Verfahrensgang

VG Dresden (Aktenzeichen 11 K 1400/97)

 

Tenor

Das Urteil des Verwaltungsgerichts Dresden vom 10. August 2000 wird aufgehoben.

Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.

Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.

 

Tatbestand

I.

Die Klägerin zu 2 begehrt die Auskehr des Verkaufserlöses für drei Flurstücke, welche die Beklagte als Verfügungsberechtigte auf der Grundlage eines Investitionsvorrangbescheides veräußert hat. Die Flurstücke waren im Jahre 1972 nach dem Aufbaugesetz in Anspruch genommen und in Volkseigentum überführt worden. Eigentümer der drei Flurstücke war seinerzeit eine Erbengemeinschaft, zu der neben der Klägerin zu 1 eine weitere Miterbin gehörte. Diese trat ihre vermögensrechtlichen Ansprüche der Klägerin zu 2 ab. Die Beklagte hat die Anträge der Klägerinnen auf Rückübertragung der drei Flurstücke und auf Auskehr des Erlöses abgelehnt. Die Klägerinnen haben Klage erhoben. Nachdem die Klägerin zu 1 ihre Klage zurückgenommen hat, hat das Verwaltungsgericht den Antrag der Klägerin zu 2 dahin ausgelegt, diese begehre sinngemäß, die Beklagte unter Aufhebung der entgegenstehenden Bescheide zu verpflichten, festzustellen, dass der Klägerin zu 2 die Hälfte des Veräußerungserlöses zustehe. Das Verwaltungsgericht hat die Klage mit der Begründung abgewiesen, die seinerzeitige Enteignung der drei Flurstücke habe keine unlautere Machenschaft im Sinne des § 1 Abs. 3 VermG dargestellt, namentlich sei der angegebene Enteignungszweck nicht nur vorgeschoben gewesen. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde der Klägerin zu 2.

 

Entscheidungsgründe

II.

Die Beschwerde ist begründet.

1. Das angefochtene Urteil beruht auf dem geltend gemachten Verfahrensfehler (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO). Das Verwaltungsgericht hat seine Pflicht verletzt, den Sachverhalt von Amts wegen aufzuklären (§ 86 Abs. 1 VwGO).

a) Das Verwaltungsgericht hat zum einen angenommen, die Enteignung der streitigen Flurstücke stelle nicht deshalb eine unlautere Machenschaft dar, weil der angegebene Enteignungszweck nur vorgeschoben worden sei. Die für diese Annahme notwendigen Tatsachen hat das Verwaltungsgericht nicht ausreichend ermittelt. Es hat bereits nicht ausreichend aufgeklärt, welcher Enteignungszweck mit der Inanspruchnahme der streitigen Flurstücke verfolgt worden ist. Zur Klärung dieser Frage hätte das Verwaltungsgericht weitere Unterlagen beiziehen müssen. Es hat selbst erkannt, dass die ihm vorliegenden Unterlagen nicht ausreichten, den mit der Inanspruchnahme der streitigen Flurstücke konkret verfolgten Zweck festzustellen. Zur weiteren Aufklärung des Sachverhalts hat es deshalb der Beklagten in der mündlichen Verhandlung vom 4. Februar 2000 aufgegeben, den Aufbauplan sowie die Bebauungspläne vorzulegen. Diese Unterlagen hat die Beklagte dem Gericht nicht vorgelegt. Die von ihr eingereichten Pläne stellen weder den Aufbauplan noch den Bebauungsplan dar. Ihnen kann nichts für die klärungsbedürftige Frage entnommen werden, welchem Zweck die enteigneten drei Flurstücke im Zuge der Aufbaumaßnahme zugeführt werden sollten. Hierauf hat die Klägerin zu 2 das Verwaltungsgericht hingewiesen. Das Verwaltungsgericht hat gleichwohl in der Sache entschieden, ohne weitere Versuche zu unternehmen, die von ihm selbst in der mündlichen Verhandlung noch für erforderlich gehaltenen Unterlagen zu beschaffen.

Unergiebig ist die zutreffende Feststellung des Verwaltungsgerichts, die Flurstücke hätten in einem großflächigen Aufbaugebiet gelegen, das zentrale Stadtgebiete Dresdens erfasst habe, die von den Kriegseinwirkungen im Februar 1945 besonders betroffen gewesen seien. Die daran anknüpfende Erwägung des Verwaltungsgerichts, der Aufbauplan sei Ausdruck einer großräumigen Neuplanung eines kriegszerstörten zentralen Stadtgebiets gewesen, mag erklären, warum das Aufbaugebiet nicht durch einzelne Grundstücke, sondern durch Straßenzüge begrenzt worden ist. Allein die Lage innerhalb des so abgegrenzten Aufbaugebiets beantwortet aber noch nicht die Frage, ob für die Inanspruchnahme des konkreten Grundstücks überhaupt ein gesetzlich zulässiger Enteignungszweck vorlag und gegebenenfalls welcher das war.

Ebenso unergiebig ist der Hinweis des Verwaltungsgerichts, im „Objektverteilerplan” vom 30. August 1971 seien Teile der Flurstücke für eine Parkpalette eingeplant, in einem Plan vom 30. September 1971 sei auf der gesamten Fläche ein großer Parkplatz vorgesehen gewesen. Das Verwaltungsgericht kennzeichnet diese zunächst beabsichtigte Verwendung der Flurstücke aufgrund der von ihm ausgewerteten Unterlagen nämlich selbst als bloßes Zwischenergebnis der noch laufenden Planung. Aus den weiteren Ausführungen des Verwaltungsgerichts ergibt sich, dass diese Absichten in das Endergebnis der Planung nicht eingegangen sind, jedenfalls zum Zeitpunkt der in Rede stehenden Enteignung nicht weiter verfolgt wurden. Als tatsächliche Feststellung eines verfolgten Enteignungszwecks ist deshalb die Bemerkung des Verwaltungsgerichts unerheblich, die Flurstücke hätten sich wegen ihrer Lage für die Planung eines Parkplatzes angeboten.

Im rechtlichen Ausgangspunkt zutreffend ist ferner zwar die weitere Aussage des Verwaltungsgerichts, die Enteignung eines Grundstücks nach dem Aufbaugesetz sei nicht willkürlich, wenn das Grundstück im Rahmen einer konkreten Aufbaumaßnahme der Grüngestaltung habe dienen sollen. Komplexer Wohnungsbau, um den es nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichts hier ging, umfasste auch die städtebaulich gebotenen Freiflächen, zu denen etwa objektgebundene Grünflächen oder öffentliche Grünanlagen gehören konnten. Das Verwaltungsgericht hat jedoch keine ausreichenden tatsächlichen Feststellungen dazu getroffen, dass im konkreten Fall die enteigneten Grundstücke für eine objektbezogene oder öffentliche Grünanlage verwendet werden sollten. Es begnügt sich vielmehr weitgehend mit der abstrakten Feststellung, dass für einen solchen Zweck die Enteignung nach dem Aufbaugesetz zulässig war. Nicht weiter führt sein Hinweis, es stelle sich nicht als offensichtlich willkürlich dar, die Flurstücke mit Blick auf eine Nutzung als Grünfläche in das Aufbaugebiet einzubeziehen, weil die Flurstücke schon zuvor als (privater) Garten genutzt worden seien und dort zu erhaltender Baumbestand vorhanden gewesen sei. Die mögliche Rechtfertigung einer Enteignung der Flurstücke zur Nutzung als Grünfläche ersetzt nicht die konkrete Feststellung, dass dieser Enteignungszweck mit der Inanspruchnahme tatsächlich verfolgt worden ist. Dieser Zweck der Inanspruchnahme ergibt sich nicht aus dem Vermerk auf dem Plan vom 30. August 1971. Danach sollte bei allen Neuplanungen des Hoch- und Tiefbaus, insbesondere beim Ausbau der Stübelallee und des Comeniusplatzes, bei der weiteren Bearbeitung der wertvolle Baumbestand maximal berücksichtigt werden. Der Vermerk bezieht sich nicht auf die künftige Nutzung der in Rede stehenden drei Flurstücke, sondern allgemein auf Stadtplanungen, wenn auch insbesondere im Bereich der hier betroffenen Stübelallee. Der Vermerk schloss im Übrigen eine anderweitige Überplanung auch baumbestandener Flächen nicht aus, wie die erst später beabsichtigte, dann jedoch wieder aufgegebene Verplanung der in Rede stehenden Flurstücke für Parkpaletten und einen großen Parkplatz zeigt. Ohne weitere Aufklärung anhand der angeforderten, aber nicht vorgelegten Pläne durfte das Verwaltungsgericht seiner Entscheidung nicht die Annahme zugrunde legen, die streitigen Flurstücke seien im Zuge der Aufbaumaßnahme für eine Grüngestaltung vorgesehen gewesen und hierfür enteignet worden.

Ohne tatsächliche Grundlage bleibt deshalb die Wertung des Verwaltungsgerichts, die Flurstücke hätten jedenfalls der Aufbaumaßnahme dienen und nicht für andere Zwecke genutzt werden sollen.

b) Das Verwaltungsgericht hat zum anderen angenommen, die Enteignung der streitigen Flurstücke stelle auch dann keine unlautere Machenschaft dar, wenn mit ihrer Inanspruchnahme kein eigener Enteignungszweck verfolgt worden sei, denn die Flurstücke hätten durch die Privateigentümer nicht mehr in sinnvoller Weise genutzt werden können.

Auch insoweit hat das Verwaltungsgericht indes den Sachverhalt nicht ausreichend aufgeklärt. Es ist namentlich nicht der sich aufdrängenden Frage nachgegangen, welche Verwendung dem Eigentümer für das Grundstück nach Verwirklichung der Aufbaumaßnahme blieb, wenn diese – wie das Verwaltungsgericht bei seiner zweiten Begründung vorausgesetzt hat – für die Aufbaumaßnahme selbst nicht benötigt wurden. Nach den eigenen Feststellungen des Verwaltungsgerichts sind die Flurstücke vorher als Gartenland genutzt worden. Dass eine solche Nutzung später nicht mehr möglich war, hat das Verwaltungsgericht jedenfalls nicht ausdrücklich festgestellt. Es hat vielmehr den Blick unzulässig auf die Möglichkeit verengt, das Grundstück durch die Errichtung von Gebäuden baulich zu nutzen. Darauf kommt es aber für die Frage nicht an, ob die für die Aufbaumaßnahme selbst nicht benötigten Flurstücke noch in anderer Weise sinnvoll eigenständig hätten genutzt werden können. Das ist jedenfalls dann nicht von der Hand zu weisen, wenn die bisher und zwar über Jahrzehnte ausgeübte Nutzung als Garten weiterhin hätte aufrechterhalten bleiben können. Feststellungen hierzu hat das Verwaltungsgericht nicht getroffen.

2. Offen bleiben kann, ob die weitere Rüge der Klägerin zu 2 begründet ist, das Verwaltungsgericht sei mit beiden tragenden Gründen von dem Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. Oktober 1999 – BVerwG 7 C 38.98 – (Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 6) abgewichen. Das deshalb angestrebte Revisionsverfahren müsste wegen des unterlaufenen Verfahrensfehlers einer mangelnden Aufklärung des Sachverhalts zur Zurückverweisung der Sache an das Verwaltungsgericht führen. In einem solchen Fall steht eine begründete Abweichungsrüge nicht entgegen, das angefochtene Urteil wegen des zugleich unterlaufenen Verfahrensfehlers gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und die Sache an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (BVerwG, Beschluss vom 26. Juni 2000 – BVerwG 7 B 26.00 –).

Der Senat macht von der Möglichkeit Gebrauch, wegen des Verfahrensfehlers die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen (§ 133 Abs. 6 VwGO). Das Verwaltungsgericht wird dabei auch gemäß § 86 Abs. 3 VwGO auf einen sachdienlichen Antrag hinzuwirken haben. Die Klägerin zu 2 weist mit ihrer Beschwerde zu Recht darauf hin, dass durch die behauptete schädigende Maßnahme eine Erbengemeinschaft betroffen war und Berechtigter im Sinne von § 2 Abs. 1 Satz 1 VermG eine Erbengemeinschaft ist. In diesem Fall kann jeder Miterbe die Rückübertragung des entzogenen Grundstücks an die Erbengemeinschaft, nicht jedoch die Einräumung eines Miteigentumsanteils an dem Grundstück verlangen. Tritt an die Stelle des entzogenen Grundstücks gemäß § 16 Abs. 1 InVorG der Erlös aus der investiven Veräußerung, gilt sinngemäß dasselbe. Jeder Miterbe kann die Auskehr des gesamten Erlöses an die Erbengemeinschaft, nicht aber einen auf ihn entfallenden Anteil an dem Erlös verlangen. Im Übrigen hatten die Klägerinnen nicht die Feststellung eines Anspruchs auf Erlösauskehr, sondern die Verpflichtung des Beklagten zur Anordnung der Erlösauskehr begehrt. Hierauf hat die Klägerin zu 2 in ihrer Beschwerde zutreffend hingewiesen, ohne jedoch gegen die abweichende Auslegung ihres Antrags durch das Verwaltungsgericht Revisionsrügen zu erheben.

Die Festsetzung des Streitwerts beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 2 und 3 GKG.

 

Unterschriften

Dr. Franßen, Herbert, Neumann

 

Fundstellen

Dokument-Index HI600595

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