Verfahrensgang
Bayerischer VGH (Urteil vom 20.02.2006; Aktenzeichen 9 B 02.31748) |
Tenor
Die Beschwerde der Beklagten wird verworfen.
Auf die Beschwerde des Beteiligten wird das Urteil des Bayerischen Verwaltungsgerichtshofs vom 20. Februar 2006 aufgehoben.
Die Sache wird zur anderweitigen Verhandlung und Entscheidung an den Verwaltungsgerichtshof zurückverwiesen.
Die Kostenentscheidung in der Hauptsache bleibt der Schlussentscheidung vorbehalten.
Von den Kosten des Beschwerdeverfahrens trägt die Beklagte die Hälfte. Die Entscheidung über die restlichen Kosten des Beschwerdeverfahrens folgt der vorbehaltenen Kostenentscheidung in der Hauptsache.
Tatbestand
I
Die Klägerin zu 1 und ihre Tochter, die Klägerin zu 2, stammen aus Aserbaidschan. Die Klägerin zu 1 reiste nach eigenen Angaben aus Furcht vor Verfolgung wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit im Mai 1999 gemeinsam mit ihrer Tochter in die Russische Föderation aus. Von dort kamen die Klägerinnen im März 2001 nach Deutschland und beantragten Asyl. Das Bundesamt für die Anerkennung ausländischer Flüchtlinge (Bundesamt) lehnte die Asylanträge ab, stellte fest, dass die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 1 AufenthG) und Abschiebungshindernisse nach § 53 AuslG (jetzt: § 60 Abs. 2 bis 7 AufenthG) nicht vorliegen und drohte den Klägerinnen die Abschiebung nach Armenien oder in die Russische Föderation an.
Das Verwaltungsgericht hat der hiergegen gerichteten Klage teilweise stattgegeben und die Beklagte verpflichtet festzustellen, dass bei den Klägerinnen die Voraussetzungen des § 51 Abs. 1 AuslG und bei der Klägerin zu 1 im Hinblick auf ihre epileptische Erkrankung zusätzlich die Voraussetzungen des § 53 Abs. 6 Satz 1 AuslG vorliegen. Der Verwaltungsgerichtshof hat die Berufung des Bundesbeauftragten für Asylangelegenheiten (Bundesbeauftragten), die sich gegen die Feststellung eines Abschiebungsverbots nach § 60 Abs. 1 AufenthG richtet, zurückgewiesen. Er ist zu dem Ergebnis gekommen, dass die Klägerinnen wegen der Gefahr asylerheblicher Verfolgung aus Aserbaidschan ausgereist sind, aber unabhängig davon Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG genießen, weil sie wegen ihrer armenischen Volkszugehörigkeit von Aserbaidschan ausgebürgert worden seien und ihnen die Wiedereinreise dorthin verwehrt werde. Wegen dieser Ausbürgerung und Einreiseverweigerung komme es nicht mehr darauf an, ob ihnen heute in Berg-Karabach eine zumutbare Fluchtalternative offenstehe. Ein gesicherter Aufenthalt dort sei kein Ausgleich der asylerheblichen Rechtsbeeinträchtigung, die durch den Entzug der aserbaidschanischen Staatsangehörigkeit und des Rechts auf Wiedereinreise entstanden sei. Allerdings sei die Einreise nach Berg-Karabach nur von Armenien aus möglich und setze dort zunächst den Erwerb der armenischen Staatsangehörigkeit oder die Stellung eines Asylantrags voraus. Gegen die Nichtzulassung der Revision wendet sich die Beklagte mit einer Gehörsrüge, der Bundesbeauftragte mit Grundsatz-, Divergenz- und Verfahrensrügen.
Entscheidungsgründe
II
1. Die Beschwerde der Beklagten ist unzulässig. Sie legt den geltend gemachten Verfahrensmangel einer Verletzung ihres Anspruchs auf Gewährung rechtlichen Gehörs (Art. 103 Abs. 1 GG) nicht den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO entsprechend dar. Dies hat der Senat bereits in seinem Beschluss vom 17. September 2006 auf eine Beschwerde der Beklagten gleichen Inhalts entschieden (BVerwG 1 B 102.06 – juris). Auf die Gründe dieses Beschlusses wird zur Vermeidung von Wiederholungen verwiesen.
2. Die Beschwerde des beteiligten Bundesbeauftragten hat hingegen mit einer Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) Erfolg. Er rügt zu Recht, dass das Berufungsgericht seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer den Verfolgungsschutz ausschließenden Sicherheit der Klägerinnen in der Russischen Föderation nicht nachgekommen ist (s.u. 2c): Im Interesse der Verfahrensbeschleunigung macht der Senat von der Möglichkeit Gebrauch, den Rechtsstreit gemäß § 133 Abs. 6 VwGO an das Berufungsgericht zurückzuverweisen. Demgegenüber greifen die vom Bundesbeauftragten erhobenen Divergenz- und Grundsatzrügen nicht durch (s.u. 2a, b).
a) Der Bundesbeauftragte rügt, das Berufungsgericht weiche von der Rechtsprechung des Bundesverfassungs- und Bundesverwaltungsgerichts ab, indem es die folgenden Rechtssätze aufstelle (Beschwerdebegründung S. 3):
(1) Es spiele für die Flüchtlingsstellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG keine Rolle, ob ein Flüchtling anderweitig Schutz vor politischer Verfolgung gefunden habe.
(2) Es bestehe für den Flüchtling bei politischer Verfolgung ein freies Wahlrecht des Ziel- bzw. Schutzstaates.
Und, da das Berufungsgericht einer für möglich gehaltenen Fluchtalternative keine Bedeutung zuerkenne,
(3) eine inländische Fluchtalternative biete nur eingeschränkt Verfolgungsschutz, schütze bzw. greife aber nicht bei jeder Art politischer Verfolgung.
Mit diesem Vorbringen kann eine Zulassung der Revision wegen Divergenz nicht erreicht werden, weil es nicht den Begründungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Was die erste Divergenzrüge angeht, könnte das Berufungsgericht zwar dahingehend verstanden werden, dass es für die Flüchtlingsstellung nach § 60 Abs. 1 AufenthG unerheblich sei, ob der Flüchtling anderweitig Schutz vor politischer Verfolgung gefunden habe. Denn es vertritt die Rechtsauffassung, dass nach der Genfer Flüchtlingskonvention und dem nationalen Recht es Sache des Flüchtlings sei, den Zielstaat seiner Flucht zu bestimmen; es sei “nur für die Anerkennung als Asylberechtigter erheblich, ob ein Flüchtling aus einem sicheren Drittstaat eingereist ist oder auf der Flucht anderweitig Sicherheit vor Verfolgung gefunden hat” (UA S. 13). Diese Auffassung steht im Widerspruch zu dem vom Bundesverwaltungsgericht in seinem Urteil vom 8. Februar 2005 – BVerwG 1 C 29.03 – (BVerwGE 122, 376 ≪387≫) aufgestellten Rechtssatz, dass der Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes eine Anerkennung als Flüchtling im Sinne von § 51 Abs. 1 AuslG (heute: § 60 Abs. 1 AufenthG) ausschließt, wenn der Flüchtling bereits ausreichende Sicherheit vor Verfolgung in einem anderen Staat gefunden hat. Darauf kommt es hier indessen nicht an, da sich der Beschwerde nicht entnehmen lässt, dass die Entscheidung des Berufungsgerichts auf dieser Divergenz beruht. Denn der genannte Rechtssatz dient dem Berufungsgericht lediglich zur Begründung der Aussage, dass den Klägerinnen die Flüchtlingsanerkennung nicht unter Hinweis darauf verwehrt werden dürfe, dass sie Zuflucht in Armenien oder Berg-Karabach finden könnten, aber bisher nicht gefunden haben (UA S. 13). Er dient hingegen nicht als Begründung dazu, dass ein möglicherweise in der Russischen Föderation erlangter Schutz der Zuerkennung des Flüchtlingsstatus nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht entgegenstehe.
Mit seiner zweiten Divergenzrüge hat der Bundesbeauftragte schon keinen Rechtssatz bezeichnet, der der berufungsgerichtlichen Entscheidung in dieser Allgemeinheit zu entnehmen wäre. Soweit dem Berufungsurteil allerdings die Rechtsauffassung zugrunde liegen sollte, dass die Klägerinnen wegen eines Wahlrechts bezüglich des Ziel- bzw. Schutzstaates von vornherein nicht auf die Möglichkeit einer inländischen Fluchtalternative in Berg-Karabach verwiesen werden können, wäre dies mit den bisher in der Rechtsprechung zur inländischen Fluchtalternative entwickelten Grundsätzen nicht vereinbar. Eine zumutbare inländische Fluchtalternative schließt grundsätzlich die Möglichkeit der Flüchtlingsanerkennung aus (vgl. BVerfG, Beschluss vom 10. Juli 1989 – 2 BvR 502, 1000, 961/86 – BVerfGE 80, 315 ≪342 f.≫; BVerwG, Urteil vom 8. Dezember 1998 – BVerwG 9 C 17.98 – BVerwGE 108, 84 ≪89 f.≫). Das Urteil würde allerdings nicht auf dieser Abweichung beruhen, weil Berg-Karabach – wie noch auszuführen ist (unter 2b) – auf der Grundlage der tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts für die Klägerinnen nicht zumutbar zu erreichen ist.
Auch hinsichtlich der dritten Divergenzrüge zeigt die Beschwerde nicht auf, dass die Rechtsfrage, für die sie eine Divergenz sieht, entscheidungserheblich ist. Denn auch diese Frage bezieht sich konkret nur auf das nach den Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zumutbar erreichbare Berg-Karabach.
b) Der Bundesbeauftragte wirft im Übrigen als Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf (Beschwerdebegründung S. 10), ob – soweit man nicht davon auszugehen habe, dass “in der höchstrichterlichen Rechtsprechung bereits ausreichend geklärt” sei, dass eine inländische Fluchtalternative “umfassend Schutz vor bzw. bei jeder Art von Verfolgungshandlungen” biete –
(1) eine inländische Fluchtalternative untrennbar mit dem Verständnis eines umfassenden Schutzes verbunden sei oder bei bestimmten Arten von Verfolgungshandlungen, insbesondere bei Ausbürgerung und Wiedereinreiseverweigerung generell nicht eingreifen könne,
und ob
(2) eine inländische Fluchtalternative bestehe, wenn das diesbezügliche Gebiet nur dadurch erreichbar sei, wenn zuvor in einem notwendig zu durchquerenden Staat der Flüchtlingsstatus oder unter Inkaufnahme eines längeren Zwischenaufenthalts Einreisepapiere beantragt und erworben werden müssten.
Auch diese Rügen rechtfertigen die Zulassung der Revision nicht. Die Beschwerde zeigt nicht auf, dass sie der Klärung in einem Revisionsverfahren bedürfen.
Die erste aufgeworfene Frage bezieht sich darauf, ob eine inländische Fluchtalternative bei bestimmten Arten von Verfolgungshandlungen nicht greifen kann mit der Folge, dass ein Abschiebungsverbot nach § 60 Abs. 1 AufenthG anzunehmen ist. Auf diese Frage kommt es deshalb nicht an, weil das Berufungsgericht festgestellt hat, dass die Einreise nach Berg-Karabach als Ort einer möglichen (inländischen) Fluchtalternative nur – wenn überhaupt – von Armenien aus möglich ist und dort zunächst den Erwerb der armenischen Staatsangehörigkeit oder die Stellung eines Asylantrags voraussetzt. Das ist den Klägerinnen aber nicht zumutbar. Ein Asylsuchender kann nach der Rechtsprechung nur dann auf das Gebiet einer inländischen Fluchtalternative verwiesen werden, wenn dieses zumutbar erreichbar ist (Urteil vom 16. Januar 2001 – BVerwG 9 C 16.00 – BVerwGE 112, 345). Zwar ist es für einen Asylsuchenden nicht generell unzumutbar, in das Zufluchtsgebiet im Wege des Transits durch einen anderen Staat und erforderlichenfalls mit Hilfe dort zu beschaffender Transitpapiere einzureisen. Es ist hingegen nicht zumutbar, auf ein Gebiet verwiesen zu werden, das der Ausländer erst nach Erwerb einer fremden Staatsangehörigkeit oder des Flüchtlingsstatus in einem Drittstaat erreichen kann. Der Verweis des Flüchtlings darauf, eine Fluchtalternative innerhalb seines Herkunftslandes in Anspruch zu nehmen, bevor er Schutz durch einen Staat der internationalen Staatengemeinschaft in Anspruch nehmen kann, ist eine Ausprägung des Grundsatzes der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt der Grundsatz der Subsidiarität des Konventionsschutzes aber nur im Verhältnis zum Schutz durch den Staat oder die Staaten der Staatsangehörigkeit der Betroffenen – bei Staatenlosen im Verhältnis zum Staat des gewöhnlichen Aufenthalts – wie auch im Verhältnis zum einmal erlangten Schutz in einem anderen Staat (vgl. Urteil vom 8. Februar 2005, a.a.O.). Demgemäß darf ein Schutzsuchender nicht darauf verwiesen werden, in einem sonstigen Drittland (hier: Armenien) zunächst die dortige Staatsangehörigkeit oder den Flüchtlingsstatus zu erwerben, um anschließend ein inländisches Zufluchtsgebiet zu erreichen.
Im Hinblick auf die Rechtslage und die Feststellungen des Berufungsgerichts kann der Bundesbeauftragte nichts aus der Zulassung der Revision in dem von ihm angesprochenen Verfahren BVerwG 1 B 122.05 (1 C 12.06 – Beschluss vom 15. Juni 2006) herleiten. In dem genannten Verfahren geht es allein um die Frage, ob die Fluchtalternative Berg-Karabach zumutbar erreichbar ist, wenn der Zuflucht Suchende zuvor in Armenien den Flüchtlingsstatus oder unter Inkaufnahme eines längeren Zwischenaufenthalts Einreisepapiere beantragen und erwerben muss. Im vorliegenden Verfahren hat das Berufungsgericht hingegen festgestellt, dass entweder die armenische Staatsangehörigkeit oder aber der Flüchtlingsstatus erworben werden müssten, um nach Berg-Karabach einreisen zu dürfen. Aus diesem Grunde ist auch die vom Bundesbeauftragten aufgeworfene zweite Grundsatzfrage (2) nicht entscheidungserheblich. Denn sie stellt sich nur in dem vom Bundesbeauftragten zitierten Revisionsverfahren BVerwG 1 C 12.06, nicht aber im vorliegenden Verfahren.
Allerdings bemerkt der Senat, dass die mit der ersten Grundsatzrüge (1) angesprochene (nicht entscheidungserhebliche) Rechtsauffassung des Berufungsgerichts, bei aus asylerheblichen Gründen ausgebürgerten Flüchtlingen, denen außerdem die Wiedereinreise in ihr Herkunftsland verweigert werde, komme es nicht darauf an, ob ihnen eine zumutbare inländische Fluchtalternative offenstehe (UA S. 12), der bisherigen Rechtsprechung des Senats so nicht zu entnehmen ist. Zwar wird der Ausgebürgerte in der Regel, d.h. bei einem Verfolgerstaat mit uneingeschränkter Gebietsgewalt über sein Territorium, schon wegen der durch das Wiedereinreiseverbot bedingten Unerreichbarkeit des gesamten Staatsgebiets nicht auf eine inländische Fluchtalternative verwiesen werden können. Sofern es sich bei dem als inländische Fluchtalternative in Betracht kommenden Teil des Herkunftsstaates aber um ein Gebiet handelt, in dem der Herkunftsstaat keine Gebietsgewalt mehr ausübt und in dem der Betroffene vor erneuter Verfolgung hinreichend sicher ist und ihm auch keine asylgleichen sonstigen Gefahren drohen, ist auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung nicht ersichtlich, dass und aus welchen Gründen dieses Gebiet – seine Erreichbarkeit für den Betroffenen unterstellt – für aus politischen Gründen ausgebürgerte Staatsangehörige des Herkunftsstaats von vornherein als inländische Fluchtalternative ausscheiden sollte. Nach der Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gilt der Grundsatz der Subsidiarität des internationalen Flüchtlingsschutzes auch für staatenlose Flüchtlinge. Auch sie können den Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG grundsätzlich nicht in Anspruch nehmen, wenn ihnen eine zumutbare inländische Fluchtalternative im Staat ihres bisherigen gewöhnlichen Aufenthalts offensteht. Die in Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG eröffnete Möglichkeit, einen Flüchtling auf den “internen Schutz” in seinem Herkunftsland zu verweisen, ist ebenfalls nicht auf Staatsangehörige des Herkunftslandes beschränkt, sondern erfasst auch staatenlose Flüchtlinge.
c) Erfolg hat der Bundesbeauftragte aber mit der von ihm erhobenen Verfahrensrüge. Denn das Berufungsgericht ist seiner Begründungspflicht nach § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO zur Frage einer den Verfolgungsschutz ausschließenden Sicherheit der Klägerinnen in der Russischen Föderation nicht nachgekommen.
Das Berufungsgericht hat im Tatbestand des angefochtenen Urteils festgestellt, dass die Klägerinnen aus der Russischen Föderation kommend nach Deutschland eingereist sind (UA S. 2). Das Urteil gibt weiter das Vorbringen der Klägerin zu 1 wieder, sie habe Aserbaidschan im Mai 1999 verlassen und sich nach Saratov in der Russischen Föderation zu Bekannten der Familie ihres Lebensgefährten begeben. Wegen ihrer Erkrankung an Epilepsie sei sie etwa ein halbes Jahr in der psychiatrischen Klinik in Engels gewesen. Auch in Saratov sei sie – weil sie keine Papiere hatte – von der Polizei festgenommen und geschlagen worden. Man habe dort Armenier nicht gemocht. Sie habe schließlich mit ihrer Tochter Saratov verlassen und sei am 5. März 2001 von Moskau nach Frankfurt a.M. geflogen (UA S. 3). Der Bundesbeauftragte rügt zu Recht, dass sich das Berufungsgericht in dem angegriffenen Urteil nicht mit dem (angeblichen) Aufenthalt der Klägerin zu 1 in der Russischen Föderation befasst und namentlich nicht begründet hat, weshalb dort keine anderweitige Verfolgungssicherheit bestand. In seinem Urteil vom 8. Februar 2005 hat der Senat entschieden, dass ein Ausländer keinen Anspruch auf Anerkennung als Flüchtling nach § 60 Abs. 1 Satz 1 AufenthG hat, wenn er in einem anderen Staat bereits Schutz vor politischer Verfolgung gefunden hat und diesen Schutz weiterhin erlangen kann (BVerwGE 122, 376, Leitsatz 2). Er hat damals im Falle einer aus Syrien stammenden Klägerin mit türkischer Staatsangehörigkeit ausgeführt, das Berufungsgericht hätte prüfen und feststellen müssen, ob diese in Syrien vor asylrelevanten Übergriffen tatsächlich sicher war und weiterhin sicher wäre und ob sie nach Syrien zurückkehren könne (BVerwGE 122, 376 ≪388≫). Es ist im vorliegenden Fall nicht erkennbar, dass das Berufungsgericht von einer anderen Rechtsauffassung ausgegangen ist, nach der sich eine solche Prüfung erübrigen würde. Danach hätte das Berufungsgericht die erforderlichen Feststellungen zum vorgetragenen nahezu zweijährigen Aufenthalt der Klägerinnen in Saratov treffen und begründen müssen, ob sie hierdurch Schutz vor Verfolgung in der Russischen Föderation gefunden haben, diesen weiterhin finden können und ob sie wieder dorthin zurückkehren könnten. Das Unterlassen jeglicher Begründung, warum der erwähnte Aufenthalt dem Abschiebungsschutz nach § 60 Abs. 1 AufenthG nicht entgegensteht, stellt einen Verstoß gegen § 108 Abs. 1 Satz 2 VwGO dar.
Bei seiner erneuten Entscheidung im Rahmen des zurückverwiesenen Verfahrens wird das Berufungsgericht auch zu berücksichtigen haben, dass bei der Prüfung einer inländischen Fluchtalternative jetzt auch Art. 8 der Richtlinie 2004/83/EG zu beachten ist, nachdem die Umsetzungsfrist für die Richtlinie abgelaufen ist (vgl. Art. 38 Abs. 1).
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Dr. Mallmann, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen