Entscheidungsstichwort (Thema)
Zur Rechtswidrigkeit eines Durchsuchungsbeschlusses bei unklarem Anfangsverdacht
Leitsatz (amtlich)
1. Eine Beschwerde ist auch dann rechtswirksam eingelegt, wenn sie nicht an die Kammer des (zuständigen) Truppendienstgerichts adressiert ist, deren Entscheidung angefochten wird (Aufgabe von BVerwGE 46, 259 f.).
2. Die Notfallzuständigkeit eines anderen Truppendienstgerichts nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO aktualisiert sich erst, wenn kein Richter des grundsätzlich zuständigen Truppendienstgerichts nach dessen Geschäftsverteilungsplan erreichbar ist.
3. Dient die Durchsuchungsanordnung dem Nachweis mehrerer Pflichtverletzungen, ist dem bei der Frage des Anfangsverdachts und der notwendig zu durchsuchenden Gegenstände differenzierend und insbesondere verhältnismäßig Rechnung zu tragen.
Verfahrensgang
Truppendienstgericht Nord (Beschluss vom 06.10.2021; Aktenzeichen N 4 DsL 06/21 und N 5 BLd 2/21) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Soldaten wird der Beschluss des Vorsitzenden der 4. Kammer des Truppendienstgerichts Nord vom 6. Oktober 2021 aufgehoben; im Übrigen wird sie verworfen.
Die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der dem Soldaten darin erwachsenen notwendigen Auslagen tragen der Bund und der Soldat jeweils zur Hälfte.
Tatbestand
Rz. 1
Das Verfahren betrifft die Durchsuchung im Wesentlichen elektronischer Kommunikationsmittel sowie sonstiger Gegenstände des Soldaten wegen des Verdachts einer verfassungswidrigen Gesinnung sowie der kollektiven Misshandlung von Kameraden.
Rz. 2
1. Der 1989 geborene Beschwerdeführer leistet als Oberstabsgefreiter bei der... beim... in... Dienst.
Rz. 3
2. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft für den Bereich des... (Wehrdisziplinaranwaltschaft) führt gegen ihn disziplinare Vorermittlungen. Mit LotusNotes vom 6. Oktober 2021, 12:09 Uhr, beantragte sie bei der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord gegen den Soldaten die Anordnung einer "Durchsuchung und/oder Beschlagnahme". Sie wirft ihm vor, seit einem noch zu ermittelnden Zeitpunkt Mitglied einer Gruppierung namens "..." oder "..." innerhalb der Einheit mit völkisch-nationaler Gesinnung zu sein. Die Gruppe führe unter anderem Aufnahmerituale wie Anurinieren von Kameraden, Austeilen von Leberhaken und Zufügung von Brandflecken durch. Beigefügt waren dem Antrag die Aussagen des Hauptgefreiten A. vom 5. Oktober 2021 sowie der Hauptgefreiten B. vom 27. September 2021.
Rz. 4
3. Da sich der Vorsitzende der 5. Kammer am 6. Oktober 2021 von 10:05 bis 20:13 Uhr in einer mündlichen Verhandlung befand, wurde der Antrag von seiner Geschäftsstelle am selben Tag um 12:39 Uhr an die 3./4. Kammer desselben Truppendienstgerichts weitergeleitet.
Rz. 5
4. Der Vorsitzende der 4. Kammer ordnete mit Beschluss vom 6. Oktober 2021 (Beschluss) antragsgemäß die Durchsuchung "und gegebenenfalls die Beschlagnahme von Beweismitteln" an; im Übrigen heißt es in der Beschlussformel:
"2. Die Durchsuchung und Beschlagnahme der Mobilfunkgeräte und elektronische Datenträger des Soldaten erstreckt sich auch auf die darin befindlichen Speicherkarten sowie der von den Mobilfunkgeräten räumlich getrennten Speichermedien (z.B. 'Cloud-Daten'), soweit auf sie von den Mobilfunkgeräten aus zugegriffen werden kann, einschließlich der darin verkörperten Informationen, die als Beweismittel in Betracht kommen.
3. Die Durchführung der Beschlagnahme der Daten kann durch die Beschlagnahme des Datenträgers, auf dem sich die Daten befinden, oder durch die Anfertigung von Kopien erfolgen.
4. Die Beschlagnahme der Mobilfunkgeräte sowie der darin befindlichen Speicherkarten als elektronische Datenträger darf nur solange aufrechterhalten bleiben, wie sie zur Beweissicherung erforderlich ist."
Rz. 6
Der Soldat sei eines Verstoßes gegen die Pflichten zum treuen Dienen, zur Kameradschaft und zu achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten verdächtig. Aufgrund der Aussage des Hauptgefreiten A. bestehe der Verdacht, dass von Mitgliedern der Gruppe entwürdigende Behandlungen und strafrechtliche relevante Körperverletzungen begangen würden. Der Soldat sei als Mitglied der Gruppe benannt worden. Deren Anführer solle ein T-Shirt mit dem Aufdruck einer halben schwarzen Sonne in Form eines Sonnenrads mit übereinandergelegten Hakenkreuzen bzw. Siegrunen und der Aufschrift "Sonnenstudio 88 - Wir sind braun" getragen und andere Personen als "Fidschi" und "Ziegenficker" bezeichnet haben. Die angeordneten Maßnahmen seien zur Aufklärung des Dienstvergehens und zur Überführung des Soldaten notwendig. Die Durchsuchung diene dem Auffinden von Beweismitteln, die Beschlagnahme der Beweissicherung. Das Auffinden entsprechender Gegenstände würde die verfassungsfeindliche Einstellung und die disziplinar- und strafrechtliche Betätigung des Soldaten belegen. Hinsichtlich der Beschlagnahme sei eine potenzielle Beweisbedeutung des Gegenstandes erforderlich und ausreichend. Die Maßnahmen stünden auch in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des Dienstvergehens und zur Stärke des Tatverdachts.
Rz. 7
5. Die Durchsuchung erfolgte am 6. Oktober 2021. In der dazu gefertigten Niederschrift heißt es unter anderem, die dort im einzelnen bezeichneten Gegenstände seien beschlagnahmt und sichergestellt worden. Der Soldat habe während der Maßnahme zwar über körperliches Unwohlsein geklagt, eine Unterstützung durch Sanitäter sei jedoch nicht notwendig gewesen.
Rz. 8
6. Am 13. Oktober 2021 hat der Soldat gegen den Beschluss bei der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord Beschwerde eingelegt, der der Kammervorsitzende nicht abgeholfen hat.
Rz. 9
Die Beschwerde werde auch gegen die Beschlagnahme und die Durchsicht des Mobiltelefons und sonstiger Datenträger erhoben; hilfsweise werde der Sicherstellung widersprochen und deren Herausgabe beantragt. Der Beschluss sei von einem unzuständigen Richter erlassen worden, weil die Durchführung einer Hauptverhandlung keinen Notfall darstelle. Rechtswidrig sei der Beschluss zudem, weil er nicht erkennen lasse, nach welchen Beweisen gesucht werden solle und warum zu erwarten gewesen sei, dass sich auf Mobiltelefonen oder sonstigen Datenträgern Beweise fänden. Der Soldat habe die Gegenstände auch nicht freiwillig herausgegeben. Die PIN für das Mobiltelefon sei ihm durch Täuschung entlockt worden und die Durchsuchung gezielt nach einer Übung erfolgt, um ihn im übermüdeten Zustand anzutreffen. Vor der Durchsuchung sei er auch nicht über sein Recht zur Verteidigerkonsultation belehrt worden. Das Mobiltelefon und die Musik-CDs stünden zudem im Eigentum seiner Ehefrau.
Rz. 10
7. Die Wehrdisziplinaranwaltschaft tritt dem entgegen. Die Anordnung der Durchsuchung, ihre Durchführung und die Beschlagnahme begegneten keinen rechtlichen Bedenken. Der Bundeswehrdisziplinaranwalt hat sich dem angeschlossen.
Rz. 11
8. Der Soldat hat darauf repliziert und der Vorsitzende Richter der 5. Kammer zur Vertretungssituation Stellung bezogen.
Entscheidungsgründe
Rz. 12
Der Beschwerdeführer wendet sich nicht nur gegen den Beschluss des Truppendienstgerichts, sondern auch gegen Maßnahmen, die in Ausführung dessen gegen ihn ergriffen worden sind.
Rz. 13
1. Die Beschwerde ist unstatthaft, soweit sie sich gegen Maßnahmen im Rahmen der Durchführung der Durchsuchung richtet. Gegen sie kann der Soldat entsprechend der dem Beschluss beigefügten Rechtsbehelfsbelehrung nur mit einer in die abschließende Zuständigkeit des Truppendienstgerichts fallenden Beschwerde nach § 42 Nr. 5 Satz 1 WDO vorgehen; dies betrifft etwa die Frage der Verhältnismäßigkeit der fortdauernden Besitzentziehung der Gegenstände und die Frage, ob auf seine Willensfreiheit rechtswidrig eingewirkt worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 17 und 58).
Rz. 14
2. Im Übrigen ist die Beschwerde zulässig.
Rz. 15
a) Ihre Statthaftigkeit folgt aus § 114 Abs. 1 Satz 1 und 2 WDO. Danach sind Beschwerden gegen Beschlüsse des Truppendienstgerichts, die der Urteilsfällung vorausgehen, ausnahmsweise zulässig, wenn sie eine Durchsuchung oder Beschlagnahme betreffen, sofern das Gesetz nicht etwas anderes bestimmt. § 114 WDO gilt nach seiner systematischen Stellung in der Wehrdisziplinarordnung auch für richterliche Beschlüsse, die - wie hier - in einem von der Wehrdisziplinaranwaltschaft geführten Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) ergangen sind (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2012 - 2 WDB 1.12 - juris Rn. 21 m. w. N.). Für Anordnungen, die nach § 20 Abs. 1 WDO durch den Truppendienstrichter ergehen, sieht die Wehrdisziplinarordnung - anders als bei Entscheidungen der Truppendienstkammer nach § 20 Abs. 2 Satz 8 WDO - auch nicht vor, dass sie endgültig (unanfechtbar) sind.
Rz. 16
b) Die Beschwerde ist gemäß § 114 Abs. 2 Satz 1 WDO am 13. Oktober 2021 innerhalb eines Monats nach der am 6. Oktober 2021 erfolgten Bekanntgabe des Beschlusses an den Soldaten fristgerecht erhoben worden. Dass sie an die 5. Kammer adressiert war, nimmt ihr nicht ihre Wirksamkeit. Soweit der Senat in seinem Beschluss vom 20. Mai 1974 - 2 WD 50.73 - (BVerwGE 46, 259 ≪260 f.≫) ausgeführt hat, das Rechtsmittel - dort der Berufung - dürfe bei der Kammer, die die angefochtene Entscheidung erlassen habe, auch bei dem Truppendienstgericht, bei dem die Kammer eingerichtet sei, eingelegt werden, nicht aber bei einer anderen Kammer desselben Gerichts, hält er daran nicht mehr fest. Der Wortlaut des § 114 Abs. 2 Satz 1 WDO vermittelt für eine derartige Restriktion des Zugangs zur Rechtsmittelinstanz keinen Anhaltspunkt; sie würde zu einer Überspannung prozessualer Anforderungen führen, die durch Sachgründe nicht zu rechtfertigen wäre (vgl. BVerfG, Kammerbeschluss vom 18. März 2022 - 2 BvR 1232/20 - NVwZ 2022, 789 Rn. 23 ff.). Dies gilt umso mehr, als nach dem durch Art. 2 des Gesetzes zur Neuregelung des verwaltungsgerichtlichen Verfahrens vom 17. Dezember 1990 (BGBl. 1990 I S. 2809) in das Gerichtsverfassungsgesetz eingefügten § 17b Abs. 1 Satz 2 GVG die Wirkungen der Rechtshängigkeit selbst dann bestehen bleiben, wenn der Rechtsstreit an ein schon im Grundsatz unzuständiges Gericht herangetragen worden ist und er verwiesen wird.
Rz. 17
c) Die Beschwerde ist auch nicht mangels Rechtsschutzinteresses unzulässig, weil es ausweislich der Durchsuchungs- und Beschlagnahmeniederschrift bereits am 6. Oktober 2021 zur Durchsuchung und - so jedenfalls nach der Niederschrift - zur "Beschlagnahme" gekommen ist. Zulässigkeitsvoraussetzung für die Beschwerde nach § 114 Abs. 1 WDO ist, dass die angefochtene Entscheidung sich nicht erledigt hat, sondern noch Wirkung auf das weitere Verfahren entfalten kann. Das ist hier der Fall, da die aufgrund der Durchsuchung vereinnahmten Gegenstände im weiteren Verlauf des gerichtlichen Disziplinarverfahrens augenscheinlich noch verwendet werden sollen (BVerwG, Beschluss vom 7. August 2012 - 2 WDB 1.12 - juris Rn. 23). Ungeachtet dessen liegt ein schwerwiegender Grundrechtseingriff vor, der seiner Natur nach häufig vor einer weiteren gerichtlichen Überprüfung schon wieder beendet ist. Dies gilt regelmäßig für richterliche Entscheidungen, bei denen dem Rechtsmittel keine aufschiebende Wirkung zukommt wie dies vorliegend gemäß § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 307 Abs. 1 StPO, § 114 Abs. 2 Satz 4 WDO der Fall ist (BVerfG, Kammerbeschluss vom 5. Juli 2013 - 2 BvR 370/13 - juris Rn. 18 f.).
Rz. 18
3. Soweit die Beschwerde zulässig ist, ist sie auch begründet.
Rz. 19
a) Ob der Vorsitzende der 5. Kammer die Nichtabhilfeentscheidung nach § 114 Abs. 3 Satz 1 WDO treffen durfte, obwohl eine vom Vorsitzenden der 4. Kammer erlassene Entscheidung zu prüfen war, kann dahingestellt bleiben. Dafür spricht, dass der Vorsitzende der 4. Kammer - wie unten ausgeführt - objektiv als stellvertretender Vorsitzender der 5. Kammer gehandelt hat. Selbst wenn dies einen Verfahrensmangel begründete, sieht der Senat von einer Zurückverweisung ab (vgl. Schmitt, in: Meyer-Goßner/Schmitt, StPO, 65. Aufl. 2022, § 309 Rn. 8). Sie widerspräche dem Beschleunigungsverbot, zumal der Antrag des Soldaten aus noch darzulegenden Gründen Erfolg hat (§ 309 Abs. 2 StPO, vgl. auch BVerwG, Beschluss vom 31. März 2021 - 2 WDB 13.20 - Buchholz 450.2 § 126 WDO 2002 Nr. 16 Rn. 12).
Rz. 20
b) Ebenfalls kann dahingestellt bleiben, ob mit dem Beschluss neben einer Durchsuchung auch eine Beschlagnahme angeordnet worden ist. Da unklare staatliche Entscheidungen rechtsstaatlichen Anforderungen - insbesondere dem Gebot eines fairen Verfahrens (Art. 2 Abs. 1 GG i. V. m. Art. 20 Abs. 3 GG) - widersprechen und dem Rechtsschutzsuchenden aus dem Gericht zuzurechnenden Fehlern und Unklarheiten keine Nachteile erwachsen dürfen (BVerfG, Kammerbeschluss vom 4. September 2020 - 1 BvR 2427/19 - NJW 2021, 915 Rn. 27), besteht Anlass zu folgenden Hinweisen:
Rz. 21
Durchsuchungs- und Beschlagnahmeanordnungen nach § 20 Abs. 1 WDO sind rechtlich selbständige und in einem Stufenverhältnis stehende Entscheidungen. Eine Durchsuchungsanordnung setzt eine berechtigte Auffindevermutung im Hinblick auf potenzielle Beweismittel voraus. Da bei Erlass einer Durchsuchungsanordnung im Regelfall nicht feststeht, ob und welche potenziellen Beweisgegenstände im Einzelnen bei der Durchsuchung vorgefunden werden, müssen diese in der Durchsuchungsanordnung noch nicht konkret bezeichnet werden. Im Gegensatz dazu muss sich jedoch eine Beschlagnahmeanordnung als gewichtiger Eingriff in das Eigentumsgrundrecht (Art. 14 Abs. 1 GG) auf Einzelgegenstände beschränken, deren Beweiseignung und Beschlagnahmefähigkeit bereits konkret gegenstandsbezogen geprüft worden ist (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - Leitsatz 4). Dazu dient insbesondere bei elektronischen Speichermedien die in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO i. V. m. § 110 StPO gesondert geregelte Durchsicht und für die Durchsicht privater Papiere § 20 Abs. 3 Satz 3 WDO. Sie bewegen sich zwischen der Durchsuchung und der Beschlagnahme und dienen der Klärung, ob und in welchem Umfang noch eine richterliche Beschlagnahmeanordnung zu erwirken ist oder die vorläufig zur Durchsicht sichergestellten Gegenstände zurückzugeben sind. Die Durchsicht ist zwar angesichts der fortdauernden Besitzentziehung in ihrer Wirkung für den Betroffenen der Beschlagnahme angenähert, aber noch Teil der Durchsuchung. Dementsprechend ist eine bereits vorab mit einem Durchsuchungsbeschluss verbundene allgemeine Beschlagnahmegestattung, die keine Konkretisierung der erfassten Gegenstände, sondern nur gattungsmäßige Umschreibungen enthält, regelmäßig noch keine Beschlagnahmeanordnung im Rechtssinne. Ihr kommt lediglich die Bedeutung einer Richtlinie für die Durchsuchung mit dem Ziel der Begrenzung des Durchsuchungsbeschlusses zu (zusammenfassend: BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 12 ff. m. w. N.).
Rz. 22
c) Nach Maßgabe dessen ist zweifelhaft, ob der im Beschluss enthaltenen Bezeichnung auch als Beschlagnahmeanordnung bereits die Bedeutung einer tatsächlich angeordneten Eingriffsmaßnahme zukommt. Denn die "Beschlagnahmeanordnung" findet vorliegend nicht nur parenthetisch etwa in Gestalt von Hinweisen Erwähnung (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris), sondern als Inhalt der Beschlussformel. Der Frage braucht indes nicht abschließend nachgegangen zu werden, weil schon die Durchsuchungsordnung nach der zur Zeit des Erlasses des Beschlusses maßgeblichen Rechtslage (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 20 m. w. N.) rechtswidrig ist, so dass selbst bei einer ausgesprochenen Beschlagnahmeanordnung es ihr an der rechtlichen Grundlage fehlte.
Rz. 23
aa) Die Durchsuchungsanordnung findet ihre Rechtsgrundlage in § 20 WDO, an dessen Verfassungsmäßigkeit keine Bedenken bestehen. Diese Vorschrift gilt nach ihrer systematischen Stellung im Ersten Abschnitt (Allgemeine Bestimmungen) des Zweiten Teils (Ahndung von Dienstvergehen durch Disziplinarmaßnahmen) der Wehrdisziplinarordnung für alle Arten der im Zweiten Teil geregelten Disziplinarverfahren. Sie geht in gerichtlichen Disziplinarverfahren (Dritter Abschnitt des Zweiten Teils) als spezielle Regelung über Durchsuchungen in der Wehrdisziplinarordnung dem subsidiären Verweis in § 91 Abs. 1 Satz 1 WDO auf die Vorschriften der Strafprozessordnung vor und erfasst auch elektronische Kommunikationsmittel (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 22 ff. und 29 f.).
Rz. 24
bb) Anders als vom Soldaten angenommen, folgt die Rechtswidrigkeit des Durchsuchungsbeschlusses allerdings nicht bereits aus einem Verstoß gegen den Grundsatz des gesetzlichen Richters, auf dessen Wahrung ihm Art. 101 Abs. 1 Satz 2 GG ein grundrechtsgleiches Recht gewährt (vgl. Art. 93 Abs. 1 Nr. 4a GG).
Rz. 25
(1) Die Anordnung zu Durchsuchungen durch den Disziplinarvorgesetzten hat gemäß § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO durch den zuständigen Richter zu erfolgen. Dies ist nach § 72 Abs. 5 WDO i. V. m. § 21e GVG sowie dem maßgeblichen Geschäftsverteilungsplan des Truppendienstgerichts der dort als zuständig bestimmte Richter oder - im Fall seiner Verhinderung - dessen Vertreter. Die nach § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO vorgesehene (Notfall-)Zuständigkeit "des nächst erreichbaren Truppendienstgerichts" aktualisiert sich nach dem Gesetzeswortlaut erst dann, wenn überhaupt kein Richter des - gemäß § 69 Abs. 2 Satz 1 WDO über mehrere Kammern verfügenden - zuständigen Truppendienstgerichts (§ 69 Abs. 1 WDO) erreichbar ist. Nur in diesem Fall darf sich der Disziplinarvorgesetzte an ein anderes, für ihn nächst erreichbares Truppendienstgericht wenden. Dort ist der nach dem Geschäftsverteilungsplan für Notfälle im Sinne des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO bzw. für sonstige Sachen bestellte Richter zuständig, so dass der Wehrdisziplinaranwaltschaft kein Wahlrecht hinsichtlich des einzelnen Truppendienstrichters zusteht. Die im Schrifttum gegen die Rechtsstaatlichkeit des § 20 Abs. 1 Satz 1 WDO geäußerten Bedenken sind daher unberechtigt (vgl. Dau/Schütz, WDO, 8. Aufl. 2022, § 20 Rn. 14 i. V. m. § 40 Rn. 5 und 7).
Rz. 26
(2) Nach Maßgabe dessen wurde der Beschluss von dem zuständigen Richter erlassen.
Rz. 27
Gemäß Ziffer II 2.5 des Geschäftsverteilungsplans des Truppendienstgerichts Nord für das Geschäftsjahr 2021 war für die Entscheidung über den Antrag grundsätzlich der Vorsitzende der 5. Kammer des Truppendienstgerichts Nord zuständig, weil der Soldat im... beim... in... Dienst leistet. Da dieser Vorsitzende am 6. Oktober 2021 zum Zeitpunkt des eingegangenen Antrags jedoch wegen der Durchführung einer mündlichen Verhandlung bis abends verhindert war (BGH, Urteil vom 4. Dezember 1962 - 1 StR 425/62 - NJW 1963, 1260 f.), lag ein anderweitig vorrangiges Dienstgeschäft vor, welches einen vorläufigen Verhinderungsgrund bildete (BGH, Beschluss vom 18. März 2020 - 4 StR 374/19 - NStZ 2020, 757 Rn. 17; Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 21e GVG, Rn. 39). Die Verhinderung war zwar nicht dauerhaft, erstreckte sich jedoch auf einen verhinderungsbegründenden Zeitraum, weil ein Zuwarten auf den zuständigen Richter zu einer Verzögerung des üblichen, ordnungsgemäßen Geschäftsgangs des Gerichts - hier zur Unterbrechung der Sitzung - geführt hätte (Lückemann, in: Zöller, Zivilprozessordnung, 34. Aufl. 2022, § 21e GVG, Rn. 39).
Rz. 28
Zwar wäre gemäß Ziffer I, 2.1 (6. Spiegelstrich) Geschäftsverteilungsplan an sich der Vorsitzende der 9. Kammer und bei dessen Verhinderung der Vorsitzende der 8. Kammer Vertreter des Vorsitzenden Richters der 5. Kammer gewesen. Da ausweislich der dienstlichen Mitteilung des aktuellen Vorsitzenden der 5. Kammer (vom 30. März 2022) der Vorsitzende der 8. Kammer am 6. Oktober 2021 jedoch erkrankt war und sich der Vorsitzende der 9. Kammer auf einer dienstlichen Veranstaltung befunden hat, war gemäß Ziffer I. 2.1 (7. Spiegelstrich) Geschäftsverteilungsplan der Vorsitzende der 4. Kammer für den Erlass des Beschlusses zuständig. Dass dieser sich - ausweislich des Unterzeichnungsvermerks - als nächst erreichbarer Richter angesehen hat, ändert nichts daran, dass er an diesem Tag nach der - allein maßgeblichen - objektiven Rechtslage regulärer Vertreter des Vorsitzenden der 5. Kammer war.
Rz. 29
cc) Der Wirksamkeit des Beschlusses steht ebenso wenig entgegen, dass der Vorsitzende ihn digital unter Verwendung einer ihm von der Bundeswehr zur Verfügung gestellten PKI-Karte unterzeichnet hat, deren Nutzung nicht den Anforderungen an eine qualifizierte elektronische Signatur im Sinne des § 3a Abs. 2 Satz 2 VwVfG entspricht. Der Beschluss erging zudem auch auf Antrag der Wehrdisziplinaranwaltschaft. Diese war im Vorermittlungsverfahren (§ 92 WDO) als Vertreterin der Einleitungsbehörde (vgl. § 81 Abs. 2 Satz 1 WDO) befugt, die richterlichen Anordnungen zu beantragen. Denn § 20 WDO sieht keine Beschränkung des Antragsrechts auf den Disziplinarvorgesetzten vor (vgl. zu allem: BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 41 ff.).
Rz. 30
dd) Ob die Durchsuchungsanordnung bereits deshalb rechtswidrig ist, weil sie den Tatvorwurf nicht kohärent so umschreibt, dass der mit dem Vollzug der Durchsuchungsanordnung verbundene Eingriff in Grundrechte messbar und kontrollierbar bleibt (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 47), kann dahingestellt bleiben. Denn zum einen fehlte es an einem Anfangsverdacht; zum anderen fehlte es an einer nach den behaupteten Pflichtverletzungen differenzierenden rechtlichen Würdigung bezüglich der zu durchsuchenden Gegenstände.
Rz. 31
(1) Inkohärent ist die Durchsuchungsanordnung insofern, als in ihrem ersten Absatz keine Verdächtigung angesprochen wird, der Soldat habe seine politische Treuepflicht nach § 8 SG verletzt. Angesprochen wird lediglich die Verdächtigung eines Verstoßes gegen die Pflicht zum treuen Dienen, zur Kameradschaft sowie zum achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes. Erst in der nachfolgenden Begründung, insbesondere in Absatz 4, wird auch eine verfassungsfeindliche Einstellung als Grund dafür angegeben, den Soldaten und die genannten Gegenstände zu durchsuchen. Dabei konkretisiert Absatz 2 des Beschlusses den Verdacht dahin, dass der Soldat stellvertretender Anführer und Mitglied einer - sich aus der Bekleidung des Gruppenanführers und dessen Äußerungen ergebenden - Gruppierung völkisch-nationaler Gesinnung sei und sich der Verdacht seiner Mitgliedschaft aus der Aussage des Zeugen Hauptgefreiter A. ergebe.
Rz. 32
(2) Selbst wenn nicht bereits die Inkohärenz der Durchsuchungsanordnung deren Rechtswidrigkeit bewirkt, verlangte der Vorwurf nicht nur einer verfassungsfeindlichen Einstellung, sondern auch strafrechtlich relevanter Betätigungen wegen des unterschiedlichen Charakters der Pflichtverletzungen einer differenzierten Würdigung bei der Entscheidung über die Durchsuchungsanordnung. Denn nicht jede (kollektive) körperliche oder seelische Misshandlung von Kameraden ist zugleich Ausdruck einer auch gegen die politische Treuepflicht verstoßenden Gesinnung. Der Grundsatz von der Einheit des Dienstvergehens ist nicht geeignet, die rechtsstaatlichen Anforderungen an staatliche Eingriffsmaßnahmen wie Durchsuchungen zu relativieren. Er verfolgt lediglich den Zweck, nicht über einzelne Taten disziplinarisch zu urteilen, sondern einheitlich zu beantworten, welche Folgerungen aus dem pflichtwidrigen Gesamtverhalten für ein Dienstverhältnis zu ziehen sind (BVerwG, Urteil vom 7. Juli 1993 - 2 WD 32.92 - NVwZ 1994, 493 ff.).
Rz. 33
(3) Was den Vorwurf anbelangt, der Soldat gehöre einer mit der politischen Treuepflicht nach § 8 SG nicht zu vereinbarenden Gruppierung an, begründet allein der Verdacht, dass der Anführer dieser Gruppe eine auf die Nähe zu rechtsradikalen Ansichten hinweisende Kleidung getragen und sich diskriminierend geäußert habe, und die Aussage des Zeugen Hauptgefreiter A. noch keinen hinreichenden Anfangsverdacht gegen den Soldaten.
Rz. 34
Das Gewicht des mit einer Durchsuchung verbundenen Grundrechtseingriffs verlangt dafür auf konkrete Tatsachen beruhende Verdachtsgründe, die über vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen hinausreichen. Eine Durchsuchung darf einerseits nicht der Ermittlung von Tatsachen dienen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts erst erforderlich sind. Andererseits muss sich aus den Umständen, die den Anfangsverdacht begründen, noch keine exakte Tatpräzisierung ergeben. Denn das Stadium des Anfangsverdachts zeichnet sich gerade dadurch aus, dass noch Ermittlungen nötig sind, weil die Tat in ihren Einzelheiten noch nicht aufgeklärt ist (BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 49).
Rz. 35
Vorliegend liegen lediglich vage Anhaltspunkte und bloße Vermutungen vor. Die Äußerungen des Anführers der Gruppe sowie dessen Bekleidung sind nicht erwiesen, sondern hier besteht lediglich ein Verdacht (Seite 2, Abs. 3, Zeile 8: "Der Anführer der Gruppe soll..."); die Aussagen des Zeugen Hauptgefreiter A. sind wiederum insoweit ambivalent, als er auch ausgeführt hat, "nicht das ganze Wolfsrudel hat radikale Ansichten". Aussagen dazu, worin sich eine völkisch-nationale bzw. die rechtsradikale Gesinnung - jenseits körperlicher Misshandlungen - konkret ausgedrückt haben und dem Soldaten zurechenbar sein sollen, finden sich nicht. Vernehmungsprotokolle von Gruppenangehörigen, die tatsächliche Anhaltspunkte für eine verfassungswidrige Gesinnung insbesondere des Soldaten liefern könnten, liegen nicht vor. Der Aussage der Hauptgefreiten B. ist zwar (auf Seite 2 der Vernehmungsniederschrift) zu entnehmen, welchen Inhalt diskriminierende und rechtsradikale Äußerungen gehabt haben sollen; der Soldat wird von ihr aber (auf Seite 3 der Vernehmungsniederschrift) gerade nicht als jemand identifiziert, der solche Äußerungen getätigt hat. Die Durchsuchung des Soldaten dient damit der Ermittlung von Tatsachen, die zur Begründung eines Anfangsverdachts gegen ihn erst erforderlich sind.
Rz. 36
(4) Soweit es die Annahme betrifft, der Soldat habe wegen seiner Mitgliedschaft in einer Gruppierung, von der im Rahmen von Aufnahmeritualen körperliche und seelische Misshandlungen begangen würden, gegen die Pflicht zum Treuen Dienen, zur Kameradschaft sowie zur achtungs- und vertrauenswürdigem Verhalten innerhalb und außerhalb des Dienstes verstoßen, begründet auch hier allein die Aussage des Zeugen Hauptgefreiter A. keinen hinreichenden Anfangsverdacht. Dessen Aussage beschränkt sich auf die Feststellung, dass der Soldat Angehöriger der Gruppierung sei und er Körperverletzungen bei Kameraden gesehen haben will, die von Mitgliedern der Gruppe herrühren sollen. Dass der Soldat die Körperverletzungen begangen hat, hat er nicht ausgesagt. Vernehmungsprotokolle von Soldaten, die Opfer von Misshandlungen geworden sein sollen und über etwaige Mitwirkungshandlungen des Soldaten hätten berichten können, liegen ebenfalls nicht vor, obwohl sie auf der Grundlage der Aussage des Zeugen Hauptgefreiter A. identifizierbar gewesen wären.
Rz. 37
(5) Angesichts der Möglichkeiten, durch schlichte Befragungen anderer Gruppenmitglieder oder angeblich misshandelter Soldaten dem Verdacht eines Dienstvergehens durch den Soldaten nachzugehen, ist die Durchsuchungsanordnung ihm gegenüber auch unverhältnismäßig, weil nicht erforderlich.
Rz. 38
Nach dem Grundsatz der Verhältnismäßigkeit muss die Durchsuchung auch im Einzelfall mit Blick auf den bei der Anordnung verfolgten Zweck erfolgversprechend sein. Ferner muss gerade diese Zwangsmaßnahme zur Ermittlung und Verfolgung des Dienstvergehens erforderlich sein, was nicht der Fall ist, wenn - wie vorliegend - andere weniger einschneidende Mittel zur Verfügung stehen. Schließlich muss der Eingriff in einem angemessenen Verhältnis zur Schwere des vorgeworfenen Dienstvergehens und der Stärke des Tatverdachts stehen. Hierbei sind auch die Bedeutung der potenziellen Beweismittel für das Disziplinarverfahren sowie der Grad des auf die verfahrenserheblichen Informationen bezogenen Auffindeverdachts zu bewerten (vgl. BVerwG, Beschluss vom 9. Februar 2022 - 2 WDB 12.21 - juris Rn. 55; BVerfG, Kammerbeschluss vom 20. November 2019 - 2 BvR 31/19, 2 BvR 889/19 - NJW 2020, 384 Rn. 25 m. w. N.,).
Rz. 39
Unverhältnismäßig ist die Durchsuchungsanordnung zudem deshalb, weil keine Anhaltspunkte dafür vorliegen, warum sämtliche der im Beschluss bezeichneten Gegenstände geeignet sein sollen, tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Dienstvergehens zu liefern. Hinweise auf Bild-, Ton- oder Textdateien, auf denen die im Raum stehenden Misshandlungen aufgezeichnet worden wären, lagen nicht vor.
Rz. 40
4. Die Kostenentscheidung beruht auf § 139 Abs. 3, 140 Abs. 5 Satz 1 WDO.
Fundstellen
Haufe-Index 15350533 |
ZBR 2023, 70 |
JZ 2022, 624 |