Verfahrensgang

VG Greifswald (Aktenzeichen 2 A 2170/97)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Greifswald vom 23. November 1999 wird aufgehoben.

Der Rechtsstreit wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Kostenentscheidung bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Die statthafte Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts ist begründet. Das angefochtene Urteil beruht auf einem Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO, weswegen der beschließende Senat gemäß § 133 Abs. 6 VwGO verfährt. Mit der hierfür gegebenen Begründung durfte das Verwaltungsgericht die erbetene Wiedereinsetzung in die versäumte Klagefrist nicht verweigern und die Klage als unzulässig abweisen:

1. Auszugehen ist hierbei von dem unstreitigen Umstand, dass die am letzten Tage der Klagefrist beim Verwaltungsgericht eingegangene, durch Telefax übermittelte Klageschrift der Klägerin unvollständig war, insbesondere keine Unterschrift des Klägerbevollmächtigten enthielt. Während die vollständige – wenige Tage später auf dem Postwege eingegangene – Klageschrift nebst Anlagen 71 Seiten umfasste, wurden per Telefax nur 69 Seiten übermittelt; die die Unterschrift enthaltende Seite 3 der Klageschrift (sowie die Leerseite 4) ist dabei nicht übermittelt worden. Weiterhin ist davon ausgehen, dass der Klägerbevollmächtigte zur Begründung seines Wiedereinsetzungsantrages einen die Streitsache betreffenden „OK-Vermerk” zu den Gerichtsakten reichte, worin die Anzahl der übermittelten Seiten mit 69 vermerkt war. Die in der mündlichen Verhandlung am 23. November 1999 als Zeugin vernommene gelernte Rechtsanwaltsgehilfin N.L., die die Telefaxabsendung vornahm, hat hierzu ausgesagt, dass es zwar vom Klägerbevollmächtigten eine Anweisung gegeben habe, die in Sendeprotokollen vermerkten Seiten auch mit den tatsächlich eingelegten zu vergleichen, sie dies aber damals nicht getan habe; sie sei der Überzeugung gewesen, dass sie die Klageschrift vollständig in das Faxgerät eingelegt habe.

2. Vor diesem Hintergrund lässt sich dem Beschwerdevorbringen die im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO zulässige sowie begründete Rüge entnehmen, das Verwaltungsgericht habe die anwaltlichen Sorgfaltspflichten überspannt, indem es entscheidungstragend darauf abgestellt hat, dem Wiedereinsetzungsbegehren lasse sich nicht die hierfür erforderliche Aussage entnehmen, der Klägerbevollmächtigte habe die Rechtsanwaltsgehilfin nicht nur allgemein angewiesen, die angegebenen Seitenzahlen zu kontrollieren, sondern die Beachtung der Anweisung auch in ausreichendem Maße überwacht.

a) Obgleich die Beschwerde lediglich Grundsatzbedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) sowie Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) geltend macht, ist das Beschwerdevorbringen auch als schlüssige Darlegung eines Verfahrensmangels zu verstehen. Die Beschwerde rügt, das Verwaltungsgericht sei mit seinen Urteilsgründen von einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (vgl. BVerfGE 67, 208, 212 f. m.w.N.) abgewichen, wonach es den Gerichten verboten ist, den Parteien den Zugang zu einer in der Verfahrensordnung eingeräumten Instanz in unzumutbarer, aus Sachgründen nicht mehr zu rechtfertigender Weise zu erschweren, wogegen auch dadurch verstoßen werden kann, dass die Voraussetzungen für die Gewährung einer Wiedereinsetzung überspannt werden. Darin ist nicht nur die Geltendmachung einer Divergenz im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zu sehen, sondern auch die schlüssige – und nach den nachstehenden Darlegungen begründete – Geltendmachung eines gerichtlichen Verfahrensfehlers.

b) Allerdings trifft es zu, dass nach höchstrichterlicher Rechtsprechung ein Rechtsanwalt seine Verpflichtung, für eine genaue Ausgangskontrolle zu sorgen, bei Einsatz eines Telefaxgerätes nur dann erfüllt, wenn er seinen dafür zuständigen Mitarbeitern die Weisung erteilt, sich bei der Übermittlung eines Schriftsatzes einen Einzelnachweis ausdrucken zu lassen, auf dieser Grundlage die Vollständigkeit der Übermittlung zu überprüfen und die Notfrist erst nach der Kontrolle des Sendeberichtes zu löschen (vgl. BGH, Beschluss vom 10. Juni 1998 – XII ZB 47/98 – BGHR ZPO § 233 Telefax 1 m.w.N.). Hat ein Rechtsanwalt dieser Verpflichtung genügt, wovon im Streitfall nach den Urteilsgründen auszugehen ist, so darf er sich bei Angestellten, die sich über längere Zeit hinweg als zuverlässig erwiesen haben, darauf verlassen, dass seine allgemein erteilten Anweisungen im Einzelfall befolgt werden (vgl. BGH, Beschluss vom 1. April 1993 – III ZB 33/92 – BGHR ZPO § 233 Büropersonal 6 S. 2); anderes gilt dann, wenn er die Absendung Hilfskräften überlässt, die, ohne über eine einschlägige Vorbildung zu verfügen, erst seit kurzem eingearbeitet und mit der Erledigung von Fristsachen befasst sind (a.a.O.). Nach dem im Tatbestand des angefochtenen Urteils wiedergegebenen Klägervorbringen handelt es sich bei der als Zeugin vernommenen Rechtsanwaltsgehilfin „um eine geschulte und zuverlässige Bürokraft, die den Fristenkalender seit über zwei Jahren sorgfältig und fehlerlos geführt habe, wie regelmäßige Nachprüfungen des sachbearbeitenden Rechtsanwalts ergeben hätten”. Den Urteilsgründen im Übrigen kann nicht entnommen werden, dass das Verwaltungsgericht diese Angaben für unzutreffend gehalten hat. Mithin ist zugunsten der Klägerin sowie ihres Bevollmächtigten davon auszugehen, dass ein Anwaltsverschulden nicht vorliegt, sondern allenfalls eine Nachlässigkeit und damit ein Verschulden der Rechtsanwaltsgehilfin, welches indessen der Klägerin nicht zuzurechnen wäre.

Soweit das Verwaltungsgericht maßgeblich auf eine vom Klägerbevollmächtigten nicht erfüllte Überwachungspflicht abgehoben hat, verkennt es, dass die hierzu entwickelte Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts, auf die es sich beruft, nicht im Zusammenhang mit der Absendung von Telefax-Sendungen ergangen ist, sondern Fälle einerFristberechnung betraf (vgl. Urteil vom 28. April 1967 – BVerwG IV C 100.66 – BVerwGE 27, 36; Beschluss vom 26. Juni 1986 – BVerwG 3 C 47.84 – NJW 1987, 458; Beschluss vom 14. Februar 1992 – BVerwG 8 B 121.91 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 176; vgl. ferner Beschluss vom 12. September 1997 – BVerwG 3 B 140.97 – Buchholz 310 § 60 VwGO Nr. 215). Während Fristenberechnungen und Fristenkontrollen teils schwierige und mit erhöhten Überwachungspflichten des Rechtsanwalts verbundene Tätigkeiten sind, handelt es sich bei dem Absenden eines Telefax um eine „einfache technische Verrichtung”, welche ein Prozessbevollmächtigter nicht selbst ausführen muss, bei der er sich vielmehr damit begnügen darf, ausreichende organisatorische Vorkehrungen für eine ordnungsgemäße Absendung von Telefaxsendungen zu treffen und das jeweilige Absenden einer hinreichend geschulten und ansonsten zuverlässigen Mitarbeiterin zu übertragen (vgl. BGH, Beschluss vom 28. Oktober 1993 – VII ZB 22/93 – BGHR ZPO § 233 Büropersonal 7). Vom Vorliegen dieser Voraussetzungen ist – wie dargelegt – im Streitverfahren mangels gegenteiliger Feststellungen auszugehen.

 

Unterschriften

van Schewick, Dr. Borgs-Maciejewski, Dr. Brunn

 

Fundstellen

Dokument-Index HI566114

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