Tenor
Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 21. August 2023 gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in dem Bescheid des Geheimschutzbeauftragten im Streitkräfteamt vom 4. August 2023 anzuordnen und die Vollzugsfolgen zu beseitigen, wird abgelehnt.
Tatbestand
Rz. 1
Der Antragsteller begehrt vorläufigen Rechtsschutz gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in seiner erweiterten Sicherheitsüberprüfung mit Sicherheitsermittlungen.
Rz. 2
Der Antragsteller ist Berufssoldat im Dienstgrad Oberstleutnant der Besoldungsgruppe A 14. Eine Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsgruppe A 15 unterblieb wegen disziplinarischer Ermittlungen, die einen Vorfall während seiner Verwendung auf seinem vorherigen Dienstposten beim... in... 2021 betrafen. Er wird seit Juli 2022 beim... in... eingesetzt und übt dort eine sicherheitsempfindliche Tätigkeit aus, für die eine Ü 2 erforderlich ist.
Rz. 3
Mit rechtskräftigem Disziplinargerichtsbescheid des Truppendienstgerichts Nord vom 29. November 2022 wurde wegen eines vorsätzlichen Dienstvergehens ein Beförderungsverbot für die Dauer von 30 Monaten gegen ihn verhängt. Dem liegt die Feststellung zugrunde, dass der Antragsteller am 10. Mai 2021 einem Stabsfeldwebel die Bereitstellung eines Dienstkraftfahrzeuges und einem Oberstabgefreiten befohlen hatte, ihn mit diesem Dienstfahrzeug zu einer zivilen Autowerkstatt zu fahren, damit er - der Antragsteller - dort sein privates Kraftfahrzeug abholen konnte. Er sei dem Dienst ohne Anordnung einer Befreiung durch Vorgesetzte wegen der Abholung des privaten Kraftfahrzeuges am 11. Mai 2021 bis 14:20 Uhr ferngeblieben. Dabei habe er gewusst, zumindest aber hätte er wissen können und müssen, dass Dienstfahrzeuge nur zu dienstlichen Zwecken genutzt und private Fahrten grundsätzlich nicht gestattet seien, sowie die Gefahr disziplinarischer Ermittlungen gegen den Oberstabsgefreiten billigend in Kauf genommen. Er habe damit als Vorgesetzter (§ 10 Abs. 1 SG) vorsätzlich gegen seine Dienstpflichten aus §§ 7, 10 Abs. 3 und 4, § 12 Satz 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG verstoßen.
Rz. 4
Nach Bekanntwerden des Vorfalles und der disziplinarischen Vorermittlungen wurde eine Prüfung nach § 16 Abs. 2 SÜG eingeleitet. Mit Schreiben vom 23. März 2023 hörte ihn der Geheimschutzbeauftragte... zu der beabsichtigten Feststellung eines Sicherheitsrisikos an. Aus dem mit von dem Disziplinargerichtsbescheid erfassten Sachverhalt folgten nach vorläufiger Bewertung Zweifel an der für die Ausübung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit erforderlichen Zuverlässigkeit. Hierzu nahm der Antragsteller unter dem 24. April 2023 schriftlich Stellung. Er verwies auf die für ihn sprechenden mildernden Umstände des Dienstvergehens, seine freiwillige und umfassende Information seiner Vorgesetzten über das schwebende Verfahren, seine Leistungen und die Stellungnahmen seiner Disziplinarvorgesetzten.
Rz. 5
Mit Schreiben an den Geheimschutzbeauftragten... vom 27. Juni 2023 hatte der Abteilungsleiter... die Einschätzung mitgeteilt, dass es sich bei dem in Rede stehenden Vorfall um eine charakterfremde Einzeltat in einer psychisch extrem belastenden Privatsituation zu handeln scheine und die Prognose gewagt werde, der Antragsteller sei dennoch uneingeschränkt für sicherheitsempfindliche Verwendungen geeignet.
Rz. 6
Mit Bescheid vom 4. August 2023 stellte der Geheimschutzbeauftragte ein Sicherheitsrisiko fest. Aufgrund des disziplinarrechtlich relevanten Fehlverhaltens des Antragsstellers bestünden derzeit Zweifel an seiner Zuverlässigkeit. Bei der Entscheidung seien die für den Antragsteller sprechenden Umstände berücksichtigt worden und eine Wiederholungsprüfung bereits nach Ablauf von 21 Monaten zugelassen worden. Zur weiteren Begründung wurde auf das Anhörungsschreiben vom 23. März 2023 verwiesen.
Rz. 7
Unter dem 2. August 2023 wurden die Entscheidungsgründe schriftlich niedergelegt und ergänzend erläutert. Ausgeführt wird, dass der Antragsteller mit seinem Verhalten gegen Kernelemente des Soldatentums verstoßen habe, soldatischen Dienstpflichten aus §§ 7, 10 Abs. 3 und 4, § 12 Satz 1 und § 17 Abs. 2 Satz 1 SG nicht nachgekommen sei und als Vorgesetzter versagt habe. Die persönliche Situation des Antragstellers zur Tatzeit werde nicht verkannt, vermöge das Dienstvergehen aber nicht zu rechtfertigen. Das Dienstvergehen wiege ausweislich des Disziplinargerichtsbescheids trotz der vom Antragsteller angeführten mildernden Umstände schwer. Milderungsgründe in den Umständen der Tat lägen nicht vor. Seine Beweggründe sprächen nicht für ihn. In der Gesamtschau habe er privaten Interessen Priorität eingeräumt und sich über die Rechtsordnung hinweggesetzt. Er habe im Kernbereich der Zuverlässigkeit versagt und das zwingend erforderliche Maß an persönlicher Integrität nicht erkennen lassen. Dies sei mit einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit nicht zu vereinbaren. Zu seinen Gunsten sprächen sein Geständnis, seine Reue und die Offenbarung des Fehlverhaltens vor Beginn der Ermittlungen. Er habe die Bereitschaft gezeigt, die Folgen der Tat abzumildern. Die positiven Stellungnahmen der Disziplinarvorgesetzten sprächen für ihn. In der Abwägung sei aber wegen der verbleibenden Zuverlässigkeitszweifel dem Sicherheitsinteresse Vorrang zu geben. Das Sicherheitsüberprüfungsverfahren beinhalte eine Prognose zur Entwicklung der Zuverlässigkeit und Integrität einer Person und sei keine zusätzliche Ebene der repressiven Reaktion auf Fehlverhalten. Im Rahmen der Gesamtbewertung verblieben wegen des Verhaltens des Betroffenen derzeit noch Zweifel an seiner Zuverlässigkeit, die eine günstige Prognose nicht zuließen. Sein Handeln lasse den Schluss zu, dass seine Einhaltung von Sicherheitsvorschriften situationsabhängig sei und er diesen nicht die erforderliche Bedeutung beimesse. Der Vorfall liege erst knapp über zwei Jahre zurück, so dass noch nicht abschließend zu bewerten sei, ob der Antragsteller den Erwartungen des Dienstherrn bei sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten entsprechen werde. Zu verlangen sei eine längere Zeitspanne der Bewährung. Nach Abwägung aller Umstände sei es angemessen, eine Wiederholungsprüfung nach Ablauf von 21 Monaten vorzeitig zuzulassen.
Rz. 8
Gegen die Feststellung eines Sicherheitsrisikos hat der Antragsteller unter dem 21. August 2023 Beschwerde eingelegt, die nach Akteneinsicht in den Verwaltungsvorgang begründet werden solle. Mit Schriftsatz vom 25. August 2023 hat er beim Bundesministerium der Verteidigung auch die Außervollzugsetzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten vom 4. August 2023 beantragt.
Rz. 9
Mit Schriftsatz vom 28. August 2023 hat er vorläufigen Rechtsschutz beim Bundesverwaltungsgericht beantragt.
Rz. 10
Der Antragsteller macht geltend, die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten sei rechtswidrig und vorläufiger Rechtsschutz eilbedürftig. Er sei während des laufenden Disziplinarverfahrens auf seinen aktuellen Dienstposten gewechselt. Allen Beteiligten seien die Umstände bekannt gewesen. Es habe keine sicherheitsrelevanten Probleme mit ihm gegeben. Die Einschätzung des Geheimschutzbeauftragten sei nicht nachvollziehbar. Das Dienstvergehen habe keine Sicherheitsrelevanz. Er genieße das Vertrauen seiner Vorgesetzten. Der Tatbestand des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG sei nicht erfüllt. Ihm würden durch die Vollziehung der Entscheidung irreparable Schäden in seiner Karriere drohen. Sein Zugang zu Verschlusssachen, der IT-Anbindung und dem Dienstgebäude sei bereits eingeschränkt worden. Weitere Einschränkungen und eine Wegversetzung drohten. Damit drohe auch der Verlust der Polizeizulage und im Hinblick auf die Dauer einer erst nach 21 Monaten erneut möglichen Sicherheitsüberprüfung eine Verzögerung seiner zügigen und ruhegehaltsfähigen Einweisung in A 15. Außerdem drohe ein Verlust von Reputation und Ansehen in der (multinationalen) Truppe. Gefährdet werde zudem eine bereits geplante Versetzung auf einen heimatnahen Wunschdienstposten. Die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten schieße über das Ziel von Sicherheitsüberprüfungen hinaus. Die Prognose beruhe auf einer vagen Vermutung und rein abstrakter Besorgnis. Seine disziplinarrechtliche Verfehlung sei nicht sicherheitsrelevant. Für die vom Bundesministerium der Verteidigung angeführten Erwägungen zu möglichen sicherheitsrelevanten Verfehlungen gebe es keine Grundlage. Mit dieser Methode ließe sich aus jeder wenig sicherheitsrelevanten Verfehlung willkürlich ein Sicherheitsrisiko basteln. Er habe 34 Jahre lang tadelfrei und vorbildlich Dienst geleistet. Während der Hochphase der Coronazeit habe er aus Angst um seine schwerbehinderte Tochter eine bedauerliche Verfehlung begangen. Er wolle die Tat nicht rechtfertigen, sondern ihren Kontext aufzeigen. Er sei in einer Extremsituation aus Angst um seine Familie überfordert gewesen, habe aber nicht dem Dienstherrn schaden wollen. Er habe seinen Fehler unmittelbar eingeräumt und sich um Wiedergutmachung bemüht. Mit der Meldung habe er nicht versucht, eine für sich günstigere Lösung zu erreichen oder seinen Vorgesetzten in seine Pflichtverstöße hineinzuziehen. Das Bundesministerium der Verteidigung versuche ihn in ein schlechtes Licht zu rücken und verkenne rechtsstaatliche Grundsätze, indem es ihm die Nutzung seines Schweigerechts vorwerfe. Jede Wendung werde ihm als charakterlicher Mangel ausgelegt. An seiner fortdauernden Zuverlässigkeit gebe es keine Zweifel.
Rz. 11
Der Antragsteller beantragt,
1. die aufschiebende Wirkung der Beschwerde vom 21. August 2023 gegen die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten vom 4. August 2023 anzuordnen,
2. bis zu einer Entscheidung über den Antrag zu Ziffer 1. die Vollziehung sämtlicher Personalmaßnahmen gegen ihn auszusetzen und
3. anzuordnen, dass er weiterhin seine bisherige Tätigkeit im vollen Umfang ausüben darf.
Rz. 12
Das Bundesministerium der Verteidigung beantragt,
den Antrag zurückzuweisen.
Rz. 13
Die Anträge zu 2 und 3 seien unzulässig. Sie seien zu unbestimmt und zu umfangreich. Ihre Umsetzung würde den Dienstherrn bei der Ausgestaltung des Dienstbetriebes unzumutbar beeinträchtigen. Der zulässige Antrag zu 1 sei unbegründet. Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in dem Bescheid vom 4. August 2023 sei rechtmäßig und verletze den Antragsteller nicht in seinen Rechten. Die Sicherheitsüberprüfung sei formell ordnungsgemäß durchgeführt worden. Insbesondere habe der Antragsteller Gelegenheit gehabt, sich auch persönlich zu äußern. Der Geheimschutzbeauftragte habe den ihm zukommenden Spielraum nicht überschritten. Das Dienstvergehen des Antragstellers lasse ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen und begründe daher Zweifel an seiner Zuverlässigkeit bei der Wahrnehmung sicherheitsempfindlicher Tätigkeiten. Der Geheimschutzbeauftragte habe gewertet, dass das Truppendienstgericht nicht von einer persönlichkeitsfremden Augenblickstat, sondern von planvollem Agieren ausgegangen sei. Er habe auch nicht die Fragen der disziplinaren Ahndung und der Voraussetzungen des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG vermischt. Die Prognose zur künftigen Beachtung von Dienstpflichten durch den Antragsteller falle für die nächsten 21 Monate negativ aus. Dass die Feststellung eines Sicherheitsrisikos keine zusätzliche repressive Reaktion sei, sei berücksichtigt worden. Die Prognose zur weiteren Persönlichkeitsentwicklung des Antragstellers stelle ein, dass der Antragsteller gegen Kernelemente des Soldatentums verstoßen habe und in der Position eines Vorgesetzten mehrere Dienstpflichten vorsätzlich verletzt habe. Trotz der Pflichtenmahnung durch das Disziplinarverfahren habe der Antragsteller vorerst das Vertrauen des Dienstherrn verloren, dass er alle Sicherheitsvorschriften etwa im Umgang mit sicherheitsrelevanten Dokumenten, beim Einsatz der IT, in der Zusammenarbeit mit Untergebenen, hinsichtlich von Aufbewahrungsregelungen oder bei Zutrittsbestimmungen einhalten werde. Dabei sei mit Recht auch seine Vorgesetztenstellung berücksichtigt worden. Dass er sein Dienstvergehen selbst gemeldet habe, habe nicht zu seinen Gunsten in die Prognose eingestellt werden müssen, da das Dienstvergehen bei seiner Meldung bereits offenbar geworden sei. Umfangreich geständig habe er sich nicht in seiner ersten Vernehmung, sondern vor dem Truppendienstgericht eingelassen. Für ihn sprechende Aspekte seien bei der Prognose berücksichtigt worden und hätten zu einer erheblichen Verkürzung der Sperrzeit geführt. Dies gelte für seine persönliche Situation, sein Geständnis, seine Reue, die positive Stellungnahme seines Disziplinarvorgesetzten, förmliche Anerkennungen, die Leistungsprämie und den Aspekt der Nachbewährung. Die ihm aus der Feststellung des Sicherheitsrisikos mittelbar erwachsenden nachteiligen Folgen habe er selbst durch das Dienstvergehen ausgelöst. Durch die sofortige Vollziehung der Entscheidung entstünden dem Antragsteller keine unzumutbaren Nachteile.
Rz. 14
Wegen der Einzelheiten des Sachverhaltes wird auf den Inhalt der Akten Bezug genommen.
Entscheidungsgründe
Rz. 15
1. Der Antrag, die aufschiebende Wirkung der Beschwerde gegen den Bescheid des Geheimschutzbeauftragten... vom 4. August 2023 anzuordnen, ist gemäß § 21 Abs. 2 Satz 1 i. V. m. § 17 Abs. 6 Satz 2 WBO zulässig.
Rz. 16
Der Zulässigkeit des Antrags steht § 3 Abs. 2 WBO nicht entgegen. Das Bundesministerium der Verteidigung hat in seiner Stellungnahme vom 6. September 2023 Abhilfe abgelehnt und die Zurückweisung des Eilantrags beantragt. Damit ist klargestellt, dass es dem Antrag nach § 3 Abs. 2 WBO vom 25. August 2023 nicht stattgeben wird.
Rz. 17
Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos kann nach ständiger Rechtsprechung des Senats durch einen Antrag auf gerichtliche Entscheidung vor den Wehrdienstgerichten mit dem Ziel der Aufhebung des entsprechenden Bescheids angefochten werden. In diesen Fällen kann sie auch Gegenstand eines Antrags auf vorläufigen Rechtsschutz nach § 17 Abs. 6 Satz 2 WBO sein (vgl. zuletzt BVerwG, Beschluss vom 10. Oktober 2017 - 1 WDS-VR 6.17 - juris Rn. 23 m. w. N.).
Rz. 18
Die Anträge zu 2 und 3 sind auf die Beseitigung von Vollzugsfolgen gerichtet und damit nach § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO ebenfalls zulässig. Der Antragsteller kann - ergänzend zur Anordnung der aufschiebenden Wirkung - gemäß § 23a Abs. 2 Satz 1 WBO i. V. m. § 80 Abs. 5 Satz 3 VwGO zulässigerweise auch die Verpflichtung des Bundesministeriums der Verteidigung zur Beseitigung der Vollzugsfolgen beantragen (vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 7. Mai 2013 - 1 WDS-VR 14.13 - juris Rn. 34 m. w. N.). Aus der Antragsbegründung ist erkennbar, dass sie auf die Rückgängigmachung der von ihm konkret beschriebenen Folgen der angegriffenen Feststellung für die aktuelle Verwendung des Antragstellers, insbesondere seine räumliche Umsetzung und die Beschränkung von Zugangsrechten auf dem Gelände der Dienststelle zielen. So verstanden, sind die Anträge auch hinreichend bestimmt.
Rz. 19
2. Die Anträge sind jedoch unbegründet.
Rz. 20
Der Gesetzgeber hat dem öffentlichen Interesse an der sofortigen Vollziehbarkeit dienstlicher Maßnahmen grundsätzlich den Vorrang vor privaten Belangen eingeräumt (§ 17 Abs. 6 Satz 1 WBO). Die Anordnung der aufschiebenden Wirkung kommt deshalb nur in Betracht, wenn sich bereits bei summarischer Prüfung durchgreifende Zweifel an der Rechtmäßigkeit der angefochtenen Maßnahme ergeben oder dem Soldaten durch deren sofortige Vollziehung unzumutbare, insbesondere nicht wiedergutzumachende Nachteile entstünden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 4. Juli 2013 - 1 WDS-VR 15.13 - beck-online Rn. 21 m. w. N.). Diese Voraussetzungen sind hier nicht erfüllt. Es gibt daher auch keinen Anspruch auf Rückgängigmachung von Vollzugsfolgen.
Rz. 21
a) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in dem Bescheid des Geheimschutzbeauftragten... vom 4. August 2023 ist bei summarischer Prüfung rechtmäßig und verletzt den Antragsteller nicht in seinen Rechten.
Rz. 22
Maßgeblich für die gerichtliche Kontrolle ist die Sach- und Rechtslage im Zeitpunkt der Vorlage des Antrags auf gerichtliche Entscheidung durch das Bundesministerium der Verteidigung beim Senat (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 - 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 35 m. w. N.). Bis zu diesem Zeitpunkt - und damit auch durch das Vorlageschreiben - können in Ergänzung der Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten und mit dessen Zustimmung tatsächliche Anhaltspunkte für das Vorliegen eines Sicherheitsrisikos, einschließlich der dabei zu treffenden Prognose, in das Verfahren eingeführt werden (stRspr, vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 27. September 2007 - 1 WDS-VR 7.07 - Buchholz 402.8 § 14 SÜG Nr. 13 Rn. 23 und vom 30. Januar 2014 - 1 WB 47.13 - juris Rn. 29).
Rz. 23
Die Überprüfung von Angehörigen der Bundeswehr auf Sicherheitsbedenken ist eine vorbeugende Maßnahme, die Sicherheitsrisiken nach Möglichkeit ausschließen soll (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 11. März 2008 - 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 23 m. w. N.). Dabei obliegt es der zuständigen Stelle, aufgrund einer an diesem Zweck der Sicherheitsüberprüfung orientierten Gesamtwürdigung des Einzelfalls die ihr übermittelten Erkenntnisse im Hinblick auf die vorgesehene Tätigkeit zu bewerten (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1, § 14 Abs. 3 Satz 1 und 2 SÜG).
Rz. 24
Dem zuständigen Geheimschutzbeauftragten steht bei der Entscheidung, ob in der Person eines Soldaten ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, ein gerichtlich nur eingeschränkt überprüfbarer Beurteilungsspielraum zu. Die gerichtliche Kontrolle beschränkt sich darauf, ob der Geheimschutzbeauftragte von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen ist, den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt, allgemeingültige Wertmaßstäbe nicht beachtet, sachfremde Erwägungen angestellt oder gegen Verfahrensvorschriften verstoßen hat (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2011 - 1 WB 12.11 - BVerwGE 140, 384 Rn. 24 ff. m. w. N.).
Rz. 25
Wegen der präventiven Funktion der Sicherheitsüberprüfung und wegen des hohen Ranges der zu schützenden Rechtsgüter liegt ein Sicherheitsrisiko bereits dann vor, wenn tatsächliche Anhaltspunkte für einen der Tatbestände des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis 3 SÜG bestehen. Dabei hat im Zweifel das Sicherheitsinteresse Vorrang vor anderen Belangen (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG). Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos, die zugleich eine Prognose über die künftige Zuverlässigkeit und Integrität des Soldaten darstellt, darf sich jedoch nicht auf eine vage Vermutung oder eine rein abstrakte Besorgnis stützen. Dabei gibt es keine "Beweislast", weder für den Soldaten dahingehend, dass er die Sicherheitsinteressen der Bundeswehr bisher gewahrt hat und künftig wahren wird, noch für die zuständige Stelle, dass der Soldat diesen Erwartungen nicht gerecht geworden ist oder ihnen künftig nicht gerecht werden wird (stRspr, vgl. BVerwG, Beschluss vom 30. Mai 2012 - 1 WB 58.11 - juris Rn. 30; vgl. auch BVerfG, Beschluss vom 22. Mai 1975 - 2 BvL 13/73 - BVerfGE 39, 334 ≪353≫).
Rz. 26
b) Die Feststellung eines Sicherheitsrisikos in dem Bescheid vom 4. August 2023 ist nach diesen Maßstäben rechtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 27
aa) Der Geheimschutzbeauftragte... war für die Entscheidung zuständig, weil es sich um eine erweiterte Sicherheitsüberprüfung (Ü 2) handelt (§ 3 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 und Satz 2 SÜG, Nr. 2418 ZDv A-1130/3).
Rz. 28
bb) Bei der Sicherheitsüberprüfung wurde voraussichtlich nicht gegen Verfahrensvorschriften verstoßen. Insbesondere hatte der Antragsteller Gelegenheit - und hat hiervon auch in schriftlicher Form Gebrauch gemacht -, sich vor der Feststellung des Sicherheitsrisikos zu den für die Entscheidung erheblichen Tatsachen zu äußern (§ 14 Abs. 3 Satz 4 SÜG i. V. m. § 6 Abs. 1 SÜG; vgl. hierzu BVerwG, Beschluss vom 26. November 2013 - 1 WB 57.12 - BVerwGE 148, 267 Rn. 54 ff.).
Rz. 29
cc) Der Geheimschutzbeauftragte ist nicht von einem unrichtigen Sachverhalt ausgegangen. Er hat vielmehr wegen der die Zuverlässigkeit begründenden Tatsachen auf die Feststellungen des rechtskräftigen Disziplinargerichtsbescheids abgestellt, gegen die der Antragsteller auch keine Bedenken geltend macht.
Rz. 30
dd) Es ist bei summarischer Prüfung rechtlich nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte in diesem Sachverhalt tatsächliche Anhaltspunkte für Zweifel an der Zuverlässigkeit des Antragstellers bei der Wahrnehmung einer sicherheitsempfindlichen Tätigkeit (§ 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG) erkannt hat. Mit dieser Einschätzung hat er weder den anzuwendenden Begriff oder den gesetzlichen Rahmen, in dem er sich frei bewegen kann, verkannt noch allgemein gültige Wertmaßstäbe nicht beachtet oder sachfremde Erwägungen angestellt.
Rz. 31
Nach ständiger Rechtsprechung des Senats können sich tatsächliche Anhaltspunkte, die Zweifel an der Zuverlässigkeit im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG begründen, unter anderem daraus ergeben, dass der Betroffene eine Straftat oder ein Dienstvergehen begangen hat, die - ggf. auch ohne speziellen Bezug zu Geheimhaltungsvorschriften oder zur dienstlichen Tätigkeit - ein gestörtes Verhältnis zur Rechtsordnung erkennen lassen (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 11. März 2008 - 1 WB 37.07 - BVerwGE 130, 291 Rn. 26, vom 30. Mai 2012 - 1 WB 58.11 - juris Rn. 35, vom 21. Juli 2016 - 1 WB 35.15 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 30 Rn. 42 und vom 28. September 2017 - 1 WB 29.16 - juris Rn. 36).
Rz. 32
Es ist demgemäß im Ausgangspunkt nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte das durch den Disziplinargerichtsbescheid sanktionierte Fehlverhalten des Antragstellers aufgegriffen hat. Dem steht auch nicht entgegen, dass es sich um eine erst- oder einmalige Verfehlung handelt (stRspr, vgl. z. B. BVerwG, Beschluss vom 21. Juli 2010 - 1 WB 68.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 23 Rn. 30). Angesichts des Umstandes, dass eine Verletzung wichtiger soldatischer Pflichten im Raum stand, deren Schwere die Durchführung eines gerichtlichen Disziplinarverfahrens und die Verhängung einer mittelschweren Sanktion rechtfertigte, steht auch keine Verletzung einer bloß untergeordneten und nicht spezifisch sicherheitsrechtlichen Dienstpflicht im Raum, die Zweifel an der sicherheitsrechtlichen Zuverlässigkeit eines ansonsten unbescholtenen Soldaten nicht aufkommen lässt (vgl. BVerwG, Beschluss vom 31. Januar 2018 - 1 WB 24.17 - NVwZ 2019, 65 Rn. 28).
Rz. 33
ee) Die Entscheidung des Geheimschutzbeauftragten ist auch unter dem Blickwinkel der prognostischen, also auf die Zukunft gerichteten Risikoeinschätzung voraussichtlich nicht zu beanstanden.
Rz. 34
Bei summarischer Prüfung liegen sachfremde Erwägungen insbesondere nicht darin, dass allein repressive Erwägungen angestellt worden wären (vgl. BVerwG, Beschluss vom 17. April 2019 - 1 WB 3.19 - juris Rn. 32 ff.). Nach ständiger Rechtsprechung des Senats stellt die Feststellung eines Sicherheitsrisikos keine zusätzliche Ebene der repressiven Reaktion auf ein Fehlverhalten des Betroffenen - gegebenenfalls, wie hier, nach dessen disziplinarrechtlicher Ahndung - dar, sondern eine Maßnahme der vorbeugenden Gefahrenabwehr (vgl. BVerwG, Beschlüsse vom 15. Dezember 2009 - 1 WB 58.09 - Buchholz 402.8 § 5 SÜG Nr. 22 Rn. 29, vom 24. April 2012 - 1 WB 62.11 - juris Rn. 31 und vom 21. Mai 2015 - 1 WB 54.14 - BVerwGE 152, 152 Rn. 40). Der Geheimschutzbeauftragte hat sich deshalb bei der Beurteilung, ob ein Sicherheitsrisiko festzustellen ist, prognostisch zur künftigen Entwicklung der Persönlichkeit des Betroffenen und seiner Verhältnisse zu äußern und dabei im Falle des § 5 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 SÜG darzulegen, warum die vorliegenden sicherheitserheblichen Erkenntnisse für die Zukunft Zweifel an der Zuverlässigkeit des Betroffenen bei der Wahrnehmung seiner sicherheitsempfindlichen Tätigkeit begründen.
Rz. 35
Jedenfalls in der Begründung vom 2. August 2023 und den im Verfahren des vorläufigen Rechtsschutzes vom Bundesministerium der Verteidigung ergänzend erläuterten Erwägungen, zu denen dieses in Absprache mit dem zuständigen Geheimschutzbeauftragten als Beschwerdestelle auch berechtigt ist, ist erkennbar, dass sich die Erwägungen nicht auf die Wiederholung der die Sanktionsbemessung des Disziplinargerichtsbescheids rechtfertigenden Entscheidungsgründe des Truppendienstgerichts beschränken, sondern diese durch eigenständige Erwägungen dazu ergänzen, welche Prognose das Dienstvergehen für den künftigen Umgang des Antragstellers mit Verschlusssachen und sonstigen Entscheidungen der täglichen Arbeit in sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten zulässt. Insbesondere stellt der Geheimschutzbeauftragte nachvollziehbar auf den seit dem Dienstvergehen und seiner pflichtenmahnenden Ahndung vergangenen Zeitablauf und den Gedanken einer zeitlich bemessenen Bewährungsphase ab, die geeignet sind, eine sachgerechte Prognose zu rechtfertigen.
Rz. 36
Entgegen der Einschätzung des Antragstellers basiert die Prognose nicht auf vagen Vermutungen oder rein abstrakter Besorgnis. Der Prognose liegt die nachvollziehbare Annahme zugrunde, dass das Vertrauen in die Einhaltung von mit Aufwand verbundenen Sicherheitsvorschriften beeinträchtigt wird, wenn der Verpflichtete in der Vergangenheit private Interessen über die Einhaltung von Dienstpflichten gestellt hat. Diese Beeinträchtigung des Vertrauens in die Zuverlässigkeit eines Soldaten ist nicht nur die Folge von Verstößen gegen Vorschriften über den Umgang mit Verschlusssachen oder Sicherheitsbestimmungen. Es ist sachgerecht auch bei anderen Verletzungen wesentlicher soldatischer Pflichten das Vertrauen in die allgemeine Zuverlässigkeit eines Soldaten vermindert zu sehen und diese Zweifel auch auf die Erfüllung von Pflichten in sicherheitsempfindlichen Tätigkeiten zu beziehen. Die vom Bundesministerium der Verteidigung in seiner Stellungnahme zum Eilantrag skizzierten möglichen Verstöße gegen Sicherheitsbestimmungen illustrieren diesen sachgerechten Gedanken. Zur Stärkung des beeinträchtigten Vertrauens eine gewisse Zeit tadelfreier Bewährung zu fordern, ehe sicherheitsempfindliche Tätigkeiten erneut übertragen werden können, ist hiernach sachgerecht.
Rz. 37
In die Prognose sind auch die Umstände der Tatbegehung und das Nachtatverhalten des Antragstellers eingestellt worden. Dass der Dienstherr ihnen geringeres Gewicht einräumt als der Antragsteller, hat das Bundesministerium der Verteidigung nachvollziehbar erläutert. Sein Hinweis, dass eine frühere geständige Einlassung und eine Meldung noch bevor Dritte das Dienstvergehen bemerkt hätten, höheres Gewicht gehabt hätten, verletzt keine rechtsstaatlichen Grundsätze. Denn damit wird dem Antragsteller aus seinem rechtlich zulässigen Verhalten kein Vorwurf gemacht. Ihm werden vielmehr gewichtigere Milderungsgründe abgesprochen. Der Antragsteller zeigt keine Überschreitung des Einschätzungsspielraums des Geheimschutzbeauftragten auf, indem er seine abweichende Gewichtung dieser Umstände erläutert.
Rz. 38
Voraussichtlich nicht zu beanstanden ist schließlich, dass der Geheimschutzbeauftragte den für den Antragsteller sprechenden Aspekten von dessen dienstlichen Leistungen in der Vergangenheit und den positiven Stellungnahmen seiner Disziplinarvorgesetzten vor allem im Sicherheitsüberprüfungsverfahren keine ausschlaggebende Bedeutung beigemessen hat. Die dienstlichen Beurteilungen bewerten (retrospektiv) die vom Antragsteller auf seinem Dienstposten erbrachten Leistungen, nicht vorbeugend das Risikopotential. Zu dessen Einschätzung sind nicht die dienstlichen Vorgesetzten, sondern ist der Geheimschutzbeauftragte berufen (BVerwG, Beschluss vom 4. Februar 2019 - 1 WDS-VR 1.19 - juris Rn. 37).
Rz. 39
Konkrete und praktikable Möglichkeiten, statt der Feststellung eines Sicherheitsrisikos lediglich Auflagen, Einschränkungen oder personenbezogene Sicherheitshinweise festzusetzen (Nr. 2605 Abs. 1 und Nr. 2602 ZDv A-1130/3) oder dem vorliegenden Sicherheitsrisiko durch Fürsorgemaßnahmen zu begegnen (Nr. 2608 ZDv A-1130/3), sind weder vom Antragsteller aufgezeigt noch sonst ersichtlich. Insoweit ist daher nicht zu beanstanden, dass der Geheimschutzbeauftragte dem Sicherheitsinteresse Vorrang eingeräumt hat (§ 14 Abs. 3 Satz 3 SÜG, Nr. 2605 Abs. 4 ZDv A-1130/3). Den für den Antragsteller sprechenden Gesichtspunkten ist durch die Verkürzung der grundsätzlich fünfjährigen Wirkungsdauer der Feststellung (Nr. 2609 ZDv A-1130/3) auf 21 Monate angemessen Rechnung getragen.
Rz. 40
c) Für den Antragsteller entstehen aus der sofortigen Vollziehung des angefochtenen Bescheids keine unzumutbaren, insbesondere nicht wiedergutzumachenden Nachteile. Eine Einweisung in eine Planstelle der Besoldungsstufe A 15 ist derzeit schon durch die Disziplinarmaßnahme ausgeschlossen. Aus Sicherheitsgründen erforderliche Versetzungen sind keine unzumutbaren Umstände, da Soldaten grundsätzlich keinen Anspruch auf konkrete Verwendungen haben. Soweit schwerwiegende persönliche Gründe oder ähnlich gewichtige private Interessen einer konkreten neuen Verwendung nach Wegversetzung von dem aktuellen Dienstposten des Antragstellers entgegenstehen sollten, hat der Antragsteller die Möglichkeit, dies mit (Eil-)Rechtsbehelfen gegen die Versetzung selbst geltend zu machen. Derzeit ist weder eine konkrete Wegversetzung in Aussicht, noch ein ihr entgegenstehender Grund erkennbar, der - ungeachtet der nach summarischer Prüfung gegebenen Rechtmäßigkeit der Feststellung eines Sicherheitsrisikos - den Verbleib des Antragstellers auf seinem gegenwärtigen Dienstposten bis zur gerichtlichen Entscheidung in der Hauptsache rechtfertigen könnte.
Fundstellen
Dokument-Index HI16020151 |