Verfahrensgang
VG Schwerin (Aktenzeichen 7 A 1273/96) |
Tenor
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 12. Dezember 2000 wird zurückgewiesen.
Die Beigeladenen tragen als Gesamtschuldner die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 150 000 DM festgesetzt.
Gründe
Die Klägerin begehrt die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks, das sie aus Anlass ihrer Ausreise aus der DDR durch Vertrag vom 14. November 1989 an die Beigeladenen veräußert hat. Das Verwaltungsgericht hat ihrer Klage stattgegeben, weil die Veräußerung auf einer unlauteren Machenschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 VermG beruht habe und die Beigeladenen aufgrund der Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 1 VermG das Eigentum an dem Grundstück nicht redlich hätten erwerben können.
Die Beschwerde der Beigeladenen gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil ist unbegründet.
1. Die Rechtssache hat nicht die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung i.S.d. § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.
a) Für grundsätzlich bedeutsam halten die Beigeladenen zum einen die Fragen,
- ob bei Abschluss eines Kaufvertrages über ein Grundstück nach der Maueröffnung noch von einer Zwangslage für den Eigentümer auszugehen sei, wenn ihm durch den zuständigen Sachbearbeiter bei der Abteilung Inneres auf Nachfrage gesagt werde, dass trotz Maueröffnung der Einreiseantrag wie bisher weiterbearbeitet werde,
- ob von einem verständigen Eigentümer hätte erwartet werden können, dass er nach der Maueröffnung abwarte, wie sich die Sach- und Rechtslage entwickeln werde oder ob er weiterhin „blind” den Ausführungen des den Ausreiseantrag bearbeitenden Sachbearbeiters habe Glaube schenken dürfen.
In der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts ist hinreichend geklärt, unter welchen Voraussetzungen die ausreisebedingte Veräußerung eines Grundstücks nach Öffnung der Grenzen am 9. November 1989 noch auf einer Zwangslage beruht hat, die sich als unlautere Machenschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 VermG darstellt (insbesondere Urteil vom 29. Februar 1996 – BVerwG 7 C 59.94 – BVerwGE 100, 310). Die Beigeladenen haben in ihrer Beschwerde nicht aufgezeigt, dass das angestrebte Revisionsverfahren zu einer weiteren, über den Einzelfall hinausweisenden Klärung beitragen könnte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts kommt es darauf an, ob die mit Ausreiseangelegenheiten befassten staatlichen Stellen wie zuvor die Genehmigung zur ständigen Ausreise zwingend von der vorherigen Veräußerung des Grundvermögens abhängig gemacht bzw. ein entsprechendes Verlangen aus der Zeit vor der Grenzöffnung aufrechterhalten haben. Steht dies fest, muss dieses Verlangen ferner ursächlich für den Eigentumsverlust gewesen sein. Von einer fortdauernden Zwangslage für den Eigentümer ist dabei auszugehen, weil er sich dem Verlangen, seinen Grundbesitz zu veräußern, nicht durch eine Ausreise unter Verzicht auf die hierfür weiterhin vorgeschriebene Genehmigung entziehen konnte, ohne in vermögensrechtlicher Hinsicht erhebliche Nachteile befürchten zu müssen. Denn die zurückgelassenen Vermögenswerte konnten rechtlich noch als „Flüchtlingsvermögen” behandelt werden. Die hierfür einschlägige Anordnung Nr. 2 vom 20. August 1958 über die Behandlung des Vermögens von Personen, die die DDR nach dem 10. Juni 1953 verlassen (GBl I S. 664), ist zwar durch § 3 Abs. 2 der Anordnung des Ministers der Finanzen zur Regelung von Vermögensfragen vom 11. November 1989 aufgehoben worden. Die bis dahin gegebene objektive Zwangslage war jedoch noch nicht mit dem Erlass dieser Anordnung, sondern erst mit ihrer Veröffentlichung im Gesetzblatt der DDR vom 23. November 1989 weggefallen. Dass der Eigentümer unter Verzicht auf seine Ausreise die weitere Entwicklung hätte abwarten können, beseitigt nicht die als unlautere Machenschaft zu qualifizierende Zwangslage, zwischen der Ausreise und dem Behalten des Grundstücks wählen zu müssen.
b) Die Beigeladenen halten ferner die Frage für grundsätzlich klärungsbedürftig,
ob § 4 Abs. 2 VermG bei einem Erwerb durch Privatleute von Privatleuten nach der Maueröffnung aufgrund teleologischer Auslegung dieser Vorschrift anwendbar ist.
Auch diese Frage ist in der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts bereits geklärt. Die Stichtagsregelung des § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG, die einen redlichen Erwerb ausschließt, gilt nicht nur für den Erwerb volkseigener Grundstücke. Ein redlicher Erwerb ist vielmehr auch dann ausgeschlossen, wenn nach dem Stichtag ein Grundstück von privat an privat veräußert worden ist und mit diesem Verkauf erstmals oder erneut eine Schädigungsmaßnahme i.S.d. § 1 VermG verbunden war (BVerwG, Urteil vom 27. Oktober 1995 – BVerwG 7 C 56.94 – Buchholz § 4 VermG Nr. 24). Das ist aber gerade dann der Fall, wenn der Veräußerer infolge einer unlauteren Machenschaft i.S.d. § 1 Abs. 3 VermG zu dem Verkauf des Grundstücks veranlasst worden ist. Aus der staatlichen Zwangseinwirkung, die den Tatbestand der unlauteren Machenschaft erfüllt, folgt zugleich, dass der Berechtigte dem Erwerb des Grundstücks nicht i.S.d. § 4 Abs. 2 Satz 2 VermG zugestimmt hat (BVerwG, Urteil vom 29. April 1999 – BVerwG 7 C 24.98 – Buchholz 428 § 4 Abs. 2 VermG Nr. 6).
2. Das Urteil des Verwaltungsgerichts weicht nicht im Verständnis von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO von dem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichts vom 2. Dezember 1993 – BVerwG 7 B 206.93 – (ZOV 1994, 132) ab. Die Beigeladenen entnehmen jener Entscheidung den Rechtssatz, die subjektive Annahme einer Zwangslage sei zwar grundsätzlich geeignet, die Voraussetzung einer Nötigung i.S.d. § 1 Abs. 3 VermG zu bejahen, jedoch müssten dafür objektiv nachvollziehbare Gründe vorgelegen haben, die diese subjektive Annahme nicht völlig sinnlos und offensichtlich unbegründet erscheinen ließen. Ob sich der genannten Entscheidung ein solcher Rechtssatz tatsächlich entnehmen lässt, kann offen bleiben. Jedenfalls ist das Verwaltungsgericht nicht von einem anders lautenden Rechtssatz ausgegangen. Das Verwaltungsgericht bezieht sich auf das bereits erwähnte Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 29. Februar 1996 (BVerwGE 100, 310). Wenn der Ausreisewillige mit dem staatlichen Verlangen nach Veräußerung seines Grundbesitzes als Voraussetzung für die Erteilung einer Ausreisegenehmigung konfrontiert wurde, bestand danach für ihn auch nach Öffnung der Grenzen, aber vor der Veröffentlichung der Anordnung zur Regelung von Vermögensfragen im Gesetzblatt der DDR vom 23. November 1989 eine Zwangslage, die bei objektiver Betrachtung geeignet war, ihn auf dieses Verlangen eingehen zu lassen. Davon ausgehend untersucht das Verwaltungsgericht nur noch, ob von der Klägerin als Voraussetzung einer Ausreisegenehmigung die Veräußerung ihres Grundbesitzes verlangt worden ist, stellt die daraus erwachsende objektive Zwangslage aber nicht mehr eigens dar. Ob die konkrete Würdigung des Sachverhalts im Einzelfall zutreffend ist, was die Beigeladenen hier bezweifeln, ist keine Frage der Abweichung von der erwähnten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts.
3. Die Revision ist nicht wegen der geltend gemachten Verfahrensfehler nach § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zuzulassen.
a) Das angefochtene Urteil beruht nicht auf der behaupteten Verletzung rechtlichen Gehörs. Nach Aktenlage haben die Beigeladenen zwar den Schriftsatz der Klägerin vom 8. Dezember 2000 nicht mehr vor der mündlichen Verhandlung vom 12. Dezember 2000 zur Kenntnis erhalten; sie konnten deshalb nicht mehr vor der mündlichen Verhandlung auf den Schriftsatz erwidern. Die Beigeladenen legen aber nicht dar, dass das Verwaltungsgericht in seinem Urteil allein aufgrund jenes Schriftsatzes Umstände berücksichtigt hat, zu denen sie nicht hatten Stellung nehmen können. Der Schriftsatz befasst sich mit der Vorsprache der Klägerin bei dem für ihre Ausreise zuständigen Mitarbeiter der Abteilung für Innere Angelegenheiten, den sie nach Öffnung der Grenzen aufgesucht habe, sowie mit der anschließenden Abwicklung ihrer Grundstücksangelegenheiten. Hierzu hat das Verwaltungsgericht die Klägerin in der mündlichen Verhandlung informatorisch gehört und jenen Mitarbeiter sowie den Ehemann der Klägerin als Zeugen vernommen. Die Beigeladenen konnten damit in der mündlichen Verhandlung zum Sachverhalt, soweit er in jenem Schriftsatz angesprochen und für das Verwaltungsgericht entscheidungserheblich war, umfassend Stellung nehmen; Hinderungsgründe legen sie in der Beschwerdebegründung nicht dar. Die Beigeladenen legen ebenfalls nicht dar, was sie noch Entscheidungserhebliches vorgetragen hätten, wenn sie jenen Schriftsatz vor der mündlichen Verhandlung zur Kenntnis erhalten hätten. Der Hinweis auf die lediglich abstrakte Möglichkeit, zu den Behauptungen in jenem Schriftsatz gegenbeweislich Zeugen zu benennen, reicht nicht aus. Erforderlich wären Ausführungen dazu gewesen, welche Zeugen zu welchem konkreten Thema benannt worden wären, wenn ihnen der Schriftsatz der Klägerin vor der mündlichen Verhandlung zugänglich gemacht worden wäre. Zudem waren die Beigeladenen nicht gehindert, noch in der mündlichen Verhandlung Zeugen zu benennen und ihre Vernehmung zu beantragen.
b) Mit ihren Angriffen auf die Beweiswürdigung des Verwaltungsgerichts haben die Beigeladenen keinen Verfahrensfehler dargelegt. Fehler in der Beweiswürdigung sind regelmäßig dem sachlichen Recht zuzuordnen. Das Bundesverwaltungsgericht hat hiervon zwar Ausnahmen zugelassen. Jedoch reicht nicht aus, wenn der Tatrichter eine Würdigung vorgenommen hat, die nicht zwingend ist und nach den Vorstellungen des Beschwerdeführers auch anders hätte ausfallen können. Ebenso wenig reicht es aus, dass die tatrichterliche Schlussfolgerung nicht überzeugend sein mag (vgl. z.B. BVerwG, Beschluss vom 24. Mai 1996 – BVerwG 8 B 98.96 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 270; Beschluss vom 4. Mai 2001 – BVerwG 7 B 10.01 –).
c) Entgegen der ferner sinngemäß erhobenen Rüge ist das angefochtene Urteil im Verständnis von § 138 Nr. 6 VwGO mit Gründen versehen.
Das Verwaltungsgericht hat allerdings gesetzwidrig, nämlich unter Verstoß gegen den hier entsprechend anwendbaren § 117 Abs. 4 Satz 2 VwGO das Urteil nicht alsbald nach der Niederlegung der Entscheidungsformel vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben. Ein Verstoß gegen diese Vorschrift führt jedoch allein noch nicht dazu, dass das Urteil als nicht mit Gründen versehen zu gelten hat. Dies ist vielmehr erst dann der Fall, wenn aufgrund der verspäteten Absetzung des Urteils nicht mehr gewährleistet ist, dass die schriftlich niedergelegten Gründe das Ergebnis der Beratung wiedergeben. Wird – wie hier – die Verkündung des Urteils gemäß § 116 Abs. 2 VwGO durch dessen Zustellung ersetzt, ist eine äußerste Grenze erreicht, wenn das Urteil nicht binnen fünf Monaten nach Niederlegung des Urteilstenors vollständig abgefasst, unterschrieben und der Geschäftsstelle übergeben worden ist (BVerwG, Beschluss vom 3. August 1998 – BVerwG 7 B 236.98 – im Anschluss an den Gemeinsamen Senat der obersten Gerichtshöfe des Bundes, Beschluss vom 27. April 1993 – GmS–OGB 1.92 – BVerwGE 92, 367). Diese Frist ist hier gerade noch eingehalten, denn das Verwaltungsgericht hat nach der Niederlegung der Urteilsformel am 13. Dezember 2000 das vollständig abgefasste Urteil der Geschäftsstelle am 10. Mai 2001 übergeben.
Wird ein Urteil noch vor Ablauf von fünf Monaten der Geschäftsstelle übergeben, kann es allerdings gleichwohl im Einzelfall nicht mit Gründen versehen sein, nämlich wenn zu dem Zeitablauf besondere Umstände hinzukommen, die wegen des Zeitablaufs bereits bestehende Zweifel zu der Annahme verdichten, dass der gesetzlich geforderte Zusammenhang zwischen der Beratung und den schriftlich niedergelegten Gründen nicht mehr gewahrt ist. Dass solche Umstände vorgelegen haben könnten, behaupten die Beigeladenen, die lediglich die Überschreitung der Fünfmonatsfrist rügen, nicht. Demgemäß sieht der Senat auch keine Veranlassung, auf die Frage näher einzugehen, wann der persönliche Eindruck, den das Gericht von einem Zeugen gewonnen hat, für die Würdigung seiner Aussagen so bedeutsam ist, dass auch schon vor Ablauf von fünf Monaten die Zuverlässigkeit der Erinnerung an diesen persönlichen Eindruck nicht mehr gewahrt ist. Im vorliegenden Fall ist jedenfalls zu berücksichtigen, dass über die in der mündlichen Verhandlung durchgeführte Zeugenvernehmung ein ausführliches Wortprotokoll erstellt worden ist, das geeignet war, den Ablauf der Beweisaufnahme und die dabei gewonnenen Eindrücke jedenfalls für den Zeitraum (noch) zu gewährleisten, der auch sonst für eine hinreichend verlässliche Wiedergabe der Gründe spricht, die tatsächlich für die richterliche Überzeugung leitend gewesen sind.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 und 3 VwGO, die Festsetzung des Streitwerts auf § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Franßen, Herbert, Neumann
Fundstellen