Entscheidungsstichwort (Thema)
Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge. Unzuständigkeit des Disziplinargerichts für Anspruch auf Auszahlung zurückgehaltener Dienstbezüge. Verschuldensnachweis erst aufgrund späterer Kenntniserlangung von Dienstfähigkeit. Niederlegung eines Schriftstücks (Ersatzzustellung) fingiert ebenso wenig eine Kenntnisnahme vom Inhalt des Schriftstückes wie vorwerfbar pflichtwidriges Verhalten, durch das eine tatsächliche Kenntnisnahme verzögert oder verhindert wird. Entscheidungszuständigkeit des Dienstvorgesetzten – nicht des Amts-/Betriebsarztes – für die Frage der Dienstfähigkeit eines krankgeschriebenen Beamten. überwiegende Aufhebung der Verlustfeststellung
Leitsatz (amtlich)
Die im Wege der Niederlegung erfolgte Zustellung der Mitteilung über das Ergebnis der amtsärztlichen Untersuchung im Sinne einer (eingeschränkten) Dienstfähigkeit ersetzt nicht die für einen schuldhaften Pflichtverstoß vorauszusetzende Kenntnis vom Inhalt dieser Mitteilung. Selbst wenn das Nichtabholen des niedergelegten Schriftstückes eine disziplinar relevante Dienstpflichtverletzung darstellt, lässt sich damit eine Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge wegen schuldhaft unerlaubten Fernbleibens vom Dienst nicht begründen.
Normenkette
BDG § 85 Abs. 5; BDO § 121; BBesG § 9; ZPO § 182
Verfahrensgang
BDIG (Beschluss vom 03.05.2002; Aktenzeichen VII BK 13/01) |
Tenor
Auf die Beschwerde des Antragstellers werden der Beschluss des Bundesdisziplinargerichts, Kammer VII – … –, vom 3. Mai 2002 und die Feststellungsbescheide der Behörde vom 18. August 1999 und 6. September 1999 sowie deren Widerspruchsbescheide vom 20. Oktober 1999 und 3. Dezember 1999 insoweit aufgehoben, als die Verlustfeststellung den Zeitraum vom 10. August bis einschließlich 30. August 1999 betrifft.
Die weiter gehende Beschwerde wird teils verworfen und im Übrigen zurückgewiesen.
Die Kosten des Verfahrens einschließlich der dem Antragsteller hierin erwachsenen notwendigen Auslagen werden der Antragsgegnerin auferlegt.
Tatbestand
I.
1. Der Antragsteller, Angehöriger der Behörde in der Funktion als Kraftfahrer, war etwa ab Oktober 1995 in erheblichem zeitlichem Umfang dienstunfähig erkrankt. Zur Klärung seiner Verwendungsfähigkeit im Polizeivollzugsdienst sowie zur Klärung seiner gesundheitlichen Eignung für den allgemeinen Verwaltungsdienst beauftragte der Leiter der Behörde am 18. November 1998 den Sozialmedizinischen Dienst der Oberbehörde mit der Erstellung eines Gutachtens. Der Arzt der Behörde, Dr. D.…, hatte den Antragsteller deshalb bereits ab 4. November 1998 bis auf weiteres dienstunfähig krankgeschrieben. Nach einer persönlichen Untersuchung und Befragung des Antragstellers am 19. Januar 1999, nach Einholung verschiedener Befund- und Behandlungsberichte sowie zuletzt eines neurologisch-psychiatrischen Gutachtens erstellte der Orthopäde Dr. R.… unter dem 27. Juli 1999 das beantragte sozialmedizinische Gutachten. Es kam unter II. zum Ergebnis, dass der Antragsteller gesundheitlich nicht mehr für den Polizeivollzugsdienst, aber für den allgemeinen Verwaltungsdienst geeignet ist. Diese Beurteilung (“Unterrichtung über den Grund der Polizeidienstunfähigkeit”) war dem Antragsteller vom Sozialmedizinischen Dienst mit einfachem Brief vom 27. Juli 1999 übersandt worden mit dem Hinweis, dass über seine weitere Verwendung entschieden und ihm dann ein entsprechender Bescheid zugestellt werde. Der Antragsteller bestreitet den Erhalt des Schreibens. Die erbetene Bestätigung des Eingangs des Schreibens beim Antragsteller durch Rücksendung einer unterschriebenen Ausfertigung unterblieb. Das sozialmedizinische Gutachten selbst wurde dem Antragsteller nicht vor dem 1. September 1999 ausgehändigt.
Bereits mit Schreiben der Behörde vom 6. August 1999 war dem Antragsteller das Untersuchungsergebnis mitgeteilt worden, verbunden mit der Aufforderung, am nächsten Arbeitstag nach Erhalt des Schriftstückes den Dienst in der Verwaltung der Behörde anzutreten. Dieses Schreiben wurde dem Antragsteller am 9. August 1999 durch Niederlegung bei der zuständigen Postfiliale zugestellt; die entsprechende Benachrichtigung war am 7. August 1999 in den Hausbriefkasten des Antragstellers eingelegt worden. Dieser hat das Schreiben am 30. August 1999 bei der Post abgeholt.
2. Da der Antragsteller am 10. August 1999 nicht zum Dienst erschienen war, stellte die Behörde mit Bescheid vom 18. August 1999 gemäß § 9 BBesG den Verlust der Dienstbezüge des Antragstellers ab 10. August 1999 bis auf weiteres fest, weil dieser seitdem schuldhaft ungenehmigt seinem Dienst fernbleibe. Als Rechtsbehelfsbelehrung wurde auf die Möglichkeit der Widerspruchserhebung verwiesen.
Den hiergegen vom Antragsteller am 17. September 1999 eingelegten Widerspruch mit der Begründung, er sei vom Arzt der Behörde vom 4. November 1998 bis einschließlich 1. September 1999 von jedem Dienst befreit gewesen, wies die Behörde mit Widerspruchsbescheid vom 20. Oktober 1999 als unzulässig bzw. unbegründet zurück. Ausweislich der Rechtsbehelfsbelehrung sollte dem Antragsteller gegen diesen Widerspruchsbescheid die Klagemöglichkeit zum … Verwaltungsgericht innerhalb eines Monats offen stehen. Eine Klage wurde nicht erhoben.
Nachdem sich der Antragsteller am 1. September 1999 dem Arzt der Behörde vorgestellt hatte, was als Dienstaufnahme angesehen wurde, teilte die Behörde dem Antragsteller durch Bescheid vom 6. September 1999 mit, dass sich der Zeitraum unerlaubten Fernbleibens vom Dienst insgesamt auf die Zeit vom 10. August bis einschließlich 31. August 1999 erstrecke. Entsprechend der Rechtsbehelfsbelehrung legte der Antragsteller hiergegen Widerspruch ein, der durch Widerspruchsbescheid vom 3. Dezember 1999 zurückgewiesen wurde. In der Rechtsbehelfsbelehrung wurde er wiederum auf die Klagemöglichkeit vor dem … Verwaltungsgericht verwiesen.
3. Gegen den Bescheid vom 6. September 1999 in der Gestalt des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 1999 hat der Antragsteller vor dem … Verwaltungsgericht am 7. Februar 2000 Klage erhoben und die Aufhebung der Bescheide beantragt, zunächst einschließlich einer Verurteilung der Antragsgegnerin zur Auszahlung der für den Verlustfeststellungszeitraum zurückgehaltenen Dienstbezüge nebst Zinsen. Nachdem das Verwaltungsgericht auf die besonderen Zuständigkeits- und Verfahrensregeln für Verlustfeststellungsverfahren gemäß § 121 BDO aufmerksam geworden war und die Antragsgegnerin auf die verbleibende Zuständigkeit des Verwaltungsgerichts für den Leistungsantrag hingewiesen hatte, erklärte der Antragsteller mit Schriftsatz vom 23. Oktober 2001, nur noch die Aufhebung der genannten Bescheide zu begehren. Zur Begründung hat er im Wesentlichen vorgetragen, er sei bis einschließlich 1. September 1999 vom Arzt der Behörde von jedem Dienst befreit gewesen und habe deshalb keinen Dienst leisten müssen. Der Leiter der Behörde sei nicht berechtigt gewesen, sich über diese ärztliche Feststellung hinwegzusetzen. Außerdem habe er, der Antragsteller, nicht schuldhaft gehandelt. Aufgrund der ärztlichen Krankschreibung habe er darauf vertrauen dürfen, sanktionslos nicht zum Dienst erscheinen zu müssen. Gegebenenfalls komme ihm ein unvermeidbarer Verbotsirrtum zugute.
Das Verwaltungsgericht verwies mit Beschluss vom 25. Oktober 2001 den Rechtsstreit an das zuständige Bundesdisziplinargericht, das mit Beschluss vom 3. Mai 2002 die Verlustfeststellungsbescheide vom 18. August 1999 und 6. September 1999 aufrecht hielt. Zur Begründung führte es im Wesentlichen aus, der Antrag auf gerichtliche Entscheidung nach § 121 BDO sei trotz Nichteinhaltung der Frist wegen der unrichtig erteilten Rechtsbehelfsbelehrung zulässig. Da der Antragsteller die Aufhebung der Verlustfeststellung für den Zeitraum vom 10. bis einschließlich 31. August 1999 begehre und gegen die Verfügung vom 18. August 1999 Widerspruch eingelegt habe, sei im Hinblick auf die unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrungen sein Antrag dahin auszulegen, dass auch der Bescheid vom 18. August 1999 angegriffen werde. In der Sache selbst bleibe der Antrag aber erfolglos. Der Antragsteller sei im maßgeblichen Zeitraum nicht zum Dienst erschienen, obwohl ihm entsprechende rechtfertigende Gründe nicht zur Seite gestanden hätten. Aufgrund des sozialmedizinischen Gutachtens vom 27. Juli 1999 habe festgestanden, dass er zu jener Zeit jedenfalls für den allgemeinen Verwaltungsdienst verwendungsfähig und somit auch dienstfähig gewesen sei. Dies sei ihm mit Schreiben vom 6. August 1999 mitgeteilt worden, verbunden mit der Aufforderung, am Tag nach der Zustellung des Schreibens zum Dienst zu erscheinen. Der Benachrichtigungsschein über den Zustellversuch und die Niederlegung des Schreibens bei der Postfiliale sei am 7. August 1999 in seinem Hausbriefkasten abgelegt worden. Er habe von da ab Kenntnis gehabt, dass ein Schreiben seines Dienstherrn an ihn, den Antragsteller, unterwegs sei und hätte sich dieses am Montag, den 9. August 1999, besorgen und am Folgetag den Dienst antreten können. Gründe, die dem entgegen gestanden hätten, seien nicht ersichtlich.
4. Gegen den Beschluss des Bundesdisziplinargerichts hat der Antragsteller rechtzeitig Beschwerde eingelegt mit dem Antrag, unter Aufhebung des Bescheids vom 6. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 1999 die Antragsgegnerin zu verurteilen, die zurückbehaltenen Dienstbezüge nebst Zinsen auszuzahlen. Weder der Sozialmedizinische Dienst noch der Leiter der Behörde seien befugt gewesen, sich über die unstreitig bis zum 1. September 1999 fortbestehende, formale Krankschreibung des Arztes der Behörde hinwegzusetzen. Während seiner Krankschreibung habe er, der Antragsteller, sich regelmäßig bei der medizinischen Abteilung der Behörde gemeldet. Angebliche Versuche der Behördenleitung, ihn, den Antragsteller, zu benachrichtigen, seien nicht belegt und würden bestritten. Die Zustellung eines Bescheides durch Niederlegung könne nicht mit dessen Kenntnisnahme gleichgesetzt werden.
Entscheidungsgründe
II.
1. Die nach § 85 Abs. 5 BDG, § 121 Abs. 5 BDO zu beurteilende Beschwerde (vgl. dazu Beschluss vom 22. Februar 2002 – BVerwG 1 DB 32.01 – m.w.N.) ist insoweit unzulässig, als beantragt wird, die Antragsgegnerin zur Auszahlung der für den Verlustfeststellungszeitraum zurückgehaltenen Dienstbezüge nebst Zinsen zu verurteilen.
Eine Zuständigkeit der Disziplinargerichte des Bundes zur Entscheidung auch über die Auszahlung der zurückgehaltenen Dienstbezüge ist nicht durch die Rechtswegverweisung begründet worden. Zwar war ein entsprechendes Begehren zunächst (auch) vor dem Verwaltungsgericht anhängig gemacht, auf rechtlichen Hinweis die Klage insoweit aber nicht mehr weiter verfolgt worden. Anschließend hat das Verwaltungsgericht den bei ihm noch anhängigen Rechtsstreit über die Aufhebung der angefochtenen Bescheide an das Bundesdisziplinargericht verwiesen. Die Verweisung erfolgte nur im Rahmen des umgestellten Klagebegehrens und damit der Zuständigkeit des Bundesdisziplinargerichts. Sie bindet die Disziplinargerichte des Bundes daher auch nur in diesem Umfang (vgl. § 17a Abs. 2 Satz 3 GVG; Beschluss vom 28. Oktober 1983 – BVerwG 1 DB 23.83 –).
Das Zahlungsbegehren des Antragstellers kann auch nicht im Wege einer Klageänderung bzw. -erweiterung zum Gegenstand des Verlustfeststellungsverfahrens in der Beschwerdeinstanz gemacht werden. Der geltend gemachte Anspruch auf Verurteilung zur Auszahlung zurückgehaltener Dienstbezüge ist eine beamtenrechtliche Angelegenheit, die gegebenenfalls vor den allgemeinen Verwaltungsgerichten durchzusetzen ist; die Disziplinargerichte des Bundes sind insoweit nicht zuständig (vgl. Urteil vom 27. Januar 1966 – BVerwG II C 221.62 – BVerwGE 23, 176 ≪183≫; Beschluss vom 28. Oktober 1983 a.a.O.; Köhler/Ratz, BDO, 2. Auflage, 1994, § 121 Rn. 15). Selbst wenn für das kontradiktorische Verlustfeststellungsverfahren gemäß § 121 BDO die Vorschriften über die Klageänderung gemäß § 91 VwGO analog gelten sollten – die Bundesdisziplinarordnung kennt eine entsprechende Klageänderung nicht, die Fälle des § 67 Abs. 3 BDO und § 25 BDO i.V.m. §§ 265 ff. StPO sind insoweit nicht vergleichbar –, scheiterte daher die Zulässigkeit der Klageänderung an der fehlenden Zuständigkeit des Senats als Disziplinargericht für das Zahlungsbegehren (vgl. zu § 91 VwGO: Kopp/Schenke, VwGO, 12. Auflage, 2000, § 91 Rn. 32; Redeker/von Oertzen, VwGO, 13. Auflage, 2000, § 91 Rn. 23, jeweils m.w.N.).
2. Soweit die Beschwerde im Übrigen, d.h. wegen der beantragten Aufhebung der Verlustfeststellung, zulässig ist, ist sie hinsichtlich des Zeitraums vom 10. August 1999 bis einschließlich 30. August 1999, d.h. ganz überwiegend, begründet; nur bezüglich des 31. August 1999 ist sie zurückzuweisen. Dies hat zunächst zur Folge, dass der ausdrücklich angegriffene Verlustfeststellungsbescheid vom 6. September 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 3. Dezember 1999 insoweit aufzuheben ist. Darüber hinaus ist aber auch der noch nicht bestandskräftige Verlustfeststellungsbescheid vom 18. August 1999 in der Fassung des Widerspruchsbescheids vom 20. Oktober 1999 aufzuheben, um klarzustellen, dass dieser weitgehend – abgesehen vom Endzeitpunkt – deckungsgleiche Bescheid ganz überwiegend zu Unrecht ergangen ist und deshalb – mangels ausdrücklicher Ersetzung durch den nachfolgenden Bescheid – keinen Bestand haben darf. Dies entspricht auch dem Begehren des Antragstellers. Insoweit wird auf die zutreffenden Ausführungen im erstinstanzlichen Beschluss zur Zulässigkeit des Rechtsschutzantrags gemäß § 121 BDO, zur nicht eingetretenen Bestandskraft des Bescheides vom 18. August 1999 wegen unrichtiger Rechtsbehelfsbelehrung und zur Auslegung des Antragsbegehrens Bezug genommen (Beschlussumdruck S. 5 bis 7 oben).
a) Entgegen der Auffassung der Vorinstanz kann die Verlustfeststellung für den Zeitraum vom 10. August 1999 (Dienstag) bis einschließlich 30. August 1999 (Montag) keinen Bestand haben.
Nach § 9 Satz 1 BBesG verliert ein Beamter, der ohne Genehmigung dem Dienst schuldhaft fernbleibt, für die Zeit des Fernbleibens seine Dienstbezüge. Der Verlust ist gemäß § 9 Satz 3 BBesG vom Dienstvorgesetzten festzustellen. Die Voraussetzungen für einen Verlust der Dienstbezüge des Antragstellers sind für den vorgenannten Zeitraum nicht gegeben. Ein Schuldvorwurf in Form von zumindest fahrlässigem Verhalten – zur Schuldform hat sich das Bundesdisziplinargericht überhaupt nicht geäußert – kann dem Antragsteller insoweit jedenfalls nicht gemacht werden.
Der Antragsteller war vom 4. November 1998 bis einschließlich 31. August 1999 vom Arzt der Behörde krankgeschrieben. Das ist zwischen den Verfahrensbeteiligten unstreitig. Die Krankschreibung sollte den Antragsteller von jeder Dienstleistung freistellen, bis durch ein sozialmedizinisches Gutachten seine Verwendungsfähigkeit für den Polizeivollzugsdienst geklärt war. Diese Klärung erfolgte durch das Gutachten vom 27. Juli 1999, das dem Antragsteller eingeschränkte Dienstfähigkeit – Verwendungsfähigkeit für den allgemeinen Verwaltungsdienst – zuerkannt hat. Ist ein Beamter nach grundsätzlich vorrangigem amts- oder betriebsärztlichem Urteil (vgl. z.B. Beschluss vom 15. Juli 2002 – BVerwG 1 DB 7.02 –; Beschluss vom 8. März 2001 – BVerwG 1 DB 8.01 – Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 15 = DVBl 2001, 1079 = DÖV 2001, 735, jeweils m.w.N.) zumindest eingeschränkt dienstfähig und ist ihm dies nachweisbar bekannt, so ist er in der Regel unverzüglich zum Dienstantritt verpflichtet, ohne dass es zuvor einer besonderen dienstlichen Aufforderung bedarf (stRspr, z.B. Beschluss vom 29. Juni 1995 – BVerwG 1 DB 12.95 – Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 1; Beschluss vom 11. September 2000 – BVerwG 1 DB 19.00 –; Beschluss vom 15. November 2001 – BVerwG 1 DB 31.01 –).
Der Senat hat sich nicht davon überzeugen können, dass der Antragsteller bis einschließlich 29. August 1999 tatsächlich in Kenntnis gesetzt war, für den allgemeinen Verwaltungsdienst gesundheitlich geeignet zu sein. Ihm kann nicht widerlegt werden, dass er erst am 30. August 1999, nachdem er das bei der Postfiliale niedergelegte Schreiben seiner Dienststelle vom 6. August 1999 abgeholt hatte, Kenntnis vom Ergebnis des sozialmedizinischen Gutachtens – zusammen mit der Aufforderung zum Dienstantritt – erlangt hat. Auf den früheren Zeitpunkt der förmlichen Zustellung des Schreibens durch Niederlegung bei der Postfiliale am 9. August 1999, nachdem ein entsprechendes Benachrichtigungsschreiben am 7. August 1999 in den Hausbriefkasten des Antragstellers eingelegt worden war, kann nicht abgestellt werden. Durch die Niederlegung wird keine Kenntnisnahme fingiert. Eine Zustellung durch Niederlegung des Schriftstückes als Übergabeersatz (§ 182 ZPO a.F. i.V.m. § 3 Abs. 3 VwZG) bewirkt u.a. den Nachweis, dass der Empfänger Gelegenheit hat, vom Inhalt des Schriftstückes Kenntnis zu nehmen. § 182 ZPO a.F. stellt eine Zugangsfiktion dar, deren Eintritt allein von den in dieser Vorschrift aufgeführten Voraussetzungen abhängig ist. Auf die Kenntniserlangung des Zustellungsadressaten oder die Möglichkeit dazu kommt es dabei – anders als bei der Frage nach einer schuldhaften Pflichtverletzung – nicht an (BGH, Urteil vom 4. November 1998, NJW-RR 1999, 1150 ≪1151≫). Ferner ist nicht erwiesen, dass der Antragsteller vor dem 30. August 1999 auf andere Art und Weise, insbesondere fernmündlich oder schriftlich, Kenntnis vom Ergebnis des sozialmedizinischen Gutachtens erhalten hat. Dies gilt auch für die behauptete Unterrichtung durch ein Formblatt-Schreiben des Sozialmedizinischen Dienstes vom 27. Juli 1999, das als einfacher Brief zur Post aufgegeben wurde. Auch der Verlustfeststellungsbescheid vom 18. August 1999 selbst konnte dem Antragsteller keine Veranlassung zu einem früheren Dienstantritt geben, da er ebenfalls durch Niederlegung zugestellt wurde und eine Kenntnisnahme von seinem Inhalt vor dem 30. August 1999 auch hier nicht nachgewiesen ist.
Eine Kenntnisnahme des Antragstellers kann aber auch nicht deshalb aus Rechtsgründen für einen früheren Zeitpunkt angenommen werden, weil der Antragsteller im Zeitraum zwischen Niederlegung und Abholung des Schriftstückes vorwerfbar dienstpflichtwidrig gehandelt hat. In Betracht käme zunächst der Vorwurf, er habe damals durch Nichtabholen des niedergelegten Schriftstückes vorwerfbar verhindert, sich rechtzeitig Kenntnis vom Inhalt des Schreibens vom 6. August 1999 zu verschaffen. Das würde allerdings voraussetzen, dass wenigstens eine frühere Kenntnis von der Niederlegung bestanden hat. Ferner könnte sich der Antragsteller insoweit dienstpflichtwidrig verhalten haben, als er es vorwerfbar unterlassen hat, während seiner (zwar formal berechtigten) Dienstabwesenheit wegen der laufenden Begutachtung organisatorisch sicherzustellen, dass ihn Mitteilungen seiner Dienststelle unverzüglich erreichen können. Ein solcher Pflichtenverstoß wäre gegebenenfalls disziplinar zu ahnden. Er fingiert aber keine tatsächliche Kenntnisnahme vom Inhalt des Schreibens oder der dienstlichen Nachricht, deren Zugang pflichtwidrig verhindert worden ist. Dies entspricht auch der Senatsrechtsprechung zur Verletzung von Mitwirkungspflichten im behördlichen oder disziplinargerichtlichen Verfahrensabschnitt. Auf die Verletzung solcher Mitwirkungspflichten kann der Verlust der Dienstbezüge für sich allein nicht gestützt werden (vgl. z.B. Beschluss vom 11. Februar 1997 – BVerwG 1 DB 12.96 – Buchholz 235 § 121 BDO Nr. 6; Beschluss vom 14. Juni 2000 – BVerwG 1 DB 11.00 –, jeweils m.w.N.).
b) Nicht zu beanstanden ist hingegen die Feststellung des Verlustes der Dienstbezüge gemäß § 9 BBesG für Dienstag, den 31. August 1999. Der Antragsteller war nach dem Ergebnis des sozialmedizinischen Gutachtens vom 27. Juli 1999 eingeschränkt dienstfähig. Dies wird vom Antragsteller nicht in Zweifel gezogen. Zwar bestand seine formale Krankschreibung durch den Behördenarzt bis einschließlich 31. August 1999 fort. Darauf kann sich der Antragsteller hier jedoch nicht mit Erfolg berufen. Die verbindliche und abschließende Entscheidung, ob sich ein krankgeschriebener Beamter im Zustand der Dienstfähigkeit befindet, ist regelmäßig von der Behörde (Dienstvorgesetzten) und nicht vom Amts- oder Betriebsarzt zu treffen. Dieser liefert hierzu lediglich das erforderliche medizinische Tatsachenmaterial und ist dem Dienstvorgesetzten gegenüber zur uneingeschränkten Auskunftserteilung verpflichtet (vgl. GKÖD, Band III, Stand 2002, BBesG § 9 Rn. 18). Im vorliegenden Fall war die Krankschreibung durch den Behördenarzt unter der “auflösenden Bedingung” einer Klärung der gesundheitlichen Eignung des Antragstellers für den Polizeivollzugsdienst durch ein Gutachten des Sozialmedizinischen Dienstes erfolgt. Mit dem Ergebnis des Gutachtens vom 27. Juli 1999 stand für alle Beteiligten die eingeschränkte Dienstfähigkeit des Antragstellers fest. Dieser war daher allein schon aufgrund einer Mitteilung des Ergebnisses der Begutachtung zur Dienstleistung verpflichtet (vgl. die schon auf S. 9 f. genannte ständige Rechtsprechung des Senats). Der Dienstvorgesetzte teilte das Untersuchungsergebnis dem Antragsteller am 6. August 1999 mit und forderte ihn auf, sich am nächsten Arbeitstag nach Erhalt des Schriftstückes zum Dienst zu melden. Da der Antragsteller – wie dargelegt – am 30. August 1999 Kenntnis von seiner eingeschränkten Dienstfähigkeit und damit von seiner Verpflichtung zum unverzüglichen Antritt seines Dienstes erhalten hatte, hätte er am Folgetag bei seiner Dienststelle erscheinen müssen. Dem ist er aufgrund seiner Kenntnis schuldhaft, und zwar mindestens fahrlässig, nicht nachgekommen.
3. Die Kostenentscheidung zulasten der Antragsgegnerin beruht auf §§ 113 ff. BDO und umfasst auch die Mehrkosten, die aufgrund der unrichtigen Rechtsbehelfsbelehrung der Behörde durch die Anrufung des … Verwaltungsgerichts entstanden sind (vgl. dazu Beschluss vom 9. September 1994 – BVerwG 1 DB 21.94 –, BVerwG DokBer. B 1995, 13 ≪14≫ m.w.N.). Soweit die Beschwerde des Antragstellers erfolglos bleibt, betrifft dies zum einen nur einen sehr geringen Teil des festgestellten Zeitraums eines Fernbleibens vom Dienst. Zum anderen ist das Unterliegen in Bezug auf den Zahlungsantrag nur von sehr geringer Bedeutung, da nach rechtskräftiger Aufhebung der ganz überwiegend als rechtswidrig erkannten Verlustfeststellung die Auszahlung der zurückgehaltenen Dienstbezüge ohne weiteres zu erfolgen hat. Eine Kostenquotelung ist daher nicht gerechtfertigt.
Unterschriften
Albers, Mayer, Müller
Fundstellen
ZBR 2003, 174 |
DÖD 2003, 105 |
PersV 2003, 271 |
RiA 2003, 135 |