Verfahrensgang
Niedersächsisches OVG (Urteil vom 22.06.2004; Aktenzeichen 2 LB 86/03) |
Tenor
Die Beschwerde der Kläger gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Niedersächsischen Oberverwaltungsgerichts vom 22. Juni 2004 wird zurückgewiesen.
Die Kläger tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Gründe
Die allein auf einen Verfahrensmangel (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde der Kläger hat keinen Erfolg.
Die Beschwerde rügt, das Oberverwaltungsgericht habe die Präklusionsvorschriften nach § 79 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 128a Abs. 1 VwGO falsch angewandt und die Kläger mit ihrem Vorbringen, tatsächlich türkische Staatsangehörige zu sein, nicht gehört. Es habe das entsprechende Vorbringen im Berufungsverfahren zu Unrecht als neue Erklärungen im Sinne von § 128a Abs. 1 VwGO angesehen. Denn die Klägerin zu 1 habe sich bereits in ihrer Anhörung vor dem Bundesamt auf ihre türkische Staatsangehörigkeit berufen. Dass im Klageverfahren vor dem Verwaltungsgericht der damalige gemeinsame Prozessbevollmächtigte der Kläger und des inzwischen geschiedenen Ehemannes der Klägerin zu 1 nicht mehr auf die türkische Staatsangehörigkeit abgehoben habe – er hat vorgetragen, die Kläger seien sämtlich syrische Staatsangehörige –, habe die Klägerin zu 1 nicht zu vertreten. Sie habe bereits im Berufungsverfahren darauf hingewiesen, dass das Verfahren seinerzeit allein von ihrem Ehemann und dessen Prozessbevollmächtigten betrieben worden sei und sie als Analphabetin keine Kenntnis von den Schriftsätzen gehabt habe. Sie habe sich auf eine ordnungsgemäße Prozessführung durch ihren Ehemann verlassen dürfen. In der unzulässigen Präklusion liege zugleich ein Verstoß gegen die Gewährung rechtlichen Gehörs (§ 138 Nr. 3 VwGO). Die Entscheidung beruhe auch auf diesem Verfahrensmangel, weil die vom Gericht – unabhängig von der Präklusion – angeführten Hilfserwägungen ihrerseits fehlerhaft seien. Hätte das Oberverwaltungsgericht die Kläger nämlich mit dem Vorbringen zu ihrer türkischen Staatsangehörigkeit nicht für präkludiert gehalten, so hätte es sich auch mit der Frage einer möglichen Verfolgung durch die Türkei auseinander setzen müssen. Sowohl das Asylrecht nach Art. 16a Abs. 1 GG als auch der asylrechtliche Abschiebungsschutz nach § 51 Abs. 1 AuslG böten vor Verfolgung durch den Heimatstaat Zuflucht, und zwar auch dann, wenn der Betroffene möglicherweise zwei Staatsangehörigkeiten habe.
Mit diesem und dem weiteren Vorbringen der Beschwerde ist ein Verfahrensmangel, auf dem die Entscheidung beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO), nicht aufgezeigt. Dabei kann im Ergebnis offen bleiben, ob das Berufungsgericht die Kläger mit ihrem Vortrag zum Besitz der türkischen Staatsangehörigkeit zu Recht nach § 79 Abs. 1 AsylVfG i.V.m. § 128a Abs. 1 VwGO präkludiert hat. Denn die Beschwerde legt nicht dar, dass die Entscheidung auf diesem Verfahrensmangel – wenn er denn vorläge – beruhen kann. Allerdings ist durchaus zweifelhaft, ob das Berufungsgericht die Kläger mit ihrem Vortrag präkludieren durfte. Nach § 79 Abs. 1 AsylVfG gilt in dem Verfahren vor dem Oberverwaltungsgericht in Bezug auf Erklärungen und Beweismittel, die der Kläger nicht innerhalb der Frist des § 74 Abs. 2 Satz 1 AsylVfG (einen Monat nach Zustellung des ablehnenden Asylbescheides) vorgebracht hat, § 128a VwGO entsprechend. Danach sind neue Erklärungen und Beweismittel, die im ersten Rechtszug nicht innerhalb der maßgeblichen Frist vorgebracht worden sind, nur zuzulassen, wenn nach der freien Überzeugung des Gerichts ihre Zulassung die Erledigung des Rechtsstreits nicht verzögern würde oder wenn der Beteiligte die Verspätung genügend entschuldigt. Dies gilt nicht, wenn der Beteiligte im ersten Rechtszug über die Folgen einer Fristversäumung nicht belehrt worden ist oder wenn es mit geringem Aufwand möglich ist, den Sachverhalt auch ohne Mitwirkung des Beteiligten zu ermitteln (§ 128a Abs. 1 Satz 3 VwGO). Abgesehen von der nach den Besonderheiten des Einzelfalles zu beantwortenden Frage, ob es sich bei dem Vortrag der Kläger zu ihrer türkischen Staatsangehörigkeit im Schriftsatz vom 12. September 2000 überhaupt um neue Erklärungen im Sinne des § 128a Abs. 1 VwGO gehandelt hat und ob die Verspätung möglicherweise genügend entschuldigt war, ist zweifelhaft, ob das Berufungsgericht annehmen durfte, dass die Zulassung dieses Vortrages zu einer Verzögerung des Rechtsstreits führen würde. Denn zu einer Verzögerung im Sinne des § 128a Abs. 1 VwGO führt eine Zulassung verspäteten Vorbringens dann nicht, wenn hierfür eine unzulängliche Verfahrensleitung oder eine Verletzung der gerichtlichen Sachaufklärungspflicht mitursächlich wäre (vgl. BVerfGE 75, 183 ≪190≫ m.w.N.). Angesichts der Tatsache, dass die Kläger nach den eigenen Ausführungen des Berufungsgerichts mit diesem Schriftsatz überhaupt erstmals detailliert zu ihrer türkischen Staatsangehörigkeit vorgetragen haben (UA S. 11), ist es zumindest fraglich, ob nicht die vom Gericht für erforderlich gehaltenen weiteren Aufklärungsmaßnahmen schon im Rahmen der Terminsvorbereitung bis zur mündlichen Verhandlung am 22. Juni 2004 hätten durchgeführt werden können, so dass eine Verzögerung hätte vermieden werden können. Dies alles bedarf indes keiner abschließenden Entscheidung.
Die Beschwerde zeigt jedenfalls nicht – wie erforderlich – auf, dass die Berufungsentscheidung auf dem behaupteten, allein den Gesichtspunkt der türkischen Staatsangehörigkeit der Kläger betreffenden Verfahrensmangel beruht. Das Berufungsgericht hat seine Entscheidung nämlich unabhängig von der Präklusion darauf gestützt, dass die Kläger nach seiner Überzeugung syrische Staatsangehörige seien und sie Syrien weder vorverfolgt verlassen hätten noch ihnen bei einer Rückkehr nach Syrien dort mit beachtlicher Wahrscheinlichkeit politische Verfolgung drohe (Tz. 1.2.4 bis 1.3.2.2 der Urteilsgründe). Durchgreifende Revisionszulassungsgründe gegen diese Begründung, insbesondere die Feststellung der syrischen Staatsangehörigkeit der Kläger, macht die Beschwerde nicht geltend. Hinsichtlich der Kläger zu 2 bis 6 räumt sie sogar selbst ein, dass diese die syrische Staatsangehörigkeit von ihrem Vater erworben haben. Hinsichtlich der Klägerin zu 1 greift sie die Feststellungen über den Erwerb der syrischen Staatsangehörigkeit ebenfalls nicht mit durchgreifenden Verfahrensrügen an. Die Beschwerde hält vielmehr diese Begründung des Berufungsgerichts deshalb nicht für ausreichend und für selbständig tragend, weil sie der Auffassung ist, dass im Falle einer neben der syrischen Staatsangehörigkeit bestehenden türkischen Staatsangehörigkeit der Kläger auch deren mögliche politische Verfolgung in der Türkei hätte geprüft werden müssen. Dieser Ausgangspunkt der Beschwerde ist indes nicht zutreffend, weil wegen des Prinzips der Subsidiarität, das sowohl dem Asylrecht als auch dem Flüchtlingsrecht nach der Genfer Flüchtlingskonvention – GFK – zugrunde liegt, bei Personen, die zwei oder mehr Staatsangehörigkeiten besitzen, eine Anerkennung als Asylberechtigter oder Flüchtling nicht in Betracht kommt, wenn sie den Schutz eines dieser Staaten in Anspruch nehmen können (vgl. Art. 1 A Nr. 2 Abs. 2 GFK und Urteil vom 6. August 1996 – BVerwG 9 C 172.95 – BVerwGE 101, 328 ≪336≫ m.w.N.). Nach den im vorliegenden Verfahren bindenden (§ 137 Abs. 2 VwGO) Feststellungen des Berufungsgerichts droht den Klägern aber in Syrien als einem Staat ihrer Staatsangehörigkeit weder politische Verfolgung noch liegen sonstige Abschiebungshindernisse vor. Auf eine etwaige politische Verfolgung in einem anderen Staat, dessen Staatsangehörigkeit sie möglicherweise ebenfalls besitzen, kommt es daher nicht an.
Allerdings ist der Beschwerde einzuräumen, dass das Berufungsgericht in seiner zweiten Begründung nicht nur ausgeführt hat, es sei von der syrischen Staatsangehörigkeit der Kläger überzeugt, sondern auch festgestellt hat, dass die Kläger nicht (mehr) türkische Staatsangehörige seien (Tz. 1.2.4 der Urteilsgründe). Diese Feststellung steht in der Tat in Widerspruch zu den vorangegangenen Ausführungen des Berufungsgerichts zur Präklusion des Vorbringens der Kläger über ihre türkische Staatsangehörigkeit, insbesondere zur Notwendigkeit weiterer umfangreicher und zeitaufwendiger Ermittlungen. Da es auf diese, gleichsam überschießende Feststellung zur türkischen Staatsangehörigkeit indes für das Ergebnis des Verfahrens nicht ankommt, kann die Entscheidung nicht auf dem nur diese Feststellung betreffenden Verfahrensmangel beruhen. Aus denselben Gründen ist es auch unerheblich, ob das Berufungsgericht den Zeugenbeweisantrag der Kläger zu dieser Frage mit der von ihm angeführten Begründung ablehnen durfte.
Von einer weiteren Begründung sieht der Senat ab (§ 133 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 VwGO).
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO. Gerichtskosten werden gemäß § 83b AsylVfG nicht erhoben; der Gegenstandswert ergibt sich aus § 30 RVG.
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen