Alle in der KW 52 veröffentlichten BGH-Leitsatzentscheidungen

Kompakt und aktuell: Hier finden Sie einen Überblick der in der KW 52 vom Bundesgerichtshof veröffentlichten sog. Leitsatzentscheidungen.

Datum und Az.

Leitsatz

Normen

BGH, Urteil v. 6.11.2023, VIa ZR 535/21

Im Fall der fehlenden Grenzwertkausalität bestehen keine Anhaltspunkte für eine Täuschung der Genehmigungsbehörde mit dem Ziel, die EG-Typgenehmigung zu erhalten.

§ 826 BGB

BGH, Beschluss v. 18.10.2023, 1 StR 222/23

Gestattet ein Zeuge trotz Ausübung seines Zeugnisverweigerungsrechts aus § 52 Abs. 1 StPO die Verwertung früherer Aussagen, so kann er dies nicht auf einzelne Vernehmungen beschränken. Ein Teilverzicht führt vielmehr dazu, dass sämtliche früheren Angaben - mit Ausnahme richterlicher Vernehmungen nach Belehrung über das Zeugnisverweigerungsrecht - unverwertbar sind.

§ 52 Abs 1 StPO, § 252 StPO

BGH, Urteil v. 14.11.2023, VI ZR 98/23

Auch das Rückwärtsfahren mit einem Anhänger ist ein "Ziehen" im Sinne von § 19 Abs. 4 Satz 4 StVG.

§ 19 Abs 4 S 4 StVG

BGH, Urteil v. 5.12.2023, KZR 46/21

LKW-Kartell III

1. Aus dem zugunsten von Abnehmern eines an einer Kartellabsprache beteiligten Unternehmens streitenden Erfahrungssatz, dass die im Rahmen des Kartells erzielten Preise im Schnitt über denjenigen liegen, die sich ohne die wettbewerbsbeschränkende Absprache gebildet hätten, folgt, dass auch die für kartellbetroffene Produkte von einem Leasingnehmer oder Mietkäufer an eine Finanzierungsgesellschaft zu entrichtenden Entgelte kartellbedingt überhöht sind, wenn die Leasing- oder Mietkaufverträge auf die vollständige Deckung des jeweiligen Anschaffungspreises gerichtet sind.

2. Regressionsanalysen, die einem zeitlichen Vergleichsmarktansatz folgen, können allenfalls eine Annäherung an die Wirklichkeit im Sinne einer Schätzung darstellen; sie hindern für sich allein den Tatrichter nicht, aufgrund einer Gesamtabwägung die für ein Grundurteil hinreichende Überzeugung zu gewinnen, dass jedenfalls ein Schaden in irgendeiner Höhe entstanden ist.

§ 1 GWB 2005, § 33 Abs 3 GWB 2005, § 33 Abs 5 GWB 2005, § 1 GWB 1999, § 33 GWB 1999

BGH, Beschluss v. 14.11.2023, 6 StR 495/23

Antragsberechtigt im Adhäsionsverfahren ist auch, wer einen fremden Anspruch im eigenen Namen im Wege sogenannter gewillkürter Prozessstandschaft geltend macht.

§ 403 S 2 StPO

BGH, Beschluss v. 31.10.2023, 3 StR 306/23

1. Unter einem Angriff im Sinne des § 11 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 VStGB ist eine in militärische Feindseligkeiten eingebundene Gewaltanwendung gegen einen Gegner zu verstehen, unabhängig davon, ob sie offensiv oder defensiv geschieht.

2. Die Tatbestände des - gegebenenfalls versuchten - Mordes und der gefährlichen Körperverletzung können mit dem besonders schweren Kriegsverbrechen des Einsatzes verbotener Methoden der Kriegsführung in Tateinheit stehen und treten nicht hinter dieses zurück.

§ 11 Abs 1 S 1 Nr 1 VStGB, § 11 Abs 2 S 2 VStGB, § 52 StGB, § 211 StGB, § 224 Abs 1 StGB

BGH, Urteil v. 14.11.2023, X ZR 75/21

Kunststoffsack

1. Eine beschränkte Zulassung der Revision setzt voraus, dass der betroffene Teil des Streitstoffs in tatsächlicher und rechtlicher Hinsicht unabhängig von dem übrigen Prozessstoff beurteilt werden und auch im Falle einer Zurückverweisung kein Widerspruch zu der Entscheidung über die übrigen Teile des Streitstoffs auftreten kann (Bestätigung von BGH, Urteil vom 16. März 2017 - I ZR 39/15, GRUR 2017, 702 Rn. 17 - PC mit Festplatte; Beschluss vom 16. Dezember 2021 - I ZR 186/20, Rn. 16 [insoweit nicht in MMR 2022, 773]).

2. Die Frage, ob ein Arbeitnehmer von seinem Arbeitgeber aufgrund einer Diensterfindung die Übertragung der Rechte aus einer Patentanmeldung oder aus einem erteilten Patent verlangen kann, ist für alle Teile eines europäischen Patents einheitlich nach dem Recht des Staates zu beurteilen, das für den Arbeitsvertrag maßgeblich ist.

3. Die Pflicht zum Schadensersatz wegen unberechtigter Anmeldung eines Patents umfasst die Herausgabe des durch die unberechtigte Nutzung der Erfindung erzielten Gewinns für den Zeitraum ab der Veröffentlichung des Hinweises auf die Erteilung des Patents.

4. Die § 140b PatG zu Grunde liegende Wertung ist auf einen Anspruch auf Rechnungslegung über die Nutzung einer zu Unrecht zum Patent angemeldeten Erfindung nicht übertragbar.

§ 543 Abs 2 ZPO, Art 2 § 5 Abs 1 IntPatÜbkG, Art 60 Abs 1 S 2 EuPatÜbk, Art 30 aF BGBEG, § 242 BGB, § 249 Abs 1 BGB, § 823 Abs 2 BGB, § 140b PatG

BGH, Urteil v. 28.11.2023, X ZR 83/21

Sorafenib-Tosylat

1. Die Offenbarung von über 100 Wirkstoffen, die allein oder in Form eines pharmazeutisch verträglichen Salzes mit zahlreichen in Betracht kommenden Salzbildnern als zur Behandlung von Krebs geeignet bezeichnet werden, reicht für die unmittelbare und eindeutige Offenbarung eines bestimmten Salzes eines einzelnen Wirkstoffs in einer zur oralen Verabreichung geeigneten Form nicht aus.

2a. Für die Berechtigung zur Inanspruchnahme eines Prioritätsrechts bei der Anmeldung eines europäischen Patents spricht eine widerlegbare Vermutung.

2b. Die gemeinsame Einreichung einer PCT-Anmeldung, in der für einen oder mehrere Bestimmungsstaaten der Anmelder der prioritätsbegründenden Anmeldung und für einen oder mehrere andere Bestimmungsstaaten eine andere Person benannt wird, impliziert eine Abmachung der Beteiligten, die die andere Person zur Inanspruchnahme der Priorität berechtigt (ebenso EPA, Entscheidung vom 10. Oktober 2023 - G 1/22 - Prioritätsberechtigung).

3. Im Patentnichtigkeitsverfahren liegt die Darlegungs- und Beweislast hinsichtlich der Voraussetzungen für eine wirksame Inanspruchnahme der Priorität beim Nichtigkeitskläger.

Art 54 Abs 1 EuPatÜbk, § 3 Abs 1 PatG, § 87 Abs 1 PatG, § 286 ZPO

BGH, Beschluss v. 12.10.2023, I ZB 12/23

Die Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union in der Rechtssache "Achmea" (EuGH, Urteil vom 6. März 2018 - C-284/16, SchiedsVZ 2018, 186) ist nicht auf bilaterale Investitionsschutzabkommen von Mitgliedstaaten der Europäischen Union mit Drittstaaten (sogenannte Extra-EU-BITs) übertragbar. Schiedsklauseln in Extra-EU-BITs widersprechen nicht dem Unionsrecht (Anschluss an EuGH, Urteil vom 2. September 2021 - C-741/19, SchiedsVZ 2022, 34 [juris Rn. 65] - Komstroy).

Art 5 SchSprAnerkÜbk

BGH, EuGH-Vorlage v. 21.12.2023, I ZR 17/23

Trockenluftkompressor

Dem Gerichtshof der Europäischen Union werden zur Auslegung von Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a und Unterabs. 3 der Verordnung (EU) 2017/745 über Medizinprodukte (ABl. L 117 vom 5. April 2017) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist ein Händler gemäß Art. 14 Abs. 1 und 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 verpflichtet zu prüfen, ob das von ihm auf dem Markt bereitgestellte Produkt als Medizinprodukt anzusehen ist und es deshalb eine CE-Kennzeichnung als Medizinprodukt trägt sowie vom Hersteller eine EU-Konformitätserklärung für ein Medizinprodukt ausgestellt worden ist?

2. Ist es für die Antwort auf die Frage 1 von Bedeutung, ob das Produkt vom Hersteller

a) überhaupt mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist;

b) als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist;

c) nicht als Medizinprodukt oder Zubehör eines Medizinprodukts, sondern bezogen auf die Richtlinie 2006/42/EG über Maschinen mit einer CE-Kennzeichnung versehen worden ist?

3. Umfassen die in Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 bestimmten Prüfungspflichten des Händlers auch die Frage, ob das Produkt in die Risikoklasse IIa im Sinne der Verordnung (EU) 2017/745 einzuordnen ist und deshalb zusätzlich mit einer vierstelligen Kennnummer einer Benannten Stelle versehen sein muss?

4. Ist es für die Frage, ob ein Händler gemäß Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 3 in Verbindung mit Art. 14 Abs. 1 der Verordnung (EU) 2017/745 Grund zu der Annahme hat, dass das von ihm am Markt bereitgestellte Produkt nicht den Anforderungen dieser Verordnung entspricht, von Bedeutung, dass der Händler von einem Wettbewerber durch eine Abmahnung von dessen Rechtsansicht Kenntnis erlangt, der vom Händler auf dem Markt bereitgestellte Gegenstand sei nicht gemäß den Anforderungen des Art. 14 Abs. 2 Unterabs. 1 Buchst. a der Verordnung (EU) 2017/745 mit der erforderlichen CE-Kennzeichnung sowie einer Kennnummer einer Benannten Stelle versehen?

5. Ist es für die Beantwortung der Frage 4 von Bedeutung, ob

a) die Abmahnung eines Wettbewerbers einen klaren Hinweis auf eine Rechtsverletzung enthält, also so konkret gefasst ist, dass der Händler den Rechtsverstoß unschwer und ohne eingehende rechtliche oder tatsächliche Überprüfung feststellen kann;

b) dem Händler auf seine Nachfrage vom Hersteller oder einer Behörde mitgeteilt worden ist, die mit der Abmahnung erhobenen Beanstandungen seien unbegründet?

Art 14 Abs 1 EUV 2017/745, Art 14 Abs 2 UAbs 1 Buchst a EUV 2017/745, Art 14 Abs 2 UAbs 3 EUV 2017/745



Schlagworte zum Thema:  Bundesgerichtshof (BGH), Urteil