Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Aktenzeichen 2 B 95.1184) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 27. Juli 2000 wird zurückgewiesen.
Die Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 400 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die auf § 132 Abs. 2 Nrn. 1 und 3 VwGO gestützte Beschwerde der Beklagten ist zulässig, aber unbegründet.
1. Der geltend gemachte Verfahrensfehler liegt nicht vor.
Dahinstehen kann, ob die Beklagte, die unter dem Blickwinkel des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO die Frage aufwirft, ob das Berufungsgericht aufgrund der Normenkontrollentscheidung vom 27. Juli 2000 ohne weiteres von der Nichtigkeit des Bebauungsplans Nr. 1697 ausgehen durfte oder im Wege der Inzidentkontrolle klären musste, ob der Plan gültig oder ungültig ist, hiermit nicht in Wahrheit ein Problem anspricht, das die Anwendung des materiellen Rechts betrifft. Auch wenn unterstellt wird, dass die Frage einen prozessrechtlichen Gehalt aufweist, greift ihre Rüge nicht durch.
Erklärt ein Normenkontrollgericht eine Rechtsvorschrift auf der Grundlage des § 47 Abs. 1 VwGO für nichtig, so ist diese Entscheidung nach § 47 Abs. 5 Satz 2 VwGO allgemein verbindlich. Diese Wirkung tritt indes erst mit der Rechtskraft ein. Solange es hieran fehlt, darf ein Gericht in einem Rechtsstreit, in dem es auf die Gültigkeit der Norm ankommt, nicht allein unter Berufung auf die Allgemeinverbindlichkeitswirkung von der Nichtigkeit ausgehen. Dies hat die Vorinstanz entgegen der Einschätzung der Beklagten nicht verkannt. Wie sich aus den Entscheidungsgründen des Berufungsurteils ergibt, hat sie es nicht damit bewenden lassen, darauf hinzuweisen, dass der Bebauungsplan Nr. 1697 „mit Urteil vom heutigen Tag für nichtig erklärt” worden sei. Vielmehr schließt sich an diese Feststellung der Satz an, dass „auf das den Beteiligten bekannte Urteil Bezug genommen” werde. Hierin kommt zum Ausdruck, dass sich das Berufungsgericht die Gründe, auf die die Nichtigkeitsfeststellung im Normenkontrollurteil gestützt war, auch im anhängigen Verfahren hat zu Eigen machen wollen. Von einer solchen Integration in die Entscheidungsgründe des angefochtenen Urteils geht letztlich auch die Beklagte aus. Sie wirft im Rahmen ihrer Nichtzulassungsbeschwerde Fragen auf, die sich auf die Gültigkeit des Bebauungsplans Nr. 1697 beziehen. Diese Fragen wären nach ihrem eigenen Verständnis nicht entscheidungserheblich, wenn sich das Berufungsgericht nicht auch im anhängigen Rechtsstreit, und sei es auch nur im Wege der Bezugnahme, mit diesem Plan inhaltlich auseinander gesetzt hätte.
2. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr die Beklagte beimisst.
a) Die Frage, „inwiefern bei gleichzeitiger Rechtshängigkeit eines Normenkontrollverfahrens nach § 47 VwGO und einer Verpflichtungsklage nach § 42 Abs. 1 VwGO das noch nicht rechtskräftige Urteil des Normenkontrollverfahrens der Entscheidung über die Verpflichtungsklage zugrunde gelegt werden kann”, lässt keinen Klärungsbedarf im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erkennen. Die Beklagte weist selbst darauf hin, dass ein Normenkontrollantrag, der darauf gerichtet ist, einen Bebauungsplan für nichtig zu erklären, und eine Klage, deren Ziel es ist, die Behörde zur Zulassung eines Bauvorhabens im Plangebiet zu verpflichten, nebeneinander zulässig sind. Sie räumt auch ein, dass es dem Gericht, das über die Vorhabenzulässigkeit zu entscheiden hat, grundsätzlich unbenommen ist, im Wege der Inzidentkontrolle der Frage nachzugehen, ob der Bebauungsplan gültig ist. Dabei lässt sich nicht ausschließen, dass die Inzidentprüfung anders ausfällt als die Prüfung im Normenkontrollverfahren. Eine solche Divergenz ist zwar unter dem Blickwinkel der Rechtssicherheit und der Rechtseinheit unbefriedigend. Sie wird von der Rechtsordnung jedoch im Interesse der Verfahrensbeschleunigung grundsätzlich hingenommen. Sie erscheint bei einem Nebeneinander von Normenkontrolle und Individualklage überdies auch deshalb vertretbar, weil sich die in starkem Maße als objektives Kontrollverfahren ausgestaltete Normenkontrolle und die ausschließlich auf die Gewährung subjektiven Rechtsschutzes ausgerichtete Anfechtungs- oder Verpflichtungsklage von ihren Schutzzielen her deutlich unterscheiden.
Ein Mittel, durch das sich widersprechenden Entscheidungen vorbeugen lässt, stellt der Gesetzgeber in § 94 Satz 1 VwGO bereit. Diese Vorschrift ist freilich nicht unmittelbar anwendbar, wenn in dem anderen Rechtsstreit eine Rechtsnorm den Gegenstand der Prüfung bildet. Denn sie setzt voraus, dass die Entscheidung von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines vorgreiflichen Rechtsverhältnisses abhängt. Bei der Prüfung der Gültigkeit einer Rechtsvorschrift im Sinne des § 47 Abs. 1 VwGO geht es nicht um ein solches Rechtsverhältnis, sondern um die Klärung einer abstrakten Rechtsfrage. In der gerichtlichen Praxis wird § 94 Satz 1 VwGO allerdings entsprechend auch dann angewandt, wenn das Ergebnis des Klageverfahrens von der Gültigkeit einer Rechtsvorschrift abhängt, die in einem Normenkontrollverfahren Prüfungsgegenstand ist (vgl. OVG Bremen, Beschluss vom 14. Januar 1986, NJW 1986, 2335; VGH Mannheim, Beschluss vom 11. September 1992, NVwZ-RR 1993, 276). Auch wenn die Tatbestandsvoraussetzungen erfüllt sind, macht § 94 Satz 1 VwGO es dem Gericht indes nicht zur Pflicht, die Verhandlung auszusetzen. Die Entscheidung liegt vielmehr im richterlichen Ermessen. Eine Ermessensreduktion kommt nur dann in Betracht, wenn anders eine sachgerechte Entscheidung nicht möglich ist (vgl. BVerwG, Urteil vom 12. Februar 1987 – BVerwG 3 C 22.86 – Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 5). Die bloße Vorgreiflichkeit reicht insoweit nicht aus. Sie ist die Voraussetzung dafür, dass § 94 Satz 1 VwGO überhaupt anwendbar ist, ohne etwas darüber auszusagen, in welcher Richtung das Gericht das ihm eingeräumte Ermessen auszuüben hat (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. Dezember 1992 – BVerwG 4 B 247.92 – Buchholz 310 § 94 VwGO Nr. 6). Die Beklagte zeigt nicht auf, zu welchen zusätzlichen Erkenntnissen das von ihr erstrebte Revisionsverfahren in diesem Punkt sollte Gelegenheit bieten können.
b) Die in der Beschwerdebegründung unter 3.2 und 3.3 formulierten Fragen, die an die Gültigkeit des Bebauungsplans Nr. 1697 anknüpfen, waren im Normenkontrollverfahren BVerwG 4 BN 57.00 der Gegenstand identischer Rügen, mit denen die Beklagte dort keinen Erfolg hatte. Der Senat hat die Normenkontrollbeschwerde mit Beschluss vom 30. November 2000, der als Anlage beigefügt ist, zurückgewiesen. Er nimmt auf sie Bezug und macht sich die Gründe dieser Entscheidung zu Eigen.
c) Die sinngemäß aufgeworfene Frage nach der gerechten Verteilung der Vor- und Nachteile der Festsetzungen eines Bebauungsplans auf die betroffenen Grundeigentümer verleiht der Rechtssache ebenfalls keine grundsätzliche Bedeutung. Der Bundesgerichtshof hat entschieden, dass schon auf der Stufe der Bauleitplanung darauf Bedacht zu nehmen ist, dass ein Mindestmaß an Lastengleichheit gewährleistet ist. Er hat aber gleichzeitig klargestellt, dass diesem Erfordernis genügt ist, wenn planungsbedingte Ungleichbelastungen durch bodenordnende Maßnahmen ausgeglichen werden (vgl. BGH, Urteil vom 11. November 1976 – III ZR 114/75 – BGHZ 67, 320 und vom 2. April 1992 – III ZR 25/91 – NJW 1992, 2633). Das Bundesverwaltungsgericht hat sich dieser Rechtsprechung angeschlossen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 3. Juni 1998 – BVerwG 4 BN 25.98 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 97). Dem angefochtenen Urteil liegt keine andere Sichtweise zugrunde. Das Berufungsgericht hat die von der Beklagten angekündigte Umlegung nur deshalb als irrelevant angesehen, weil es sie aufgrund der besonderen Festsetzungstechnik des Bebauungsplans Nr. 1697 nicht als Instrument gewertet hat, das sich zur Verwirklichung der mit der Planung verfolgten Ziele eignet. Die Beklagte teilt diese Einschätzung nicht. Sie beschränkt sich indes darauf, der Einzelfallwürdigung der Vorinstanz ihre eigene Rechtsauffassung entgegenzusetzen. Auf den konkreten Fall zugeschnittene Angriffe gegen die Rechtsanwendung des Tatrichters reichen jedoch nicht aus, um die grundsätzliche Bedeutung einer Rechtssache im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO zu begründen.
Die Kostenentscheidung ergibt sich aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 3 und § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Gaentzsch, Berkemann, Halama
Fundstellen
Haufe-Index 557239 |
NVwZ-RR 2001, 483 |
BRS 2002, 290 |
BRS-ID 2001, 25 |