Tenor
Die Sperrerklärung des beigeladenen Bundesministeriums des Innern vom 19. September 2013 ist rechtswidrig, soweit sie sich auf Blatt 8 bis 12, 14 bis 21 und 23 der Unterlagen bezieht.
Im Übrigen wird der Antrag abgelehnt.
Tatbestand
I
Rz. 1
Der Kläger, ein Journalist, begehrt mit dem diesem Zwischenverfahren zugrunde liegenden Hauptsacheverfahren auf der Grundlage von § 5 Abs. 1 i.V.m. Abs. 8 des Bundesarchivgesetzes (BArchG) Zugang zu weiteren Akten des Bundesamts für Verfassungsschutz zu Ulrike Meinhof.
Rz. 2
Nachdem das Bundesamt für Verfassungsschutz im Laufe des Hauptsacheverfahrens dem Kläger Einsicht in einen Großteil des einschlägigen Aktenbestandes gewährt hatte und das Verfahren insoweit übereinstimmend für erledigt erklärt worden war, forderte das Verwaltungsgericht Köln die Beklagte mit Beschluss vom 16. Januar 2013 auf, die noch streitigen Seiten aus dem Archivgut zu Ulrike Meinhof vorzulegen.
Rz. 3
Daraufhin gab der Beigeladene als oberste Aufsichtsbehörde unter dem 19. September 2013 eine Sperrerklärung bezüglich der angeforderten Unterlagen ab. Ihre Offenlegung würde zum einen wegen einer Beeinträchtigung der Arbeit der Sicherheitsbehörden dem Wohl des Bundes Nachteile bereiten. Zum anderen seien Unterlagen ihrem Wesen nach geheim zu halten, weil sie personenbezogene Daten enthielten. Vor diesem Hintergrund überwiege das öffentliche Interesse an der durch vollständige Schwärzung der betreffenden Akten zu gewährleistenden Geheimhaltung sowohl das öffentliche Interesse an der von Amts wegen gebotenen Sachverhaltsaufklärung als auch das private Interesse des Klägers an der Durchsetzung seines Auskunftsanspruchs.
Entscheidungsgründe
II
Rz. 4
Der zulässige Antrag ist zum Teil begründet. Die Weigerung, die streitigen Aktenteile vollständig und ungeschwärzt vorzulegen, ist rechtswidrig, soweit sie Blatt 8 bis 12, 14 bis 21 sowie Blatt 23 betrifft. Für diese Unterlagen kann der Fachsenat nicht feststellen, dass die insoweit geltend gemachten Weigerungsgründe ihre Vorlage vollständig ausschließen. Vielmehr hätte die Beklagte prüfen müssen, ob eine Schwärzung von Teilen dieser Unterlagen ausreicht, um einem berechtigten Geheimhaltungsinteresse Rechnung zu tragen. Im Übrigen ist die Weigerung, die angeforderten Aktenbestandteile vorzulegen, von Rechts wegen nicht zu beanstanden.
Rz. 5
1. Nach § 99 Abs. 1 Satz 1 VwGO sind Behörden zur Vorlage von Urkunden oder Akten und zu Auskünften an das Gericht verpflichtet. Wenn das Bekanntwerden des Inhalts dieser Urkunden, Akten und Auskünfte dem Wohl des Bundes oder eines deutschen Landes Nachteile bereiten würde oder wenn die Vorgänge nach einem Gesetz oder ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen, kann die zuständige oberste Aufsichtsbehörde die Vorlage der Urkunden oder Akten oder die Erteilung der Auskünfte verweigern (§ 99 Abs. 1 Satz 2 VwGO).
Rz. 6
a) Ein Nachteil für das Wohl des Bundes im Sinne von § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 1 VwGO ist unter anderem dann gegeben, wenn und soweit die Bekanntgabe des Akteninhalts die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden einschließlich deren Zusammenarbeit mit anderen Behörden erschweren würde. Die künftige Erfüllung der Aufgaben der Sicherheitsbehörden kann erschwert werden, wenn sich aus einer vollständigen Offenlegung von Unterlagen vor allem im Rahmen einer umfangreichen Zusammenschau Rückschlüsse auf die gegenwärtige Organisation der Sicherheitsbehörden, die Art und Weise ihrer Informationsbeschaffung, aktuelle Ermittlungsmethoden oder die praktizierten Methoden ihrer Zusammenarbeit mit anderen Stellen ableiten lassen (BVerwG, Beschlüsse vom 4. März 2010 – 20 F 3.09 – juris Rn. 6 und vom 27. Oktober 2014 – 20 F 6.14 – juris Rn. 7). Zu solchen Rückschlüssen grundsätzlich geeignet sind beispielsweise Vorgangsblätter, Aktenzeichen, Organisationskennzeichen und Arbeitstitel, Verfügungen und namentlich Hinweise auf Bearbeiter, Aktenvermerke, Arbeitsweise, Randbemerkungen und Querverweise sowie Hervorhebungen und Unterstreichungen.
Rz. 7
b) Bei Informationen, die den deutschen Sicherheitsbehörden aufgrund internationaler Zusammenarbeit von ausländischen Sicherheitsbehörden zur Verfügung gestellt worden sind, ist darüber hinaus zu berücksichtigen, dass ein Nachteil für das Wohl des Bundes auch gegeben sein kann, wenn und soweit mit der Bekanntgabe des Akteninhalts eine Beeinträchtigung der auswärtigen Beziehungen des Bundes verbunden wäre. Bezweckt wird damit zum einen der Schutz der auswärtigen Belange der Bundesrepublik; zum anderen sollen die Beziehungen zu anderen Staaten von Belastungen verschont und insbesondere das diplomatische Vertrauensverhältnis gewahrt bleiben. Ob hiernach die Geheimhaltung der Unterlagen geboten ist, unterliegt im Hinblick auf mögliche außenpolitische Folgen einer Beurteilungs- und Einschätzungsprärogative der Bundesregierung (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2013 – 20 F 13.12 – juris Rn. 11).
Rz. 8
c) Schließlich dürfen die Behörden, soweit sie zur Erfüllung ihrer öffentlichen Aufgaben auf Angaben Dritter angewiesen sind, zum Schutz des Informanten dessen Identität geheim halten. Als personenbezogene Daten zählen solche Angaben zugleich zu den Vorgängen, die nach § 99 Abs. 1 Satz 2 Alt. 3 VwGO ihrem Wesen nach geheim gehalten werden müssen; das grundrechtlich geschützte private Interesse an der Geheimhaltung erfasst dabei nicht nur personenbezogene Daten, die ohne weiteres zur Identifikation der Person führen, sondern auch Äußerungen und Angaben zur Sache können geheimhaltungsbedürftig sein, wenn die Mitteilungen Rückschlüsse auf die Person erlauben und in Abwägung mit den Interessen des Klägers ein berechtigtes Interesse an einer Geheimhaltung besteht.
Rz. 9
2. a) Bei Anlegung dieser rechtlichen Maßstäbe bestätigt die Durchsicht der im Original vorgelegten Unterlagen bezüglich eines Teils der streitigen Akteninhalte sowohl die in der Sperrerklärung dargelegten Weigerungsgründe als auch die hierauf bezogene Ermessensentscheidung. Insoweit ist in Bezug auf Blatt 1 und 2 nur festzuhalten, dass die materiell-rechtliche Bewertung des Informationssystems NADIS hier unbeachtlich ist. Im Übrigen ist auch gegen die Einschätzung des Beigeladenen, dass hier allein der Schutz personenbezogener Daten die Schwärzung rechtfertigt, von Rechts wegen nichts zu erinnern.
Rz. 10
b) Abweichendes gilt indessen zum einen für das Schriftgut zu einer Observationsmaßnahme im persönlichen Umfeld der damals zur Fahndung ausgeschriebenen Ulrike Meinhof (Blatt 14 bis 21). Eine vollständige Schwärzung aufgrund nachrichtendienstlicher Erfordernisse ist nicht gerechtfertigt. Zwar können auch hier wiederum Aktenzeichen, Verfügungen und Namen der Bediensteten geheim gehalten werden (Blatt 14, 15, 20, 21). Es ist aber weder nachvollziehbar dargetan noch sonst ersichtlich, dass der gesamte Bericht deswegen nicht offen gelegt werden dürfte, weil er schützenswerte Erkenntnisse über die Methodik der nachrichtendienstlichen Observation enthielte und somit bislang geheime Methoden der operativen Arbeit der Sicherheitsbehörden offenlegte. Vielmehr lässt der Bericht nur Rückschlüsse auf Vorgehensweisen zu, die sich jedem verständigen Leser aufdrängen. Kenntnisse solcher Arbeitsweisen des Bundesamts für Verfassungsschutz sind nicht geeignet, die Aufgabenerfüllung der Sicherheitsbehörden zu beeinträchtigen.
Rz. 11
Ebenso wenig ist ersichtlich, dass der Schutz von Daten der von der Observation betroffenen Personen die Schwärzung des gesamten Berichts zu rechtfertigen geeignet ist. Die vom Beigeladenen insoweit angestellten Ermessenserwägungen sind unzureichend. Sie sind in der Gewichtung der Geheimhaltungsinteressen der betroffenen Dritten zu pauschal und werden den Besonderheiten des Falles nicht gerecht.
Rz. 12
Die Sperrerklärung macht insoweit im Rahmen einer im Grundsatz nicht zu beanstandenden Regel-Ausnahme-Betrachtungsweise unter Anwendung eines offensichtlich standardisierten Kriterienkatalogs geltend, dass die persönlichen Daten, auch soweit sie allgemein bekannte Informationen enthielten, schützenswert seien. Denn durch das Medium, in dem sie aufträten, liege eine besondere Wertung; ein zusätzlicher Erkenntnisgewinn sei etwa auch dann gegeben, wenn das Bundesamt für Verfassungsschutz zu dieser Person Berichte anfertige. Des Weiteren liege aufgrund der Art der persönlichen Daten ein besonders schwerer Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen vor. Schließlich handele es sich um Minderjährige.
Rz. 13
Der Senat konnte sich davon überzeugen, dass Letzteres zutrifft. Der Kläger hat im Zwischenverfahren zwar erklärt, dass er auf die Daten Minderjähriger verzichte. Dieses Vorbringen betrifft aber lediglich die Reichweite des im Hauptsacheverfahren verfolgten Akteneinsichtsantrags. Es macht hingegen insoweit die Entscheidung über das nach Bejahung der Entscheidungserheblichkeit der Aktenvorlage ordnungsgemäß eingeleitete Verfahren nach § 99 Abs. 2 VwGO nicht entbehrlich.
Rz. 14
Bei der Bewertung der Schutzwürdigkeit persönlicher Daten sind die vom Beigeladenen herangezogenen Gesichtspunkte zu berücksichtigen. Ihr Gewicht kann jedoch nicht generalisierend, sondern nur bezogen auf die konkreten Umstände des jeweiligen Falles bestimmt werden. Hiernach darf insbesondere der Anlass der Observationsmaßnahmen nicht aus dem Blick geraten. Wenn – wie hier – Anknüpfungspunkt eine enge familiäre Verbundenheit mit dem Gesuchten ist, verbindet sich mit der bloßen Tatsache einer Observation ein anderer Erkenntnisgewinn als dann, wenn vermutet werden könnte, dass eine Kontaktaufnahme mit dem Gesuchten und dessen Unterstützung aus anderen Gründen, etwa einer Solidarisierung wegen der Verfolgung einer gemeinsamen Sache, erfolgt. Des Weiteren erschließt sich nicht, worin die besondere Schwere des Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen liegen sollte. Die Observation beschränkte sich auf die Beobachtung der Betroffenen in ihrem Verhalten in der Öffentlichkeit, während Erkenntnisse aus der vor allgemeinen Einblicken geschützten Privatsphäre nicht gewonnen wurden. So enthält auch der Hinweis auf den Besuch eines öffentlichen Gottesdienstes keine besonders sensiblen Daten über religiöse Überzeugungen. Dem Umstand, dass auch Minderjährige von den Observationsmaßnahmen betroffen waren, kommt auch vor diesem Hintergrund keine große Bedeutung zu; dies gilt nicht zuletzt deswegen, weil mittlerweile mehr als 40 Jahre vergangen sind.
Rz. 15
c) Zum anderen ist eine vollständige Schwärzung weder von Blatt 8 bis12 noch von Blatt 23 gerechtfertigt. Bei Blatt 23 ist den – vom Beigeladenen nicht ausdrücklich in Anspruch genommenen, aber gleichwohl ersichtlich gegebenen – nachrichtendienstlichen Erfordernissen durch das Unkenntlichmachen etwa von Aktenzeichen und Bearbeitervermerken Rechnung zu tragen. Entsprechendes gilt hier, wie auch bei Blatt 8 bis 12, für personenbezogene Daten Dritter.
Unterschriften
Neumann, Dr. Bumke, Brandt
Fundstellen