Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 16.06.2005; Aktenzeichen 7 LC 201/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 16. Juni 2005 wird zurückgewiesen
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 3 000 € festgesetzt.
Gründe
1. Der Klägerin ist wegen der Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist des § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO gemäß § 60 Abs. 1 VwGO aus den Gründen des Antrags vom 2. September 2005 Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren.
2. Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
Nach § 132 Abs. 2 VwGO kann die Revision nur zugelassen werden, wenn die Rechtssache grundsätzliche Bedeutung hat oder die Berufungsentscheidung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts, des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes oder des Bundesverfassungsgerichts abweicht und auf dieser Abweichung beruht oder ein Verfahrensmangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Berufungsentscheidung beruhen kann. Wird wie hier die Nichtzulassung der Revision mit der Beschwerde angefochten, muss in der Beschwerdebegründung die grundsätzliche Bedeutung dargelegt oder die Entscheidung, von der die Berufungsentscheidung abweicht, oder der Verfahrensmangel bezeichnet werden (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO). Die Prüfung des beschließenden Senats ist demgemäß auf fristgerecht geltend gemachte Beschwerdegründe im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO beschränkt.
a) Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Grundsätzliche Bedeutung kommt einer Rechtssache nur zu, wenn sie eine für die Revisionsentscheidung erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheit oder der Fortbildung des Rechts revisionsgerichtlicher Klärung bedarf. Das Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO verlangt die Bezeichnung einer konkreten Rechtsfrage, die für die Revisionsentscheidung erheblich sein wird, und einen Hinweis auf den Grund, der ihre Anerkennung als grundsätzlich bedeutsam rechtfertigen soll. Die Beschwerde muss daher erläutern, dass und inwiefern die Revisionsentscheidung zur Klärung einer bisher revisionsgerichtlich nicht beantworteten fallübergreifenden Rechtsfrage führen kann. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage verleiht der Sache keine rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
Soweit der Beschwerdebegründung außer einer Darstellung der vom angefochtenen Urteil abweichenden Rechtsansicht der Klägerin eine Fragestellung entnommen werden kann, zielt diese unter Berücksichtigung des Streitgegenstandes des Verfahrens auf die Klärung der Frage, ob die Vergabe eines Standplatzes auf einem nach § 69 GewO festgesetzten Frühjahrsmarkt durch Los erfolgen darf, wenn der zur Verfügung stehende Platz nicht ausreicht, um alle Bewerber zur Teilnahme an der Veranstaltung aufzunehmen. Die Klägerin meint, dass sich der Veranstalter zur Auswahl auf spezifische Veranstaltungszwecke stützen müsse. Die von der Beschwerde angesprochene Problematik ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt. Nach § 70 Abs. 1 GewO ist jedermann, der dem Teilnehmerkreis der festgesetzten Veranstaltung angehört, nach Maßgabe der für alle Teilnehmer geltenden Bestimmungen zur Teilnahme an der Veranstaltung berechtigt. Dieser Anspruch wird gemäß § 70 Abs. 3 GewO unter anderem dadurch eingeschränkt, dass der Veranstalter unter den Voraussetzungen dieser Bestimmung den Interessenten wegen Platzmangels durch Ermessensentscheidung (Auswahlentscheidung) von der Veranstaltung ausschließen darf. Das dem Veranstalter eingeräumte Ermessen ist danach insoweit begrenzt, als eine Ausschließung nur bei Vorliegen eines sachlich gerechtfertigten Grundes erlaubt ist. Erfolgt der Ausschluss wegen Platzmangels, muss der zwischen den Bewerbern angelegte Verteilungsmaßstab sachlich gerechtfertigt sein. Was sachlich gerechtfertigt ist, bestimmt sich nach dem allgemeinen Gleichheitssatz unter Berücksichtigung des Lebenssachverhalts, in dessen Rahmen das Ermessen ausgeübt wird. Danach ist ein Auswahlverfahren nicht zu beanstanden, das jedem Bewerber die gleiche Zulassungschance einräumt (Urteil vom 27. April 1984 – BVerwG 1 C 26.82 – Buchholz 451.20 § 70 GewO Nr. 2 = GewArch 1984, 266). Diese Voraussetzung ist bei einem ordnungsgemäß durchgeführten Losverfahren gegeben.
Ein Rechtsgrundsatz, dass nur oder vorrangig nach den von der Klägerin bevorzugten Auswahlkriterien der Attraktivität, Neuartigkeit, Vielseitigkeit gleichartiger Fahrgeschäfte ausgewählt werden dürfe, besteht nicht, auch wenn derartige Kriterien ebenfalls Gesichtspunkte für eine sachgerechte Auswahlentscheidung darstellen können, wenn dies dem Veranstaltungszweck entspricht. Nach den Feststellungen des Berufungsgerichts hat die Beklagte für den “Bereich der Autoskooter”, also für einen in Bezug auf das Geschäftsfeld homogenen Interessentenkreis, ein Losverfahren durchgeführt. Dass zwischen den Fahrgeschäften, die zur Auswahl gestanden haben, in Bezug auf die Erreichung des Veranstaltungszwecks gewichtige Unterschiede bestanden haben, die ein Losverfahren als nicht sachgerecht erscheinen lassen könnte, ist nicht festgestellt. Das Oberverwaltungsgericht weist mit Recht darauf hin, dass sich die “Attraktivität” eines Fahrgeschäfts vor allem in der Publikumsresonanz niederschlägt. Es kann durchaus dem Veranstaltungszweck entsprechen, auch ältere oder weniger vielseitige Fahrgeschäfte zuzulassen. Zu berücksichtigen ist, dass materielle Kriterien zwar auf den ersten Blick als sachgerechter erscheinen könnten als das vom Zufall geleitete Losverfahren. Indessen kann die darin angelegte, vielfach von subjektiven Vorstellungen geprägte Bewertungsnotwendigkeit zu einer nur schwer zu bewältigenden Unsicherheit führen, die bei einem einfach zu handhabenden Losverfahren für gleichartige Geschäfte vermieden wird. Allerdings ist ebenfalls geklärt, dass es keinen Anspruch auf ein Auslosungsverfahren gibt (Beschluss vom 16. November 1964 – BVerwG 1 B 182.64 – Buchholz 451.20 § 64 GewO Nr. 3 = GewArch 1965, 30 ≪31≫; Urteil vom 18. Februar 1976 – BVerwG 8 C 14.75 – Buchholz 412.3 § 69 BVFG Nr. 9 = GewArch 1976, 379 ≪381≫). Weiteren Klärungsbedarf zeigt die Klägerin nicht auf.
Soweit die Beschwerde die Frage anspricht, welches Organ der veranstaltenden Gemeinde die Auswahlkriterien festzulegen hat, führt sie nicht auf revisibles Recht, sondern nur auf die Auslegung der Gemeindeordnung und des kommunalen Satzungsrechts. Damit kann nach dem Gesagten die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache nicht dargelegt werden.
b) Wegen eines Verfahrensmangels kann die Revision gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nur zugelassen werden, wenn ein Mangel geltend gemacht wird und vorliegt, auf dem die Entscheidung beruhen kann. Ein solcher Mangel ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO hinreichend bezeichnet, wenn er sowohl in Bezug auf die ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26). Diese Anforderungen sind hier nicht erfüllt. Die Klägerin macht geltend, das Gericht habe im Zusammenhang mit seiner Billigung des Losverfahrens den Gesichtspunkt der Verwaltungsvereinfachung “eingebracht”, ohne vorher einen rechtlichen Hinweis auf diesen Aspekt zu geben. Wenn die Klägerin damit den Verfahrensverstoß des Erlasses einer Überraschungsentscheidung unter Versagung rechtlichen Gehörs geltend machen will, so ist dieser Mangel nicht ordnungsgemäß dargelegt.
Nach § 86 Abs. 3 VwGO hat der Vorsitzende darauf hinzuwirken, dass alle für die Feststellung und Beurteilung des Sachverhalts wesentlichen Erklärungen abgegeben werden. Die gerichtlichen Hinweise sollen zum einen dazu beitragen, die Voraussetzungen für eine richtige, dem Gesetz entsprechende Sachentscheidung zu schaffen (vgl. Beschluss vom 24. März 1976 – 2 BvR 804/75 – BVerfGE 42, 64 ≪73≫ zu § 139 ZPO). Die Vorschrift soll darüber hinaus als eine verfahrensspezifische einfachgesetzliche Konkretisierung des verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör Überraschungsentscheidungen vorbeugen (Beschluss vom 5. Juni 1998 – BVerwG 4 BN 20.98 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 49 S. 5). Ein Überraschungsurteil liegt vor, wenn das Gericht einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung macht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gibt, mit der nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen war (Beschlüsse vorn 25. Mai 2001 – BVerwG 4 B 81.00 – Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34 S. 20 f. und vom 25. August 2003 – BVerwG 6 B 43.03 – Buchholz 451.45 § 101 HwO Nr. 2 = GewArch 2003, 475). Die Hinweispflicht bezieht sich auf die tragenden (“wesentlichen”) Erwägungen des Gerichts. Sie verlangt allerdings grundsätzlich nicht, dass das Gericht die Beteiligten vorab auf seine Rechtsauffassung oder die beabsichtigte Würdigung des Prozessstoffs hinweist, weil sich die tatsächliche und rechtliche Würdigung regelmäßig erst aufgrund der abschließenden Beratung ergibt (Beschluss vom 28. Dezember 1999 – BVerwG 9 B 467.99 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 51 m.w.N.). So muss das Gericht die Beteiligten nicht vorab darauf hinweisen, auf welche von mehreren Gesichtspunkten es seine Entscheidung stützen und wie es sie im Einzelnen begründen werde (Beschluss vom 30. Oktober 1987 – BVerwG 2 B 85.87 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 20 m.w.N.). Ein Überraschungsurteil liegt danach unter anderem vor, wenn die das angefochtene Urteil tragende Erwägung weder im gerichtlichen Verfahren noch im früheren Verwaltungs- oder Gerichtsverfahren erkennbar thematisiert worden war. Um dies auszuschließen, sind in der mündlichen Verhandlung gemäß § 104 Abs. 1, § 86 Abs. 3 VwGO und gemäß § 173 VwGO, § 278 Abs. 3 ZPO die maßgebenden Rechtsfragen zu erörtern. Das erfordert allerdings nicht, dass das Gericht den Beteiligten bereits die möglichen Entscheidungsgrundlagen darlegt. Ist ein Beteiligter anwaltlich vertreten, darf ein Berufungsgericht grundsätzlich davon ausgehen, dass sich sein Prozessbevollmächtigter mit der maßgeblichen Sach- und Rechtslage hinreichend vertraut gemacht hat (Beschluss vom 25. Mai 2001 – BVerwG 4 B 81.00 – Buchholz 310 § 108 Abs. 2 VwGO Nr. 34).
Nach diesen Grundsätzen liegt der gerügte Verfahrensmangel nicht vor. Denn der Gesichtspunkt der “Verwaltungsvereinfachung” gehörte zum Prozessstoff des Verfahrens. Die Beklagte hatte bereits in der mündlichen Verhandlung vor dem Verwaltungsgericht am 17. September 2003 einen Aktenvermerk vom 10. Dezember 2002 zu den Gerichtsakten gereicht, in dem die Vor- und Nachteile verschiedener Auswahlverfahren aufgelistet und bewertet worden waren. Darin war u. a. der Umstand angeführt, dass das Losverfahren “keine aufwändige Datenpflege über Jahre hinweg” erfordere. Auch in dem Schriftsatz der Beklagten vom 8. Dezember 2003 an das Berufungsgericht ist der Aspekt des Verwaltungsaufwandes angesprochen.
2. Die Entscheidung über die Kosten folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Wertes des Streitgegenstandes beruht auf §§ 47, 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Hahn, Graulich
Fundstellen