Abgrenzung von Arzneimitteln und Medizinprodukten
Sachverhalt
Ausgangspunkt der Entscheidung war ein Feststellungsbescheid des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte („BfArM“), wonach ein von der Klägerin als Medizinprodukt in den Verkehr gebrachtes Nasenspray als zulassungspflichtiges Arzneimittel eingestuft wurde. Das BfArM hatte das Nasenspray als Präsentationsarzneimittel im Sinne des § 2 Abs. 1 Nr. 1 AMG angesehen.
Die hiergegen vor dem VG Köln erhobene Klage wurde ebenso abgewiesen, wie die anschließende Berufung vor dem OVG NRW. Beide Gerichte hatten die Ansicht vertreten, dass ein Präsentationsarzneimittel auch dann vorliegen könne, wenn ein Präparat als Medizinprodukt auf den Markt gebracht wird. Falle das Produkt sowohl unter die Definition eines Arzneimittels als auch unter die eines Medizinproduktes, so fände aufgrund der Zweifelsfallregelung des Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83 ausschließlich das Arzneimittelrecht Anwendung. Der für eine Einordnung als Medizinprodukt erforderliche Nachweis einer nicht-pharmakologischen Wirkung habe die Klägerin nicht erbracht.
Die Klägerin legte gegen diese Entscheidung Revision beim BVerwG ein. Dieses vertrat die Ansicht, dass es einer Vorabentscheidung durch den EuGH bedürfe. Insbesondere müsse über die Grundsatzfrage entschieden werden, welcher Produktkategorie ein vom Hersteller als Medizinprodukt in den Verkehr gebrachtes Erzeugnis zuzuordnen ist, wenn nicht geklärt werden kann, ob die bestimmungsgemäße Hauptwirkung pharmakologisch oder physikalisch ist. Das BVerwG wollte vom EuGH außerdem wissen, nach welchen Kriterien pharmakologische und nicht-pharmakologische Mittel zu unterscheiden sind (1. Vorlagefrage) und ob ein Erzeugnis als stoffliches Medizinprodukt angesehen werden kann, wenn die bestimmungsgemäße Hauptwirkung nicht abschließend zu klären ist (2. und 3. Vorlagefrage). Darüber hinaus müsse festgelegt werden, ob die Zweifelsfallregelung des Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83 auch auf Präsentationsarzneimittel Anwendung findet (4. Vorlagefrage).
Das Urteil des EuGH vom 19.1.2023 – C-495/21
Der EuGH beantwortete zunächst die vierte Vorlagefrage. Er geht davon aus, dass die Zweifelsfallregelung des Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83 zu Gunsten des Vorrangs des Arzneimittelregimes auch auf Präsentationsarzneimittel Anwendung findet. Dies ergebe sich aus dem eindeutigen Wortlaut „Arzneimittel“, der gemäß Art. 1 Nr. 2 der Richtlinie auch „Präsentationsarzneimittel“ umfasse.
Hinsichtlich der zweiten und dritten Vorlagefrage weist der EuGH zunächst darauf hin, dass ein Stoff nur dann als Medizinprodukt eingestuft werden könne, wenn die bestimmungsgemäße Hauptwirkung im oder am menschlichen Körper weder durch pharmakologische, immunologische noch metabolische Wirkung erreicht wird. Der Hersteller müsse die Erfüllung dieser Voraussetzung nachweisen. Im Gegensatz zu Arzneimitteln, bei denen eine vorherige Genehmigung erforderlich ist, rechtfertige die Vermutung der geringeren Gefährlichkeit von Medizinprodukten das Inverkehrbringen auf deklaratorischer Grundlage. Fehlen wissenschaftliche Erkenntnisse, um den Nachweis einer pharmakologischen, immunologischen oder metabolischen Hauptwirkung zu erbringen, könne das Produkt nicht als Medizinprodukt in den Verkehr gebracht werden.
Der EuGH weist weiter darauf hin, dass die Zweifelsfallregelung gem. Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83 gleichermaßen auf Funktions- und Präsentationsarzneimittel anzuwenden sei. Hinsichtlich der Einstufung eines Produktes als Präsentationsarzneimittel reiche es aus, wenn bei einem durchschnittlich informierten Verbraucher aufgrund der Präsentation des Erzeugnisses „als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung“ der Eindruck entsteht, dass es sich um ein Arzneimittel handelt. Es sei Sache der nationalen Gerichte, zu beurteilen, ob diese Voraussetzungen erfüllt sind.
Die erste Vorlagefrage, mit der das BVerwG insbesondere Kriterien zur Unterscheidung von pharmakologischen und nicht-pharmakologischen Mitteln begehrte, ließ der EuGH bewusst offen. In Anbetracht der Ausführungen zu den anderen Vorlagefragen bedürfe es hierfür keiner Antwort.
Anmerkungen
Die Entscheidung des EuGH dürfte Unternehmen, die sich Kriterien für eine rechtssichere Einordnung ihres Produktes erhofft hatten, wenig zufriedenstellen. Zwar bestätigt der EuGH die bisherigen Abgrenzungsanforderungen, doch liefert das Urteil den betroffenen Unternehmen keine präzisierten Einstufungskriterien.
Zunächst ist es nachvollziehbar, dass die Zweifelsfallregelung des Art. 2 Abs. 2 Richtlinie 2001/83 auch im Falle von Präsentationsarzneimitteln gelten muss. Dies ergibt sich neben dem eindeutigen Wortlaut auch aus dem Gesetzgeberwillen, die Rechtssicherheit der Hersteller mit den Anforderungen an Sicherheit und Wirksamkeit von Arzneimitteln in Einklang zu bringen. Es ist auch konsequent, dass ein Produkt nicht als Medizinprodukt in den Verkehr gebracht werden kann, wenn gesicherte wissenschaftliche Erkenntnisse über die bestimmungsgemäße Hauptwirkung des Produktes fehlen.
Die Begründung des EuGH bezüglich der Abgrenzung dürfte den betroffenen Unternehmen jedoch kaum weiterhelfen, da sich die Definitionen von Präsentationsarzneimitteln und Medizinprodukten nur marginal unterscheiden. Während für das Präsentationsarzneimittel die Präsentation „als Mittel mit Eigenschaften zur Heilung oder zur Verhütung“ ausschlaggebend ist, stellt die Definition für Medizinprodukte auf die „Erkennung, Verhütung, Behandlung oder Linderung von Krankheiten“ ab.
Die betroffenen Unternehmen sind daher weiterhin verpflichtet, in Eigenregie zu prüfen, ob eine pharmakologische, immunologische oder metabolische Hauptwirkung vorliegt. Anhaltspunkte liefert der Leitfaden der Koordinierungsgruppe Medizinrecht („MDCG“), der die unbestimmten Rechtsbegriffe zwar näher definiert, jedoch keine Auskunft über die erforderlichen Nachweise enthält. Nur wenn es dem betroffenen Unternehmen gelingt, zweifelsfrei nachzuweisen, dass die Hauptwirkung nicht pharmakologisch, immunologisch oder metabolisch, sondern physikalisch ist, wird das BfArM die Einordnung als Medizinprodukt akzeptieren. Im Ergebnis wird dies dazu führen, dass Grenzprodukte regelmäßig als Arzneimittel zu qualifizieren sein werden, da es oftmals an einer wissenschaftlichen Feststellung der Abwesenheit pharmakologischer, immunologischer und metabolischer Wirkungen fehlen wird.
(EuGH, Urteil v. 19.1.2023, C-495/21)
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