Leitsatz (amtlich)
Für die Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und eines Uniformtrageverbots nach § 126 Abs. 1 WDO genügt es, wenn voraussichtlich die Dienstgradherabsetzung als zweitschwerste Disziplinarmaßnahme den Ausgangspunkt der Zumessungerwägungen bildet und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Süd (Beschluss vom 27.06.2019; Aktenzeichen S 5 GL 3/19) |
Tatbestand
Rz. 1
Die Beschwerde betrifft ein hauptsächlich auf die vorläufige Dienstenthebung gerichtetes Verfahren wegen Verletzung der politischen Treuepflicht.
Rz. 2
1. Der Kommandeur... leitete mit Verfügung vom 13. Dezember 2018 gegen den 1996 geborenen Soldaten ein gerichtliches Disziplinarverfahren ein und ordnete dessen vorläufige Dienstenthebung, ein Uniformtrageverbot sowie die Einbehaltung von Dienstbezügen an. Folgende Tatvorwürfe wurden als Grund für die Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens angegeben:
1. Am... posteten Sie um... Uhr in der WhatsApp-Gruppe '...' ein Bild auf dem drei Halsketten mit jeweils einem christlichen Kreuz abgebildet sind sowie eine Halskette mit einem Ritterkreuz um den Hals, worauf ein Hakenkreuz zu sehen ist. Das Bild trägt die Überschrift 'Wearing a cross to show ur [us] a child of god' wobei mit 'god' Adolf Hitler gemeint ist.
2. Am... posteten Sie um... Uhr in der WhatsApp-Gruppe '...' ein Bild mit dem Helm eines christlichen Kreuzritters. Das Bild trägt die Überschrift 'There doesn't need to be a muslim ban, if there are no muslims'.
3. Am... nahmen Sie an einem Onlinespiel namens Quiplash unter dem Pseudonym 'ADOLFKITTLER' teil, in der Sie auf die vorgegebenen Fragen wie folgt antworteten:
- Der Zweitjob der Zahnfee? Das Gold aus den Judenzähnen kratzen
- Der Titel eines neuen Youtube-Katzenvideos, das erfolgreich wird? Adolf Kittler und das Dritte Reich
- Was ein Auto außer fahren noch können sollte? Genozide
- Der geilste Guinness Weltrekord, den es zu brechen gilt? Negerfrauen genital verstümmeln
- Wie viel Uhr ist es? Zeit zum __ ? menschenverachtenden rumhitlern
- Trash Talk, den du bei einem Schach-Treffen hören würdest? Juden hetzen
- Der schlimmste Geschmack für einen Joghurt? Afrikanische Kindertränen
- Das Schlimmste, was man schreiben kann, während ein Profigolfer einlockt? Durchgelocht Nafri im Kopf
- Der perfekte Urlaubstag besteht einfach nur aus zwölf Stunden? Juden schlachten
- Eine schreckliche Wohltätigkeitsaktion: _ für kleine Kinder? Fluchtworkshop Mittelmeer
- Ein süßer Name für Hämorrhoiden? Negerküsse
- Nachteil, wenn man in der Hölle lebt? Keine Juden zum Verbrennen
- Der beste Titel für eine neue Nationalhymne? Zurück ins Reich.
- Was wirklich passiert, wenn du zu lange in die Sonne starrst? Kann den Holocaust sehen
- Das schlimmste an Kanada ist? Ist nicht das Deutsche Reich
- Das schlimmste, was ein Chirurg sagen könnte, nachdem er deine OP verpfuscht hat: Tut mir leid, ich habe aus Versehen __? Negerblut als Infusion
- Die Regierung sollte _. legalisieren? Abschiebung und Rassenhass
4. Am... nahmen Sie an einem Onlinespiel namens Quiplash teil, in der Sie auf die vorgegebenen Fragen wie folgt antworteten:
- Titelsongs der Olympischen Spiele, wenn du ihn schreiben würdest? Zyklon B für Euch by Heinrich Himmler
- Die beste Neuigkeit, die du heute erhalten könntest? Afrika verbrennen (Asien eigentlich auch)
- Etwas, das du versprichst laut zu rufen, wenn du dieses Spiel gewinnst? Heil Hitler
- Wegen welcher Zutat schmecken Hotdogs so gut? Einer Prise Rassenhass
- Etwas, vor das der Teufel Angst hat? Moslem zu sein
- Ein kleines Geschenk, das du zu einer Orgie in einem Ghetto mitbringst? MG3 mit 100000 Schuss
- Ein Ort, an· dem du Bigfoot vermutlich nicht finden wirst? Dachau
- Ein Satz, den du gerne aus dem Mund von Morgan Freeman hören würdest? Alle Neger müssen hängen
5. Am... posteten Sie um... Uhr in der WhatsAppGruppe '...' ein Bild, welches im oberen Teil ein Tattoo auf einem Handgelenk zeigt und im unteren Teil den Arm eines KZ-Häftlings mit tätowierter Nummer. Das Bild trägt die Überschrift 'Wanting a tattoo that has lots of meanings to you'.
6. Am... posteten Sie um... Uhr in der WhatsAppGruppe '...' ein Bild, welches zwei Hände zeigt, von denen sich die schwarze Hautfarbe ablöst und die weiße darunter zum Vorschein kommt. Das Bild trägt die Überschrift: 'When you haven't committed a crime for a month'.
7. Am... äußerten Sie gegenüber dem OLt... während des Offizierlehrgangs, dass eine Lösung für die Flüchtlingskrise der Abschuss von Flüchtlingsbooten im Mittelmeer sei.
8. Am... posteten Sie um... Uhr in der WhatsAppGruppe '...' ein Bild, das im oberen Teil eine Runde von Personen am Lagerfeuer sitzend zeigt und im unteren Teil Angehörige des Ku-Klux-Klan in weißen Roben vor einem brennenden Kreuz. Das Bild trägt die Überschrift: 'Being around a fire with friends'.
9. Sie äußerten zu einem nicht mehr genauer feststellbaren Zeitpunkt zwischen April und Juni... mehrfach, mindestens jedoch zweimal und mindestens auch am..., gegenüber dem OLt Sch., wörtlich, zumindest jedoch sinngemäß: 'Ich will endlich mal nach Afghanistan und dann ganz viele von diesen dreckigen Musels abknallen'.
10. Am... kritisierten Sie in einer Diskussion in der WhatsApp-Gruppe '...' zwischen OLt M., OLt K., Lt S. und Lt B. über die aktuelle Lage in der Bundeswehr die Verteidigungsministerin Ursula von der Leyen stark und antworteten ergänzend auf die Ausführungen den OLt M. ('also doch putschen') und des OLt K ('ich bin dabei') mit 'Putsch triggered'.
Rz. 3
Nachdem der Kommandeur... den Antrag des Soldaten auf Aufhebung der vorläufigen Anordnungen mit Bescheid vom 18. Februar 2019 abgelehnt hatte, wandte sich der Soldat an das Truppendienstgericht. Mit Beschluss vom 27. Juni 2019 hob das Gericht die Anordnungen auf. Die Einleitungsverfügung sei unwirksam. Sie verstoße zum einen hinsichtlich der Vorwürfe Nr. 1, 2, 5, 6, 7, 8, 9 und 10 dagegen, dass die Gerichtssprache deutsch sei. Hinzu komme, dass hinsichtlich der Vorwürfe Nr. 3, 4, 7, 9 und 10 die Angabe des Tatortes fehle. Sie seien somit zu unbestimmt. Dies gelte insbesondere für den Vorwurf Nr. 10 ("kritisierten... stark"). Zum anderen enthielten die behördlichen Entscheidungen keine Auslegung und rechtliche Würdigung der vorgeworfenen Äußerungen, die der Bedeutung der Meinungsfreiheit gerecht werde und eine gerichtliche Überprüfung ermögliche. Es sei regelmäßig nicht Aufgabe des Gerichts, im Verfahren nach § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO erstmals eine entsprechende Bewertung vorzunehmen. Da es sich bei den verbleibenden Vorwürfen zu 7, 9 und 10 um Meinungskundgaben handle, bei denen auch rechtlich unbedenkliche Deutungsmöglichkeiten denkbar seien, hätte die Einleitungsbehörde ihre Subsumtion darlegen müssen. Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG sei damit nicht Rechnung getragen worden. Dies gelte allerdings nicht für die Äußerungen nach Nr. 3 und 4, weil hier nicht das meinungskonstitutive Element einer Stellungnahme oder des Dafürhaltens erkennbar sei. Gleichwohl trügen auch sie die angeordneten Maßnahmen nicht. Die Anordnungen seien ermessensfehlerhaft, weil die Einleitungsbehörde nicht substantiiert dargelegt habe, dass ohne die vorläufige Dienstenthebung des Soldaten der Dienstbetrieb empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet werde. Alternative Verwendungsmöglichkeiten seien nicht erwogen worden. Da die Anordnung des Uniformtrageverbots und die Einbehaltung der Dienstbezüge das Schicksal der vorläufigen Dienstenthebung teilten, seien auch sie rechtswidrig.
Rz. 4
2. Ihre dagegen eingelegte Beschwerde begründet die Wehrdisziplinaranwaltschaft im Wesentlichen damit, ihr sei vom Truppendienstgericht unter Verstoß gegen Art. 103 Abs. 1 GG keine Möglichkeit zur Stellungnahme eingeräumt worden; anderenfalls hätte sie noch Erläuterungen geben und etwa eine deutsche Übersetzung liefern können. Die Anordnungen seien zudem ermessensfehlerfrei. Insbesondere seien Verwendungsalternativen nicht gleichermaßen geeignet gewesen, die militärische Ordnung sowie die Disziplin der Truppe aufrecht zu erhalten. Die Äußerungen des Soldaten verstießen gegen die politische Treuepflicht nach § 8 SG, sodass regelmäßig die Höchstmaßnahme verwirkt sei. Bei summarischer Prüfung seien Milderungsgründe, die der Höchstmaßnahme entgegenstünden, nicht ersichtlich. Wenn wegen der zu erwartenden Höchstmaßnahme der Einbehalt der Hälfte der Dienstbezüge gerechtfertigt sei, rechtfertige dies somit erst recht die vorläufige Dienstenthebung. Das Truppendienstgericht verkenne zudem, dass der Schutzbereich der Meinungsfreiheit nach Art. 5 Abs. 1 Satz 1 GG Formalbeleidigungen und Schmähkritik nicht erfasse. Dass das Truppendienstgericht dies nicht gesehen habe, begründe einen schweren Rechtsfehler. Soweit überhaupt der Schutzbereich der Meinungsfreiheit eröffnet sei, verkenne es jedenfalls dessen Schranken, die im Wege praktischer Konkordanz zu ermitteln seien. Rechtsfehlerhaft habe es ebenso den behördlichen Beurteilungsspielraum verkannt. Er bestehe bei der Prognose, ob ein Soldat das Dienstvergehen mit hinreichender Wahrscheinlichkeit begangen habe und es zur Höchstmaßnahme führe.
Rz. 5
Der Bundeswehrdisziplinaranwalt führt ergänzend aus, das Truppendienstgericht stelle an die Einleitungsverfügung zu Unrecht dieselben Anforderungen wie an die Anschuldigungsschrift. Auch sei die Einleitungsverfügung nicht in einer Fremdsprache abgefasst, sondern es seien lediglich die vom Soldaten auf Englisch getätigten Äußerungen zitiert worden. Der Soldat wisse zudem um deren Bedeutungsinhalt. Die Verletzung der Kernpflicht nach § 8 SG lasse den Soldaten für jedwede Verwendung ungeeignet werden. Insofern liege eine Ermessensreduktion auf Null vor, auch wenn die Begründung dafür etwas kurz erscheine. Ungeachtet dessen sei die Ermessensausübung im Bescheid vom 18. Februar 2019 detailliert dargelegt worden. Selbst wenn sich nur ein Teil der Vorwürfe bestätigen sollte, sei bei summarischer Prüfung die Höchstmaßnahme geboten.
Rz. 6
Der Soldat verteidigt den angegriffenen Beschluss und führt aus, er lehne die freiheitliche demokratische Grundordnung nicht ab. Er weigere sich auch nicht, für deren Erhaltung einzutreten. Durch die gewählten Worte sei diese Kernpflicht nicht verletzt worden. Die Maßnahmen seien auch nicht die einzig geeigneten, um Schaden von der Bundeswehr abzuwehren. Die Einstellung des Strafverfahrens verbiete eine lediglich summarische Sachprüfung.
Rz. 7
3. Das wegen des Verdachts auf Volksverhetzung eingeleitete staatsanwaltschaftliche Ermittlungsverfahren ist im Februar 2019 gemäß § 170 Abs. 2 StPO eingestellt worden. Es fehle an einer Störung des öffentlichen Friedens, weil es sich um geschlossene WhatsApp-Gruppen gehandelt habe. Ferner hat das Truppendienstgericht einen Antrag auf Aussetzung der Vollziehung seines Beschlusses im August 2019 abgelehnt.
Entscheidungsgründe
Rz. 8
Die Beschwerde erweist sich bei der im vorläufigen Verfahren gemäß § 126 Abs. 5 Satz 3 i.V.m. § 114 Abs. 3 Satz 2 WDO nur möglichen summarischen Prüfung der Sachlage als überwiegend begründet.
Rz. 9
1. Die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft ist zulässig, insbesondere statthaft. Nach § 114 Abs. 1 Satz 1 WDO ist gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts und gegen gerichtliche Verfügungen die Beschwerde zum Bundesverwaltungsgericht möglich, soweit das Gesetz nicht ausdrücklich etwas anderes bestimmt. Ein solcher Ausschluss folgt nicht aus § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO, der einen Rechtsbehelf nur für den Soldaten eröffnet. Dass nur der Soldat gegen die ihn belastenden Anordnungen bei Gericht einstweiligen Rechtsschutz beantragen kann, bedeutet ähnlich wie bei § 80 Abs. 5 VwGO nicht, dass auch nur ihm ein Beschwerderecht gegen die gerichtliche Entscheidung zusteht. Denn je nach Ausgang des truppendienstgerichtlichen Verfahrens können entweder der Soldat oder die Einleitungsbehörde beschwert sein, sodass aus Gründen der Waffengleichheit beiden Seiten ein Beschwerderecht zustehen muss. Die Möglichkeit der Beschwerde ist dann auch der Wehrdisziplinaranwaltschaft als Vertreterin der Einleitungsbehörde (§ 81 Abs. 2 Satz 1 WDO analog) eröffnet.
Rz. 10
2. Die Beschwerde ist begründet, soweit das Truppendienstgericht die vorläufige Dienstenthebung und das Uniformtrageverbot aufgehoben hat; im Übrigen ist sie unbegründet.
Rz. 11
Nach § 126 Abs. 1 WDO kann die Einleitungsbehörde einen Soldaten vorläufig des Dienstes entheben, wenn das gerichtliche Disziplinarverfahren gegen ihn eingeleitet wird oder eingeleitet worden ist. Mit der vorläufigen Dienstenthebung, die von dem unter dem 24. September 2018 ausgesprochenen Verbot der Dienstausübung nach § 22 SG zu unterscheiden ist, kann das Verbot verbunden werden, Uniform zu tragen. Unter den Voraussetzungen des § 126 Abs. 2 WDO kann sie schließlich eine Kürzung der Dienstbezüge anordnen. Diese Anordnungen sind formell ordnungsgemäß ergangen (a). Sie setzen in materieller Hinsicht eine rechtswirksame Einleitungsverfügung (b) und einen besonderen, sie rechtfertigenden Grund voraus (c). Liegen diese Voraussetzungen vor, muss das behördliche Ermessen (d) rechtsfehlerfrei ausgeübt worden sein (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. März 2005 - 2 WDB 1.05 - Buchholz 235.01 § 126 WDO 2002 Nr. 2 S. 6).
Rz. 12
a) Die Anordnungen der vorläufigen Dienstenthebung, des Uniformtrageverbots und der hälftigen Einbehaltung der Bezüge sind formell ordnungsgemäß ergangen. Sie beruhen auf der Ermächtigungsgrundlage des § 126 Abs. 1 und 2 WDO und sind ausreichend begründet (vgl. § 39 VwVfG). Zwar wird im Bescheid vom 13. Dezember 2018 nur behauptet, der Soldat habe durch das vorgeworfene Verhalten in besonders schwerwiegender Weise gegen seine soldatischen Pflichten verstoßen, so dass voraussichtlich auf die Entfernung aus dem Dienstverhältnis erkannt werden müsse; im Bescheid vom 18. Februar 2019 finden sich jedoch ausführliche Darlegungen dazu, dass angesichts der vom Soldaten getätigten Äußerungen bei einer Wiederaufnahme des Dienstes mit einer empfindlichen Störung des Dienstbetriebes zu rechnen sei. Auch sei das Fehlverhalten zumindest geeignet, das Ansehen der Bundeswehr schwer zu beeinträchtigen, wenn er den Dienst wiederaufnehme. Ferner wird erläutert, aus welchen Gründen die Bezügekürzung angemessen sei. Die Einleitungsbehörde hat damit ihre Ermessenserwägungen bei Berücksichtigung der nachträglichen Ergänzungen gemäß § 45 Abs. 1 Nr. 2 VwVfG hinreichend begründet.
Rz. 13
b) Anders als vom Truppendienstgericht angenommen, liegt eine rechtswirksame Einleitungsverfügung vor.
Rz. 14
Soweit es die Vorwürfe zu 3, 4, 7, 9 und 10 mangels Angabe eines Tatortes für zu unbestimmt hält, überträgt es die vom Senat zu Anschuldigungsschriften entwickelten Grundsätze zu Unrecht auf Einleitungsverfügungen. Beide verfolgen indes unterschiedliche Ziele. Die Einleitungsverfügung bestimmt weder den Umfang des Verfahrens noch braucht sie - anders als die Anschuldigungsschrift - den disziplinaren Vorwurf im Einzelnen darzulegen. Das einmal eingeleitete gerichtliche Disziplinarverfahren kann ohne Ergänzung oder eine weitere Einleitungsverfügung auf Vorwürfe ausgedehnt werden, die nicht bereits Gegenstand der Einleitungsverfügung waren. Dies folgt namentlich aus § 99 Abs. 2 WDO, der die Einbeziehung neuer Pflichtverletzungen im bereits anhängigen gerichtlichen Disziplinarverfahren unter gänzlichem Verzicht auf eine insoweit neue Einleitungsverfügung zulässt (vgl. BVerwG, Urteil vom 17. Januar 2013 - 2 WD 25.11 - Rn. 28 m.w.N., Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 92 Rn. 1). Erforderlich ist lediglich, dass das Dienstvergehen, welches die vorläufige Dienstenthebung rechtfertigen soll, sachgleich mit dem Verhalten ist, das den Gegenstand der Einleitungsverfügung bildet (Dau/Schütz, WDO, 7. Aufl. 2017, § 126 Rn. 4). Dies ist vorliegend der Fall.
Rz. 15
Die Einleitungsbehörde hat auch nicht gegen den Grundsatz verstoßen, dass die Gerichtssprache nach § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i.V.m. § 184 GVG deutsch ist. Sie hat in der Einleitungsverfügung vielmehr englischsprachige außergerichtliche Äußerungen des Soldaten wörtlich zitiert, weil sie darin ein teilweise in fremder Sprache begangenes Dienstvergehen sieht. Ob die Einleitungsbehörde im Hinblick auf § 184 GVG gehalten gewesen wäre, die vorgeworfenen Äußerungen für Prozesszwecke zu übersetzen, kann offenbleiben. Ein wesentlicher Mangel, der zur Unwirksamkeit der Einleitungsverfügung führt, könnte darin allenfalls liegen, wenn der Beschuldigte ohne die Übersetzung nicht gewusst hätte, was ihm zur Last gelegt wird (vgl. EuGH, Urteil vom 15. Oktober 2015 - C-216/14 - NJW 2016, 303 Rn. 46). Dafür ist hier nichts ersichtlich.
Rz. 16
c) Für Anordnungen nach § 126 Abs. 1 und 2 WDO bedarf es eines besonderen rechtlichen Grundes, der hinsichtlich der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots, nicht aber hinsichtlich der Einbehaltensanordnung vorliegt.
Rz. 17
aa) Das Erfordernis eines besonderen rechtfertigenden Grundes beruht auf dem Umstand, dass das Gesetz nicht stets bei der Einleitung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens die in § 126 Abs. 1 WDO vorgesehenen Maßnahmen anordnet, sondern dafür zusätzlich eine behördliche Einzelfallprüfung vorsieht. Des Weiteren folgt im Gegenschluss aus § 126 Abs. 2 WDO, demzufolge eine Einbehaltensanordnung nur bei einer voraussichtlich zu verhängenden Höchstmaßnahme ergehen darf, dass für den Erlass der sonstigen Anordnungen die Höchstmaßnahme nicht zwingend zu erwarten sein muss (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 - 2 WDB 6.05 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 27). Ein besonderer Grund kommt bei Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO folglich regelmäßig dann in Betracht, wenn nach der vom Senat entwickelten Zweistufentheorie (vgl. BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 - 2 WD 16.16 - juris Rn. 91 m.w.N.) auf der ersten Stufe eine Dienstgradherabsetzung - als gemäß § 58 Abs. 1 Nr. 4, § 62 WDO zweitschwerste Disziplinarmaßnahme - im Raum steht und der Dienstbetrieb bei einem Verbleib des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde.
Rz. 18
bb) Die summarische Prüfung ergibt in tatsächlicher Hinsicht, dass der Soldat abgesehen von den unter Einleitungspunkt 9 beschriebenen Vorwürfen die Äußerungen, soweit sie Gegenstand der Einleitungsverfügung geworden sind, nicht dezidiert bestreitet. Die aktenkundigen Screenshots belegen zudem den Inhalt dieser Vorwürfe. Der Soldat hat sie - anlässlich seiner Anhörung zum Verbot der Ausübung des Dienstes - in großem Umfang eingeräumt und zu einem Teil von ihnen ausgeführt, er könne sich aufgrund der fortgeschrittenen Zeit nicht mehr an sie erinnern. Zum Teil hat er entschuldigend erklärt, er habe sich durch Oberleutnant Sch. mitreißen lassen und zu den Offizieren dazu gehören wollen. Dabei hat er insbesondere nicht in Abrede gestellt, bei dem Online-Spiel als "ADOLFKITTLER" aufgetreten zu sein.
Rz. 19
cc) Auch wenn man die bestrittenen Äußerungen ausklammert, begründet dieses Verhalten mit überwiegender Wahrscheinlichkeit ein Dienstvergehen nach § 23 Abs. 1 SG. Der Soldat hat insbesondere durch die in der Beschwerdeschrift wiedergegebenen Äußerungen antisemitischen und rassistischen Inhalts schuldhaft jedenfalls gegen die nach § 10 Abs. 6 SG bestehende Verpflichtung verstoßen, innerhalb und außerhalb des Dienstes bei seinen Äußerungen die Zurückhaltung zu wahren, die erforderlich ist, um das Vertrauen als Vorgesetzter zu erhalten. Die nach dieser Norm jedem Offizier und Unteroffizier bei dienstlichen und außerdienstlichen Äußerungen auferlegten Beschränkungen (Achtung der Rechte anderer, Besonnenheit, Toleranz und Sachlichkeit) sind für einen Vorgesetzten nach der gesetzlichen Entscheidung unerlässlich, um seine dienstlichen Aufgaben erfüllen und seinen Untergebenen in Haltung und Pflichterfüllung Vorbild sein zu können (BVerwG, Urteil vom 23. März 2017 - 2 WD 16.16 - juris Rn. 79). Dies gilt auch und gerade für Offizieranwärter, die während ihrer Ausbildung aufgrund ihres Dienstgrades Vorgesetzte sind (vgl. BVerwG, Urteil vom 24. April 2007 - 2 WD 9.06 - BVerwGE 128, 319 Rn. 38). Einher geht damit mit überwiegender Wahrscheinlichkeit auch ein Verstoß gegen die Wohlverhaltenspflicht nach § 17 SG, wobei noch weiter aufzuklären sein wird, ob ein inner- oder außerdienstlicher Verstoß vorliegt.
Rz. 20
Die Äußerungen sind auch bei Berücksichtigung des Hintergrunds, vor dem sie gefallen sind, ihrem Inhalt nach nationalistisch, rassistisch und antisemitisch; insbesondere die "Unterhaltungskomponente" ändert nichts an dem objektiven Sinn und Gehalt der Äußerungen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 34). Da der Soldat Äußerungen dieser Art wiederholt und über einen längeren Zeitraum hinweg getätigt hat, sie in ihrer Zielrichtung rassistisch und mehrfach diskriminierend sind und er zusätzlich durch die Verwendung des Spieler-Namens "ADOLFKITTLER" den Anschein verstärkt hat, nationalsozialistischem Gedankengut gegenüber jedenfalls nicht distanziert gegenüber zu stehen, wiegt jenes Dienstvergehen voraussichtlich auch so schwer, dass an sich eine Degradierung geboten ist. Äußerungen, die auf eine Bagatellisierung der nationalsozialistischen Unrechtsherrschaft abzielen, laufen dem Bestreben der Bundesrepublik Deutschland zuwider, die Hypothek abzutragen, die aufgrund der nationalsozialistischen Verbrechen noch auf ihr lastet (vgl. BVerwG, Urteil vom 28. August 2001 - 2 WD 27.01 - Buchholz 236.1 § 10 SG Nr. 47 S. 31 f.). Mit der in § 10 Abs. 6 SG normierten Mäßigungspflicht ist insbesondere ein Verhalten unvereinbar, das objektiv geeignet oder gar darauf angelegt ist, Ziele des NS-Regimes zu verharmlosen sowie Bestandteile der NS-Ideologie (wieder) gesellschaftsfähig zu machen (vgl. BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 54).
Rz. 21
Dabei handelte es sich auch um Äußerungen, die Untergebenen "zu Gehör kommen" oder "in die Öffentlichkeit dringen" können (BVerwG, Urteil vom 22. Oktober 2008 - 2 WD 1.08 - BVerwGE 132, 179 Rn. 34), weil sie in einer Online-Spielgruppe mit sieben und einer WhatsApp-Gruppe getätigt wurden, denen bis zu 35 Soldaten angehörten. Zwar handelte es sich bei ihnen (als Hörsaalteilnehmer) wohl überwiegend um gleichrangige Offiziersanwärter oder Offiziere, somit nicht um Untergebene; dies schloss jedoch nicht die Gefahr aus, dass die Äußerungen in die Öffentlichkeit dringen konnten.
Rz. 22
Dass das Strafverfahren gegen den Soldaten wegen Volksverhetzung eingestellt wurde, steht der disziplinarischen Ahndung nicht entgegen, da die Nichterfüllung des objektiven Straftatbestandes über die Gesinnung des Soldaten nichts aussagt. Im Mittelpunkt des gerichtlichen Disziplinarverfahrens steht nicht die Tat als solche, sondern die durch sie zum Ausdruck kommenden Charakter- und Persönlichkeitsmängel (vgl. BVerwG, Urteil vom 13. Juni 1989 - 2 WD 2.89 - juris Rn. 4).
Rz. 23
dd) Allerdings setzt die hälftige Bezügekürzung nach § 126 Abs. 2 Satz 1 WDO zusätzlich voraus, dass mit der Entfernung des Soldaten aus dem Dienst zu rechnen ist. Es ist nach dem gegenwärtigen Stand der Ermittlungen aber noch nicht überwiegend wahrscheinlich, dass der Soldat tatsächlich nationalsozialistischem Gedankengut anhängt und ein Verstoß gegen § 8 SG vorliegt, der regelmäßig die Höchstmaßnahme nach sich zieht (vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 17. März 2005 - 2 WDB 1.05 - Buchholz 235.01 § 126 WDO 2002 Nr. 2 S. 7). Zwar braucht dies im Verfahren nach § 126 Abs. 5 Satz 3 WDO noch nicht festzustehen; erforderlich dafür ist jedoch ein hinreichender Grad an Wahrscheinlichkeit (BVerwG, Beschluss vom 17. März 2005 - 2 WDB 1.05 - a.a.O. S. 6).
Rz. 24
An einer hinreichenden Wahrscheinlichkeit fehlt es gegenwärtig, weil die Ermittlungen noch kein klares Bild über die Persönlichkeit des Soldaten und den Charakter der Chat- und Spielgruppen, in denen er sich befand, zulassen. Zwar reichen die getätigten Äußerungen, wenn sich deren Ernsthaftigkeit herausstellen sollte, durchaus als ausreichende Betätigung einer der NS-Ideologie nahestehenden, verfassungsfeindlichen Gesinnung aus. Der mehrfach artikulierte Wunsch, aus rassistischen, antisemitischen und anti-islamistischen Gründen Menschen zu töten, und die einmal signalisierte Putsch-Bereitschaft, sind wörtlich genommen unvereinbar mit den in Art. 1 und 20 GG zum Ausdruck kommenden Grundwerten der freiheitlich demokratischen Grundordnung. Es ist aber nicht hinreichend aufgeklärt, inwieweit die Äußerungen ernst gemeint und Ausdruck einer entsprechenden inneren Gesinnung sind. Die Äußerungen des Soldaten in dem Online-Spiel und der WhatsApp-Gruppe sind in einem spielerisch-scherzhaften Kommunikationsumfeld gefallen. Da in beiden Foren ein auf kurzfristige "Lacher" angelegter Überbietungswettbewerb an geschmacklosen und menschenverachtenden Bemerkungen stattfand, ist der Rückschluss auf eine ernsthaft verfassungsfeindliche Gesinnung nicht zwingend.
Rz. 25
Zwar können einerseits nur Personen mit nationalistischen, antisemitischen und anti-islamistischen Vorurteilen die vom Soldaten geäußerten Bemerkungen "lustig" finden. Auch die hohe Zahl an "Scherzen", die positiv konnotierend auf NS-Gräueltaten anspielen, legen ebenso wie die Verwendung des Pseudonyms "ADOLFKITTLER" in dem Online-Spiel den Verdacht nahe, dass der Soldat mit NS-Gedankengut stark sympathisiert. Andererseits haben weder der IT-forensische Untersuchungsbericht noch die Durchsuchungen weitere Hinweise darauf ergeben, dass der Soldat tatsächlich über eine entsprechende Gesinnung verfügt, die den Grundsätzen der freiheitlich demokratischen Grundordnung widerspricht. Insbesondere wurde bislang nicht festgestellt, dass der Soldat mit einschlägigen verfassungsfeindlichen Organisationen oder deren Mitgliedern Kontakt hat oder dass er nationalsozialistische Gegenstände, Symbole, Bücher etc. besitzt. Da er eine solche Gesinnung auch ausdrücklich in Abrede gestellt und erklärt hat, seine Äußerungen zu bereuen, bedarf es insoweit weiterer Ermittlungen von Seiten der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Es ist nicht auszuschließen, dass der Soldat seine Bemerkungen nicht ernst gemeint hat, dass seine Beiträge in dem Online-Spiel aufgrund Alkoholkonsums enthemmt waren und dass er sich durch das Bedürfnis nach Anerkennung in der Offiziersgruppe zu besonders schlechten, seine innere Einstellung nicht wiedergebenden "Scherzen" hinreißen ließ. Da der Soldat zur Tatzeit Heranwachsender war, kann sein Verhalten auch auf jugendlicher Unreife (vgl. § 105 JGG) beruhen (vgl. dazu BVerwG, Urteil vom 18. Juli 2019 - 2 WD 19.18 - juris Rn. 36 ff.)
Rz. 26
d) Bei der Anordnung der vorläufigen Dienstenthebung und des Uniformtrageverbots hat der Dienstherr seine Entscheidung ermessensfehlerfrei getroffen und den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz gewahrt. Diese Anforderungen sind nur dann erfüllt, wenn der Dienstbetrieb bei einem Verbleiben des Soldaten im Dienst empfindlich gestört oder in besonderem Maße gefährdet würde. Dabei dürfen dem Soldaten keine Nachteile zufügt werden, die außer Verhältnis zu dem Interesse des Dienstherrn stehen, einen Soldaten, der eines schwerwiegenden Dienstvergehens hinreichend verdächtig ist, bis zur endgültigen Klärung dieses Vorwurfs von der Dienstausübung auszuschließen (BVerwG, Beschluss vom 19. Januar 2006 - 2 WDB 6.05 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 3 Rn. 27 m.w.N.). Das Wehrdienstgericht ist insoweit auf eine Überprüfung der behördlichen Ermessensentscheidung beschränkt und trifft - im Gegensatz zur späteren Disziplinarmaßnahme - keine originäre gerichtliche Entscheidung.
Rz. 27
Nach Maßgabe dessen ist die Ermessensentscheidung im Bescheid vom 18. Februar 2019 nicht zu beanstanden. Die Entscheidung, einen Soldaten, dessen Verfassungstreue ernsthaft in Zweifel steht, vorübergehend auf keinem Dienstposten einzusetzen, ist nicht sachwidrig. Denn auch nur der Anschein, der Soldat bekenne sich nicht zu einer für das Soldatenverhältnis geradezu fundamentalen Verpflichtung, schadet zum einen dem Ansehen der Bundeswehr, die sich in der letzten Zeit des Vorwurfs erwehren muss, rechtsradikalen Umtrieben nicht energisch genug entgegenzutreten; zum anderen bewirkt er nach innen eine Gefährdung bzw. Störung des Dienstbetriebes, weil dadurch der Eindruck einer Bagatellisierung entsteht. Dass sich der Verdacht eines Verstoßes nach § 8 SG noch nicht derart erhärtet hat, dass die Höchstmaßnahme anzunehmen ist, ändert daran nichts. Denn dieser rechtliche Maßstab gilt - wie erwähnt - nur, soweit die Einbehaltung von Dienstbezügen nach § 126 Abs. 2 WDO in Rede steht, nicht aber für Anordnungen nach § 126 Abs. 1 WDO.
Rz. 28
3. Mit der Entscheidung über die Beschwerde wird der ohnedies nicht weiter verfolgte Antrag auf Aussetzung der sofortigen Vollziehbarkeit des truppendienstgerichtlichen Beschlusses jedenfalls gegenstandslos. Da im Beschwerdeverfahren das Vorbringen der Wehrdisziplinaranwaltschaft zur Kenntnis genommen und in Erwägung gezogen worden ist, hat sich auch deren Gehörsrüge erledigt.
Rz. 29
4. Einer Entscheidung über die Kosten des Verfahrens bedurfte es nicht. Diese werden von der zur Hauptsache ergehenden Kostenentscheidung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens miterfasst (BVerwG, Beschluss vom 4. Dezember 2009 - 2 WDB 4.09 - jurion Rn. 17).
Fundstellen
Haufe-Index 13531733 |
ZBR 2020, 106 |