Verfahrensgang
VG Frankfurt (Oder) (Entscheidung vom 27.09.2001; Aktenzeichen 4 K 714/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Frankfurt (Oder) vom 27. September 2001 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 113 864,70 EUR (entspricht 222 700 DM) festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde ist begründet. Der Sache kommt zwar keine grundsätzliche Bedeutung zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), und das angefochtene Urteil weicht auch nicht im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von der angegebenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts ab. Das Urteil des Verwaltungsgerichts leidet aber an dem geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
1. Die aufgeworfene Frage,
wie weit im Rahmen der Prüfung, ob ein Grundstück durch unlautere Machenschaft entzogen worden ist, zum einen eine Untersuchung der einzelnen Umstände zu erfolgen hat und zum anderen eine Gesamtwürdigung der Umstände in einer Gesamtschau zu erfolgen hat,
rechtfertigt die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung nicht. Denn es ist bereits mehrfach höchstrichterlich entschieden worden, dass bei der Prüfung einer unlauteren Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG auf die Gesamtumstände des Falles abzustellen ist. Entgegen der Ansicht der Beschwerde wird dieses Erfordernis auch nicht dadurch in Zweifel gezogen, dass in der Rechtsprechung für die Beurteilung von Enteignungen als unlautere Machenschaften bestimmte Fallgruppen entwickelt worden sind.
2. Die Revision ist auch nicht wegen vermeintlicher Divergenz zuzulassen. Die Beschwerde sieht die hierfür erforderliche Abweichung in einem entscheidungstragenden abstrakten Rechtssatz darin, dass das Verwaltungsgericht die höchstrichterliche Rechtsprechung unvollständig zitiert habe und seine Entscheidung deshalb auf einen anderen Rechtssatz gestützt habe. Das Fehlzitat sieht die Beschwerde darin, dass nach dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 31. August 1995 – BVerwG 7 C 39.94 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 53, S. 142) Enteignungen „nicht schon deshalb” eine unlautere Machenschaft im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG darstellten, weil der Bauwillige selbst den Anstoß zur Durchführung des Enteignungsverfahrens gegeben habe. Demgegenüber habe das Verwaltungsgericht diesem Umstand ohne jede weitere Einschränkung keine Bedeutung für den Tatbestand einer unlauteren Machenschaft beigemessen. Hinter dieser Formulierungsabweichung verbirgt sich jedoch ersichtlich kein rechtlich divergierender Ansatz, denn auch das Bundesverwaltungsgericht hat in der zitierten Entscheidung (a.a.O. S. 147) ausgeführt, der Vortrag, die späteren Erwerber hätten den entscheidenden Anstoß für das Enteignungsverfahren gegeben, lasse „nicht auf eine sittlich anstößige Manipulation schließen”.
3. Der gerügte Verfahrensmangel liegt jedoch vor.
a) Zwar musste das Verwaltungsgericht entgegen der Ansicht der Beschwerde die protokollierten Beweisanträge nicht vorab bescheiden. § 86 Abs. 2 VwGO ist insofern nicht unmittelbar anwendbar, weil – was die Beschwerde übersieht – die Beweisanträge nicht in einer mündlichen Verhandlung, sondern entsprechend der Ladung in einem nicht öffentlichen Erörterungstermin vor dem Berichterstatter gestellt und protokolliert worden sind. Überdies hat die anwaltlich vertretene Klägerin im Anschluss daran auf die Durchführung einer mündlichen Verhandlung verzichtet (§ 101 Abs. 2 VwGO); darin liegt zugleich ein Verzicht auf die Vorabbescheidung der protokollierten Beweisanträge (vgl. Urteil vom 30. Mai 1989 – BVerwG 1 C 57.87 – Buchholz 402.24 § 8 AuslG Nr. 13, S. 21 ≪23≫).
b) Die somit ausreichende Ablehnung der Beweisanträge in dem im schriftlichen Verfahren ergangenen Urteil ist jedoch fehlerhaft erfolgt. Zu Recht rügt die Beschwerde insoweit einen Verstoß gegen § 86 VwGO.
Das Verwaltungsgericht hätte zumindest den letzten Beweisantrag auf Einholung einer Auskunft des zuständigen Katasteramts, vormals Liegenschaftsamtes, zu der Behauptung,
„dass sich in dem Ortszentrum P. in 1980 zahlreiche bebaubare und erschlossene Grundstücke befanden, die nicht enteignet werden mussten und die ohne weiteres für eine Bebauung zur Verfügung standen,”
nicht als unsubstantiierte „Behauptung ins Blaue” ablehnen dürfen.
Zwar braucht die Tatsacheninstanz nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts unsubstantiierten Beweisanträgen nicht nachzugehen. Unsubstantiiert sind nicht nur Beweisanträge, die das Beweisthema nicht hinreichend konkretisieren, sondern auch solche Anträge, die dazu dienen sollen, unsubstantiierte Behauptungen zu stützen, also beispielsweise auf erkennbar ohne jede tatsächliche Grundlage aufgestellte Behauptungen abzielen. Einem Prozessbeteiligten ist es nicht erlaubt, unter formalem Beweisantritt Behauptungen aufzustellen, für deren Wahrheitsgehalt nicht wenigstens eine gewisse Wahrscheinlichkeit spricht. Zwar darf eine Behauptung nicht schon dann als unerheblich behandelt werden, wenn sie nicht auf dem Wissen des Behauptenden, sondern auf einer Vermutung beruht. Jedoch ist es nicht Aufgabe des Gerichts, sich mit Behauptungen zu befassen, die aus der Luft gegriffen sind und durch keinerlei greifbare Anhaltspunkte gestützt werden. Beweisanträge, denen derartige Behauptungen zugrunde liegen, lösen als so genannte Beweisermittlungs- oder -ausforschungsanträge keine Pflicht des Gerichts zur Beweiserhebung aus (vgl. Beschlüsse vom 25. Januar 1988 – BVerwG 7 CB 81.87 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 196, vom 29. März 1995 – BVerwG 11 B 21.95 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 266 und vom 5. November 1998 – BVerwG 7 B 199.98 – RÜ BARoV 1999 Nr. 3 S. 7).
Um einen solchen unzulässigen Ausforschungsbeweisantrag handelte es sich hier jedoch nicht. Die Klägerin hatte konkrete tatsächliche Behauptungen aufgestellt, die durch die beantragte Auskunft entweder bestätigt oder widerlegt werden würden. Um die weitere Ermittlung des eigentlich zu erforschenden Sachverhalts ging es somit nicht. Dass die Beweiserhebung nach der insoweit maßgeblichen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts unerheblich wäre, lässt sich dem angefochtenen Urteil ebenfalls nicht entnehmen. Die bloße kursorische Einlassung (UA S. 10), „ein eventueller Verstoß gegen § 2 Abs. 2 der 2. Durchführungsbestimmung zum Aufbaugesetz der DDR” – auf den die Beweisbehauptung abstellte – wäre „als ein Verfahrensfehler unterhalb der Schwelle der Willkürlichkeit zu werten”, trägt die Ablehnung des Beweisantrags nicht, weil für die Unerheblichkeit des Verfahrensfehlers mit Blick auf § 1 Abs. 3 VermG die Offenkundigkeit und Schwere der – unterstellten und bisher nicht ermittelten – Rechtsverletzung nicht ohne Bedeutung sein kann.
c) Demgegenüber ist die Ablehnung der weiteren Beweisanträge nicht zu beanstanden. Das Verwaltungsgericht brauchte die Beigeladenen zu „den ihnen im Einzelnen bekannten Umständen der Erklärung des streitigen Grundstücks zum Aufbaugebiet” nicht zu vernehmen, weil es nach seiner maßgeblichen Rechtsauffassung unerheblich war, ob diese Erklärung „auf Bestellung” der Beigeladenen erfolgte oder nicht. Es durfte auch davon absehen, sie zu den Einzelheiten der nachfolgenden Enteignung und dazu zu befragen, ob sie darauf hingewirkt hatten, dass die Anschrift der (im Westen lebenden) Rechtsvorgängerin der Klägerin nicht ermittelt wurde, obwohl diese den Beigeladenen bekannt gewesen sei. Denn das angefochtene Urteil hat in diesem Zusammenhang zutreffend auch darauf abgestellt, dass die Nichtbeteiligung der Westeigentümer den Tatbestand der unlauteren Machenschaft nicht zu begründen vermochte; auf die Frage, ob das Verwaltungsgericht den Vortrag der Klägerin in diesem Zusammenhang zu Recht als unzulässigen Ausforschungsantrag ansehen durfte, kommt es daher nicht an.
Der Senat nimmt den Verfahrensfehler zum Anlass, im Interesse der Verfahrensbeschleunigung das angefochtene Urteil durch Beschluss gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung beruht auf den §§ 13, 14, 73 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Müller, Sailer, Krauß
Fundstellen