Leitsatz (amtlich)
Die Immunität eines Abgeordneten des Europäischen Parlaments begründet ein Verfahrenshindernis bei der Durchführung eines wehrdienstgerichtlichen Disziplinarverfahrens. Dies gilt auch für vor dem Mandatserwerb eingeleitete ("mitgebrachte") Verfahren.
Verfahrensgang
TDG Nord (Beschluss vom 25.01.2018; Aktenzeichen N 6 VL 8/17) |
Tatbestand
Rz. 1
...
Rz. 2
Mit Beschluss vom 25. Januar 2018 hat der Vorsitzende der 6. Kammer des Truppendienstgerichts Nord das gerichtliche Disziplinarverfahren wegen eines Verfahrenshindernisses eingestellt. Eine Verurteilung wegen unwürdigen Verhaltens nach dem Ausscheiden aus dem Dienst setze die Möglichkeit einer Wiederverwendung als Offizier voraus. Hieran fehle es aber nach der Vollendung des 65. Lebensjahres. Eine aktive Betätigung gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung liege in den vorgeworfenen Handlungen nicht. Sie sei auch nicht ordnungsgemäß angeschuldigt. Weiterhin bestehe für die Durchführung des Disziplinarverfahrens das Verfahrenshindernis der Immunität als Mitglied des Europäischen Parlaments.
Rz. 3
Hiergegen wendet sich die Beschwerde der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Der frühere Soldat habe sich durch das angeschuldigte Verhalten sowohl unwürdig verhalten als auch gegen die freiheitlich demokratische Grundordnung betätigt. Für eine Verurteilung wegen der letztgenannten Pflichtverletzung sei die Wiederverwendung keine tatbestandliche Voraussetzung. Für die Durchführung eines Disziplinarverfahrens sei anders als bei der Durchführung eines Strafverfahrens die vorherige Aufhebung der Immunität durch das Europäische Parlament nicht erforderlich. In der fehlenden Aufhebung der Immunität liege kein Verfahrenshindernis, das die Verfahrenseinstellung durch den Vorsitzenden im Beschlusswege rechtfertige.
Entscheidungsgründe
Rz. 4
Die form- und fristgerecht erhobene Beschwerde ist unbegründet, weil die Vorinstanz im Ergebnis zu Recht ein Verfahrenshindernis festgestellt hat.
Rz. 5
Unter den Begriff des Verfahrenshindernisses nach § 108 Abs. 3 Satz 1, Abs. 4 WDO fallen alle Umstände, die der Fortführung des gerichtlichen Disziplinarverfahrens von Rechts wegen entgegenstehen (BVerwG, Beschluss vom 6. August 2014 - 2 WDB 5.13 - BVerwGE 150, 162 Rn. 9 m.w.N.). Dementsprechend steht die Immunität eines Abgeordneten grundsätzlich solange der Durchführung eines wehrdienstgerichtlichen Disziplinarverfahrens entgegen, bis das Parlament dem zustimmt. Soweit der Senat im Urteil vom 23. April 1985 (2 WD 42.84, BVerwGE 83, 1ff.) eine andere Rechtsauffassung vertreten hat, hält er hieran nicht mehr fest.
Rz. 6
1. Der frühere Soldat genießt als Europaabgeordneter für die Wahlperiode von 2014 bis 2019 Immunität. Nach § 5 Satz 1 des Gesetzes über die Rechtsverhältnisse der Mitglieder des Europäischen Parlaments aus der Bundesrepublik Deutschland (Europaabgeordnetengesetz - EuAbgG - vom 6. April 1979 ≪BGBl. I S. 413≫, zuletzt geändert durch Gesetz vom 11. Juli 2014 ≪BGBl. I S. 906≫) bestimmt sich die Indemnität und Immunität der Mitglieder des Europäischen Parlaments nach den Artikeln 9 und 10 des Protokolls über die Vorrechte und Befreiungen der Europäischen Gemeinschaften im Anhang zum Vertrag zur Einsetzung eines gemeinsamen Rates und einer gemeinsamen Kommission der Europäischen Gemeinschaften vom 8. April 1965 (BGBl. 1965 II S. 1453, ≪1482≫, im Folgenden: Protokoll). Allerdings vermittelt Art. 9 des Protokolls den Mitgliedern des Europäischen Parlaments Verfolgungsschutz im Sinne einer absoluten Immunität nur in Bezug auf Änderungen, die "in Ausübung ihres Amtes erfolgten"; dabei muss der Zusammenhang zwischen der erfolgten Äußerung und der parlamentarischen Tätigkeit unmittelbar und in offenkundiger Weise ersichtlich sein (vgl. EuGH, Urteile vom 6. September 2011 - C-163/10 [ECLI:EU:C:2011:543], Patriciello - Rn. 35 und vom 21. Oktober 2008 - C-200/07 und C-201/07 [ECLI:EU:C:2008:579], Marra - Rn. 44). Daran fehlt es, wenn die im Disziplinarverfahren angeschuldigten Äußerungen - wie hier - Jahre vor dem Antritt des Europaabgeordnetenmandats getätigt worden sind. Nach Art. 10 Satz 1 Buchst. a des Protokolls steht den Mitgliedern des Europäischen Parlaments während der Dauer der Sitzungsperiode darüber hinaus im Hoheitsgebiet ihres eigenen Staates die den Parlamentsmitgliedern zuerkannte Unverletzlichkeit zu. Folglich sind für die Dauer der Sitzungsperiode die nationalen Immunitätsregelungen auf Mitglieder des Europaparlaments ergänzend anwendbar. Damit gilt der relative Immunitätsschutz des Art. 46 Abs. 2 GG auch für einen Europaabgeordneten. Gleich einem Abgeordneten des Deutschen Bundestages darf er während der Sitzungsperiode wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung nur mit Genehmigung seiner Versammlung, des Europäischen Parlaments, zur Verantwortung gezogen werden (BVerwG, Urteil vom 23. April 1985 - 2 WD 42.84 - BVerwGE 83, S. 1 ≪3≫). Die "Sitzungsperiode" im Sinne von Art. 10 Satz 1 des Protokolls erfasst regelmäßig das gesamte Jahr, auch wenn das Europäische Parlament nicht tatsächlich tagt, sodass sich hieraus ein lückenloser Immunitätsschutz für die gesamte Mandatsdauer ergibt (vgl. EuGH, Urteil vom 10. Juli 1986 - C-149/85 [ECLI:EU:C:1986:310], Wybot/Faure - Slg. 1986, 2391 Rn. 17 ff.; Eva Uppenbrink, Das Europäische Mandat - Status der Abgeordneten des Europäischen Parlaments, 2004, S. 62 f. m.w.N.).
Rz. 7
2. Der hier in zeitlicher Hinsicht unvermindert andauernde Immunitätsschutz greift auch im vorliegenden Fall ein. Gerichtliche Disziplinarverfahren nach der Wehrdisziplinarordnung fallen in den sachlichen Anwendungsbereich von Art. 46 Abs. 2 GG, weil sie auf die Verhängung einer staatlichen Strafsanktion abzielen. Daher dürfen auch vor dem Mandatserwerb eingeleitete ("mitgebrachte") Disziplinarverfahren nicht ohne Genehmigung des Parlaments fortgeführt werden. Eine solche Genehmigung des Europäischen Parlaments ist nicht eingeholt worden.
Rz. 8
a) Der Schutz des Art. 46 Abs. 2 GG greift nach seinem Wortlaut stets, wenn ein Abgeordneter wegen einer mit Strafe bedrohten Handlung zur Verantwortung gezogen werden soll. Die Norm erfasst neben Verfahren nach der Strafprozessordnung auch gerichtliche Disziplinarverfahren in Anwendung der Wehrdisziplinarordnung. "Zur Verantwortung gezogen" wird bereits nach allgemeinem Sprachgebrauch nicht nur der Angeklagte im Strafverfahren, sondern auch der Angeschuldigte eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens. Zwar bezeichnet die Wehrdisziplinarordnung - WDO - seit Inkrafttreten des Gesetzes zur Neuordnung des Wehrdisziplinarrechts vom 21. August 1972 (BGBl. I S. 1481) die in ihren Verfahren möglichen Sanktionen als "Maßnahmen" (vgl. § 22 und § 58 WDO geltender Fassung) und nicht mehr wie noch die WDO in der Fassung vom 15. März 1957 (BGBl. I S. 189) als "Disziplinarstrafen". Trotz Änderung der Bezeichnung stellen die Sanktionen der Wehrdisziplinarordnung nach wie vor eine missbilligende Reaktion auf schuldhaftes Verhalten dar (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1969 - 2 BvR 518/66 - BVerfGE 26, 186 ≪204≫; BVerwG, Urteil vom 23. April 1985 - 2 WD 42.84 - BVerwGE 83, 1 ≪4≫). Dass der verfassungsrechtliche Begriff der "Strafe" in Art. 46 Abs. 2 GG nicht auf Kriminalstrafen beschränkt ist, ergibt sich schon daraus, dass der Grundgesetzgeber - wie etwa in Art. 103 Abs. 3 GG - eine solche Beschränkung etwa durch die Formulierung "auf Grund der allgemeinen Strafgesetze" zum Ausdruck bringen kann (BVerfG, Beschluss vom 11. Juni 1969 - 2 BvR 518/66 - BVerfGE 26, 186 ≪203≫). Eine solche Formulierung verwendet Art. 46 Abs. 2 GG nicht. "Strafe" ist damit nicht nur die in einem Verfahren nach der Strafprozessordnung verhängte Kriminalstrafe, sondern jede Zufügung eines angedrohten Übels als Reaktion der öffentlichen Gewalt auf ein vorangegangenes Verhalten (vgl. Magiera in: Bonner Kommentar zum Grundgesetz, 187. Aktualisierung November 2017, Art. 46 GG Rn. 142; Achterberg/Schulte in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 46 GG Rn. 39) und damit auch die Disziplinarmaßnahme (vgl. bereits BVerfG, Beschluss vom 21. September 1976 - 2 BvR 350/75 - BVerfGE 42, 312 ≪328≫; Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 13 Rn. 7).
Rz. 9
b) Für ein weites Verständnis des Art. 46 Abs. 2 GG spricht auch die historische Interpretation. Schon die Vorgängernormen - Art. 31 Abs. 1 RV 1871 und Art. 37 Abs. 1 WRV - erfassten Disziplinarmaßnahmen (vgl. RG, Urteil vom 16. April 1892 - 1578/92 - RGSt 23, 184 ≪193≫, G. Anschütz, Die Verfassung des Deutschen Reichs, Kommentar, 14. Aufl. 1933, Art. 37 Nr. 2; Anschütz/Thoma, Handbuch des Deutschen Staatsrechts, 1930 (1. Band), § 39 S. 442: "... Schutz vor jeder Art... disziplinärer Strafverfolgung"); Kemper, DÖV 1985, 880; Achterberg/Schulte in: von Mangoldt/Klein/Starck, Kommentar zum Grundgesetz, 7. Auflage 2018, Art. 46 Abs. 2 GG Rn. 39). Es gibt keinen Hinweis darauf, dass der Gesetzgeber des Grundgesetzes hieran etwas hat ändern wollen. Da die Staatspraxis in Vergangenheit und Gegenwart kontinuierlich davon ausgeht, dass Disziplinarverfahren den Immunitätsregelungen unterfallen und Wege vorsieht, die Immunität zur Durchführung von Disziplinarverfahren aufzuheben (vgl. Anlage 6 Abschnitt A Nr. 9 zu § 107 Abs. 2 Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sowie Butzer, Immunität im demokratischen Rechtsstaat, 1991, S. 187 m.w.N.) besteht auch kein Anlass, von einem insoweit gewandelten Verfassungsverständnis des Art. 46 Abs. 2 GG auszugehen.
Rz. 10
c) Etwas anderes ergibt sich auch nicht aus dem Vergleich der Absätze 1 und 2 von Art. 46 GG. Zwar unterscheidet Art. 46 Abs. 1 Satz 1 GG für die Indemnität zwischen gerichtlicher und dienstlicher Verfolgung. Hieraus ist aber nicht abzuleiten, dass die Norm auch in Bezug auf die Immunitätsregelung zwischen Straf- und Disziplinarverfahren differenziert und letztere ausschließt. Denn Absatz 1 Satz 1 verbietet gerichtliche und dienstliche Verfolgung und sonstiges Zur-Verantwortung-Ziehen und Absatz 2 verwendet den weiten Begriff, dass ein Abgeordneter zur Verantwortung gezogen werden soll. Ob dies auf gerichtlichem oder dienstlichem Wege erfolgt, wird in Absatz 2 gerade nicht eingeschränkt. Der weite Begriff des Zur-Verantwortung-Ziehens sagt auch nichts darüber aus, ob die drohende Sanktion als "Strafe" zu betrachten ist.
Rz. 11
d) Sinn und Zweck der Immunitätsregelung sprechen für eine Einbeziehung von Disziplinarmaßnahmen in den verfassungsrechtlichen Begriff der "Strafe".
Immunitätsregelungen dienen dem Schutz des Parlaments und finden ihre Rechtfertigung im Repräsentationsprinzip (BVerfG, Urteil vom 17. Dezember 2001 - 2 BvE 2/00 - BVerfGE 104, 310 ≪328 f.≫). Hiermit soll sichergestellt werden, dass die parlamentarische Arbeit durch ein nach dem Willen des Wahlvolkes zusammengesetztes Gremium unbeeinträchtigt unter Teilnahme aller Abgeordneten erfolgen kann. Die Immunität schützt auch davor, dass Abgeordnete durch Eingriffe anderer Staatsgewalten in ihrer parlamentarischen Arbeit behindert werden. Die Gefahren, denen Art. 46 Abs. 2 GG im Interesse der Funktionsfähigkeit der parlamentarischen Demokratie wehren will, mögen im demokratischen Rechtsstaat wenig wahrscheinlich sein. Dies macht die Regelung des Art. 46 Abs. 2 GG aber weder obsolet noch rechtfertigt es eine dem Normzweck widersprechende enge Auslegung (vgl. BayVGH, Entscheidung vom 24. Oktober 1958 - Vf. 30 - VII - 58 - BayVBl. 1959, 53; Morlok/Schliesky/Wiefelspütz, Parlamentsrecht, 2016, § 13 Rn. 17). Die Ermittlungen in einem wehrgerichtlichen Disziplinarverfahren können die Ausübung eines Abgeordnetenmandats aber in gleicher Weise erschweren wie die Ermittlungen der Staatsanwaltschaft in einem Strafverfahren. Auch berühren die in einem wehrdienstgerichtlichen Disziplinarverfahren drohenden Strafsanktionen den Betroffenen häufig ebenso massiv. Insbesondere Dienstgradherabsetzungen oder Entfernungen aus dem Dienst bzw. Aberkennung des Ruhegehalts können das Ansehen und die langfristigen Existenzgrundlagen der davon Betroffenen oftmals nachhaltiger beeinflussen als sachgleiche Kriminalstrafen. Wirken disziplinarische Sanktionen aber vergleichbar einschneidend wie Kriminalstrafen, sind sie in gleicher Weise geeignet, die Amtsausübung eines Abgeordneten zu erschweren. Werden wehrdisziplinarrechtliche Schritte ohne zureichenden Grund ergriffen und besteht ein "fumus persecutionis" (vgl. EuG, Beschluss vom 17. Januar 2013 - T - 346/11 und T - 347/11 [ECLI:EU:T:2013:23] - Rn. 104, 116 ff.), sind die Gefahren für das Repräsentationsprinzip mithin vergleichbar.
Rz. 12
Zwar bestehen insbesondere in den Sanktionszwecken Unterschiede zwischen Straf- und Disziplinarverfahren. Während das Strafrecht die elementaren Werte des Gemeinschaftslebens schützen, die Unverbrüchlichkeit der Rechtsordnung vor der Rechtsgemeinschaft erweisen und so die Rechtstreue der Bevölkerung stärken soll (BVerfG, Urteil vom 21. Juni 1977 - 1 BvL 14/76 - BVerfGE 45, 187 ≪253 ff.≫ zum Strafverfahren), verfolgt das Wehrdisziplinarrecht das Ziel, die Integrität, das Ansehen und die Disziplin in der Bundeswehr wiederherzustellen und zu sichern (BVerwG, Urteil vom 11. Juni 2008 - 2 WD 11.07 - Buchholz 450.2 § 38 WDO 2002 Nr. 26 Rn. 23 m.w.N.). Diese Unterschiede in der Zielsetzung sind jedoch ohne Bedeutung, weil zum Schutz der durch die Immunitätsregelungen geschützten Interessen allein auf die Wirkung der Sanktion und der Sanktionsdrohung auf die Entscheidungsfreiheit des Abgeordneten abzustellen ist. Beiden Rechtsregimen ist jedoch gemein, dass sie durch Sanktionsdrohung oder -verhängung auf das (künftige) Verhalten des Rechtsunterworfenen Einfluss nehmen sollen und dass bereits die ersten Schritte eines Straf- oder Disziplinarverfahrens das Ansehen eines Parlamentariers und damit auch die Parlamentsarbeit tangieren. Darum bedarf der Abgeordnete in beiden Fällen des Schutzes der Immunitätsregelung. Da auch Verfahren, die bereits vor dem Erwerb der Parlamentsmitgliedschaft eingeleitet wurden, die Schutzzwecke der Immunitätsregelungen nachteilig betreffen können, erfasst Art. 46 Abs. 2 GG auch "mitgebrachte Verfahren" (zum früheren Meinungsstand: R. Schneider, DVBl. 1955, 350 ff.; RG, Urteil vom 17. Oktober 1895 - 3394/95 - RGSt 27, 385 ≪386 f.≫).
Rz. 13
e) Europarecht gebietet kein engeres Verständnis der Immunitätsregelungen. Art. 10 Satz 1 Buchst. a des Protokolls verweist ausdrücklich für den weiteren Immunitätsschutz der Abgeordneten des Europäischen Parlaments in deren Herkunftsstaat auf die nationalen Bestimmungen und erhebt somit grundsätzlich keinen eigenen Gestaltungsanspruch hinsichtlich des Umfangs (vgl. EuGH, Urteil vom 6. September 2011 - C-163/10 [ECLI:EU:C:2011:543], Patriciello - Rn. 25). Ein engerer Schutz ergibt sich auch nicht aus Art. 10 Satz 1 Buchst. b des Protokolls, der die gerichtliche Verfolgung von Mitgliedern des Europäischen Parlaments auch in anderen Mitgliedsstaaten ausschließt. Er zielt im Gegenteil vielmehr auf eine Erweiterung des Schutzes von Abgeordneten ab.
Rz. 14
f) Die Zwecke des Disziplinarverfahrens werden durch ein weites Verständnis des Art. 46 Abs. 2 GG nicht gefährdet. Denn sowohl Art. 9 der Geschäftsordnung des Europäischen Parlamentes als auch die Anlage 6 zu § 107 der Geschäftsordnung des Deutschen Bundestages sehen Wege vor, die Genehmigung des Parlaments einzuholen, deren Beschreiten der Wehrdisziplinaranwaltschaft möglich und zumutbar ist. Die im öffentlichen Interesse an der Erhaltung der Funktionsfähigkeit der Streitkräfte notwendige Disziplinierung ihrer Angehörigen wird durch Art. 46 Abs. 2 GG nicht verhindert, sondern an die Einbindung des Parlaments zur Wahrung von dessen Rechten geknüpft. Damit ist ein angemessener Ausgleich kollidierender Teilaspekte des Gemeinwohls möglich.
Rz. 15
3. Zwar war es ermessensfehlerhaft, die grundsätzliche Frage, ob die Immunität des Abgeordneten ein Verfahrenshindernis begründet, abweichend von höchstrichterlicher Rechtsprechung durch Beschluss des Vorsitzenden außerhalb einer Hauptverhandlung nach § 108 Abs. 4 WDO zu entscheiden. Da allerdings aus den oben ausgeführten Gründen keine andere Entscheidung als die Einstellung möglich war, beruht die Entscheidung nicht auf diesem Fehler.
Rz. 16
Die Kostenentscheidung folgt § 139 Abs. 2, § 140 Abs. 3 Satz 1 WDO.
Fundstellen
BVerwGE 2019, 325 |
ZBR 2020, 43 |
JZ 2019, 128 |
JZ 2019, 129 |
NZWehrr 2018, 248 |