Verfahrensgang

OVG für das Land NRW (Aktenzeichen 21 A 490/97)

 

Tenor

Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts für das Land Nordrhein-Westfalen vom 23. April 1999 wird zurückgewiesen.

Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.

Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 DM festgesetzt.

 

Gründe

Das Beschwerdevorbringen führt nicht auf einen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO.

1. Mit dem Streitfall verbindet sich zunächst keine Frage von rechtsgrundsätzlicher Bedeutung im Sinne des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO.

a) Der Kläger will als rechtsgrundsätzlich die Frage geklärt wissen, „ob die staatliche Exekutive in der Gestalt des Regierungspräsidenten des Landes Nordrhein-Westfalen sich bei diskriminierenden Äußerungen in gleicher Weise auf die vom Bundesverfassungsgericht aus Art. 5 Abs. 1 und Art. 5 Abs. 2 GG hergeleiteten Grundsätze der Wechselwirkung und damit der Zulässigkeit solcher Äußerungen berufen kann wie jeder Bürger”. Diese Fragestellung ergänzt die Beschwerde zum einen dahin, ob dem Staat „deshalb herabsetzende Meinungsäußerungen über den Bürger grundsätzlich untersagt sind”, und zum anderen dahin, ob „es der Exekutive versagt … ist, sich im Rahmen ihrer Hoheitsgewalt in den Meinungsbildungsprozeß der Bürger mit herabsetzenden Äußerungen einzuschalten, wenn nicht hierzu ihr eine konkrete gesetzliche Ermächtigung erteilt ist”.

Diese Fragestellungen gehen zum einen von einem unzutreffenden Verständnis der entscheidungstragenden oberverwaltungsgerichtlichen Annahmen aus. Zum anderen sind sie in ihrem klärungsfähigen Kern bereits in der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- sowie des Bundesverwaltungsgerichts geklärt, wobei es keiner weiteren Begründung bedarf, daß sich die Exekutive selbstverständlich nicht auf die Grundrechte aus Art. 5 GG berufen kann.

Entgegen der Beschwerde hat das Oberverwaltungsgericht keine der beanstandeten Äußerungen als diffamierend beurteilt; freilich hat es zugunsten des Klägers angenommen, daß es sich zum einen bei einer Äußerung um eine „möglicherweise zwar … polemische und überspitzte Formulierung” und zum anderen um eine „negative, unter Umständen auch herabsetzende Äußerung” handele. Es hat jedoch – abgesehen davon, daß es diese Beurteilungen schon als solche relativiert hat – entscheidungstragend darauf abgestellt, daß damit gleichwohl nicht der soziale Geltungsanspruch des Klägers verletzt, also kein Eingriff in den Schutzbereich des Grundrechts aus Art. 2 Abs. 1 i.V.m. Art. 1 Abs. 1 GG vorgenommen worden sei, auf das der Kläger sich beruft und das die in der Beschwerde herangezogenen Vorschriften (etwa § 823 Abs. 2 BGB) einfachgesetzlich ausformen. Dabei hat das Oberverwaltungsgericht maßgeblich den Beschluß des Bundesverfassungsgerichts vom 15. August 1989 – 1 BvR 881/89 – (NJW 1989, 3269) zugrunde gelegt und dessen Maßstäbe für die Abgrenzung eines grundrechtsrelevanten Eingriffs in das Persönlichkeitsrecht von einem Nicht-Eingriff durch eine Äußerung einer Regierung über eine Bewegung herangezogen. Hiernach wird die Reichweite des verfassungsrechtlichen Persönlichkeitsschutzes in solchen Fällen wesentlich durch den Umstand beeinflußt bzw. begrenzt, daß der soziale Geltungsanspruch einer solchen Bewegung nicht in deren ausschließlicher Konkretisierungs- und Verfügungsmacht steht. Wenn sie soziale Beziehungen eingegangen ist und sich in ihnen entfaltet hat, in Kommunikation mit anderen getreten ist und durch ihr Sein oder Verhalten auf andere eingewirkt hat, dann bemißt sich der konkrete Inhalt ihres verfassungsrechtlich geschützten Geltungsanspruchs im Einzelfall nach einem in gewissem Umfang verselbständigten sozialen Abbild, das ihr ungeachtet etwa abweichender oder entgegenstehender eigener Vorstellungen und Absichten zugerechnet wird. Anders als im Fall des Unterschiebens nicht getaner Äußerungen, in dem die allein einer solchen Vereinigung selbst zustehende Entscheidung über das Ob und Wie ihrer Persönlichkeitsdarstellung unterlaufen und verfälscht wird, kann eine Ehrverletzung nicht schon damit begründet werden, daß der selbst definierte Geltungsanspruch mißachtet oder verletzt worden sei. Der im Begriff der Ehre erfaßte und verfassungsrechtlich geschützte soziale Achtungs- und Geltungsanspruch ist weitaus stärker durch objektive Elemente geprägt, die ihm aufgrund seiner sozialen – gewissermaßen „dialogischen” – Natur notwendig anhaften. Eine Ehrverletzung kann deshalb um so weniger festgestellt werden, je mehr beanstandete Regierungsäußerungen ein Bild einer hiervon betroffenen Bewegung zeichnen, das ihr tatsächliches Auftreten objektiv zutreffend wiedergibt. Entsprechendes gilt dann, wenn es sich nicht um Tatsachenbehauptungen, sondern um Werturteile handelt und diese bei verständiger Beurteilung auf einem im wesentlichen zutreffenden oder zumindest sachgerecht und vertretbar gewürdigten Tatsachenkern beruhen.

Das Beschwerdevorbringen ergibt nicht, daß in einem von der Beschwerde erstrebten Revisionsverfahren der vorstehend dargelegte Bestand an geklärten verfassungs- und einfachrechtlichen Fragen vergrößert werden könnte. In ständiger Rechtsprechung folgt das Bundesverwaltungsgericht der Rechtsprechung (der Kammer) des Bundesverfassungsgerichts (vgl. lediglich Urteil vom 7. August 1997 – BVerwG 3 C 49.96 – Buchholz 11 Art. 2 GG Nr. 79 sowie Beschluß vom 4. Mai 1993 – BVerwG 7 B 149.92 – Buchholz 11 Art. 4 GG Nr. 54, für kritische Nennung einer Bewegung in einem von einem Landesministerium für Kultur veröffentlichten Bericht, der auch zur Verwendung im Schulunterricht bestimmt war), wobei bisweilen andere geltend gemachte Grundrechte, wie Art. 4 und Art. 12 GG, schwierigere Probleme aufwerfen als der hier allein in Rede stehende soziale Geltungsanspruch. Der Sache nach räumt die Beschwerde auch ein, daß es einer Modifizierung oder gar völligen Korrektur der vorgenannten Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts bedürfte, um im Streitfall zu einem anderen als dem vom Oberverwaltungsgericht gefundenen Ergebnis zu kommen, indem sie ausführt, im Jahre 1989 sei die eigentliche Problematik staatlicher Diskriminierung ohne gesetzliche Ermächtigung vom Bundesverfassungsgericht wohl noch kaum hinreichend gesehen worden. Indessen vermag der beschließende Senat diese Bewertung anhand der vorgetragenen Beschwerdegründe nicht nachzuvollziehen, und es ist nicht Aufgabe des Bundesverwaltungsgerichts, ohne vorliegende Revisionszulassungsgründe ein Revisionsverfahren durchzuführen, nur um die Möglichkeit zu eröffnen, ein ergangenes Revisionsurteil beim Bundesverfassungsgericht zur Prüfung zu stellen.

Schließlich vermag der beschließende Senat nicht den Vorwurf in der Beschwerde nachzuvollziehen, zwischen dem Kläger und dem Land bestehe kein Kommunikationsverhältnis, wie das Oberverwaltungsgericht annehme; die Exekutive, auch ein Regierungspräsident, betreibe keine Schul- bzw. Bildungspolitik, wie es im Berufungsurteil irrig heiße.

Der Schulpolitik eines Landes unterfallen nicht nur, wie die Beschwerde offenbar annimmt, Handlungen der Legislative bzw. einzelner Parlamentarier, sondern auch Handlungen der Regierung sowie einzelner hierfür zuständiger Regierungsmitglieder bzw. derjenigen Amtsträger, die auf mittlerer Ebene zur Durchführung der Schulpolitik bzw. Aufsicht über diese gesetzlich berufen sind. Vor diesem Hintergrund verfehlen die Darlegungen im angefochtenen Urteil dazu, daß der Kläger seinerseits die Schulpolitik des Landes in scharfer Form kritisiert habe und deswegen nicht beanspruchen dürfe, seitens der für diese Schulpolitik verantwortlichen Exekutive „mit Samthandschuhen” angefaßt zu werden, jedenfalls nicht die Grundsätze über das Verhältnis der Verantwortlichkeiten von Legislative und Exekutive auf dem Gebiet „Schule”. Hieraus erhellt im übrigen, daß die vom Kläger beanstandeten Äußerungen auch als eine von vornherein zulässige abgrenzende Darstellung der die derzeitige Schulpolitik des Landes prägenden Grundsätze verstanden werden kann.

Kann mithin auf der Grundlage der vom Oberverwaltungsgericht festgestellten Tatsachen ein Eingriff in die verfassungsgeschützten Rechte des Klägers durch die inkriminierten Äußerungen nicht festgestellt werden, so würde sich auch für den Senat in einem Revisionsverfahren die Frage nicht stellen, ob es für einen solchen Eingriff einer gesetzlichen Grundlage bedarf und das einschlägige Landes- bzw. Landesverfassungsrecht eine solche Grundlage bereithält.

b) Ebenfalls geklärt ist die von der Beschwerde zusätzlich aufgeworfene Frage der „Abgrenzung von Meinungsäußerungen und Tatsachenbehauptungen”. Insoweit hat das Oberverwaltungsgericht die in der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts hierzu entwickelten abstrakten Maßstäbe zutreffend dargelegt und ist hiervon bei der Beurteilung der von dem Kläger beanstandeten Äußerungen ausgegangen. Was die Beschwerde dagegen einwendet, geht nicht über den Versuch des Nachweises hinaus, daß das Oberverwaltungsgericht die entwickelten Maßstäbe unzutreffend angewendet habe; damit kann indessen weder eine zur Revision führende Grundsatzbedeutung noch eine Abweichung dargelegt werden.

2. Aus dem Vorstehenden ergibt sich ohne weiteres, daß das angefochtene Urteil nicht von einschlägiger Rechtsprechung des Bundesverfassungs- bzw. des Bundesverwaltungsgerichts abgewichen ist. Der beschließende Senat sieht insoweit von einer weiteren Begründung gemäß § 133 Abs. 5 Satz 2 VwGO ab.

3. Schließlich haftet dem angefochtenen Urteil kein Verfahrensfehler an; namentlich trifft der Vorwurf der Beschwerde nicht zu, das Gericht habe entscheidungserheblichen Vortrag nicht zur Kenntnis genommen.

Das Oberverwaltungsgericht hat geurteilt, der Kläger könne vom Beklagten nicht beanspruchen, die Behauptung zu unterlassen, ihm läge ein Geheimbericht über den Kläger vor. Ein solcher Unterlassungsanspruch scheitere bereits daran, daß der Regierungspräsident die ihm mit diesem Antrag unterstellte Behauptung nicht aufgestellt habe. Aus der maßgeblichen Passage des Presseartikels sei nicht ersichtlich, daß der Regierungspräsident in der in dem Presseartikel zitierten Äußerung oder an anderer Stelle von einem „Geheimbericht” gesprochen habe; offenkundig handele es sich insoweit um eine Formulierung des Journalisten.

Demgegenüber soll sich das Gegenteil aus einem an das Gericht gerichteten Schriftsatz der Gegenseite ergeben, so daß nach Auffassung der Beschwerde das angefochtene Urteil insoweit hätte anders ausfallen müssen.

Es bedarf keines Eingehens darauf, inwieweit ein Verfahrensbeteiligter daraus einen Gehörsverstoß ableiten kann, daß ein Gericht den Vortrag eines anderen Verfahrensbeteiligten nicht oder unzulänglich würdigt. In der von der Beschwerde bezeichneten Passage des Schriftsatzes der Gegenseite vom 2. Februar 1998 (Bl. 22) ist nämlich von einem Vierteljahresbericht die Rede, welchen der Regierungspräsident dem Ministerpräsidenten erstattet habe; daß ein solcher Vierteljahresbericht nicht grundsätzlich jedermann zugänglich zu machen sei, rechtfertige es, daß der Regierungspräsident dessen Bezeichnung im Presseartikel als „Geheimbericht” nicht beanstandet habe. Selbst wenn man diese Aussage als Eingeständnis des Beklagten deuten könnte, daß die Wendung „Geheimbericht” mit Wissen des Regierungspräsidenten im Presseartikel verwendet wurde, nötigte dies nicht zu der Annahme, entgegen der Begründung des angefochtenen Urteils habe der Regierungspräsident selbst von einem Geheimbericht gesprochen.

Es kommt hinzu, daß in dem Pressebericht einleitend von der „Überschrift eines internen Berichtes” des Regierungspräsidiums die Rede ist; vor diesem Hintergrund kann die wenige Zeilen später auftauchende Wendung („… heißt es in dem Geheimbericht …”) nicht anders denn als ebendieser interne Bericht verstanden werden, wie er auch im übrigen in der Verwaltung gang und gäbe ist. Schon deswegen entbehrt die Annahme der Beschwerde jeglicher Grundlage, ein Leser müsse der Wendung „Geheimbericht” entnehmen, daß in ihm besondere – besonders geheim zu haltende – Umstände angesprochen seien, die den Gegenstand des Berichts – hier den Kläger – in einem ganz besonderen Licht erscheinen ließen.

Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO; bei der Streitwertfestsetzung folgt der beschließende Senat dem Oberverwaltungsgericht.

 

Unterschriften

Prof. Dr. Driehaus, van Schewick, Dr. Brunn

 

Fundstellen

NVwZ-RR 2000, 598

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