Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 10.06.2008; Aktenzeichen 8 D 103/07.AK) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 10. Juni 2008 wird verworfen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens einschließlich der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 15 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I
Der Kläger wendet sich als Drittbetroffener gegen den immissionsschutzrechtlichen Vorbescheid der Beklagten zur Erweiterung des steinkohlegefeuerten Heizkraftwerkes Walsum. Gegenstand der Genehmigung sind die Errichtung und der Betrieb des Blockes 10, der einen Dampferzeuger (1 750 MW Feuerungswärmeleistung), eine Rauchgasreinigungsanlage, einen 181 m hohen Naturzug-Kühlturm, zwei Kohlelager und Wasseraufbereitungsanlagen mit umfasst. Das Rauchgas wird über den Kühlturm und über den 300 m hohen Kamin des Blockes 9 abgeführt. Der Kläger hatte hiergegen Einwendungen erhoben.
Nach erfolglosem Widerspruch hat das Oberverwaltungsgericht die Klage abgewiesen, weil das Genehmigungsverfahren ohne den Kläger in seinen Rechten zu verletzen durchgeführt worden sei. Die Zusatzbelastungen durch Schadstoffe aus dem Betrieb der Anlage seien nach den Vorgaben der TA Luft irrelevant. Soweit die TA Luft für Schadstoffe keine Immissionswerte festlege, verursache die geplante Anlage ebenfalls keine beachtliche Zusatzbelastung; unterhalb der für diese Stoffe von Sachverständigen zur Risikoabschätzung bestimmten Beurteilungsmaßstäbe gebe es Bagatellgrenzen, die vorliegend nicht überschritten würden. Eine Verletzung der Vorsorgepflicht könne der Kläger nicht geltend machen.
Das Oberverwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen. Hiergegen richtet sich die Beschwerde des Klägers.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde bleibt ohne Erfolg.
1. Die Beschwerde ist bereits zu verwerfen, weil sie dem Darlegungsgebot des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht entspricht.
Im Hinblick auf den Zulassungsgrund der rechtsgrundsätzlichen Bedeutung – § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO – setzt dies die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 (n.F.) VwGO Nr. 26 m.w.N.). Zudem muss die Beschwerde gewissen Mindestanforderungen hinsichtlich ihrer Klarheit, Verständlichkeit und Überschaubarkeit genügen. Diesen Anforderungen entspricht eine Beschwerdebegründung nicht, die keine Sichtung und rechtliche Durchdringung des Streitstoffes im Hinblick auf die Grundsatzrüge erkennen lässt (Beschluss vom 19. August 1993 – BVerwG 6 B 42.93 – Buchholz 310 § 67 VwGO Nr. 81). All dem genügt das vorliegende Beschwerdevorbringen nicht, wenn es auf die Formulierung ausreichend verständlicher und rechtsgrundsätzlich bedeutsamer Rechtsfragen verzichtet, in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts in erster Linie einen Verstoß gegen Bundesrecht erkennt und im weiteren diese Entscheidung mit einer abweichenden Rechtsauffassung als rechtsfehlerhaft angreift. Damit verkennt die Beschwerde den Unterschied zwischen einer Nichtzulassungsbeschwerde und der Begründung einer Revision.
Ein Verfahrensfehler im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO ist nur dann ausreichend bezeichnet, wenn er sowohl in den ihn (vermeintlich) begründenden Tatsachen als auch in seiner rechtlichen Würdigung substantiiert dargetan wird (Beschluss vom 10. November 1992 – BVerwG 3 B 52.92 – Buchholz 303 § 314 ZPO Nr. 5). Bezüglich des von der Beschwerde behaupteten Verstoßes gegen den Amtsermittlungsgrundsatz (§ 86 Abs. 1 VwGO) muss dementsprechend ausreichend dargelegt werden, hinsichtlich welcher tatsächlichen, vom Rechtsstandpunkt des Oberverwaltungsgerichts aus betrachtet entscheidungserheblichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären. Weiterhin muss entweder dargetan werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 6. März 1995 – BVerwG 6 B 81.94 – Buchholz 310 § 86 Abs. 1 VwGO Nr. 265). Auch hieran fehlt es. Die Beschwerde rügt allein eine unzureichende Sachverhaltswürdigung und konzidiert in diesem Zusammenhang dem Oberverwaltungsgericht in Hinblick auf dessen Abstellen auf den Jahresmittelwert emittierter Schadstoffe, dass es von seinem Standpunkt aus zutreffend zum Stundenmittelwert keine Feststellungen getroffen habe. Damit verdeutlicht bereits die Beschwerde, dass es nach der materiell-rechtlichen Rechtsauffassung des Oberverwaltungsgerichts auf die von ihr geforderte Abschichtung nicht ankam. Mit dieser Rüge einer fehlerhaften Sachverhaltswürdigung wird kein Verfahrensfehler bezeichnet, sondern die Anwendung materiellen Rechts in Frage gestellt. Dies kann aber nicht zur Zulassung der Revision im Wege einer Verfahrensrüge führen.
2. Die Beschwerde wäre auch unbegründet, wollte man die gerügten Rechtsverstöße als noch ordnungsgemäß dargelegte Rechtsfragen verstehen. Doch ist auch deren sinngemäße Ausformulierung an Hand des Vorbringens der Beschwerde kaum möglich und zudem nicht Aufgabe des Revisionsgerichts.
2.1 Entgegen der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht im Hinblick auf die Immissionszusatzbelastung des Grundstücks des Klägers durch das Vorhaben der Beigeladenen zur Gewichtung derjenigen Schadstoffe, für die in der TA Luft keine Immissionswerte festgelegt sind, nicht auf die Regelung in Nr. 4.6.1.1 TA Luft abgestellt, um dann von deren Vorgaben – nämlich Mittelung über die Betriebsstunden einer Kalenderwoche – bei Prüfung der auf einer Jahresmittelung beruhenden sachverständigen Beurteilung durch das Landesamt für Natur, Umwelt und Verbraucherschutz Nordrhein-Westfalen (LANUV NRW) wieder abzurücken. Das Oberverwaltungsgericht hat lediglich auf den generellen Rechtsgedanken der Nr. 4.6.1.1 TA Luft und der Regelungen betreffend die Irrelevanz von Zusatzbelastungen mit Schadstoffen abgehoben, deren Immissionswerte in Nr. 4.2 bis 4.5 TA Luft festgelegt sind, und hieraus hergeleitet, dass es auch für von der TA Luft nicht erfasste Schadstoffe eine Bagatellgrenze geben muss. Diese Annahme steht in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 11. Dezember 2003 – BVerwG 7 C 19.02 – BVerwGE 119, 329 ≪333 f.≫). In einem Revisionsverfahren würde sich die Frage nach Tagesmittelwerten aber nicht stellen, da das Oberverwaltungsgericht deren Betrachtung ersichtlich nicht zum Gegenstand seiner Entscheidung gemacht hat. Eine Zulassung der Revision insoweit scheidet aus.
2.2 Das Oberverwaltungsgericht hält die dem Kläger durch den Betrieb des Blocks 10 zugemuteten Gesundheitsrisiken für denkbar gering und bezieht sich hierfür auf die von der Beigeladenen vorgelegte Ausbreitungsberechung, die vom LANUV NRW auf ihre Plausibilität hin geprüft und nicht beanstandet worden ist. Soweit die TA Luft in Nr. 4.2 bis 4.5 Immissionswerte für Schadstoffe festgelegt hat, kann bei nach Unterziffern der genannten Bestimmungen erfolgten Berechnungen irrelevanter Zusatzbelastungen von keinen schädlichen, durch den Betrieb der Anlage hervorgerufenen Umwelteinwirkungen ausgegangen werden, Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c und Satz 2 TA Luft. Auf dieses Irrelevanzkriterium für Zusatzbelastungen hebt das Oberverwaltungsgericht auch für die Beurteilung von der Anlage emittierter Stoffe ab, für die die TA Luft keine Immissionswerte festlegt. Wenn aber in der TA Luft festgesetzte Irrelevanzschwellen sich jeweils nach den Mittelwerten für das Jahr ausrichten (vgl. die in Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. c TA Luft benannten Berechnungsverfahren) und in Anlehnung hierzu für die Ermittlung von Bagatellgrenzen für Stoffe, die von der TA Luft durch Immissionswerte nicht erfasst werden, die sachverständige Risikoabschätzung ebenso auf den Mittelungszeitraum von einem Jahr abstellt, so kann dem durch die Beschwerde nicht mit der Notwendigkeit gemittelter Tages- oder Stundenwerte entgegen getreten werden. Denn das Oberverwaltungsgericht hat nicht auf das Fehlen schädlicher Umwelteinwirkungen wegen geringer Emissionsmassenströme abgestellt (Nr. 4.1 Abs. 4 Satz 1 Buchst. a und Satz 2 TA Luft) und damit auch nicht Nr. 4.6.1.1 TA Luft zur Anwendung gebracht. Dass aber zur Ermittlung von Bagatellmassenströmen, von denen bei einem Heizkraftwerk ersichtlich nicht ausgegangen werden kann, auf kurze Mittelungszeiträume abzustellen ist, versteht sich von selbst, da sich nur so repräsentative Ergebnisse ermitteln lassen. Auch die Rechtsproblematik der Relevanz von Bagatellmassenströmen wäre somit nicht Gegenstand eines Revisionsverfahrens. Eine Zulassung der Revision scheidet auch insoweit aus.
2.3 Die Frage nach der Auslegung des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts seit langem geklärt. Demnach entfaltet die immissionsschutzrechtliche Vorsorgepflicht (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG) grundsätzlich keine Schutzwirkung zu Gunsten Drittbetroffener (Urteil vom 18. Mai 1982 – BVerwG 7 C 42.80 – BVerwGE 65, 313 ≪320≫), weil sie nicht der Begünstigung eines individualisierbaren Personenkreises, sondern dem Interesse der Allgemeinheit daran dient, potentiell schädlichen Umwelteinwirkungen auch dort vorzubeugen, wo sie keinem bestimmten Emittenten zuzuordnen sind (Urteil vom 17. Februar 1984 – BVerwG 7 C 8.82 – BVerwGE 69, 37 ≪42 ff.≫). Wenn der Kläger die Errichtung und den Betrieb eines herkömmlichen Steinkohlekraftwerkes in Form des Blockes 10 mit nachgelagerter Abgasreinigung (gegenüber einem Gas-und-Dampf-Kombi-Kraftwerk mit vorgeschalteter Kohlevergasung und Gasreinigung) entgegen der Vorgabe des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG nicht mehr im Einklang mit dem Stand der Technik sieht, kann er sich hierauf mangels Rechtsbetroffenheit nicht berufen. Das Oberverwaltungsgericht hat zudem nicht festgestellt, dass die Errichtung des Blockes 10 mit der dort vorgesehenen Betriebsweise nicht mehr dem Stand der Technik entspricht. Selbst wenn sich die Anlagentechnik aber neuen Verfahrensweisen zuneigen würde, steht es dem Betreiber im Hinblick auf § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 BImSchG frei, welche Stromerzeugungstechnik er zum Einsatz bringt, wenn er durch fortschrittliche Abgasreinigungstechnik dafür Sorge trägt, dass die vorgegebenen Emissionsgrenzwerte eingehalten werden. Mit der Rüge des Bundesrechtsverstoßes in Bezug auf die zum Einsatz kommende Verfahrenstechnik macht der Kläger sich ersichtlich Belange zu eigen, die nicht zu einer Verletzung eigener Rechte führen können. Wegen der insoweit bereits geklärten Rechtsfrage scheidet eine Zulassung der Revision aus.
2.4 Wann eine Sonderfallprüfung nach Nr. 4.8 TA Luft erforderlich wird, richtet sich nach dem jeweiligen Einzelfall, was eine Grundsatzrüge bereits hindern würde. Die Beschwerde lässt zudem auch offen, hinsichtlich welcher Stoffe eine derartige Prüfung vorgenommen werden sollte. Die von der TA Luft für eine Sonderfallprüfung geforderten hinreichenden Anhaltspunkte liegen aber bei Immissionszusatzbelastungen unter 1 % anerkannter Wirkungsschwellen nicht vor (vgl. den Bericht des Länderausschusses für Immissionsschutz vom 21. September 2004, “Bewertung von Schadstoffen… – Orientierungswerte für die Sonderfallprüfung…” S. 25 f.). Nach den vom LANUV NRW gefertigten und auf den Bericht des Länderausschusses abhebenden Ausbreitungsberechnungen für von der TA Luft nicht erfasste Stoffe liegen die Jahreszusatzimmissionen aus dem Betrieb des Blockes 10 weit unter der genannten 1 %-Schwelle und sind damit unbeachtlich (vgl. Urteil vom 11. Dezember 2003 a.a.O.). Diese Feststellungen des Oberverwaltungsgerichts hat der Kläger nicht zum Gegenstand von Verfahrensrügen gemacht, so dass sie einem Revisionsverfahren zu Grunde zu legen wären.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 und § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Neumann, Guttenberger, Schipper
Fundstellen