Entscheidungsstichwort (Thema)
Zweckentfremdungsverbot. Wohnungsmarktlage. Zweckentfremdungsverbot bei offensichtlicher Entbehrlichkeit. Zweckentfremdungsverbot bei nachhaltiger Entspannung
Leitsatz (amtlich)
- Eine Zweckentfremdungsverbotverordnung tritt ohne Aufhebungsakt des Verordnungsgebers dann außer Kraft, wenn ein Ende der Mangellage auf dem Wohnungsmarkt insgesamt deutlich in Erscheinung getreten und das Zweckentfremdungsverbot daher offensichtlich entbehrlich geworden ist (stRspr). Ob eine solche Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich stattgefunden hat und abgeschlossen ist oder ob sich die Wohnraumversorgung etwa nur in Teilbereichen verbessert hat, ist eine Frage der revisionsgerichtlich nur begrenzt nachprüfbaren Tatsachenwürdigung (Bestätigung von BVerwG, Beschluss vom 22. November 1996 – BVerwG 8 B 206.96 –).
- Die Ermächtigung zum Erlass einer Zweckentfremdungsverbotverordnung darf nicht dazu dienstbar gemacht werden, Ziele städtebaulicher Art (Erhaltung von geschlossenen Wohnvierteln, Denkmalschutz, Sanierungsvorhaben und dergleichen) zu verfolgen, oder allgemein unerwünschte oder schädliche Entwicklungen auf den Grundstücks-, Wohnungs- und Baumärkten zu verhindern oder einzudämmen, wenn und solange die ausreichende Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen gesichert ist (BVerfGE 38, 348 ≪360≫).
Normenkette
MRVerbG Art. 6 § 1
Verfahrensgang
OVG Berlin (Urteil vom 13.06.2002; Aktenzeichen 5 B 19.01) |
VG Berlin (Entscheidung vom 18.10.2000; Aktenzeichen 10 A 580.00) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten sowie die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Berlin vom 13. Juni 2002 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Klägerin tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 13 885 € (entspricht 2 263 DM × 12 = 27 156 DM) festgesetzt.
Tatbestand
I. Die Beschwerde des Beklagten hat keinen Erfolg. Die von ihm vorgetragenen Gründe rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht.
1. Der Rechtssache kommt die ihr vom Beklagten beigemessene grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) nicht zu.
a) In der auch vom Berufungsgericht herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist geklärt, dass Zweckentfremdungsverbotverordnungen, die aufgrund des Art. 6 § 1 des Gesetzes zur Verbesserung des Mietrechts und zur Begrenzung des Mietanstieges sowie zur Regelung von Ingenieur- und Architektenleistungen – MRVerbG – vom 4. November 1971 (BGBl I S. 1745) erlassen worden sind, ohne ausdrückliche Aufhebung dann außer Kraft treten, wenn ein Ende der Mangellage auf dem Wohnungsmarkt insgesamt deutlich in Erscheinung getreten und das Zweckentfremdungsverbot daher offensichtlich entbehrlich geworden ist (s. etwa Urteile vom 12. Dezember 1979 – BVerwG 8 C 2.79 – BVerwGE 59, 195 = Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 5; vom 25. Juni 1982 – BVerwG 8 C 80.81 – Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 8 S. 7, 12; Beschluss vom 17. Dezember 2001 – BVerwG 5 B 15.01 –); ob eine solche Entwicklung auf dem Wohnungsmarkt tatsächlich stattgefunden hat und abgeschlossen ist oder ob sich die Wohnraumversorgung etwa nur in Teilbereichen verbessert hat, ist keine die Revisionszulassung wegen grundsätzlicher Bedeutung rechtfertigende Frage des revisiblen Rechts, sondern eine solche der Tatsachenwürdigung (BVerwG, Beschluss vom 22. November 1996 – BVerwG 8 B 206.96 –).
b) Das Beschwerdevorbringen lässt insoweit weitergehenden Klärungsbedarf nicht erkennen. Die von der Beschwerde als weiterer rechtsgrundsätzlicher Klärung bedürftig bezeichneten Fragen beziehen sich im Kern darauf, ob das Berufungsgericht aufgrund des festgestellten Sachverhaltes und der Komplexität der Beurteilung einer Wohnungsmarktlage zu der Beurteilung gelangen durfte, dass die Zweckentfremdungsverbotverordnung hier zum 1. September 2000 außer Kraft getreten sei. Geltend gemachte Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall verleihen einer Rechtssache indes ebenso wie mögliche Fehler in der Sachverhalts- und Beweiswürdigung keine grundsätzliche Bedeutung; dies gilt auch dann, wenn die Sache – wie hier – in tatsächlicher Hinsicht eine über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehende Bedeutung hat.
c) Aus dem rechtlichen Ansatz, dass eine Zweckentfremdungsverbotverordnung außer Kraft tritt, wenn ein Ende der Mangellage auf dem Wohnungsmarkt insgesamt deutlich in Erscheinung getreten und das Zweckentfremdungsverbot daher offensichtlich entbehrlich geworden ist, folgt, ohne dass dies weitergehender revisionsrechtlicher Klärung bedürfte, dass ein mit dem Grundsatz der Gewaltenteilung unvereinbarer “Übergriff” in eine Einschätzungsprärogative ausscheidet, die dem gerichtlicher Kontrolle (Art. 19 Abs. 4 GG) unterliegenden Verordnungsgeber zuzubilligen sein mag. Bei offenkundigem Wegfall der Voraussetzungen tritt die Verordnung zu dem Zeitpunkt, zu dem sie nach der Sachverhalts- und Beweiswürdigung des Tatsachengerichts “offensichtlich” entbehrlich geworden ist, außer Kraft; der Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretens kann mithin auch schon vor demjenigen der gerichtlichen Entscheidung liegen, ohne dass dem Verordnungsgeber, der insoweit durch das Offenkundigkeitserfordernis geschützt ist, dann noch eine weitere Überlegungs-, Prüf-, Reaktions- oder Anpassungsfrist einzuräumen wäre.
d) Auch die Frage, ob eine rückwirkende Feststellung des Außer-Kraft-Tretens jedenfalls dann wegen fehlender “Offensichtlichkeit” auszuscheiden habe, wenn die Tatsacheninstanz in Entscheidungen, die nach dem später erkannten Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretens ergangen sind, die offensichtliche Entbehrlichkeit der Zweckentfremdungsverbotverordnung noch nicht festgestellt hatte, weil es dann jedenfalls an dem “Offensichtlichkeitserfordernis” fehle, betrifft keine grundsätzlicher Klärung zugängliche Rechtsfrage, sondern die einzelfallbezogene Sachverhalts- und Beweiswürdigung. Im Übrigen hat die insoweit von dem Beklagten herangezogene Entscheidung des Berufungsgerichts im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes auf erhebliche Anhaltspunkte gegen die Weitergeltung der Zweckentfremdungsverbotverordnung hingewiesen, die abschließende Bewertung aber dem Hauptsacheverfahren vorbehalten.
e) Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage, “bis zu welcher Grenze der Verordnungsgeber auf der Grundlage des Art. 6 § 1 Abs. 1 Satz 1 MRVerbG wohnungspolitisch motivierte Ziele, die auch zugleich städtebaulich und sozialpolitisch begründet sind, verfolgen durfte”, ist in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts (BVerfGE 38, 348 ≪360≫) dahin geklärt, dass die Ermächtigung nicht dazu dienstbar gemacht werden darf, “Ziele städtebaulicher Art (Erhaltung von geschlossenen Wohnvierteln, Denkmalschutz, Sanierungsvorhaben und dergleichen) zu verfolgen, oder allgemein unerwünschte oder schädliche Entwicklungen auf den Grundstücks-, Wohnungs- und Baumärkten zu verhindern oder einzudämmen, wenn und solange die ausreichende Versorgung mit Wohnraum zu angemessenen Bedingungen gesichert ist.” Mit den Hinweisen, das Zweckentfremdungsverbot sei das “effektivste rechtliche Instrument, um einer Umwidmung von Wohnraum im gesamten und heterogenen Gebiet der Hauptstadt der Bundesrepublik Deutschland entgegentreten zu können”, mit anderen Mitteln könne “nur sehr begrenzt der drohenden und unverträglichen Zunahme gewerblicher Nutzungen im attraktiven Innenstadtbereich entgegengewirkt werden”, und es seien “Verdrängungseffekte bis hin zur Verödung von Innenstadtbereichen … in Berlin zu befürchten”, bezeichnet der Beklagte städtebaulich und sozialpolitisch unerwünschte Folgen, die durch den Wegfall des Zweckentfremdungsverbotes eintreten mögen. Damit ist indes kein weitergehender Klärungsbedarf zu der vom Bundesverfassungsgericht verneinten Frage dargelegt, ob solchen Folgen gerade mit den Mitteln des Zweckentfremdungsrechts begegnet werden kann.
2. Die Revision kann auch nicht wegen Divergenz (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) zugelassen werden.
a) Die Beschwerde begegnet insoweit bereits Bedenken hinsichtlich der Darlegung (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), weil sie im Gewande der Divergenzrüge im Kern eine vermeintlich fehlerhafte einzelfallbezogene Anwendung vom Berufungsgericht nicht bestrittener abstrakter Rechtssätze rügt, ohne voneinander abweichende Rechtssätze des Berufungsgerichts einerseits und des Bundesverwaltungsgerichts andererseits gegenüberzustellen. Das Berufungsgericht hat auf der Grundlage der von ihm zugrunde gelegten Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Fortbestand einer Wohnraummangellage anhand einer Vielzahl von Indizien einzelfallbezogen geprüft; dass es dabei von durch das Bundesverwaltungsgericht aufgestellten Rechtssätzen durch ausdrückliche oder hinreichend erkennbare Bildung entgegenstehender eigener Rechtssätze abgewichen wäre, ist nicht zu erkennen.
b) Soweit das Berufungsgericht für die Betrachtung, ob die Versorgung der Bevölkerung mit ausreichendem Wohnraum zu angemessenen Bedingungen (weiterhin) gefährdet ist, auf das gesamte Gebiet des Beklagten abgestellt und nicht nach Teilgebieten (z.B. Stadtgebieten oder Bezirken) differenziert hat, steht dies im Einklang mit dem insoweit herangezogenen Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 12. Dezember 1979 – BVerwG 8 C 2.79 – (BVerwGE 59, 195 = Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 5). Soweit in jenem Urteil Bezug genommen worden ist auf eine Entspannung der Wohnungsmarktlage “in Teilbereichen” (ebd., S. 198 bzw. S. 33), ist dies ersichtlich bezogen auf eine Verbesserung der Wohnraumversorgung in sachlichen Teilsegmenten des Wohnungsmarktes. Daraus kann nicht geschlossen werden, dass bei einer auf das Gemeindegebiet zu beziehenden Zweckentfremdungsverbotverordnung eine räumlich nach Stadtteilen oder Wohngebieten differenzierte Betrachtung der Wohnungsmarktlage angezeigt oder zulässig wäre.
c) Bei der Bewertung des Leerstandes im Bereich der Plattenbausiedlungen im Ostteil der Stadt ist das Berufungsgericht im Einklang mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (vgl. etwa Beschluss vom 30. Oktober 1990 – BVerwG 8 B 129.90 –) davon ausgegangen, dass sich die zweckentfremdungsrechtliche Eignung von Wohnraum, auf Dauer bewohnt zu werden, grundsätzlich nach objektiven Maßstäben richtet und ein Raum seine Wohnraumeigenschaft nicht schon dadurch verliert, dass er infolge besserer Alternativen am Wohnungsmarkt unattraktiv geworden ist. Das Berufungsgericht ist dabei auch nicht von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 25. Juni 1982 – BVerwG 8 C 80.81 – Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 8) abgewichen, nach der es sich bei objektiv zu Wohnzwecken nutzbaren Räumen in Einzelfällen dann nicht zweckentfremdungsrechtlich um Wohnraum handelt, wenn ein Raum aus sonstigen Gründen – also nicht wegen eines zur Unbewohnbarkeit führenden Mangels oder Missstandes – vom Markt nicht (mehr) als Wohnraum angenommen wird. Aus dieser Entscheidung folgt insbesondere nicht, dass ganze Gruppen von nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nach Art, Ausstattung und Lage noch bewohnbaren und ungeachtet nicht unerheblichen Leerstandes tatsächlich auch noch bewohnten Räumen wegen geminderter Marktattraktivität aus dem Wohnungsbegriff und damit aus dem für die Betrachtung einer angemessenen Wohnraumversorgung relevanten Wohnungsbestand fallen sollen.
d) Das Berufungsgericht ist auch nicht dadurch von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen, dass es die verfügbaren Daten zur Frage, ob im Bereich des Beklagten eine Wohnraummangellage besteht, zusammengestellt, einer eigenständigen Bewertung unterworfen und in diesem Zusammenhang auch die Berechnungen des Beklagten geprüft sowie in Teilbereichen als nicht tragfähig erachtet hat. Es ist nicht – wie die Beschwerde meint – entscheidungstragend von dem Rechtssatz ausgegangen, “dass lediglich ein vorhandener zahlenmäßiger Ausgleich zwischen Wohnungsbestand und Anzahl der Haushalte schon als Nachweis für den Wegfall einer ‘Wohnungsnotlage’ ausreicht”, sondern hat bei seiner Bewertung, das von der Senatsverwaltung ermittelte Wohnraumangebot habe das Maß eines leichten Übergewichts deutlich überschritten, die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11. März 1983 – BVerwG 8 C 102.81 – Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 9) zugrunde gelegt, nach der eine Unterversorgung mit Wohnraum für breitere Schichten der Bevölkerung (in einer Großstadt) selbst dann noch vorliegt oder drohen kann, wenn “der Wohnungsmarkt … ein leichtes Übergewicht des Angebots erreicht zu haben scheint.”
e) Das Berufungsgericht hat auch nicht in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 12. Dezember 1979 – BVerwG 8 C 2.79 – BVerwGE 59, 195 = Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 5 ≪S. 199 bzw. S. 34≫) den Schätzungen des Beklagten eigene Berechnungsmodelle entgegengehalten. Es hat seiner Entscheidung das von dem Beklagten selbst verwandte methodische Konzept zur Berechnung der Wohnungsversorgung und nur dem Beklagten bekannte Daten zugrunde gelegt. Den von dem Beklagten herangezogenen Bedenken gegen eine ausschließlich statistische Betrachtung (BVerwGE 59, 195 = Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 5 ≪S. 199 bzw. 34 f.≫) hat das Berufungsgericht ohne Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts durch eine umfassende Würdigung der für und wider eine Mangelsituation streitenden maßgeblichen Indizien unter Bewertung der durch den Beklagten vorgelegten statistischen Informationen Rechnung getragen.
Das Bundesverwaltungsgericht hat in seinem Urteil vom 12. Dezember 1979 (a.a.O.) auch nicht den Rechtssatz aufgestellt, dass statistische Informationen – die im Übrigen auch der Beklagte zum Beleg der aus seiner Sicht fortbestehenden Wohnraumunterversorgung herangezogen hat – für die Prüfung der quantitativen Voraussetzung eines Zweckentfremdungsverbotes als solche nicht zu verwenden oder durch das Gericht nicht zu bewerten seien (s.a. BVerwG, Urteil vom 2. Dezember 1983 – BVerwG 8 C 155.81 – Buchholz 454.51 MRVerbG Nr. 10 S. 25); es hat lediglich eine ausschließlich rechnerische Betrachtung verworfen, welche die begrenzte Zuverlässigkeit des bei Zweckentfremdungsverboten zur Verfügung stehenden statistischen Materials vernachlässigt. Das Berufungsgericht hat sich indes auch dort nicht auf eine rein rechnerische Ermittlung eines Überhangs an Wohnraum beschränkt, wo es die von dem Beklagten vorgelegten Berechnungen bewertet und hinsichtlich der von diesem gezogenen Schlussfolgerungen verworfen hat. Es hat damit insbesondere nicht in Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts den Berechnungen des Beklagten eigene Berechnungen gegenübergestellt, sondern hat in Wahrnehmung seines ihm auch gegenüber einem Verordnungsgeber zustehenden Auftrages zur Gewährung effektiven Rechtsschutzes (Art. 19 Abs. 4 GG) dessen Berechnungen und Bewertungen einer gerichtlichen Überprüfung unterzogen.
3. Auch die mit der Beschwerde erhobenen Verfahrensrügen (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) rechtfertigen eine Revisionszulassung nicht.
a) Das Berufungsgericht hat den Anspruch des Beklagten auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht dadurch verletzt, dass es diesem keine Gelegenheit zu weiterem Vortrag zu dem im Vorfeld der mündlichen Verhandlung eingereichten bzw. eingeführten Gutachten des Dr. B.… vom 2. Mai 2002 gegeben hat. Unabhängig davon, ob dieses Gutachten in der mündlichen Verhandlung erörtert worden ist und dass der Beklagte ausweislich der Sitzungsniederschrift in der mündlichen Verhandlung eine Vertagung nicht beantragt und auch nicht um Gewährung einer weiteren Äußerungsfrist gebeten hat, lässt sich nicht feststellen, dass das Berufungsgericht entgegen seinem ausdrücklichen Hinweis, dass für die Überzeugungsbildung auf das eingereichte Gutachten nicht zurückgegriffen zu werden brauche, dieses Gutachten tatsächlich entscheidungsbildend verwendet habe. Soweit das Berufungsgericht bei der Bewertung der Wohnungsmarktlage im Bereich des Beklagten und namentlich der von dem Beklagten vorgelegten Wohnungsmarktprognose in der Sache Argumente verwendet hat, die sich auch in diesem Gutachten finden, ist in Anbetracht des erwähnten Hinweises davon auszugehen, dass das Berufungsgericht kraft eigener Erkenntnis zu diesen Erwägungen gelangt ist. Insoweit steht überdies nicht die Verwendung neuer oder so bislang nicht vorgetragener Tatsachen aus diesem Gutachten in Rede; das Vorbringen des Beklagten zu der Frage, was er bei aus seiner Sicht hinreichender Gewährung rechtlichen Gehörs anders oder zusätzlich vorgetragen hätte, bezieht sich denn auch nicht auf dieses Gutachten, sondern auf die aus Sicht des Beklagten sachlich fehlerhafte Bewertung bekannter Tatsachen, namentlich der von dem Beklagten selbst vorgelegten Wohnungsbestandsprognose, durch das Berufungsgericht.
b) Die Rüge des Beklagten, das Berufungsgericht hätte “dem Beklagten Gelegenheit geben müssen, die vermeintlichen Zweifel an der Richtigkeit des angewandten Rechenmodells auszuräumen”, bezeichnet schon deswegen keinen Verfahrensfehler, weil ein Gericht nicht allgemein die Pflicht hat, die Beteiligten auf die gerichtliche Rechtsauffassung und die beabsichtigte Würdigung des Sachverhalts hinzuweisen (stRspr; s. etwa BVerwG, Beschlüsse vom 8. August 1994 – BVerwG 6 B 87.93 – Buchholz 421.0 Prüfungswesen Nr. 335, und vom 26. Juni 1998 – BVerwG 4 B 19.98 – NVwZ-RR 1998, 711). Dies gilt auch und gerade dann, wenn es – wie hier – darum geht, ein komplexes Wohnungsmarktgeschehen zu beurteilen.
Aus dem materiellrechtlichen Erfordernis, dass der Wegfall der Voraussetzungen der Zweckentfremdungsverbotverordnung “offensichtlich” zu sein habe, ergeben sich auch sonst keine gesteigerten Hinweis- und Belehrungspflichten des Gerichts hinsichtlich der beabsichtigten Sachverhaltswürdigung. Unabhängig davon, ob in der mündlichen Verhandlung die Bedenken des Berufungsgerichts gegen den Fortbestand der Voraussetzungen für ein Zweckentfremdungsverbot im Allgemeinen oder Einwendungen gegen die von dem Beklagten vorgelegte Wohnungsbestandsprognose erörtert worden sind, sind Anhaltspunkte für eine sog. Überraschungsentscheidung hier schon deswegen nicht erkennbar, weil der Fortbestand der Wohnungsmarktmangellage in der Sache den zentralen Streitpunkt des Verfahrens bildete und das Berufungsgericht die Möglichkeit einer Bewertung dahin, dass diese Mangellage offensichtlich entfallen (gewesen) sein könnte, in vorangegangenen Entscheidungen zumindest angedeutet hatte (s. etwa Beschluss vom 9. Juli 2001 – OVG 5 SN 14/01 – NVwZ 2001, 1426; s.a. VerfGH Berlin, Beschluss vom 15. November 2001 – VerfGH 95/00 –, Beschlussabdruck S. 7 ≪allerdings bezogen auf November 2001≫).
c) Die Rüge, das Berufungsgericht sei seiner Pflicht, den Sachverhalt von Amts wegen zu erforschen (§ 86 Abs. 1 VwGO), nicht in der gebotenen Weise gerecht geworden, genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO.
Die Rüge der Verletzung des verwaltungsprozessualen Untersuchungsgrundsatzes erfordert zum einen die substantiierte Darlegung, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären (vgl. nur BVerwGE 55, 159 ≪169 f.≫); zum anderen muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Berufungsverfahren, insbesondere in der mündlichen Berufungsverhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist, oder dass sich dem Berufungsgericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (s. etwa Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265).
Diesen Anforderungen genügt das Beschwerdevorbringen nicht, da sich die Aufklärungsrüge insoweit gegen die Bewertung und Würdigung des festgestellten Sachverhaltes durch das Berufungsgericht wendet, aber nicht aufgezeigt wird, hinsichtlich welcher entscheidungserheblichen Tatsachenfragen sich dem Berufungsgericht unter Nutzung welcher Beweismittel eine weitere Sachverhaltsaufklärung hätte aufdrängen müssen.
d) Die Verfahrensrüge, das Berufungsgericht habe auf der Grundlage eines unvollständigen bzw. falschen Sachverhaltes entschieden und Sachverhalt “aktenwidrig” festgestellt, greift ebenfalls nicht durch.
Diese Verfahrensrüge betrifft den Grundsatz der freien Beweiswürdigung und das Gebot der sachgerechten Ausschöpfung des vorhandenen Prozessstoffs (vgl. § 86 Abs. 1, § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) und bedingt die schlüssig vorgetragene Behauptung, zwischen den in der angegriffenen Entscheidung getroffenen tatsächlichen Annahmen und dem insoweit unumstrittenen Akteninhalt sei ein Widerspruch gegeben. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts muss dieser Widerspruch offensichtlich sein, so dass es einer weiteren Beweiserhebung zur Klärung des richtigen Sachverhalts nicht bedarf; der Widerspruch muss also “zweifelsfrei” sein (vgl. Beschluss vom 19. November 1997 – BVerwG 4 B 182.97 – Buchholz 406.11 § 153 BauGB Nr. 1; BVerwGE 68, 338). Die Verfahrensrüge der “Aktenwidrigkeit” verlangt eine genaue Darstellung des Verstoßes, und zwar durch konkrete Angaben von Textstellen aus dem vorinstanzlichen Verfahren, aus denen sich der Widerspruch ergeben soll. Diese Voraussetzungen sind erforderlich, da eine Kritik an der tatrichterlichen Beweiswürdigung und Überzeugungsbildung als solche zur Darlegung eines Verfahrensmangels nicht ausreicht (s. etwa BVerwG, Beschluss vom 2. November 1999 – BVerwG 4 BN 41.99 – UPR 2000, 226).
Diesen Anforderungen genügt die Beschwerde nicht. Sie legt insoweit in der Sache lediglich dar, dass und aus welchen Gründen aus Sicht des Beklagten die von dem Berufungsgericht herangezogenen Indizien, namentlich die aus den Verwaltungsvorgängen gewonnenen Erkenntnisse, anders als durch das Berufungsgericht zu bewerten seien, weist indes nicht auf, welche von dem Berufungsgericht herangezogenen tatsächlichen Annahmen mit dem insoweit unstreitigen Akteninhalt nicht im Einklang stünden. Namentlich hat das Berufungsgericht nicht verkannt, dass und aus welchen, insoweit in der Beschwerdeschrift wiederholten und vertieften Gründen der Beklagte den Sachverhalt anders bewertet hat und von einer fortbestehenden Wohnraummangellage ausgegangen ist. Das Berufungsgericht hat auch bei seiner Feststellung, dass die Bevölkerungszahl des Landes stagniere, den leichten Anstieg der Bevölkerungszahl im Jahre 2001 zur Kenntnis genommen und bewertet (Urteilsabdruck S. 35) und das erkennbar zur Kenntnis genommene Vorbringen des Beklagten zur Einstellung der Wohnungsbauförderung, zu dem Verzicht auf die Fehlbelegungsabgabe sowie dem Abrissprogramm zwar abweichend von dem Beklagten, aber ohne offenkundigen Widerspruch zum unstreitigen Akteninhalt gewürdigt.
e) Die hinreichend erkennbar erhobene Rüge einer Verletzung des Überzeugungsgrundsatzes (§ 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO) greift ebenfalls nicht durch.
Gemäß § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO entscheidet das Gericht nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung. Das Gebot der freien Beweiswürdigung verpflichtet unter anderem dazu, bei Bildung der Überzeugung von einem zutreffend und vollständig ermittelten Sachverhalt auszugehen (vgl. BVerwGE 85, 155 ≪158≫ m.w.N.). Somit darf das Tatsachengericht insbesondere wesentliche Umstände nicht übergehen, deren Entscheidungserheblichkeit sich ihm hätte aufdrängen müssen.
Ein derartiger Verstoß des Berufungsgerichts ist aber nicht erkennbar. Die Rechtsbehauptung, es obliege nicht dem Beklagten, die fortbestehende Wohnraummangellage konkret zu beweisen, ist unabhängig davon, ob sie revisionsrechtlich dem Verfahrensrecht oder dem materiellen Recht zuzuordnen ist, schon deswegen unbeachtlich, weil das Berufungsgericht nicht auf eine materielle Darlegungslast des Beklagten, sondern im Einklang mit der auch von dem Beklagten herangezogenen Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts darauf abgestellt hat (s.o. I. 1.), dass die aufgrund des Art. 6 § 1 MRVerbG erlassene Zweckentfremdungsverbotverordnung ohne ausdrückliche Aufhebung erst dann außer Kraft tritt, wenn ein Ende der Mangellage auf dem Wohnungsmarkt insgesamt deutlich in Erscheinung getreten und das Zweckentfremdungsverbot daher offensichtlich entbehrlich geworden ist. Dass die auf diesem zutreffenden rechtlichen Maßstab gründende Beurteilung des Sachverhaltes gegen Denk- oder Erfahrungssätze oder sonstige Grundsätze der freien Beweiswürdigung verstoße und damit rechtsfehlerhaft sei, macht die Beschwerde nicht geltend.
f) Das mit den Verfahrensrügen wiederholte und vertiefte Vorbringen der Beschwerde, aufgrund der Komplexität der Entwicklungen auf einem Wohnungsmarkt habe das Berufungsgericht aufgrund der festgestellten Tatsachen jedenfalls nicht bei Vorliegen aller marktrelevanten Daten auf ein sofortiges Außer-Kraft-Treten der Zweckentfremdungsverbotverordnung erkennen dürfen, sondern dem Beklagten einen angemessenen Handlungszeitraum zur Reaktion auf die geänderten Verhältnisse zubilligen müssen, betrifft die sachlich-rechtliche Frage der Feststellung und Würdigung des Sachverhaltes (s.o. I. 1. lit. c)). Bei den sachlich-rechtlichen Anforderungen und der Bewertung der festgestellten Tatsachen hat das Berufungsgericht nicht verkannt, dass die Entwicklung abgeschlossen sein und auch unter Berücksichtigung der sich aus dem Wegfall des Zweckentfremdungsverbotes ergebenden Folgen die Prognose rechtfertigen müsse, dass diese Entspannung nachhaltig, d.h. von einer gewissen Dauer sein werde. Die mit jeder Prognose verbundene Restungewissheit rechtfertigt nicht, bei – wie hier vom Berufungsgericht verfahrensfehlerfrei angenommenem – offenkundigem Wegfall der Mangellage das Zweckentfremdungsverbot vorbeugend aufrechtzuerhalten. Mit dem Instrument der Rechtsverordnung steht dem Beklagten zudem ein Mittel zur Verfügung, das er zeitnah einsetzen kann, wenn sich die Wohnungsmarktlage aufgrund besonderer Ereignisse oder aufgrund einer von der Prognose des Berufungsgerichts abweichenden Marktentwicklung wieder dahin entwickeln sollte, dass die gesetzlichen Voraussetzungen für ein neuerliches Zweckentfremdungsverbot neu entstehen.
Entscheidungsgründe
II. Die Beschwerde der Klägerin hat ebenfalls keinen Erfolg. Auch die von ihr vorgetragenen Gründe rechtfertigen keine Revisionszulassung.
Der Rechtsfrage, ob der Beklagte “nach Erlass des Haushaltsgesetzes 1999 unter Berücksichtigung der Ermächtigungsgrundlage und der Grundrechte der betroffenen Eigentümer eine Genehmigung nach der 2. ZwVbVO noch in zulässiger Weise an die Zahlung einer (erhöhten) Ausgleichsabgabe von 10 DM/qm knüpfen konnte und durfte”, kommt die sinngemäß geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung schon deswegen nicht zu, weil sie nach dem Außer-Kraft-Treten der Zweckentfremdungsverbotverordnung eine Frage ausgelaufenen Rechts betrifft. Die Beschwerde setzt sich auch nicht – wie zur Darlegung grundsätzlicher Bedeutung erforderlich – damit auseinander, dass nach den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts der Beklagte zwar mit dem Berliner Haushaltsgesetz 1999 (GVBl Bln. 1998, 434) den Rückzug aus der Förderung des Mietwohnungsneubaues beschlossen habe und zum Jahre 2001 auch die Förderung des Neubaues von Wohneigentum beendet worden sei, diese Feststellungen indes nicht ausschließen, dass jedenfalls bis zum Jahre 2000 durch die Ausgleichsabgabe erzielte Einnahmen zweckkonform zu wohnungsbaupolitischen Förderzwecken verwendet werden konnten und durch den Beklagten tatsächlich auch verwendet worden sein können. Selbst wenn die Ausgleichsabgabe kraft Bundesrechts bei fortbestehendem Zweckentfremdungsverbot nur bei zweckkonformer Verwendung erhoben werden darf, was offen bleiben kann, so ist den von der Klägerin nicht mit Verfahrensrügen angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu entnehmen, dass auch diese Voraussetzungen bis zu dem von dem Berufungsgericht festgestellten Zeitpunkt des Außer-Kraft-Tretens der Zweckentfremdungsverbotverordnung entfallen gewesen wären. Dass auch tatsächlich der politisch beschlossene Rückzug aus der Wohnungsbauförderung nicht schon in den Jahren 1999 und 2000 bewirkt hat, dass der Beklagte die Mittel aus der Ausgleichsabgabe nicht zweckkonform verwenden konnte, wird durch die Angaben des Beklagten in dessen Beschwerdeschrift zum Umfang fortwirkender Wohnungsbauförderung in den Jahren 1999 und 2000 bestätigt. Aus der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts folgt dabei nicht, dass die Ausgleichsabgabe bei einer (nur) relativen, noch nicht zu einem deutlich in Erscheinung tretenden Ende der Mangellage führenden Entspannung auf dem Wohnungsmarkt nicht erhoben werden dürfe oder Abschläge vorsehen müsse (s. Beschluss vom 30. April 1999 – BVerwG 5 B 85.98 –).
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Entscheidung über den Streitwert folgt aus § 13 Abs. 2, § 14 Abs. 3 GKG i.V.m. § 16 Abs. 1 GKG (analog).
Unterschriften
Dr. Säcker, Dr. Franke, Prof. Dr. Berlit
Fundstellen
Haufe-Index 933074 |
NVwZ 2003, 582 |
IBR 2003, 271 |
DVBl. 2003, 1011 |
GuG 2003, 12 |