Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 25.03.2002; Aktenzeichen 2 S 1696/00) |
Tenor
Die Beschwerden des Klägers und der Beklagten gegen die Nichtzulassung der Revision im Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 25. März 2002 werden zurückgewiesen.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens tragen der Kläger ein Drittel und die Beklagte zwei Drittel.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 10 225,84 EUR festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerden können keinen Erfolg haben. Der Beschwerdevortrag keiner von beiden Parteien rechtfertigt eine Zulassung der Revision.
1. Hinsichtlich der Nichtzulassungsbeschwerde des Klägers bestehen schon Zweifel an ihrer Zulässigkeit, da keine der zu den Akten gelangten Ausfertigungen der Beschwerdebegründungsschrift eine Unterschrift trägt und deshalb dem sich aus § 133 Abs. 3 Sätze 1 und 2 VwGO ergebenden Gebot fristgerechter schriftlicher Einreichung der Beschwerdebegründung nicht Genüge getan sein dürfte. Dies kann jedoch dahinstehen; denn die Beschwerde ist jedenfalls unbegründet. Der vom Kläger geltend gemachte Verfahrensmangel liegt nicht vor.
a) Der Kläger sieht einen Verstoß gegen die sich aus § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO ergebende Pflicht des Gerichts, nach seiner freien, aus dem Gesamtergebnis des Verfahrens gewonnenen Überzeugung zu entscheiden, darin, dass das Gericht bei seiner Entscheidung Tatsachen, die sich nach Auffassung des Klägers aus einem von der Beklagten vorgelegten Lageplan ergeben, sowie den Inhalt einer von der Beklagten vorgelegten Satzung nicht zur Kenntnis genommen und deshalb diese Tatsachen nicht unter die Bestimmungen jener Satzung subsumiert habe.
Mit dieser Rüge einer fehlerhaften Verwertung des dem Gericht vorliegenden Tatsachenmaterials wird jedoch zunächst nur ein – angeblicher – Fehler in der Sachverhaltswürdigung angesprochen. Ein solcher Fehler ist revisionsrechtlich regelmäßig nicht dem Verfahrensrecht, sondern dem sachlichen Recht zuzuordnen und kann deshalb einen Verfahrensmangel im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO grundsätzlich nicht begründen (vgl. BVerwG, Beschluss vom 2. November 1995 – BVerwG 9 B 710.94 – Buchholz 310 § 108 VwGO Nr. 266 S. 18 f.). Der hier allein in Betracht kommende Ausnahmefall einer aktenwidrigen oder sonst von Willkür geprägten Sachverhaltswürdigung setzt voraus, dass die Vorinstanz von einem zweifelsfrei, also ohne weitere Beweiserhebung offensichtlich unrichtigen oder unvollständigen Sachverhalt ausgegangen ist (vgl. BVerwGE 68, 338 ff.). Diese Voraussetzungen liegen hier nicht vor. Aus dem vom Kläger in Bezug genommenen Lageplan vom 23. Dezember 1997 ergibt sich weder zweifelsfrei, dass die von ihm als „Feldwege” bezeichneten Verbindungswege nördlich und südlich des Flurstücks 1028 nicht zum Befahren mit zweispurigen Kraftfahrzeugen geeignet sind, noch war dieser vom Kläger erstmals mit Schriftsatz vom 22. Februar 2002 behauptete Umstand bis zum für die Überzeugungsbildung des Gerichts nach § 108 Abs. 1 Satz 1 VwGO insoweit maßgeblichen Schluss der mündlichen Verhandlung vom 14. Februar 2002 auf andere Weise in das Verfahren eingeführt worden.
b) Der Kläger sieht ferner einen Verstoß gegen § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO, wonach das Gericht an das Vorbringen der Beteiligten nicht gebunden ist, darin, dass das Berufungsgericht angenommen habe, an die nach der Niederschrift über die mündliche Verhandlung erzielte Einigkeit zwischen den Beteiligten gebunden zu sein und deshalb auch die Fläche des Klärwerks zugunsten des Klägers berücksichtigen und hierzu die von der Beklagten angestellte „Berechnungsalternative II” zugrunde legen zu müssen. Tatsächlich lässt sich dem Berufungsurteil jedoch nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht von einer solchen – selbstverständlich gegen § 86 Abs. 1 Satz 2 VwGO verstoßenden – Bindung ausgegangen ist. Das Berufungsgericht hat vielmehr den Umstand, dass zwischen den Beteiligten die Frage der Berechnungsweise in der mündlichen Verhandlung unstreitig gestellt worden war, nur zur Begründung für seine Entscheidung angeführt, den erstmals mit dem nachgereichten Schriftsatz vom 22. Februar 2002 dargelegten Bedenken hinsichtlich der Mehrfacherschließung des „Klärwerkgrundstücks” nicht näher nachzugehen und von einer Wiedereröffnung der mündlichen Verhandlung abzusehen. Dass diese Entscheidung gegen § 86 Abs. 1 Satz 1 oder § 104 Abs. 3 Satz 2 VwGO verstieß, ist weder mit der Beschwerde gerügt noch sonst ohne weiteres ersichtlich. Dass sich das Berufungsgericht durch diese „Einigkeit zwischen den Beteiligten” nicht gebunden sah, ergibt sich im Übrigen auch daraus, dass es in der Sache über die Einbeziehung des „Klärwerks” unter Berücksichtigung der Eckermäßigung entschieden hat (UA S. 12).
2. Auch die Nichtzulassungsbeschwerde der Beklagten bleibt ohne Erfolg.
a) Eine die Revisionszulassung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigende Abweichung des angefochtenen Urteils von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts hat die Beklagte schon nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechenden Weise bezeichnet. Eine solche Abweichung liegt nur dann vor, wenn sich das Berufungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift mit einem seine Entscheidung tragenden abstrakten Rechtssatz zu einem in der angezogenen Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts aufgestellten ebensolchen Rechtssatz in Widerspruch gesetzt hat; die Beschwerde muss darlegen, dass und inwiefern dies der Fall ist (stRspr; vgl. z.B. BVerwG, Beschlüsse vom 21. Juli 1988 – BVerwG 1 B 44.88 – Buchholz 130 § 8 RuStAG Nr. 32 und vom 12. Dezember 1991 – BVerwG 5 B 68.91 – Buchholz 310 § 132 VwGO Nr. 302). Daran fehlt es hier.
b) Das Beschwerdevorbringen der Beklagten rechtfertigt auch nicht die Zulassung der Revision wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Dieser Zulassungsgrund liegt vor, wenn für die Entscheidung des Berufungsgerichts eine konkrete, jedoch fallübergreifende Rechtsfrage von Bedeutung war, deren noch ausstehende höchstrichterliche Klärung im Revisionsverfahren zu erwarten ist und zur Erhaltung der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder zu einer bedeutsamen Weiterentwicklung des Rechts geboten erscheint (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫). Die von der Beklagten in ihrer Beschwerdebegründung bezeichneten Fragen erfüllen diese Anforderungen nicht.
Die von der Beklagten in verschiedenen Formulierungen wiederholte Frage,
„unter welchen Voraussetzungen eine Ablösungsvereinbarung im Einzelfall als nichtig anzusehen ist, wenn eine Gemeinde zwar … über gesetzeskonforme Ablösungsbestimmungen … verfügt, allerdings im Zeitpunkt des Abschlusses der Ablösungsvereinbarung ein – formaler oder materiellrechtlicher – Mangel besteht, der gleichwohl nicht zur Nichtigkeit des entsprechenden Inhalts eines Beitragsbescheides führen würde und auch im Übrigen die sog. Missbilligungsgrenze, aufgestellt im Urteil des Bundesverwaltungsgerichts vom 09.11.1990 – 8 C 36/89 – …, nicht überschreitet”,
ist, soweit sie sich überhaupt fallübergreifend beantworten lässt, durch die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts dahin gehend geklärt, dass § 133 Abs. 3 Satz 5 BauGB nur zum Abschluss solcher Ablösungsverträge ermächtigt, die nach dem Erlass wirksamer Ablösungsbestimmungen in inhaltlicher Übereinstimmung mit diesen abgeschlossen werden, und dass Ablösungsverträge, deren Abschluss diesen Anforderungen nicht entspricht, gegen ein gesetzliches Verbot verstoßen und daher nichtig sind (BVerwGE 84, 183 ≪190≫). Dies ist zweifelsohne der Fall, wenn – wie das Berufungsgericht annimmt (vgl. den auf Seite 7 UA formulierten Obersatz und die auf Seite 8 UA zitierte Rechtsprechung) – das aus § 130 Abs. 2 BauGB folgende Gebot, dass erst nach einem Gemeinderatsbeschluss über die Bildung einer Erschließungseinheit der mutmaßliche beitragsfähige Erschließungsaufwand berechnet werden kann, Teil der gemeindlichen Ablösungsbestimmungen geworden ist und hiergegen verstoßen wurde. Nichts anderes würde im Übrigen dann gelten, wenn diese Vorgabe unmittelbar kraft Gesetzes zu beachten wäre. Die im Urteil vom 9. November 1990 – BVerwG 8 C 36.89 – (BVerwGE 87, 77 ≪82 ff.≫) abgehandelte Missbilligungsgrenze bei der Realisierung ablösungstypischer Risiken hat mit der gesetzlichen Bindung an Ablösungsbestimmungen und den Folgen ihrer Verletzung nichts zu tun.
Die von der Beklagten weiter aufgeworfene Frage,
ob im Regelungsbereich des Erschließungsbeitragsrechts die Bestimmung des § 59 Abs. 1 LVwVfG durch § 59 Abs. 2 Ziff. 1 LVwVfG verdrängt wird,
ist nicht klärungsbedürftig, sondern nach dem eindeutigen Wortlaut des Gesetzes („ferner”) zu verneinen.
Grundsätzliche Bedeutung misst die Beklagte schließlich der Frage zu,
„ob überhaupt … von der Nichtigkeit einer Ablösungsvereinbarung ausgegangen werden kann oder ob nicht … diese Vereinbarung lediglich ihre Bindungswirkung dergestalt verliert, dass dann im Wege einer Alternativberechnung … zu prüfen ist, in welcher Höhe der vereinbarte und bereits bezahlte Ablösungsbeitrag rechtswidrig und damit an den ablösenden Grundstückseigentümer zurückzuerstatten ist”.
Diese Frage war für die Entscheidung des Berufungsgerichts im Ergebnis nicht von Bedeutung, da dies trotz Annahme der Nichtigkeit der Ablösungsvereinbarung die von der Beklagten angesprochene Alternativberechnung vorgenommen und zur Grundlage seiner Entscheidung gemacht hat.
3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 155 Abs. 1 Satz 1 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 2, §§ 14, 73 Abs. 1 Satz 2 GKG.
Unterschriften
Hien, Dr. Storost, Dr. Eichberger
Fundstellen