Verfahrensgang
VG Weimar (Aktenzeichen 1 K 1291/97.We) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerin gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Weimar vom 22. September 1999 wird zurückgewiesen.
Die Klägerin trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen, die diese selbst trägt.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 Million DM festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerin hat keinen Erfolg. Gründe für die Zulassung der Revision (§ 132 Abs. 2 Nrn. 1 bis 3 VwGO) liegen nicht vor.
1. Das angefochtene Urteil leidet nicht unter den geltend gemachten Verfahrensmängeln (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO).
a) Zu Unrecht rügt die Beschwerde als Verfahrensfehler, das Verwaltungsgericht habe gegen das Überzeugungsgebot (§ 108 Abs. 1 VwGO) sowie gegen die ihm obliegende Aufklärungspflicht (§ 86 Abs. 1 VwGO) verstoßen, indem es zu Unrecht die Beschlagnahmeanordnung vom 8. Oktober 1943 auf die Räume der eigentlichen Klosterschule unter Ausschluß der landwirtschaftlichen Flächen beschränkt habe (vgl. UA S. 9). Eine Verletzung der Aufklärungspflicht scheidet in diesem Zusammenhang schon deshalb aus, weil die anwaltlich vertretene Klägerin im Verhandlungstermin vor dem Verwaltungsgericht keinen entsprechenden Beweisantrag gestellt hatte und die Beschwerde nicht dargelegt hat, daß sich dem Verwaltungsgericht weitere, auf den Geltungsbereich der Beschlagnahmeanordnung bezogene Ermittlungsmaßnahmen hätten von Amts wegen aufdrängen müssen. Überdies übersieht die Beschwerde, daß durch die von ihr insoweit zitierte Beweisanregung auf S. 6 der Klageschrift nicht der Geltungsumfang der Beschlagnahmeanordnung, sondern allenfalls deren Qualität als Enteignungsmaßnahme unter Beweis gestellt worden ist. In Wahrheit wendet sich die Beschwerde lediglich gegen die Sachverhalts- und Beweiswürdigung durch das Verwaltungsgericht, ohne insoweit freilich einen für die Begründung eines Verfahrensfehlers in diesem Zusammenhang erforderlichen Verstoß gegen allgemeine Auslegungsregeln und Erfahrungssätze oder die Denkgesetze darzulegen. Auf der Grundlage seiner Sachverhalts- und Beweiswürdigung hat das Verwaltungsgericht seine Annahme plausibel begründet, die Beschlagnahmeanordnung habe die als Nebenanlage der Klosterschule zu wertenden, im übrigen an einen Anhänger des Naziregimes verpachteten landwirtschaftlichen Flächen nicht erfaßt; eine Verletzung des Überzeugungsgebots scheidet danach ebenfalls aus.
b) Entgegen der Auffassung der Beschwerde ist auch die weitere Annahme des Verwaltungsgerichts unter den beiden genannten Gesichtspunkten nicht zu beanstanden, die Enteignung der Klägerin nach 1945 sei als besatzungshoheitliche Maßnahme einzustufen (vgl. UA S. 10). Die Beschwerde hat insoweit nicht hinreichend dargelegt (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO), welche weiteren konkreten Ermittlungen in tatsächlicher Hinsicht sich dem Verwaltungsgericht auch ohne Beweisantrag der anwaltlich vertretenen Klägerin hätten aufdrängen müssen. Das Verwaltungsgericht hat seine Überzeugung unter Angabe der wesentlichen tragenden Erwägungen plausibel im Sinne von § 108 Abs. 1 VwGO damit begründet, die Enteignung der Schule nebst dazugehörendem landwirtschaftlichen Besitz sei entweder von der Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Sachsen gedeckt gewesen (vgl. Art. II Nr. 2 Buchst. a oder Nr. 3) oder habe eine von der Besatzungsmacht geduldete exzessive Rechtsanwendung dargestellt; in beiden Fällen sei sie der Besatzungsmacht zuzurechnen. Soweit die Beschwerde auf die Pflicht zur Feststellung der konkret zwischen 1945 und 1947 „versiedelten Parzellen” hinweist, fehlt es an der erforderlichen Darlegung, daß es nach der maßgeblichen materiellen Rechtsauffassung des Verwaltungsgerichts für § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf den Umfang der konkreten Landvergabe an Neusiedler ankam und die Übergabe der enteigneten landwirtschaftlichen Flächen an das Volkseigentum für die Annahme einer besatzungshoheitlichen Bodenreformenteignung nicht genügte. Eine solche Rechtsauffassung läßt sich dem Urteil nicht entnehmen.
c) Die Revision ist schließlich auch nicht deshalb zuzulassen, weil das Verwaltungsgericht die BvS bzw. BVVG als Verfügungsberechtigte des Großteils der landwirtschaftlich genutzten Grundstücke der Klägerin – anders als die Gemeinde hinsichtlich der eigentlichen Schulgrundstücke – nicht notwendig beigeladen hatte (§ 65 Abs. 2 VwGO). Zwar wäre dies geboten gewesen, wie bereits die Beteiligung der BvS und der BVVG im Verwaltungsverfahren anzeigte. Da aber die vom Verwaltungsgericht ausgesprochene Abweisung der Klage die zu Unrecht nicht Beigeladenen nicht in ihren Rechten berührt, kann die angefochtene Entscheidung nicht auf dem Verfahrensmangel beruhen, so daß deren Aufhebung und die Zurückverweisung an die Vorinstanz ausscheiden (Urteil vom 7. Februar 1986 – BVerwG 4 C 30.84 – BVerwGE 74, 19 ≪22≫, Beschluß vom 30. Juli 1990 – BVerwG 7 B 71.90 – Buchholz 310 § 43 VwGO Nr. 109). Der Hinweis der Beschwerde, bei ordnungsgemäßer Beiladung wäre der konkrete Umfang der „Versiedelung” im Gerichtsverfahren zur Sprache gekommen, greift in diesem Zusammenhang nicht durch. Der besondere Zweck der notwendigen Beiladung ist es nämlich nicht, die Verfahrensposition des einen oder anderen Prozeßbeteiligten zu stärken und in dessen Interesse die Möglichkeiten der Sachaufklärung zu erweitern, sondern die Rechtskraft des Urteils auf einen an dem streitigen Rechtsverhältnis Beteiligten zu erstrecken (Urteil vom 7. Februar 1986, a.a.O., S. 23). Daß die Beteiligung der notwendig Beizuladenden möglicherweise rechtliche oder tatsächliche Gesichtspunkte in den Prozeß eingeführt hätte, die zu einer für die Klägerin günstigeren Entscheidung in der Sache hätten führen können, begründet deshalb nicht die Annahme, auf dem Verfahrensfehler könne die angefochtene Entscheidung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO beruhen.
2. Die begehrte Zulassung der Revision kommt auch nicht wegen Divergenz in Betracht (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO).
a) Die Beschwerde hat die Voraussetzungen dieses Zulassungsgrundes mit Blick auf die höchstrichterliche Rechtsprechung zum faktischen Enteignungsbegriff nicht in einer den prozeßordnungsgemäßen Anforderungen genügenden Weise (§ 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO) dargelegt. Dazu wäre es erforderlich gewesen, die vermeintlich widersprüchlichen abstrakten und jeweils entscheidungstragenden Rechtssätze des angefochtenen Urteils einerseits und der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts andererseits einander gegenüberzustellen. Der dem Verwaltungsgericht von der Beschwerde unterstellte Rechtssatz, bei der Annahme eines endgültigen Vermögensverlusts sei nicht auf faktische, sondern auf formelle Kriterien abzustellen, findet sich in dem angefochtenen Urteil jedoch nicht. Die Beschwerde zielt insoweit auf die Ablehnung eines endgültigen Vermögensverlusts schon während der Nazizeit (UA S. 8 f.). Das Verwaltungsgericht hat seine Auffassung aber entgegen der Behauptung der Beschwerde nicht allein mit formellen Erwägungen – Fortbestand der Grundbucheintragung der Klägerin –, sondern auch damit begründet, das Stiftungsvermögen sei der Klägerin trotz der festgestellten erheblichen Verfügungsbeschränkungen (Unterstellung unter die Inspektion der Deutschen Heimschule, fremdbestimmte Personal- und Verwaltungsentscheidungen, Beschlagnahmeanordnung) „in vollem Umfang erhalten” geblieben (UA S. 8), da die Beschlagnahme sich nur auf die Räume der Schule und nicht auf die landwirtschaftlichen Flächen bezogen habe.
b) Ein Widerspruch zu einem abstrakten Rechtssatz läßt sich auch nicht im Hinblick auf das Urteil vom 27. Juni 1996 – BVerwG 7 C 3.96 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 83 S. 245) feststellen. Danach beruht eine von deutschen Stellen vorgenommene, gegen ein Verbot der Besatzungsmacht verstoßende Enteignung nicht schon deshalb auf besatzungshoheitlicher Grundlage, weil die Besatzungsmacht keine Anstalten zur Durchsetzung ihres Verbots unternommen hat. Diesem Rechtssatz widerspricht das angefochtene Urteil schon deshalb nicht, weil das Verwaltungsgericht ein ausdrückliches Enteignungsverbot der Besatzungsmacht gerade nicht festgestellt hat, sondern nur von einer von der Besatzungsmacht geduldeten exzessiven Rechtsanwendung der deutschen Stellen ausgegangen ist (UA S. 11). Auch der zitierten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts liegt die Annahme zugrunde, der besatzungshoheitliche Zurechnungszusammenhang werde bei „unklaren Verlautbarungen” der sowjetischen Besatzungsmacht unterbrochen, wenn das Schutzversprechen durch weiteres Handeln der Besatzungsmacht in ein konkretes Enteignungsverbot umgesetzt worden sei. Auf der Grundlage der damaligen tatsächlichen Umstände hat das Bundesverwaltungsgericht seinerzeit eine solche konkrete Umsetzung in ein Enteignungsverbot angenommen. Die hierfür erforderlichen tatsächlichen Feststellungen hat das Verwaltungsgericht im vorliegenden Fall nicht getroffen; eine Divergenz im Rechtssinne wird dadurch nicht begründet. Die in diesem Zusammenhang erhobene Verfahrensrüge ist mangels ausreichender Darlegung der Verpflichtung des Verwaltungsgerichts zur weiteren Erforschung des Sachverhalts von Amts wegen unbeachtlich.
c) Das angefochtene Urteil weicht ferner nicht von den Urteilen des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – (Buchholz 428 § 1 VermG Nr. 104 S. 311 ≪317≫) und vom 10. Dezember 1998 – BVerwG 7 C 34.97 – (Buchholz, a.a.O., Nr. 166 S. 514) ab. Die Beschwerde entnimmt diesen Entscheidungen den Rechtssatz, der Restitutionsausschluß gemäß § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG komme nur in Betracht für Grundstücke, die „aufgesiedelt” und an Neubauern verteilt worden seien, während alle anderen, in Volkseigentum überführten Flächen grundsätzlich rückerstattungsfähig seien; demgegenüber habe das Verwaltungsgericht den Umfang der Versiedelung und Vergabe an Neubauern für unerheblich gehalten und § 1 Abs. 8 Buchst. a VermG auf alle Flächen angewandt.
Diese Rüge greift nicht durch. Die Divergenz zu der letztgenannten Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 10. Dezember 1998 (a.a.O.) scheidet schon deshalb aus, weil sich dieses Urteil nur bezüglich der Ablehnung einer „Legalenteignung” durch die Bodenreformverordnungen auf die Entscheidung vom 13. Februar 1997 bezieht, zu der Frage der vermeintlich erforderlichen Aufteilung und Vergabe an Neubauern als Voraussetzung einer „faktischen Enteignung” aber nichts aussagt, den zitierten Rechtssatz also gar nicht enthält.
Das angefochtene Urteil weicht aber auch nicht von der Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts vom 13. Februar 1997 – BVerwG 7 C 50.95 – (a.a.O.) ab. Zwar hat das Bundesverwaltungsgericht in dieser Entscheidung ausgesprochen, die Enteignung des Gutes B. sei „auf besatzungshoheitlicher Grundlage (§ 1 Abs. 8 Buchst. a VermG) erfolgt, soweit während der Dauer der sowjetischen Besatzungszeit … Flächen aufgesiedelt und an Neubauern verteilt worden sind” (a.a.O., S. 317). Die Beschwerde verkennt jedoch, daß dieser von ihr sinngemäß zitierte Rechtssatz erkennbar nur den Sonderfall einer (eingeschränkten) nachträglichen Bestätigung der Besatzungsmacht für an sich gegen ein ausdrückliches Enteignungsverbot verstoßende Bodenreformenteignungen ausländischer Grundstückseigentümer betrifft und lediglich die seinerzeit von der sowjetischen Besatzungsmacht formulierte Einschränkung der Bestätigung in tatsächlicher Hinsicht wiedergibt. Denn nach dem damals festgestellten Sachverhalt (a.a.O., S. 316 und 317) hatte die sowjetische Besatzungsmacht mit der eingeschränkten Bestätigung der an sich verbotswidrigen Enteignungen auf Maßnahmen, die bereits zu einer „Aufsiedelung” geführt hatten, vermeiden wollen, daß „Unruhe in die Bauernschaft getragen (wird) durch etwaige Wiederenteignung des ihnen zugeteilten Bodens”; deshalb hatte „auch für die Besatzungsmacht der Umstand Vorrang, daß die Bewirtschaftung der bereits verteilten Flächen … nicht durch Rückgängigmachen der Aufsiedlungsmaßnahmen und die ‚Vertreibung’ der Neubauern gefährdet werden sollte”. Eine weitergehende Bedeutung für den allgemeinen Enteignungsbegriff in dem ihr von der Beschwerde beigemessenen Sinne kommt dieser Aussage nicht zu. Vielmehr bleibt es – wie das Bundesverwaltungsgericht in dem Urteil vom 13. Februar 1997 an anderer Stelle (a.a.O., S. 313 f.) bestätigt hat – insoweit dabei, daß eine Enteignung im Sinne des Vermögensgesetzes – unabhängig von ihrer Form – immer dann anzunehmen ist, wenn der frühere Eigentümer durch hierauf gerichtete staatliche Maßnahmen vollständig und endgültig ungeachtet etwaiger Rechtsmängel aus seinem Eigentum faktisch verdrängt worden ist. Deshalb genügt das bloße Inkrafttreten der verschiedenen Bodenreformverordnungen für die Annahme einer (besatzungshoheitlichen) Enteignung allein noch nicht; vielmehr bedarf es faktischer Vollzugsmaßnahmen (a.a.O., S. 314). Von dieser Rechtsprechung zum faktischen Enteignungsbegriff ist auch das Verwaltungsgericht ausgegangen; denn es hat seine Entscheidung nicht auf eine Legalenteignung durch die Verordnung über die Bodenreform in der Provinz Sachsen vom 3. September 1945 gestützt, sondern auf die konkrete Aufteilung des Grundbesitzes der Klägerin durch die örtliche Bodenkommission abgestellt (UA S. 10). Dementsprechend hat es festgestellt (UA S. 5), daß der hier streitige Teil des Grundbesitzes laut einer Verfügung des Amtsgerichts Querfurt im August 1949 bereits enteignet – also offenbar durch Grundbuchänderung vollzogen – war.
3. Der Grundsatzrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) ist nicht weiter nachzugehen. Sie genügt bereits nicht dem Darlegungserfordernis des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Mit der Formulierung, „sämtliche oben bezeichneten Fragestellungen und Rügen” hätten auch grundsätzliche Bedeutung, werden keine hinreichend konkretisierten klärungsbedürftigen Fragen des Bundesrechts bezeichnet. Es ist nicht Aufgabe des Revisionsgerichts, aus den Ausführungen insbesondere zu angeblichen Verfahrensmängeln konkrete, bisher nicht höchstrichterlich beantwortete entscheidungserhebliche Fragen herauszuarbeiten. Daß die Divergenzrügen keine klärungsbedürftigen Fragestellungen aufwerfen, ist bereits dargelegt worden.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 13 Abs. 1 und 3, § 14 GKG.
Unterschriften
Dr. Pagenkopf, Sailer, Krauß
Fundstellen