Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Beschluss vom 16.06.2009; Aktenzeichen 4 S 1151/09) |
VG Sigmaringen (Beschluss vom 22.04.2009) |
Tenor
Die Beschlüsse des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 16. Juni 2009 und des Verwaltungsgerichts Sigmaringen vom 22. April 2009 werden aufgehoben.
Der Verwaltungsrechtsweg ist zulässig.
Der Beklagte trägt die Kosten des Verfahrens.
Gründe
Rz. 1
Der Kläger, ein Richter am Amtsgericht im Dienst des Beklagten, wendet sich gegen eine Weisung des Präsidenten des Landgerichts, sich wegen Zweifeln an seiner Dienstunfähigkeit ärztlich untersuchen zu lassen und die behandelnden Ärztinnen von der Schweigepflicht zu entbinden. Nach erfolglosem Widerspruch hat er beim Verwaltungsgericht Klage erhoben. Das Verwaltungsgericht hat den Verwaltungsrechtsweg für unzulässig erklärt und den Rechtsstreit an das Dienstgericht für Richter verwiesen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Beschwerde des Klägers zurückgewiesen, weil der Rechtsstreit kraft Sachzusammenhangs in die Zuständigkeit des Dienstgerichts für Richter falle, und die weitere Beschwerde an das Bundesverwaltungsgericht wegen grundsätzlicher Bedeutung der Rechtssache zugelassen.
Rz. 2
Die weitere Beschwerde des Klägers ist gemäß § 17a Abs. 4 Satz 4 GVG zulässig und auch in der Sache begründet. Das Verwaltungsgericht und der Verwaltungsgerichtshof haben zu Unrecht angenommen, dass der Verwaltungsrechtsweg nicht gegeben sei. Für die von einem Richter gegen die Anordnung seiner ärztlichen Untersuchung zum Verwaltungsgericht erhobene Klage ist der Rechtsweg zum Richterdienstgericht nicht eröffnet, wenn der Kläger als Klagegrund vorrangig eine Beeinträchtigung seiner individuellen Rechtssphäre und nicht seiner richterlichen Unabhängigkeit geltend macht. Diese Voraussetzung liegt hier vor.
Rz. 3
In öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ist der Verwaltungsrechtsweg gegeben, soweit die Streitigkeiten nicht durch Bundesgesetz einem anderen Gericht ausdrücklich zugewiesen sind (§ 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO). Die angefochtene Untersuchungsanordnung ist öffentlich-rechtlicher Natur, da sie eine Dienstpflicht des Klägers betrifft (§ 71 Abs. 1 Satz 1 DRiG a.F. i.V.m. § 26 Abs. 1 Satz 1 BRRG a.F. und § 53 Abs. 1 Satz 3 LBG BW). Die Streitigkeit ist nicht durch Bundesgesetz dem Dienstgericht für Richter ausdrücklich zugewiesen. Das Dienstgericht entscheidet bei Richtern auf Lebenszeit unter anderem über die Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit (§ 78 Nr. 3 Buchst. d DRiG a.F., § 63 Nr. 3 Buchst. d LRiG BW) und bei Anfechtung einer Maßnahme der Dienstaufsicht wegen einer behaupteten Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit (§ 78 Nr. 4 Buchst. e DRiG a.F., § 63 Nr. 4 Buchst. f LRiG BW). Keine dieser hier in Betracht kommenden Zuständigkeitsbestimmungen ist einschlägig. Ebenso wenig hat der Gesetzgeber des Landes Baden-Württemberg den Dienstgerichten über den Wortlaut des § 78 DRiG hinaus solche Verfahren zugewiesen, die in einem engen sachlichen Zusammenhang mit den dort genannten Verfahren stehen. Da eine Zuständigkeit des Dienstgerichts nicht besteht, ist nach § 71 Abs. 3 DRiG a.F. i.V.m. § 126 Abs. 1 BRRG unmittelbar kraft Bundesrechts der Verwaltungsrechtsweg eröffnet.
Rz. 4
1. Gegenstand der vorliegenden Streitigkeit ist nicht die Versetzung des Klägers in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit. Die Untersuchungsanordnung dient dem Zweck, Zweifel an der dauernden Unfähigkeit des Richters zur Erfüllung seiner Dienstpflichten zu beseitigen. Sie zielt damit auf die Klärung der Vorfrage, ob der Richter noch fähig ist, seine richterlichen Dienstpflichten zu erfüllen. Da die Untersuchung von einem Prüfungsverfahren i.S.d. § 63 Nr. 3 Buchst. d LRiG BW unabhängig und ihr Ergebnis offen ist, betrifft deren Anordnung weder die Zurruhesetzung des Richters noch ist sie in einem Verfahren über die Zurruhesetzung ergangen. Allein der Bezug zu einem möglichen Verfahren auf Versetzung des Richters in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit rechtfertigt nicht die Zuständigkeit des Dienstgerichts für die Prüfung der Rechtmäßigkeit der Untersuchungsanordnung (i. Erg. ebenso Beschluss vom 19. Dezember 1996 – BVerwG 2 B 91.96 – juris; OVG Lüneburg, Beschluss vom 16. Oktober 1997 – 5 O 4010/97 – NVwZ-RR 1998, 695; OVG Bautzen, Beschluss vom 17. November 2005 – 3 BS 164/05 – NVwZ 2006, 715).
Rz. 5
Die gegenteilige Auffassung, die bei jeder gegen einen Richter angeordneten Untersuchung eine Zuständigkeit des Dienstgerichts wegen Sachzusammenhangs mit einer möglichen Zurruhesetzung annimmt (Schmidt-Räntsch, DRiG, 6. Aufl. 2009, § 78 Rn. 17, § 62 Rn. 18; Fürst/Mühl/Arndt, RiG, 1992, § 62 Rn. 6; wortgleich Fürst, in: GKÖD, Bd. I Teil 4, T § 62 Rn. 6 ≪Stand: 1983≫), vernachlässigt die Ambivalenz der Untersuchungsanordnung und die Bedeutung der ausdrücklichen Zuweisung einer Streitigkeit für die Rechtssicherheit in der Rechtswegfrage. Sie beruft sich auf das Urteil vom 14. Oktober 1980 (BGHZ 78, 245), in dem das Dienstgericht des Bundes die Beurteilung der Rechtmäßigkeit einer Weisung an einen Richter, sich ärztlich untersuchen zu lassen, den Dienstgerichten vorbehalten hat, weil die Prüfung in engem Sachzusammenhang mit seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit stehe und der Zuständigkeitskatalog des § 78 DRiG einen möglichst umfassenden Schutz der Unabhängigkeit der Richter durch die Dienstgerichte bezwecke.
Rz. 6
Die Gegenauffassung lässt unberücksichtigt, dass die genannte Entscheidung im Rahmen eines Verfahrens auf Versetzung eines Richters in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit (§ 72 HRiG) ergangen und von der 1984 aufgegebenen Rechtsprechung des Dienstgerichts des Bundes geprägt ist, die bei der Anfechtung von Maßnahmen der Dienstaufsicht eine über die Prüfung der Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit hinausgehende Rechtmäßigkeitskontrolle in Anspruch genommen hatte (s. demgegenüber Urteil des Dienstgerichts des Bundes vom 31. Januar 1984 – RiZ (R) 3/83 – BGHZ 90, 41; Urteil vom 9. Juni 1983 – BVerwG 2 C 34.80 – BVerwGE 67, 222 ≪224 ff.≫). Über eine Untersuchungsanordnung gegen einen Richter außerhalb eines Zurruhesetzungsverfahrens hat das Richterdienstgericht des Bundes nicht entschieden. Eine solche Maßnahme berührt entgegen der Annahme des Verwaltungsgerichtshofs nicht zwangsläufig den Bereich der richterlichen Unabhängigkeit. Das folgt schon daraus, dass es dem Richter freisteht, einer Feststellung seiner Dienstunfähigkeit zuzustimmen (vgl. § 34 DRiG), und dass eine Untersuchungsanordnung auch dann geboten sein kann, wenn der Richter seine Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit erstrebt (§ 46 DRiG i.V.m. § 43 BBG a.F.). Angesichts dessen besteht der behauptete enge Sachzusammenhang allenfalls unter besonderen, im Streitfall nicht erfüllten Voraussetzungen.
Rz. 7
Die undifferenzierte Annahme eines engen Sachzusammenhangs zwischen der Untersuchungsanordnung gegen einen Richter und seiner Versetzung in den Ruhestand wegen Dienstunfähigkeit ist überdies geeignet, die erforderliche Rechtssicherheit in der Frage des eröffneten Rechtswegs zu beeinträchtigen. Die in § 40 Abs. 1 Satz 1 VwGO vorgesehene, den Verwaltungsrechtsweg in öffentlich-rechtlichen Streitigkeiten nichtverfassungsrechtlicher Art ausschließende ausdrückliche Zuweisung von Streitigkeiten durch Bundesgesetz an ein anderes Gericht legt eine Zuständigkeit des Richterdienstgerichts kraft Sachzusammenhangs nicht unbedingt nahe bei Streitigkeiten, die – mit Blick auf den abschließenden Zuständigkeitskatalog – nicht unmittelbar Gegenstand eines Verfahrens vor diesem Gericht sein und dort allenfalls inzident beurteilt werden können. Die Dienstgerichte sind geschaffen worden, um die richterliche Unabhängigkeit, Unversetzbarkeit und Unabsetzbarkeit als konstitutive und unverzichtbare Elemente des Richterdienstverhältnisses mit einem besonders wirkungsvollen Schutz zu umgeben; ihnen ist demgemäß auch nur der Prüfungsmaßstab des § 26 Abs. 3 DRiG an die Hand gegeben (Urteil vom 9. Juni 1983 a.a.O. S. 224 f.). Für Streitigkeiten über Rechte und Pflichten, die sich nicht aus den Besonderheiten des Richteramts ergeben, sondern aus jedem öffentlich-rechtlichen Dienstverhältnis entstehen können, hat es demgemäß bei der Zuständigkeit der allgemeinen Verwaltungsgerichte sein Bewenden (BTDrucks 3/2785 S. 5).
Rz. 8
Hieran ändert nichts, dass § 53 Abs. 1 Satz 4 LBG BW unter näher bestimmten Voraussetzungen eine Fiktion der Dienstunfähigkeit vorsieht. Nach dieser Vorschrift kann der seine Versetzung in den Ruhestand nicht selbst betreibende Richter, wenn er sich der Verpflichtung, sich nach Weisung der Behörde untersuchen oder beobachten zu lassen, trotz zweimaliger schriftlicher Aufforderung und ohne hierfür einen hinreichenden Grund nachzuweisen entzieht, so behandelt werden, als ob seine Dienstunfähigkeit amtsärztlich festgestellt worden wäre. Ein Richter auf Lebenszeit kann auch unter diesen Voraussetzungen nur in den Ruhestand versetzt werden, wenn die Versetzung in den Ruhestand auf Antrag des Dienstherrn durch rechtskräftige Entscheidung des Dienstgerichts für zulässig erklärt worden ist. Anders als im Fall des § 53 Abs. 1 Satz 1 LBG BW, in dem bei festgestellter Dienstunfähigkeit des Richters seine Versetzung in den Ruhestand die rechtlich gebotene Folge ist, ist die zuständige Behörde im Fall der Fiktion der Dienstunfähigkeit rechtlich nicht an deren Annahme gebunden. Ob das Richterdienstgericht in einem unter solchen Umständen vom Dienstherrn eingeleiteten Prüfungsverfahren gemäß § 63 Nr. 3 Buchst. d LRiG BW, wie der Verwaltungsgerichtshof angenommen hat, darauf beschränkt wäre zu überprüfen, ob der Dienstherr den Richter zweimal erfolglos zur Untersuchung aufgefordert und auf die Folgen einer Weigerung (§ 53 Abs. 1 Satz 5 LBG BW) hingewiesen hat, mag dahingestellt bleiben. Jedenfalls ist das von dem Richter angerufene Verwaltungsgericht in Fällen der Fiktion der Dienstunfähigkeit nicht anders als bei einer Klage gegen eine vom Dienstherrn erlassene Untersuchungsanordnung befugt, deren Rechtmäßigkeit unter dem Gesichtspunkt einer Verletzung der individuellen Rechtssphäre des Richters zu überprüfen.
Rz. 9
2. Es bedarf keiner Entscheidung, ob eine Untersuchungsanordnung gegen einen Richter als Maßnahme der Dienstaufsicht anzusehen ist, die geeignet sein kann, die richterliche Unabhängigkeit zu beeinträchtigen. Auch wenn das angenommen wird, führt dies unter den Gegebenheiten eines Falles der vorliegenden Art nicht zur Unzulässigkeit des Verwaltungsrechtswegs.
Rz. 10
Nach dem Urteil des Senats vom 9. Juni 1983 a.a.O. S. 224 f. ist der Rechtsweg zum Richterdienstgericht nicht nur nach dem Anfechtungsgegenstand („Maßnahmen der Dienstaufsicht”), sondern zusätzlich nach dem Anfechtungsgrund („aus den Gründen des § 26 Abs. 3 des Deutschen Richtergesetzes”) abzugrenzen. Wendet sich ein Richter gegen eine Dienstaufsichtsmaßnahme, weil er sich in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt sieht, hat er das Richterdienstgericht anzurufen. Demgegenüber ist der Verwaltungsrechtsweg gegen alle Maßnahmen des Dienstherrn eröffnet, die geeignet sind, den Richter in seiner individuellen Rechtssphäre zu verletzen; ob die Maßnahme als Verwaltungsakt einzustufen ist, ist dabei unerheblich. Dieses „Nebeneinander zweier Rechtswege” für einen und denselben prozessualen Anspruch je nach dem geltend gemachten Klagegrund hat zur Folge, dass der Richter durch die Begründung seines Antrags weitgehend selbst entscheidet, ob die Maßnahme – wegen Beeinträchtigung der richterlichen Unabhängigkeit – vom Richterdienstgericht oder – wegen sonstiger Rechtsverletzung – vom Verwaltungsgericht nachgeprüft werden soll (a.a.O. S. 226 f.; ebenso Beschluss vom 19. Dezember 1996 – BVerwG 2 B 91.96 – juris). Da der Kläger das Verwaltungsgericht angerufen hat, hat er zum Ausdruck gebracht, dass es ihm um die Prüfung eines Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht geht.
Rz. 11
Die Sache wird nicht dadurch insgesamt zu einem den Richterdienstgerichten zugewiesenen Rechtsstreit über Fragen der richterlichen Unabhängigkeit, dass der Richter hinsichtlich der vor dem Verwaltungsgericht angegriffenen Maßnahme auch geltend macht, sich in seiner richterlichen Unabhängigkeit beeinträchtigt zu sehen. Die Zuständigkeit des Richterdienstgerichts ist nur in den Grenzen gegeben, die sich aus dem Klagegrund des § 26 Abs. 3 DRiG ergeben. Da der Kläger die Untersuchungsanordnung und die Verpflichtung, seine Ärztinnen von der Schweigepflicht zu entbinden, in erster Linie wegen des damit verbundenen Eingriffs in sein Persönlichkeitsrecht angreift, wäre das Richterdienstgericht für die Klage auch gemäß § 63 Nr. 4 Buchst. f LRiG BW nicht zuständig.
Rz. 12
3. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 1 VwGO. Eine Kostenentscheidung ist nicht wegen der Regelung des § 17b Abs. 2 GVG entbehrlich. Die Anfechtung der Entscheidung über die Verweisung löst ein selbständiges Rechtsmittelverfahren aus, in dem nach den allgemeinen Vorschriften über die Kosten zu befinden ist (Beschluss vom 28. September 1994 – BVerwG 1 B 163.94 – Buchholz 300 § 13 GVG Nr. 4).
Unterschriften
Herbert, Dr. Burmeister, Dr. Maidowski
Fundstellen