Entscheidungsstichwort (Thema)
Gesundheitsverwaltungsrecht einschl. des Rechts der Heil- und Heilhilfsberufe und des Krankenhausfinanzierungsrechts sowie des Seuchenrechts. Arzneimittel. Zulassung. Nachzulassung. Arzneimittelmerkmale. Änderung eines Merkmals. Anwendungsgebiete. Indikationsanspruch. symptomatische Therapie. adjuvante Therapie. Dosierung. zweckmäßige Dosierung. ausreichende Begründung der Dosierung. Dosisfindungsstudie. Dosis-Wirkungsbeziehung. Arzneimittelprüfrichtlinien. Mängelverfahren. Versagungsgrund. unzureichende Begründung der therapeutischen Wirksamkeit. unzureichendes wissenschaftliches Erkenntnismaterial. Referenzzulassung. Abweichung vom Referenzarzneimittel. Anpassung an das Referenzarzneimittel. Oxaceprol. Auslegung des Klagebegehrens. Erörterungs- und Hinweispflicht. Verfahrensmangel.
Leitsatz (amtlich)
1. Eine ausreichende Begründung der therapeutischen Wirksamkeit im Sinne von § 105 Abs. 4f Satz 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 AMG setzt auch entsprechende Darlegungen zur Zweckmäßigkeit der Dosierung voraus.
2. Abweichungen vom Referenzarzneimittel schließen eine Zulassung nach § 105 Abs. 4c AMG nicht aus, wenn der Antragsteller die Anpassung der Merkmale des nachzuzulassenden Arzneimittels an das Referenzarzneimittel anstrebt und die Änderung zulässig ist (wie Urteil vom 21. März 2013 – BVerwG 3 C 10.12 – Buchholz 418.32 AMG Nr. 62 Rn. 15 und 19).
3. Begehrt der Kläger vorrangig eine Zulassung nach § 105 Abs. 4f AMG und für den Fall, dass deren Voraussetzungen nicht vorliegen, hilfsweise eine Zulassung nach § 105 Abs. 4c AMG unter Anpassung des nachzuzulassenden Arzneimittels an die Merkmale des Referenzarzneimittels, ist dieses Klageziel sachdienlich mit Haupt- und Hilfsantrag zu verfolgen.
Normenkette
AMG § 24 Abs. 1 Sätze 1, 2 Nr. 3, § 25 Abs. 2 S. 1 Nrn. 2, 4, § 105 Abs. 4c, 4f; VwGO § 86 Abs. 3; AMG § 104 Abs. 1
Verfahrensgang
OVG für das Land NRW (Urteil vom 22.11.2013; Aktenzeichen 13 A 692/10) |
VG Köln (Entscheidung vom 09.02.2010; Aktenzeichen 7 K 6199/05) |
Tenor
Das Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 22. November 2013 wird aufgehoben, soweit der Rechtsstreit das hilfsweise Begehren der Klägerin betrifft, die Beklagte unter Aufhebung des Bescheides des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte vom 26. September 2005 zu verpflichten, über die Verlängerung der Zulassung für das Arzneimittel AHP 200® unter Anpassung von dessen Merkmalen an das in Rumänien zugelassene Referenzarzneimittel Artromed 200 mg und unter Beachtung der Rechtsauffassung des Gerichts erneut zu entscheiden; in diesem Umfang wird die Sache zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an das Oberverwaltungsgericht für das Land Nordrhein-Westfalen zurückverwiesen.
Im Übrigen wird die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in diesem Urteil zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Hälfte der Kosten des Beschwerdeverfahrens. Im Übrigen bleibt die Kostenentscheidung der Schlussentscheidung vorbehalten.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 EUR festgesetzt.
Tatbestand
I
Die Beteiligten streiten über die Nachzulassung des Arzneimittels AHP 200® mit dem Wirkstoff Oxaceprol in der Dosierung von 200 mg pro Filmtablette. Im Mängelverfahren rügte die Beklagte unter anderem eine unzureichende Begründung der therapeutischen Wirksamkeit; weder die beanspruchten Dosierungen noch die beanspruchte Art und Dauer der Anwendung seien plausibel.
Die Klägerin legte daraufhin ergänzendes wissenschaftliches Erkenntnismaterial vor (darunter die Dokumentation einer von ihr durchgeführten Studie zur Wirksamkeit gegenüber Placebo ≪„OXAGON03”≫). Als Anwendungsgebiete beanspruchte sie: „Zur symptomatischen Therapie von entzündlichen und schmerzhaften Stadien bei Arthrosen”. Als Dosierung beantragte sie: „Soweit nicht anders verordnet, beträgt die Normaldosierung, insbesondere zu Beginn der Behandlung über die ersten 3 Wochen 3 × täglich 2 Filmtabletten. Je nach Bedarf kann die Tagesdosis auch auf 3 × 1 Filmtablette reduziert werden”. Mit Bescheid vom 26. September 2005 lehnte das Bundesinstitut für Arzneimittel und Medizinprodukte den Antrag der Klägerin auf Verlängerung der (fiktiven) Zulassung für das von ihr vertriebene Arzneimittel AHP 200® ab, weil die beanstandeten Mängel nicht innerhalb der gesetzten Frist beseitigt worden seien. Die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Neubescheidung des Nachzulassungsantrags ist in den Vorinstanzen ohne Erfolg geblieben. Das Oberverwaltungsgericht hat angenommen, dass dem Verlängerungsantrag die Versagungsgründe der nicht ausreichenden Begründung der therapeutischen Wirksamkeit (§ 105 Abs. 4f Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG) und des nicht ausreichenden wissenschaftlichen Erkenntnismaterials (§ 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Alt. 2 AMG) entgegenstünden. Die Klägerin habe die Zweckmäßigkeit der beantragten Dosierung nach Menge und Konzentration sowie Dauer und Art der Anwendung nicht hinreichend begründet. Ein Anspruch auf Neubescheidung des Nachzulassungsantrags ergebe sich auch nicht aus § 105 Abs. 4c AMG. Das in Rumänien zugelassene Arzneimittel Artromed 200 mg (Filmtablette Oxaceprol), auf das sich die Klägerin als Referenzarzneimittel berufe, sei nicht identisch mit AHP 200®. Während das rumänische Präparat mit 3 × 200 mg/Tag dosiert werde, betrage die beantragte Normdosierung für AHP 200® 3 × 400 mg/Tag. Darüber hinaus stimme das Anwendungsgebiet einer adjuvanten Therapie bei arthrosischen Schmerzen nicht mit der von der Klägerin beanspruchten symptomatischen Therapie überein.
Entscheidungsgründe
II
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Berufungsurteil ist teilweise begründet.
1. Hinsichtlich des im Berufungsverfahren in erster Linie verfolgten Begehrens, die Nachzulassung des Arzneimittels AHP 200® für das Anwendungsgebiet „zur symptomatischen Therapie von entzündlichen und schmerzlichen Stadien bei Arthrosen” und mit der Normdosierung 3 × 400 mg/Tag zu erreichen, hat die Beschwerde keinen Erfolg. Insoweit weist die Rechtssache weder die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO auf (a), noch liegt eine Abweichung von der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts vor, die eine Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO rechtfertigen könnte (b). Schließlich ist auch kein Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO zu erkennen, auf dem die angegriffene Entscheidung beruhen kann (c).
a) Die von der Klägerin aufgeworfene Frage,
„ob die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 S. 1 Nr. 4 zweite Alternative AMG auch dann erfüllt sind, wenn zwar die Wirksamkeit des betreffenden Arzneimittels in der beantragten Dosierung durch Vorlage der Ergebnisse einer entsprechenden klinischen Prüfung nachgewiesen worden ist, aber keine hinreichenden Dosisfindungsstudien vorgelegt wurden”,
verleiht der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung. Soweit die Fragestellung darauf abhebt, dass die therapeutische Wirksamkeit des Arzneimittels in der beantragten Dosierung durch Ergebnisse einer klinischen Prüfung belegt worden sei, geht sie an den Feststellungen des angegriffenen Berufungsurteils vorbei; sie würde sich daher in dem angestrebten Revisionsverfahren so nicht stellen. Das Oberverwaltungsgericht hat sich nicht abschließend dazu verhalten, ob die Klägerin mit der Studie „OXAGON03” die Wirksamkeit der beantragten Dosierung (3 × 400 mg/Tag) für das Arzneimittel AHP 200® nachgewiesen hat (vgl. UA S. 21, zweiter Absatz). Auch die von der Klägerin in Bezug genommene Urteilspassage (UA S. 22 oben) gibt dafür nichts her. Die Ausführungen geben lediglich die Aussage wieder, die die Studie „OXAGON03” sich selbst als Ergebnis beimisst (vgl. S. 106 des Clinical Study Report ≪Beiakte Heft 30≫: „Aus biometrischer und klinischer Sicht ist mit diesen Ergebnissen ein konfirmatorischer Nachweis für die Wirksamkeit von Oxaceprol [nach 3 Wochen Behandlungsdauer] geführt”).
Soweit die Klägerin sinngemäß geklärt wissen möchte, ob eine unzureichende Begründung im Sinne des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG (auch dann) vorliegt, wenn das vorgelegte wissenschaftliche Erkenntnismaterial keine hinreichenden Darlegungen zur Zweckmäßigkeit der beanspruchten Dosierung enthält, bedarf es hierzu nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Frage ist ohne weiteres zu bejahen. Nach der Rechtsprechung des Senats lässt sich die therapeutische Wirksamkeit eines Arzneimittels (ebenso wie die Unbedenklichkeit) nur anhand einer bestimmten Dosierung beurteilen. Als Bindeglied zwischen Wirksamkeit und Unbedenklichkeit ist die Dosierung untrennbar mit der Zulassung des Arzneimittels verknüpft und muss in der Zulassungsentscheidung festgelegt werden (Urteil vom 19. November 2009 – BVerwG 3 C 10.09 – Buchholz 418.32 AMG Nr. 55 Rn. 17 f.). Demgemäß ist die im Zulassungsverfahren beanspruchte Höhe der Dosierung begründungsbedürftig (vgl. Urteil vom 18. Mai 2010 – BVerwG 3 C 25.09 – Buchholz 418.32 AMG Nr. 57 Rn. 21 f.). Das bedeutet, dass der Antragsteller mit den eingereichten Zulassungsunterlagen die Zweckmäßigkeit der gewählten Dosierung belegen muss, § 24 Abs. 1 Satz 1 i.V.m. Satz 2 Nr. 3 AMG (Urteil vom 9. April 2014 – BVerwG 3 C 10.13 – PharmR 2014, 437 Rn. 8). Entsprechend verlangen auch die Arzneimittelprüfrichtlinien eine Begründung der Dosierung (§ 26 AMG i.V.m. Teil I, Nr. 5.2.4 der Prüfrichtlinien). Das schließt Darlegungen zur Dosis-Wirkungsbeziehung und erforderlichenfalls die Vorlage von Dosisfindungsstudien (oder anderem wissenschaftlichen Erkenntnismaterial) mit ein (vgl. Teil I, Nr. 5.2.4 der Arzneimittelprüfrichtlinien; Urteile vom 9. April 2014 a.a.O. Rn. 9 und vom 16. Oktober 2003 – BVerwG 3 C 28.02 – NVwZ-RR 2004, 180 ≪182≫.). Aus der Senatsentscheidung vom 18. Mai 2010 (a.a.O.) ergibt sich nichts Abweichendes. Danach kann gegen die Tragfähigkeit einer auf Anwendungsbeobachtungen gestützten Dosierungsbegründung nicht mit Erfolg eingewendet werden, solche Untersuchungen ließen keine Aussagen über niedrigere Dosierungen zu, wenn sich aus ihnen ergibt, dass das Arzneimittel in der beantragten Dosierung wirksam und unbedenklich ist. Diese Ausführungen beziehen sich jedoch auf das Nachzulassungsverfahren bei homöopathischen Arzneimitteln (vgl. § 105 Abs. 4a Satz 2, Abs. 4f Satz 2, § 25 Abs. 2 Satz 4 AMG), die bereits langjährig beanstandungsfrei in der beanspruchten Dosierung eingesetzt wurden und deshalb unter dem Gesichtspunkt der Arzneimittelsicherheit keinen Anlass zu weitergehenden Prüfungen hinsichtlich der Zweckmäßigkeit der Dosierung geben (vgl. Urteil vom 18. Mai 2010 a.a.O.). Hier liegt der Sachverhalt anders. Weder handelt es sich bei AHP 200® um ein homöopathisches Arzneimittel, noch ist – wie das Oberverwaltungsgericht bindend festgestellt hat (§ 137 Abs. 2 VwGO) – die beantragte Dosierung 3 × 400 mg/Tag historisch etabliert. Im Gegenteil sind die Tagesdosis sowie die Dauer der Anwendung des Arzneimittels in der Vergangenheit geändert worden (UA S. 19). Es liegt auf der Hand, dass unter solchen Umständen auf die Vorlage weiterer Erkenntnisse zur zweckmäßigen Dosierung nicht verzichtet werden kann.
Ob gemessen an diesen Vorgaben, von denen auch das Berufungsgericht ausgegangen ist, die im Nachzulassungsverfahren eingereichten Unterlagen (§ 105 Abs. 4 und Abs. 4a Satz 1 i.V.m. § 22 AMG) und Gutachten (§ 105 Abs. 4a Satz 1 i.V.m. § 24 AMG) eine ausreichende Dosierungsbegründung vermissen lassen, so dass der Versagungsgrund des (§ 105 Abs. 4f Satz 1 Halbs. 1 i.V.m.) § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG erfüllt ist, hängt von den Umständen des Einzelfalls ab und entzieht sich daher einer fallübergreifenden Klärung.
Die weitere als klärungsbedürftig bezeichnete Frage,
„ob die Voraussetzungen des § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 zweite Alternative AMG auch dann erfüllt sind, wenn zwar die Wirksamkeit des betreffenden Arzneimittels in der beantragten Dosierung durch Vorlage der Ergebnisse einer entsprechenden klinischen Prüfung nachgewiesen worden ist, aber keine hinreichenden Dosisfindungsstudien vorgelegt wurden”,
rechtfertigt ebenfalls nicht die Zulassung der Revision nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO. Die Beschwerde stützt sich zur Begründung der geltend gemachten grundsätzlichen Bedeutung auf dieselben Erwägungen, wie in Bezug auf die zu § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG aufgeworfene Rechtsfrage. Demgemäß sind die Voraussetzungen von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO aus den gleichen Gründen wie zuvor nicht erfüllt. Abgesehen davon hat das Oberverwaltungsgericht sein Urteil mit den Versagungsgründen nach § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 und Nr. 2 Alt. 2 AMG auf zwei eigenständig tragende Begründungen gestützt. Bei einer solchen Mehrfachbegründung kann die Revision nur zugelassen werden, wenn hinsichtlich jeder der Begründungen ein durchgreifender Revisionszulassungsgrund geltend gemacht wird. Daran fehlt es; denn hinsichtlich des Versagungsgrundes des § 105 Abs. 4f Satz 1 Halbs. 1 i.V.m. § 25 Abs. 2 Satz 1 Nr. 4 Alt. 2 AMG bleiben auch die Divergenz- und die Verfahrensrügen der Klägerin – wie nachfolgend dargelegt – ohne Erfolg.
b) Das angefochtene Urteil weicht nicht von der Entscheidung des Senats vom 15. Dezember 2011 – BVerwG 3 C 2.11 – (Buchholz 418.32 AMG Nr. 61) ab. Die Klägerin sieht eine Abweichung darin, dass nach dem Urteil des Senats Unterschiede im Indikationsanspruch die Möglichkeit einer Bezugnahme nach § 105 Abs. 4c AMG nicht entfallen ließen, während das Berufungsgericht die Anwendbarkeit der Regelung verneint habe, weil sich das Anwendungsgebiet der Referenzzulassung auf eine adjuvante (unterstützende) Therapie beziehe, für das nachzuzulassende Arzneimittel hingegen eine symptomatische Therapie beansprucht werde. Der geltend gemachte Widerspruch besteht jedoch nicht. Für die Frage des Klageerfolgs ist auf diejenigen Anwendungsgebiete und weiteren Merkmale abzustellen, mit denen die Verpflichtung der Beklagten zur (Nach-)Zulassung des Arzneimittels oder – wie hier – zur Neubescheidung des Verlängerungsantrags begehrt wird (Urteil vom 21. März 2013 – BVerwG 3 C 10.12 – Buchholz 418.32 AMG Nr. 62 Rn. 15) Das Oberverwaltungsgericht hat das Klagebegehren dahin gehend verstanden, dass die Klägerin eine Nachzulassung des Arzneimittels AHP 200® mit dem Indikationsanspruch einer symptomatischen Therapie und der Dosierung 3 × 400 mg/Tag erreichen will (UA S. 10 und S. 25). Auf dieser Grundlage hat es in Einklang mit den im Senatsurteil vom 15. Dezember 2011 (a.a.O. Rn. 20) entwickelten rechtlichen Maßstäben eine wertende Betrachtung vorgenommen, ob die beanspruchten Anwendungsgebiete des Arzneimittels AHP 200® von den zugelassenen Anwendungsgebieten des rumänischen Referenzarzneimittels Artromed 200 mg umfasst werden. Dass es diese Frage mit Blick auf den unterschiedlichen Indikationsanspruch verneint hat, betrifft die Subsumtion. Sollte die Bewertung des Oberverwaltungsgerichts sachlich falsch sein, läge daher ein Rechtsanwendungsfehler vor, auf den die Abweichungsrüge grundsätzlich – so auch hier – nicht gestützt werden kann (stRspr; vgl. z.B. Beschluss vom 25. August 2010 – BVerwG 3 B 11.10 – ZOV 2010, 234 ≪235≫ m.w.N.).
Aus denselben Gründen bleibt die Divergenzrüge ohne Erfolg, soweit die Beschwerde beanstandet, dass das Berufungsgericht in Widerspruch zu dem Urteil des Senats vom 15. Dezember 2011 (a.a.O. Rn. 23) die Voraussetzungen des § 105 Abs. 4c AMG wegen fehlender Identität der Dosierungsangaben verneint habe.
c) Das angefochtene Urteil beruht in seinen auf § 105 Abs. 4f i.V.m. § 25 Abs. 2 AMG bezogenen Ausführungen auch nicht auf einem Verfahrensmangel im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO.
Die Klägerin sieht ihren Anspruch auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG, § 108 Abs. 2 VwGO) verletzt, weil das Oberverwaltungsgericht angenommen habe, dass das Arzneimittel AHP 200® nach einer Behandlungsdauer von 3 Wochen wieder abzusetzen sei, und es hieraus den Schluss gezogen habe, dass die beanspruchte Dauer der Anwendung von in der Regel 3 bis 6 Wochen nicht belegt sei. Sie meint, das angefochtene Urteil stütze sich damit auf einen neuen tatsächlichen Gesichtspunkt, mit dem sie nicht habe rechnen können; sie hätte sonst dargelegt, dass das Medikament ausweislich der klinischen Datenlage nicht bereits nach 3 Wochen wieder abgesetzt werden müsse. Des Weiteren bezeichnet die Klägerin als überraschend, dass nach Auffassung des Berufungsgerichts die beantragte Anwendungsdauer nur belegt sei, wenn sie exakt mit der Behandlungsdauer in den vorgelegten klinischen Studien übereinstimme. Das stehe in Widerspruch zum Stand der wissenschaftlichen Erkenntnisse, wonach Studiendaten extrapoliert werden könnten. Beide Rügen greifen nicht durch. Das Oberverwaltungsgericht hat festgestellt, dass die erst nachträglich im Mängelbeseitigungsverfahren angegebene Begrenzung der Anwendungsdauer auf 3 bis 6 Wochen mit den vorgelegten Unterlagen nicht ausreichend begründet werde, weil dazu kein Datenmaterial existiere. Die Dauer der klinischen Studien in der Indikation Arthrose habe lediglich 4 Wochen betragen (UA S. 19, S. 21 f.). Hieraus lässt sich entnehmen, dass das Berufungsgericht vor dem Hintergrund der neu beantragten Höchstdauer der Anwendung das Erfordernis gesehen hat, den gewählten Zeitraum anhand der eingereichten Unterlagen im Einzelnen zu begründen. Das ist nicht zu beanstanden und musste sich auch der Klägerin aufdrängen. Ebenso nachvollziehbar und keineswegs überraschend ist, wenn das Berufungsgericht aus dem Fehlen von Darlegungen und Daten zu einer über 4 Wochen hinausgehenden Behandlungsdauer den Schluss zieht, dass die beanspruchte Regelanwendungsdauer von bis zu 6 Wochen nicht ausreichend belegt ist. Dasselbe gilt für dessen Würdigung, die angegebene untere Grenze der Anwendungsdauer von 3 Wochen sei nicht plausibel. Entgegen dem Beschwerdevorbringen hat das Oberverwaltungsgericht nicht als Tatsache festgestellt, dass das Arzneimittel nach 3 Wochen wieder abzusetzen sei. Es hat vielmehr auf eine bestehende Unschlüssigkeit verwiesen, die sich zwischen der Angabe einer (nur) dreiwöchigen Anwendungsdauer und dem Ergebnis der Studie OXAGON03 auftue, die eine Wirksamkeit des Arzneimittels (erst) nach 3 Wochen Behandlungsdauer als nachgewiesen ansehe. Diese Einschätzung bewegt sich im Rahmen zulässiger Tatsachen- und Beweiswürdigung und lässt keinen Gehörsverstoß erkennen.
2. Die Beschwerde ist hingegen begründet, soweit die Klägerin sich mit der Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gegen die Annahme des Oberverwaltungsgerichts wendet, sie strebe mit der Bezugnahme auf das rumänische Referenzarzneimittel keine Anpassung von AHP 200® an dessen Merkmale an. Die geltend gemachte Verletzung der gerichtlichen Hinweis- und Erörterungspflicht (§ 86 Abs. 3, § 104 Abs. 1 VwGO) und des rechtlichen Gehörs liegt vor. Auf diesem Verfahrensfehler kann das angegriffene Urteil auch beruhen. Der Senat macht deshalb von der durch § 133 Abs. 6 VwGO eröffneten Möglichkeit Gebrauch, es in dem aus dem Tenor ersichtlichen Umfang aufzuheben und den Rechtsstreit insoweit zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an die Vorinstanz zurückzuverweisen.
Es trifft zwar zu, dass die Klägerin vorrangig eine Nachzulassung des Arzneimittels AHP 200® mit dem Indikationsanspruch der symptomatischen Therapie und der Dosierung 3 × 400 mg/Tag erreichen will. Ihr Klagebegehren erschöpft sich darin aber nicht, wie sie mit der in der mündlichen Verhandlung zu Protokoll gegebenen Erklärung zu erkennen gegeben hat. Danach hat sie sich „in zweiter Linie” auf die Zulassung von Artromed 200 mg in Rumänien berufen. Dem Oberverwaltungsgericht musste sich aufdrängen, dass die Klägerin damit hilfsweise eine Nachzulassung ihres Arzneimittels unter Anpassung an die Merkmale des Referenzarzneimittels anstrebt. Darin liegt keine im Nachzulassungsverfahren unzulässige Änderung von Arzneimittelmerkmalen (Urteile vom 15. Dezember 2011 – BVerwG 3 C 2.11 – Buchholz 418.32 AMG Nr. 61 Rn. 23 und vom 21. März 2013 – BVerwG 3 C 10.12 – Buchholz 418.32 AMG Nr. 62 Rn. 19; vgl. auch OVG Münster, Beschluss vom 20. März 2013 – 13 A 2674/12 – StoffR 2013, 125 f.). Der Klägerin war daher für den Fall, dass das Berufungsgericht die Voraussetzungen für eine Verlängerung der fiktiven Zulassung nach § 105 Abs. 4f AMG verneinen würde, ersichtlich daran gelegen, eine Nachzulassung ihres Arzneimittels auf der Grundlage von § 105 Abs. 4c AMG zu erhalten.
Es kann dahinstehen, ob ein entsprechender Hilfsantrag wegen der Pflicht des Gerichts zu einer sachdienlichen Auslegung des Rechtsschutzbegehrens (§ 88, § 86 Abs. 3 VwGO) bereits als sinngemäß gestellt anzusehen ist oder ob es der anwaltlich vertretenen Klägerin oblegen hätte, dies durch eine ausdrückliche Prozesserklärung klarzustellen. In jedem Fall durfte das Oberverwaltungsgericht über dieses erkennbare weitere Klageziel nicht ohne Erörterung und den Hinweis auf eine sachgerechte Antragstellung hinweggehen (Urteil vom 29. März 1968 – BVerwG 4 C 27.67 – BVerwGE 29, 261 ≪267 f.≫; Beschlüsse vom 20. Oktober 1976 – BVerwG 7 B 57.75 – Buchholz 310 § 86 Abs. 3 VwGO Nr. 18 S. 2 und vom 14. Juni 2004 – BVerwG 4 B 24.04 –).
Die Kostenentscheidung folgt, soweit sie abschließend ist, aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertentscheidung beruht auf § 47 Abs. 1 und 3 i.V.m. § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Kley, Liebler, Dr. Kuhlmann
Fundstellen
Haufe-Index 7566257 |
JZ 2015, 153 |
PharmaR 2015, 118 |
StoffR 2015, 44 |