Internetbewertung von Rechtsanwälten: Was ist zulässig?
Die Entscheidung des OLG Stuttgart betrifft einen Fall, in dem ein Rechtsanwalt auf einer Internetplattform von der gegnerischen Prozessparteien eines zuvor geführten Zivilrechtsstreits negativ bewertet wurde.
Negativbewertung durch den Prozessgegner
Der Kläger des Verfahrens ist Rechtsanwalt und mit seiner Rechtsanwaltskanzlei im Internetsuchdienst von Google gelistet. Der Beklagte hatte unter seinem Klarnamen eine „Ein-Sterne-Bewertung“ bei Google abgegeben und in seiner Kommentierung unter anderem geäußert: „Kritisch: Professionalität…. Nicht empfehlenswert“. Die Bewertung beruhte auf Erfahrungen des Beklagten mit dem Kläger in einem zivilrechtlichen Verfahren, in welchem er nicht vom Kläger vertreten wurde, sondern als Beklagter auf der Gegenseite stand.
Rechtsanwalt klagte auf Löschung
Der Kläger nahm den Beklagten gerichtlich unter anderem auf Löschung der Rezension sowie auf Abgabe einer Unterlassungserklärung in Anspruch. Der Anwalt vertrat die Auffassung, die beanstandete Rezession verletze sein allgemeines Persönlichkeitsrecht und sei geeignet, ein negatives Bild seiner Kanzlei in der Öffentlichkeit zu zeichnen.
Klage über zwei Instanzen erfolgreich
Das erstinstanzlich zuständige LG hat der Klage im wesentlichen stattgegeben, die gegen das Urteil eingelegte Berufung hat das OLG zurückgewiesen. Nach dem Urteil des OLG steht dem Kläger gegenüber dem Beklagten ein Anspruch auf Unterlassung analog §§ 1004 Abs. 1 Satz 2, 823 Abs. 1 BGB in Verbindung mit Art. 12, Art. 19 Abs. 3 GG sowie auf Löschung wegen Eingriffs in den eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb und wegen einer Verletzung des sozialen Geltungsanspruchs des Klägers als Wirtschaftsunternehmen zu.
Verfassung gewährt Schutz vor unrichtigen Informationen
Das OLG stellte klar, dass das verfassungsrechtlich gewährleistete Recht am eingerichteten und ausgeübten Gewerbebetrieb das Interesse des Anwalts an seiner wirtschaftlichen Reputation schützt sowie daran, dass seine wirtschaftliche Stellung nicht durch inhaltlich unrichtige Informationen oder Wertungen, die auf sachfremden Erwägungen beruhen und die herabsetzend formuliert sind, geschwächt wird und andere Marktteilnehmer deshalb von Geschäften mit ihm abgehalten werden (BGH, Urteil v. 16.12.2014, VI ZR 39/14).
Negativbewertung gefährdet sozialen Geltungsanspruch
Den aus diesem Rechtsgrundsatz abzuleitenden sozialen Geltungsanspruch des Klägers hat der Beklagte durch eine negative Bewertung von dessen Professionalität sowie durch die schlechtmöglichste Note von lediglich einem Stern nach Ansicht des OLG verletzt. Seine Äußerungen waren nach Auffassung des OLG objektiv geeignet, potentielle Geschäftspartner des Klägers zu veranlassen, einen möglichen Geschäftskontakt zumindest neu zu überdenken.
Meinungsäußerung steht bei Werturteil im Vordergrund
Vor diesem Hintergrund hatte der Senat zu entscheiden, ob die abgegebene Negativbewertung dennoch dem Schutz der freien Meinungsäußerung gemäß Art. 5 GG unterfällt. Ob die vorgenommene Bewertung im konkreten Fall als freie Meinungsäußerung zu qualifizieren ist, richte sich nach dem objektiven Sinngehalt der Äußerung aus dem Verständnis eines unvoreingenommenen und verständigen Publikums heraus. Da es sich bei dem Ein-Sterne-Urteil und der kritischen Äußerung zur Professionalität des Klägers ihrer Natur nach um eine subjektive Einschätzung der Leistung des Klägers durch den Beklagten handelte, sei die Beurteilung als Meinungsäußerung zu qualifizieren.
Bewertung suggeriert vorausgegangenen geschäftlichen Kontakt
Darüber hinaus enthält die Äußerung nach der Bewertung des OLG aber auch tatsächliche Elemente. Dem durchschnittlichen Leser einer solchen Bewertung werde nämlich der Eindruck vermittelt, die Bewertung beruhe auf einem leistungsbezogenen bzw. mandatsbezogenen geschäftlichen Kontakt zwischen dem Bewerter und dem Bewerteten. Zwischen dem Beklagten und dem Kläger habe es aber keinen geschäftlichen Kontakt gegeben, vielmehr habe der Kläger den Gegner des Beklagten in einem zuvor geführten Zivilprozess vertreten. Hierdurch werde der unbefangene Leser in die Irre geführt.
Keine hinreichende Bewertungsgrundlage für Prozessgegner
Darüber hinaus sei zu berücksichtigen, dass die erfolgreiche Wahrnehmung der Interessen des eigenen Mandanten häufig nachteilige Konsequenzen für den Gegner beinhaltet, der den gegen seine Interessen arbeitenden Anwalt typischerweise negativ beurteile, obwohl ihm keine hinreichende Bewertungsgrundlage zur Verfügung stehe. Der Gegner könne u.a. nicht wissen, welche Prozesshandlungen der Anwalt möglicherweise aufgrund von Weisungen seines Mandanten vorgenommen hat. Damit fehle dem Gegner der erforderliche und von ihm auch suggerierte Bewertungshorizont.
Tatsachenkern darf nicht unwahr sein
Im Ergebnis ist die abgegebene Internetbewertung nach Auffassung des Senats als Werturteil mit einem Tatsachenkern einzuordnen, das grundsätzlich unter den Schutzbereich des Art. 5 GG fällt. Die Meinungsäußerungsfreiheit finde jedoch dort ihre Grenze, wo sie einen anderen belaste, ohne dass für die Negativäußerung tatsächliche Bezugspunkte zur Verfügung stünden oder die behaupteten oder suggerierten Bezugspunkte unwahr sind. In diesem Fall müsse die Meinungsfreiheit regelmäßig hinter dem kollidierenden Persönlichkeitsrecht zurücktreten. Der im konkreten Fall mit der Bewertung suggerierte leistungs- bzw. mandatsbezogene geschäftliche Kontakt entspreche nicht der Realität, so dass ein berechtigtes, schützenswertes Interesse des Beklagten an der vorgenommenen Bewertung nicht ersichtlich sei.
Berufung zurückgewiesen
Im Ergebnis hatte der Rechtsanwalt die negative Bewertung im Netz zu Recht beanstandet. Die angegriffene Bewertung ist nach der Entscheidung des OLG daher zu löschen und in Zukunft zu unterlassen.
(OLG Stuttgart, Urteil v. 31.8.2022, 4 U 17/22)
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