der Beklagte § 58 Abs. 4 Satz 3 des Niedersächsischen Kommunalverfassungsgesetzes – NKomVG – nicht verfassungskonform deute und ihre Gesetzesauslegung damit Grundlage einer Willkürverwaltung werde. Das Oberverwaltungsgericht habe dem Vorbringen des Verwaltungsgerichts bezüglich der Verfassungswidrigkeit dieser Gesetzesauslegung kein Gehör geschenkt. Nach Auffassung des Verwaltungsgerichts genüge eine Gesetzesauslegung, die das Akteneinsichtsrecht der Klägerin gemäß § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG von einer „Zweckdienlichkeitsprüfung” abhängig mache, nicht dem rechtsstaatlichen Anspruch an Bestimmtheit und Nachvollziehbarkeit und widerspreche fundamentalen Prinzipien der verfassungsrechtlichen Ordnung. Durch diese Gesetzesauslegung werde auch das zweite Grundprinzip der Rechtsstaatlichkeit unterminiert, nämlich die Umkehr des „auf einfachgesetzlicher Ebene gewollten Verhältnisses zwischen Überwachtem und Überwachenden”. Bereits mit Schreiben vom 27. Februar 2014 habe die Klägerin darauf hingewiesen, dass allein schon das Grundgesetz der gewählten Vertretung zur Pflicht mache, die normativen Ansprüche der Verfassung zu erfüllen (Sozialstaat, Rechtsstaat, wirtschaftliches und finanzielles Wohlergehen, Erhaltung der Lebensgrundlagen, Gleichheitssatz, usw.).
Auch wenn das Oberverwaltungsgericht in seinen Entscheidungsgründen die Argumentation des Verwaltungsgerichts zur verfassungskonformen Gesetzesauslegung des § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG nicht übernommen und das Argument der Klägerin aus dem Schriftsatz vom 27. Februar 2014 nicht aufgegriffen hat, ist nicht davon auszugehen, dass das Oberverwaltungsgericht diesen Beteiligtenvortrag nicht zur Kenntnis genommen hat. Die Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts zur verfassungsgemäßen Auslegung von § 58 Abs. 4 Satz 3 NKomVG war für den Beklagten der zentrale Angriffspunkt im Berufungsverfahren. Hierauf hat das Oberverwaltungsgericht im Tatbestand seiner Entscheidung ausdrücklich hingewiesen. Entgegen der Auffassung des Verwaltungsgerichts und der Klägerin hat das Berufungsgericht jedoch den Schwerpunkt seiner Entscheidung nicht im Verfassungsrecht gesehen, sondern in gesetzessystematischen und gesetzesentstehungsgeschichtlichen Fragen, und hat dies ausführlich begründet. In Wirklichkeit kritisiert die Klägerin mithilfe der Verfahrensrüge die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Berufungsgerichts. Das ist nicht zulässig. Für Angriffe gegen die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Gerichts sieht die Verfahrensordnung die Revisionszulassungsgründe gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO vor. Auf diese Zulassungsgründe hat sich die Klägerin innerhalb der gesetzlichen Rechtsmittelbegründungsfrist nicht berufen. Nach Fristablauf ist ein „Nachschieben” von Gründen nicht mehr möglich (§ 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO). Im Übrigen hat die Klägerin diese Revisionszulassungsgründe auch nachträglich nicht substantiiert dargelegt. Sie hat weder eine klärungsbedürftige Frage des Bundesrechts bezeichnet (§ 132 Abs. 2 Nr. 1, § 137 Abs. 1 Nr. 1 VwGO), noch die erhobene Divergenzrüge im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2, § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) ausreichend dargelegt. Der pauschale Hinweis auf das Sozialstaats- und Rechtsstaatsprinzip, wirtschaftliches und finanzielles Wohlergehen, die Erhaltung der Lebensgrundlagen, den Gleichheitssatz sowie „der Vorwurf eines Verstoßes gegen Grundsätze der Verfassung ist eine Divergenzrüge” genügen dafür nicht.
Entgegen der Auffassung der Beschwerde musste sich das Oberverwaltungsgericht in seiner Entscheidung weder mit philosophischen Überlegungen zum „Pflichtenbegriff” im Allgemeinen noch im Speziellen auseinandersetzen. Hierauf kam es nach seiner maßgeblichen materiell-rechtlichen Rechtsauffassung ebenso wenig an wie auf die Rolle der Klägerin als Opposition und den Hinweis der Klägerin im Schriftsatz vom 14. März 2013, dass es „weltfremd” und „abwegig” sei, anzunehmen, eine Kontrolle der Verwaltung durch Akteneinsicht sei nur „simuliert”. Der Grundsatz der Gewährung rechtlichen Gehörs gebietet nicht, sich mit jedem Vorbringen der Beteiligten auseinanderzusetzen, das nach Auffassung des Gerichts nicht entscheidungserheblich ist.
Soweit die Klägerin geltend macht, das Oberverwaltungsgericht hätte schon aus Gründen zwingender Denkgesetze von seiner Rechtsauffassung Abstand nehmen müssen, wenn es die Ausführungen der Klägerin zum Pflicht- und Normbegriff zur Kenntnis genommen hätte, wendet sie sich wiederum gegen die materiell-rechtliche Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts, die verfahrensrechtlich nicht angreifbar ist. Von einer Verletzung der Denkgesetze durch unrichtige Schlussfolgerung kann nur dann gesprochen werden, wenn nur eine einzige Folgerung möglich und jede andere aus denkgesetzlichen Gründen schlechterdings ausgeschlossen ist und wenn das Gericht in diesem Sinne allein denkbare Folgerung nicht gezogen hat. Solche Mängel zeigt die Beschwerde mit ihrer pauschalen Behauptung nicht auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung folgt aus § 47 Abs. 1, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Dr. h.c. Rennert, Dr. Deiseroth, Dr. Hauser
Fundstellen
Haufe-Index 7367187 |
FuNds 2015, 8 |