Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 26.06.2014; Aktenzeichen 7 A 2057/12) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 26. Juni 2014 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens. Die Beigeladenen tragen ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 7 500 EUR festgesetzt.
Gründe
Die auf sämtliche Zulassungsgründe gestützte Beschwerde hat keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, dass die Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zuzulassen wäre.
Grundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO ist eine Rechtssache dann, wenn in dem angestrebten Revisionsverfahren die Klärung einer bisher höchstrichterlich ungeklärten, in ihrer Bedeutung über den der Beschwerde zugrunde liegenden Einzelfall hinausgehenden, klärungsbedürftigen und entscheidungserheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts (§ 137 Abs. 1 VwGO) zu erwarten ist. In der Beschwerdebegründung muss dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), d.h. näher ausgeführt werden, dass und inwieweit eine bestimmte Rechtsfrage des Bundesrechts im allgemeinen Interesse klärungsbedürftig und warum ihre Klärung in dem beabsichtigten Revisionsverfahren zu erwarten ist (stRspr, so bereits Beschluss vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; siehe auch Beschluss vom 1. Februar 2011 – BVerwG 7 B 45.10 – juris Rn. 15). Daran fehlt es hier.
Bei verständiger Würdigung strebt die Beschwerde die Klärung von Rechtsfragen an, die sich bei der Anwendung des Grundsatzes von Treu und Glauben stellen könnten. In Bezug auf die Anwendung dieses Grundsatzes durch das Oberverwaltungsgericht im Rahmen des Abstandsflächenrechts wären sie jedoch in dem angestrebten Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, denn das bauordnungsrechtliche Abstandsflächenrecht gehört dem irrevisiblen Landesrecht an (vgl. § 137 Abs. 1, § 173 VwGO, § 560 ZPO). Zwar gilt der Grundsatz von Treu und Glauben in der gesamten Rechtsordnung (vgl. Beschlüsse vom 13. August 1996 – BVerwG 4 B 135.96 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 135 und vom 11. Februar 1997 – BVerwG 4 B 10.97 – Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 144). Das ändert aber nichts an der Zuordnung dieses Grundsatzes zu der jeweils maßgebenden Rechtsmaterie und damit an der Einordnung, ob revisibles oder irrevisibles Recht berührt ist (vgl. Urteil vom 7. November 1997 – BVerwG 4 C 7.97 – Buchholz 11 Art. 14 GG Nr. 316 = NVwZ 1998, 735). Das Oberverwaltungsgericht ist davon ausgegangen, dass das Vorhaben der Beigeladenen zwar gegen nachbarschützendes Abstandsflächenrecht verstoße, der Kläger sich aber auf diesen Verstoß nach dem Grundsatz von Treu und Glauben nicht berufen könne (UA S. 7, 11 ff.). Damit betrifft der Grundsatz von Treu und Glauben hier das landesgesetzliche Abstandsflächenrecht und ergänzt dieses nach Maßgabe ungeschriebenen Rechts, womit er insoweit die Irrevisibilität des Landesbauordnungsrechts teilt (vgl. Beschluss vom 19. September 2000 – BVerwG 4 B 65.00 – Buchholz 310 § 137 Abs. 1 VwGO Nr. 15 – juris Rn. 3 m.w.N.).
Soweit die Beschwerde auf eine Verletzung des § 30 BauGB verweist, wären Fragen zum Grundsatz von Treu und Glauben in einem Revisionsverfahren nicht klärungsbedürftig. Denn das Berufungsgericht hat einen Verstoß gegen nachbarschützendes Bauplanungsrecht verneint, weil es das Vorhaben der Beigeladenen als nicht rücksichtslos gegenüber dem Kläger eingestuft hat und nicht, weil sich der Kläger auf eine etwaige Rechtsverletzung nach den Grundsätzen von Treu und Glauben nicht berufen könnte (UA S. 16).
2. Die Revision ist nicht nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO zuzulassen. Der Kläger legt nicht dar, dass das angefochtene Urteil von Entscheidungen des Bundesverwaltungsgerichts abweicht.
Zur Darlegung des Zulassungsgrundes der Divergenz ist gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO erforderlich, dass die Beschwerde einen inhaltlich bestimmten, die angefochtene Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz benennt, mit dem die Vorinstanz u.a. einem in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts tragenden Rechtssatz in Anwendung derselben Rechtsvorschrift widersprochen hat (Beschlüsse vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26 und vom 13. Juli 1999 – BVerwG 8 B 166.99 – Buchholz 310 § 132 Abs. 2 Ziff. 2 VwGO Nr. 9). Daran fehlt es hier in Bezug auf den Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 16. April 2002 – BVerwG 4 B 8.02 – (Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 164 = BauR 2003, 1031) bereits deshalb, weil die Ausführungen des Bundesverwaltungsgerichts in dem genannten Beschluss zur Verwirkung von nachbarlichen Abwehrrechten ausweislich der Begründung nicht entscheidungstragend waren (vgl. a.a.O. – juris Rn. 10: „Unter diesen Umständen kommt es nicht darauf an,…”); es handelt sich vielmehr um ein „obiter dictum”. Auf eine Divergenz gegenüber einem „obiter dictum” kann eine Abweichungsrüge nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts jedoch nicht gestützt werden.
Die behauptete Divergenz zum Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 28. August 1987 – BVerwG 4 N 3.86 – (BVerwGE 78, 85 = Buchholz 406.19 Nachbarschutz Nr. 74) wird von der Beschwerde nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend nachvollziehbar dargelegt.
3. Schließlich ist auch ein Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO nicht substantiiert dargetan.
a) Soweit die Beschwerde einen Gehörsverstoß (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 i.V.m. § 138 Nr. 3 VwGO) behauptet, genügt sie den Darlegungserfordernissen (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) nicht, denn insofern wendet sie sich in der Art einer Berufungsbegründung nur gegen die materiell-rechtliche Auffassung des Oberverwaltungsgerichts zum nachbarlichen Abwehranspruch. Im Übrigen legt die Beschwerde nicht dar, was sie bei ausreichender Gehörsgewährung noch vorgetragen hätte und inwiefern der weitere Vortrag zur Klärung des geltend gemachten Anspruchs geeignet gewesen wäre (siehe hierzu etwa Beschlüsse vom 31. Juli 1985 – BVerwG 9 B 71.85 – Buchholz 310 § 98 VwGO Nr. 28 = juris Rn. 6 m.w.N., vom 19. März 1991 – BVerwG 9 B 56.91 – Buchholz 310 § 104 VwGO Nr. 25 = juris Rn. 7, vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 VwGO ≪n.F.≫ Nr. 26 = juris Rn. 4, vom 22. April 1999 – BVerwG 9 B 188.99 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 44 = juris Rn. 3, vom 28. Januar 2003 – BVerwG 4 B 4.03 – Buchholz 310 § 86 Abs. 2 VwGO Nr. 53 = juris Rn. 4 und vom 28. März 2013 – BVerwG 4 B 15.12 – BauR 2013, 1248 Rn. 14).
b) Mit der weiteren Rüge, das Oberverwaltungsgericht habe seine aus § 86 Abs. 3 VwGO folgenden Hinweispflichten verletzt, weil zu keinem Zeitpunkt des Verfahrens die Beurteilung der klägerischen Dachgaube als sog. privilegierte Dachgaube in Frage gestanden habe, wird ein Verfahrensfehler ebenfalls nicht schlüssig aufgezeigt. Die Hinweispflicht konkretisiert den Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs und zielt mit dieser Funktion insbesondere auf die Vermeidung von Überraschungsentscheidungen (Urteil vom 11. November 1970 – BVerwG 6 C 49.68 – BVerwGE 36, 264 ≪266 f.≫; Beschluss vom 4. Juli 2007 – BVerwG 7 B 18.07 – juris Rn. 5). Ein hiergegen verstoßendes Verhalten des Gerichts liegt aber nur vor, wenn es einen bis dahin nicht erörterten rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht und damit dem Rechtsstreit eine Wendung gegeben hat, mit welcher der unterlegene Beteiligte nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte.
Ausweislich der Akten des Oberverwaltungsgerichts wurden alle Beteiligten mit Verfügung vom 5. Juni 2014 (Bl. 204 d. GA) auf den Beschluss des Oberverwaltungsgerichts vom 12. Februar 2010 – 7 B 1840/09 – (Berufung auf Abstandsrechtsverletzung des Nachbarn als unzulässige Rechtsausübung bei eigenem Verstoß gegen Abstandsflächenrecht) hingewiesen. Damit ist den Erfordernissen des § 86 Abs. 3 VwGO genügt, zumal sich die Beteiligten im weiteren Verlauf des Verfahrens zu diesem Problem geäußert haben. Im Übrigen legt die Beschwerde auch insofern nicht dar, was sie auf den von ihr vermissten Hinweis noch vorgetragen hätte.
4. Einen Zulassungsgrund der ernstlichen Zweifel an der Richtigkeit des Urteils kennt § 132 Abs. 2 VwGO nicht.
5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Festsetzung des Streitwerts folgt aus § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Prof. Dr. Rubel, Dr. Decker, Dr. Külpmann
Fundstellen