Entscheidungsstichwort (Thema)
Erhaltungssatzung. Freihaltung von Flächen als Schutzzweck einer Erhaltungssatzung. Verhältnis von § 172 BauGB zu den §§ 30 ff. BauGB
Leitsatz (amtlich)
§ 172 Abs. 3 Satz 2 BauGB enthält einen selbständigen materiellen Versagungsgrund für die Errichtung einer baulichen Anlage. Durch eine Erhaltungssatzung (-verordnung) kann die Errichtung eines nach § 34 Abs. 1 BauGB zulässigen Gebäudes verhindert werden.
Normenkette
BauGB § 34 Abs. 1, § 172 Abs. 1 Sätze 1-2, Abs. 3 S. 2
Verfahrensgang
Hamburgisches OVG (Urteil vom 11.04.2002; Aktenzeichen 2 Bf 625/98) |
VG Hamburg (Entscheidung vom 19.08.1998; Aktenzeichen 3 VG 5347/97) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Hamburgischen Oberverwaltungsgerichts vom 11. April 2002 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens als Gesamtschuldner.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 30 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Kläger sind Eigentümer des 2 150 m(2) großen, mit einem villenartigen Wohnhaus bebauten Grundstücks W.straße 31 in Hamburg-Winterhude. Sie erstreben die Erteilung eines Bauvorbescheides für die Errichtung eines Mehrfamilienhauses nebst Tiefgarage im rückwärtigen Teil des Grundstücks. Das Berufungsgericht hat die versagende behördliche Entscheidung mit der Begründung bestätigt, das Vorhaben sei mit der auf § 172 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 BauGB gestützten Verordnung über die Erhaltung baulicher Anlagen in Winterhude und Uhlenhorst vom 10. Mai 1995 nicht vereinbar. Ob sich das Vorhaben nach § 34 Abs. 1 Satz 1 BauGB in die Umgebung einfüge bzw. das Ortsbild nach § 34 Abs. 1 Satz 2 BauGB nicht beeinträchtige, könne offen bleiben, weil die Erhaltungsverordnung eine eventuelle Bebaubarkeit des Grundstücksteils nach § 34 BauGB überlagere. Mit ihrer Beschwerde wenden sich die Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision.
Entscheidungsgründe
II.
Die allein auf § 132 Abs. 2 Nr. 1 gestützte Beschwerde bleibt erfolglos.
Die Beschwerde hält es für eine klärungsbedürftige Frage von grundsätzlicher Bedeutung, ob eine Erhaltungssatzung/-verordnung gemäß § 172 Abs. 1 Satz 1 BauGB einem Baugrundstück (bzw. einer Grundstücksteilfläche, die von ihrer Belegenheit, ihrer Größe und ihrem Zuschnitt einem solchen gleichsteht) die nach den Festsetzungen eines einfachen Bebauungsplans in Verbindung mit § 34 Abs. 1 BauGB begründete planungsrechtliche Zulässigkeit insgesamt nehmen darf und ob eine solche der Erhaltungssatzung/-verordnung beigemessene Wirkung mit Art. 14 Abs. 1 GG vereinbar ist. Die Beantwortung dieser Frage erfordert kein Revisionsverfahren. Sie ist vielmehr auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung mit den Mitteln sachgerechter Auslegung anzuwendenden Rechts ohne weiteres im Sinne der Auffassung des Berufungsgerichts zu entscheiden. Nicht jede Frage, die bislang noch keine Antwort durch eine Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts gefunden hat, enthält gleichzeitig einen Zulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO (BVerwG, Beschluss vom 23. Dezember 1992 – BVerwG 4 B 188.92 – NVwZ 1993, 980 ≪981≫).
Die Erhaltungssatzung ist vom Gesetzgeber als ein eigenständiges, der Bewahrung der städtebaulichen Gestalt eines Gebietes dienendes Instrument konzipiert worden (BTDrucks 10/6166 S. 137). Während sie ursprünglich nur Gebiete bezeichnen durfte, in denen die Genehmigung für den Abbruch, den Umbau und die Änderung von baulichen Anlagen aus besonderen Gründen versagt werden durfte (§ 39h BBauG 1976), kann auf ihrer Grundlage nunmehr auch die Genehmigung zur Errichtung einer baulichen Anlage verweigert werden. § 172 Abs. 3 Satz 2 BauGB gestattet als insoweit einschlägige Rechtsgrundlage u.a. die Freihaltung von Flächen von jeglicher Bebauung (Stock, in: Ernst/Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 172, Rn. 169). Die Versagung der Genehmigung hat dann die Wirkung eines Bauverbots. Entgegen der Ansicht der Beschwerde darf es unabhängig davon verhängt werden, ob das Vorhaben nach den §§ 30 ff. BauGB genehmigungsfähig wäre; denn diese Vorschriften bleiben von § 172 BauGB unberührt (BTDrucks 10/4630 S. 140). Mit dem Institut der Erhaltungssatzung lässt sich mithin erreichen, dass eine Baugenehmigung für ein Vorhaben zu versagen oder nicht in Aussicht zu stellen ist, das zwar planungsrechtlich zulässig ist, jedoch als Fremdkörper den Zielen der Erhaltungssatzung widerstreiten würde (Krautzberger, in: Battis/Krautzberger/ Löhr, BauGB, 8. Aufl., § 172, Rn. 43; Neuhausen in: Brügelmann, BauGB, § 172 Rn. 83; Stüer, Handbuch des Bau- und Fachplanungsrechts, nur in der Auflage 1997 A Rn. 920, S. 358).
Ob dies auch im Fall eines dauerhaften Widerspruchs zwischen den Festsetzungen eines Bebauungsplans und den Regelungen der Erhaltungssatzung gilt (zweifelnd Bielenberg/Stock, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, BauGB, § 172, Rn. 142), bräuchte in einem Revisionsverfahren nicht geklärt zu werden, weil der für das Grundstück der Kläger geltende Baustufenplan Winterhude vom 14. Januar 1955 nach den bindenden und von der Beschwerde nicht angegriffenen Feststellungen des Berufungsgerichts keine Festsetzungen über die überbaubare Grundstücksfläche enthält. § 34 Abs. 1 BauGB vermag sich gegenüber einer Erhaltungssatzung allein jedenfalls nicht durchzusetzen, und zwar auch nicht in den Fällen krasser Unterschiede zwischen einer Zulässigkeit nach dieser Vorschrift und den auf Dauer wirkenden Erhaltungszielen (so aber wohl Bielenberg/Stock, in: Ernst/ Zinkahn/Bielenberg, a.a.O., § 172, Rn. 144). § 34 Abs. 1 BauGB erfüllt die Funktion eines Planersatzes (BVerwG, Urteil vom 11. Februar 1993 – BVerwG 4 C 15.92 – BRS 55 Nr. 174). Ist ein Vorhaben danach zulässig, kann es die Gemeinde nicht nur dadurch verhindern, dass sie einen Bebauungsplan aufstellt, der gegebenenfalls eine Entschädigungspflicht nach § 42 BauGB auslöst. Rechtlich möglich ist auch der Erlass einer Erhaltungssatzung mit der in § 173 Abs. 2 Satz 1 BauGB angeordneten Rechtsfolge, dass der Eigentümer unter den Voraussetzungen des § 40 Abs. 2 BauGB die Übernahme des Grundstücks verlangen kann. Ob sich die Gemeinde der Instrumente der Bauleitplanung und der Erhaltungssatzung je für sich oder gemeinsam bedient, beurteilt sich nach ihren jeweiligen städtebaulichen Zielsetzungen (vgl. BVerwG, Urteil vom 18. Mai 2001 – BVerwG 4 CN 4.00 – BVerwGE 114, 247 ≪257≫ = ZfBR 2001, 482 ≪485≫).
Weshalb Erhaltungssatzungen, welche die planungsrechtlich zulässige Bebaubarkeit eines Grundstücks überlagern, mit Art. 14 Abs. 1 GG nicht vereinbar sein sollen, zeigt die Beschwerde entgegen § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht auf.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 2 VwGO und die Streitwertentscheidung auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 1 GKG in Verbindung mit II. Nr. 7.1.2 und 7.2 des Streitwertkatalogs für die Verwaltungsgerichtsbarkeit (NVwZ 1996, 563).
Unterschriften
Paetow, Lemmel, Gatz
Fundstellen
BauR 2003, 511 |
DWW 2003, 132 |
ZAP 2003, 280 |
NuR 2003, 745 |
ZfBR 2003, 265 |
UPR 2003, 225 |
BRS-ID 2003, 1 |