Verfahrensgang
VG Schwerin (Urteil vom 30.06.2003; Aktenzeichen 7 A 3097/97) |
Tenor
Das Urteil des Verwaltungsgerichts Schwerin vom 30. Juni 2003 wird aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückverwiesen.
Die Entscheidung über die Kosten bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 300 000 € festgesetzt.
Tatbestand
I.
Die Kläger begehren die vermögensrechtliche Rückübertragung eines Grundstücks, das sie – vertreten durch einen unwiderruflich bevollmächtigten Rechtsanwalt – im Zusammenhang mit ihrer am 1. Juni 1989 erfolgten Ausreise aus der DDR im September 1989 an die Beigeladenen veräußert hatten. Sie wenden sich gegen den Widerspruchsbescheid des Beklagten, durch den ihr Antrag auf Rückübertragung des Grundstücks unter Aufhebung einer zunächst zu ihren Gunsten ergangenen Entscheidung des Vermögensamtes abgelehnt worden war. Das Verwaltungsgericht hat nach Durchführung einer Beweisaufnahme die Klage abgewiesen, weil die in den so genannten “Ausreisefällen” nach der Rechtsprechung heranzuziehende Regelvermutung, dass ein ausreisebedingter Grundstücksverlust auf unlauteren Machenschaften beruhte, im vorliegenden Fall angesichts der erst nach der Ausreise vollzogenen Veräußerung nicht zugunsten der Kläger eingreife und der Vollbeweis für die Tatbestandsvoraussetzungen des § 1 Abs. 3 VermG aufgrund der Beweisaufnahme nicht geführt worden sei. Das Verwaltungsgericht hat die Revision gegen sein Urteil nicht zugelassen.
Entscheidungsgründe
II.
Die Beschwerde der Kläger hat Erfolg. Der Sache kommt zwar die ihr von den Klägern beigemessene grundsätzliche Bedeutung nicht zu (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO); die Kläger haben jedoch Verfahrensmängel dargelegt, auf denen das angefochtene Urteil beruhen kann (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
Die von der Beschwerde aufgeworfene Frage,
ob die Regelvermutung, dass ein ausreisebedingter Grundstücksverkauf auf unlauteren Machenschaften im Sinne von § 1 Abs. 3 VermG beruht, auch dann eingreift, wenn das Grundstück nach der Ausreise durch einen Bevollmächtigten aufgrund einer diesem vor der Ausreise erteilten unwiderruflichen Vollmacht zum Abschluss eines Grundstücksüberlassungsvertrages verschenkt wird,
ist nicht grundsätzlich bedeutsam. Sie ist – soweit sie einer von den Einzelheiten des jeweiligen Falles unabhängigen abstrakt-generellen Beantwortung zugänglich ist – durch die höchstrichterliche Rechtsprechung geklärt. Das Verwaltungsgericht hat sie in Übereinstimmung mit der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts zu Recht verneint. In dem Beschluss vom 21. Oktober 1999 – BVerwG 7 B 109.99 – (Buchholz 428 § 1 Abs. 3 VermG Nr. 5) hat der beschließende Senat unter Hinweis auf seine ständige Rechtsprechung im Einzelnen dargelegt, dass in den so genannten “Ausreisefällen” zugunsten der früheren Eigentümer der Anscheinsbeweis bezüglich des Einsatzes unlauterer, nötigender Mittel und bezüglich der Kausalität dieser Mittel für den Eigentumsverlust eingreift, wenn feststeht, dass ein Ausreiseantrag gestellt, die Ausreise staatlich genehmigt und das Grundstück vor der Ausreise veräußert wurde; wurde demgegenüber das Grundstück erst nach der Ausreise veräußert, kann nicht ohne weiteres vermutet werden, dass die bei der Ausreise bestehende Zwangslage im Zeitpunkt der Veräußerung andauerte. Es lässt sich dann nämlich nicht in einer für die Annahme einer Regelvermutung hinreichend sicheren Weise ausschließen, dass die vom Staat herbeigeführte Zwangslage entfallen sein könnte, weil der Eigentümer sich nach der Ausreise freiwillig aus anderen Gründen zum Verkauf entschlossen hat oder weil es ihm möglich und zumutbar war, den Eigentumsverlust durch Widerruf oder Anfechtung der Vollmacht zu verhindern (Beschluss vom 21. Oktober 1999, a.a.O.; Beschluss vom 3. Februar 1997 – BVerwG 7 B 25.97 – Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 103). Bei Veräußerungen, die erst nach der Ausreise aus der DDR erfolgt sind, entscheidet sich vielmehr nach den jeweiligen konkreten Umständen des Einzelfalles, ob die bei Erteilung einer Verkaufsvollmacht vor der Ausreise bestehende Zwangslage auch noch für die Zeit nach der Ausreise bis zum Abschluss des Veräußerungsvertrages weitergewirkt hat und dadurch den Tatbestand des § 1 Abs. 3 VermG erfüllt. Hierfür gelten die allgemeinen Beweisgrundsätze (vgl. hierzu u.a. Beschluss vom 16. Oktober 1995 – BVerwG 7 B 163.95 – Buchholz 428 § 4 VermG Nr. 22, Urteil vom 24. März 1994 – BVerwG 7 C 11.93 – BVerwGE 95, 289 ≪294≫).
Der Umstand, dass die Kläger vor ihrer Ausreise im vorliegenden Fall eine unwiderrufliche Vollmacht hatten ausstellen müssen, führt zu keiner anderen Beurteilung. Der Annahme einer Regelvermutung zu ihren Gunsten stehen auch bei dieser Fallgestaltung die dargelegten Erwägungen entgegen. Denn auch bei einem solchen Sachverhalt ist nicht auszuschließen, dass die Zwangslage im Zeitpunkt der Veräußerung – insbesondere wegen der Möglichkeit der Einflussnahme auf den Bevollmächtigten mit dem Ziel der Verhinderung des Eigentumsverlustes – entfallen sein konnte. Ob das – wie das Verwaltungsgericht angenommen hat – der Fall ist, hängt maßgeblich von den Einzelfallumständen ab. Weiterführende und über die im Beschluss vom 21. Oktober 1999 (a.a.O.) genannten Kriterien hinausweisende Erkenntnisse wären in einem Revisionsverfahren nicht zu erwarten.
Die Verfahrensrüge ist begründet.
a) Zwar greift die Rüge der Kläger, das Verwaltungsgericht hätte den “Führungsoffizier des Beigeladenen zu 2” ermitteln müssen, um diesen zu einer Einflussnahme des Staatssicherheitsdienstes auf die Vermögensübertragung und die Wohnraumzuweisung zu befragen, nicht durch. Zu einer solchen Aufklärungsmaßnahme bestand angesichts der mehrfachen ergebnislosen Anfragen des Gerichts bei der Bundesbeauftragten für die Unterlagen des Staatssicherheitsdienstes der ehemaligen Deutschen Demokratischen Republik – zuletzt: Auskunft vom 27. Mai 2003 – von Amts wegen keine Veranlassung. Einen entsprechenden förmlichen Beweisantrag haben die anwaltlich vertretenen Kläger nicht gestellt.
b) Die Kläger machen jedoch mit Erfolg geltend, das Verwaltungsgericht habe den im Verhandlungstermin vom 7. Mai 2003 gestellten Beweisantrag zu Unrecht abgelehnt und dadurch seine Pflicht zur Sachverhaltsaufklärung verletzt. Dieser Vorwurf trifft zu.
Die Kläger hatten beantragt, die von ihnen benannten Zeugen … zu den Umständen zu vernehmen, aufgrund deren eine ihnen erteilte Wohnraumzuweisung für das Haus der Kläger zurückgenommen worden sei; ferner sollte sich die Beweiserhebung auf die Begründung erstrecken, die ihnen der Rat der Stadt Schwerin/Abteilung Wohnraumpolitik hierfür gegeben habe. Das Verwaltungsgericht hat den Beweisantrag abgelehnt, weil das Beweisthema unerheblich sei, da es nur die Frage eines redlichen Erwerbs der Beigeladenen betreffe; darauf komme es aber nicht mehr an, weil schon der Schädigungstatbestand einer unlauteren Machenschaft nicht erfüllt sei. Für den Schädigungstatbestand hielt das Verwaltungsgericht indessen unter anderem für erheblich, ob ein Widerruf der unwiderruflich erteilten Vollmacht bzw. ein entsprechendes internes Einwirken auf den Bevollmächtigten zwecklos gewesen wäre, weil die staatlichen Stellen sich darüber hinweggesetzt und die Veräußerung aufgrund der erteilten Vollmacht erzwungen oder das Grundstück den Klägern in anderer Weise entzogen hätten. In diesem Zusammenhang wertet es das Verwaltungsgericht als Indiz für ein fehlendes Interesse des Staates an der Veräußerung des Grundstücks, dass die Beigeladenen noch nicht über eine Wohnraumzuweisung verfügt hätten und sich diese erst noch hätten erstreiten müssen; angesichts dessen spreche nichts dafür, staatliche Stellen könnten sich für einen Erwerb des Grundstücks durch die Beigeladenen eingesetzt haben. Demnach waren für das Verwaltungsgericht jedenfalls indiziell die Umstände entscheidungserheblich, unter denen die Beigeladenen ihrerseits zu einer Wohnraumzuweisung gekommen sind; darüber hat das Verwaltungsgericht förmlich Beweis erhoben. Davon lässt sich aber nicht die Frage trennen, aus welchen Gründen den benannten Zeugen … der Wohnraum entgegen den ursprünglichen Absichten nicht mehr zugewiesen werden sollte. Das Beweisthema hatte mithin nach dem eigenen Ausgangspunkt des Verwaltungsgerichts nicht nur Bedeutung für die Frage eines redlichen Erwerbs durch die Beigeladenen. Die Ablehnung des förmlich gestellten Beweisantrags im Verhandlungstermin verletzte die Pflicht zur Aufklärung des Sachverhalts (§ 86 Abs. 1 VwGO).
Der Senat nimmt den festgestellten Verfahrensfehler zum Anlass, das angegriffene Urteil gemäß § 133 Abs. 6 VwGO aufzuheben und den Rechtsstreit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Verwaltungsgericht zurückzuverweisen.
Die Streitwertfestsetzung richtet sich nach § 14 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3 i.V.m. § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Sailer, Kley, Neumann
Fundstellen