Verfahrensgang
VG Gelsenkirchen (Urteil vom 30.08.2005; Aktenzeichen 6 K 5716/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichts Gelsenkirchen vom 30. August 2005 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 899,93 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Dabei kann offen bleiben, ob sie wegen Versäumung der Beschwerdebegründungsfrist nach § 133 Abs. 3 Satz 1 VwGO unzulässig ist oder ob insoweit Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren ist. Jedenfalls ist die Beschwerde unbegründet. Der allein geltend gemachte Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO liegt nicht vor. Die Rechtssache hat keine grundsätzliche Bedeutung.
1. Die Klägerin wendet sich dagegen, dass sie als Erwerberin einer Schadensausgleichsleistung nach § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG auf Rückzahlung von Lastenausgleich in Anspruch genommen wird. Die Tante der Klägerin erhielt im Jahre 1980 für den Verlust von Grund- und Betriebsvermögen in Wittstock Lastenausgleich i.H.v. 24 463,89 DM. Im November 1990 übertrug die Tante durch notariellen Schenkungsvertrag sämtliche Rechte und Ansprüche an dem entzogenen Grundbesitz auf die Klägerin. Im Juni 1991 wurde der Grundbesitz auf die Klägerin zurückübertragen. Nach eigenen Angaben hat sie in das dort betriebene Hotel 1 000 000 DM investiert.
Im Juli 2002 forderte der Beklagte von der Tante der Klägerin 10 899,93 € gezahlte Hauptentschädigung wegen Schadensausgleichs zurück. Die Forderung ist wegen Mittellosigkeit der Tante nicht realisierbar. Mit Bescheid vom 28. August 2002 nahm der Beklagte die Klägerin als Gesamtschuldnerin auf Rückzahlung des Lastenausgleichs i.H.v. 10 899,93 € in Anspruch, weil sie die Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erlangt habe. Widerspruch und Klage blieben erfolglos. Die Klägerin erstrebt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache. Sie hält die Frage für klärungsbedürftig, ob es mit dem Rechtsstaatsprinzip des Art. 20 Abs. 3 GG vereinbar ist, dass der Erwerber einer Schadensausgleichsleistung als Gesamtschuldner nach § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG auch dann für die Rückforderung der gewährten Lastenausgleichsleistung haftbar gemacht werden kann, wenn der Erwerb ohne angemessene Gegenleistung bereits mehrere Jahre vor dem In-Kraft-Treten des § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG im Rahmen des 33. ÄndG LAG vom 16. Dezember 1999 erfolgt ist.
2. Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Es kann offen bleiben, ob diese Frage bereits durch die vom Verwaltungsgericht angeführten Entscheidungen des Senats, die sich im Hinblick auf das 33. Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz mit der Rückwirkungsproblematik befassen (Urteil vom 15. Juli 2004 – BVerwG 3 C 44.03 – und Beschluss vom 6. September 2004 – BVerwG 3 B 20.04 –), beantwortet ist. Jedenfalls ergibt sich die Antwort ohne weiteres aus der ständigen Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts zum Rückwirkungsverbot. Danach entfaltet § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG i.d.F. des 33. Änderungsgesetzes keine Rückwirkung.
Nach der Rechtsprechung des 2. Senats des Bundesverfassungsgerichts entfaltet eine Rechtsnorm dann Rückwirkung, wenn der Beginn ihres zeitlichen Anwendungsbereichs normativ auf einen Zeitpunkt festgelegt ist, der vor dem Zeitpunkt liegt, zu dem die Norm rechtlich existent, das heißt gültig geworden ist (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 – 2 BvL 2/83 – BVerfGE 72, 200, 241). Die Rückwirkung betrifft danach allein die zeitliche Zuordnung der normativ angeordneten Rechtsfolgen im Hinblick auf den Zeitpunkt der Verkündung der Norm. Gefragt wird danach, ob diese Rechtsfolgen für einen bestimmten, vor dem Zeitpunkt der Verkündung der Norm liegenden Zeitraum eintreten sollen (Rückwirkung von Rechtsfolgen) oder ob dies für einen nach (oder mit) der Verkündung beginnenden Zeitraum geschehen soll. Im letzteren Fall handelt es sich um eine tatbestandliche Rückanknüpfung, soweit die Norm den Eintritt ihrer Rechtsfolgen von Gegebenheiten aus der Zeit vor ihrer Verkündung abhängig macht (BVerfG, Beschluss vom 14. Mai 1986 a.a.O. S. 242).
Das 33. Änderungsgesetz zum Lastenausgleichsgesetz vom 16. Dezember 1999 (BGBl I S. 2422) ist nach seinem Art. 6 am 1. Januar 2000 in Kraft getreten. Rückwirkung legt er sich weder insgesamt noch im Hinblick auf § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG zu. Die in dieser Bestimmung festgelegte Mithaftung desjenigen, der die Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erhalten hat, ist nur für die Zukunft begründet worden. Sie erfasst nach ihrem Wortlaut und Sinn und Zweck zwar auch Erwerbsvorgänge, die vor In-Kraft-Treten des Gesetzes stattgefunden haben. Darin liegt im Sinne der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts aber nur eine tatbestandliche Rückanknüpfung und keine Rückwirkung.
Der 1. Senat des Bundesverfassungsgerichts definiert die (echte) Rückwirkung dahin, dass der Gesetzgeber in abgewickelte, der Vergangenheit angehörende Tatbestände eingreift (Beschluss vom 13. Mai 1986 – 1 BvR 99, 461/85 – BVerfGE 72, 175, 196; Beschluss vom 25. Mai 1993 – 1 BvR 1509, 1648/91 – BVerfGE 88, 384, 403). Auch nach dieser Definition entfaltet § 349 Abs. 5 Satz 2 LAG keine Rückwirkung. Die Vorschrift greift nicht verändernd in den abgeschlossenen Erwerbsvorgang hinsichtlich des Schadensausgleichs ein. Sie nimmt den Erwerber lediglich für die Zukunft in Haftung für den wegen des Schadensausgleichs zurückzuzahlenden Lastenausgleich.
3. Eine tatbestandliche Rückanknüpfung, wie sie hier vorliegt, ist verfassungsrechtlich grundsätzlich unbedenklich. Zwar ist sie an den für den entsprechenden Normbereich einschlägigen Grundrechten zu messen. Insoweit kommt hier aber nur Art. 2 Abs. 1 GG mit der Gewährleistung der allgemeinen Handlungsfreiheit in Betracht. Diese steht unter dem Vorbehalt der verfassungsmäßigen Ordnung. Dazu zählen alle formell und materiell mit der Verfassung in Einklang stehenden Gesetze.
§ 349 Abs. 5 Satz 2 LAG steht nicht nur formell, sondern auch materiell mit der Verfassung im Einklang. Insbesondere dient die Norm der sachgerechten Verwirklichung gravierender Gemeinwohlbelange. Der Gesetzgeber hat die Haftung dessen, der die Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erhalten hat, eingeführt, weil die durch den Schadensausgleich ausgelösten lastenausgleichsrechtlichen Rückforderungsansprüche wegen der sonstigen Vermögenslosigkeit des Verpflichteten häufig notleidend wurden; in zahlreichen Fällen erfolgte die Vermögensübertragung ohne angemessene Gegenleistung sogar gezielt, um sich der gesetzlichen Rückzahlungspflicht zu entziehen (vgl. BTDrucks 14/866 S. 16). Diese Gründe rechtfertigen ohne weiteres, denjenigen in die Haftung für die Rückzahlung des Lastenausgleichs einzubeziehen, der die Schadensausgleichsleistung ohne angemessene Gegenleistung erworben hat. Der Gesetzgeber war auch nicht gehindert, Erwerbsvorgänge zu berücksichtigen, die mehrere Jahre vor In-Kraft-Treten der Regelung stattgefunden haben. Denn ein etwaiges Vertrauen, den so erworbenen Vermögensvorteil auf Dauer ungeschmälert behalten zu dürfen, war gegenüber dem berechtigten Anliegen des Gesetzgebers nicht besonders schutzwürdig.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung ergibt sich aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 3 GKG.
Unterschriften
Kley, van Schewick, Dr. Dette
Fundstellen