Verfahrensgang
VG Darmstadt (Urteil vom 27.02.2003; Aktenzeichen 1 E 2972/00 (3)) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichts Darmstadt vom 27. Februar 2003 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 4 000 € festgesetzt.
Gründe
1. Die allein auf die Verfahrensrüge (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO) gestützte Beschwerde bleibt ohne Erfolg. Dies trifft gleichermaßen auf die Gehörs- (a) und die Aufklärungsrüge (b) zu wie auf den behaupteten Verstoß gegen das Willkürverbot (c).
a) Die Art und Weise, wie das Verwaltungsgericht den tatsächlichen Umstand des Aufenthaltes der Mutter des Klägers behandelt hat, verletzt nicht das Recht des Klägers auf rechtliches Gehör (§ 108 Abs. 2 VwGO).
Eine Verletzung des rechtlichen Gehörs sieht die Beschwerde darin, dass in dem Urteil darauf abgestellt werde, der zeitliche Umfang des Aufenthaltes der Mutter in der Bundesrepublik Deutschland sei nicht dargetan. Bei seiner Zustimmung zur Entscheidung ohne mündliche Verhandlung habe der Kläger ausdrücklich und ohne Erfolg um einen richterlichen Hinweis gebeten, falls der Sachverhalt noch zu ergänzen sei. Er habe mit Schriftsätzen vom 28. Mai 2001 und 27. September 2002 vorgetragen, dass es auf die Verhältnisse des die Lebensgrundlage erwirtschaftenden Elternteils und mithin auf seinen Vater ankomme. Daher sei es überraschend, dass das Verwaltungsgericht maßgeblich auf seine Mutter abstelle und davon ausgehe, dass deren einzelne Aufenthalte nicht im Einzelnen dargetan seien und dass sie “ein Standbein” in Deutschland habe. Bei einem entsprechenden Hinweis hätte er im Einzelnen vorgetragen, dass sich die Mutter in unregelmäßigen Abständen in Deutschland aufgehalten habe, dies jedoch nicht einen derartigen Zeitraum umfasst habe, der die Schlussfolgerung zulassen würde, dass sie “ein Standbein” in Deutschland beibehalten hätte. Er hätte vorgetragen, dass die Mutter maximal 1 bis 2 Mal im Jahr für wenige Wochen in Deutschland sei und sich die übrige Zeit im Ausland aufhalte.
Die Beteiligten streiten über die Wehrpflicht des zuletzt an einer Berliner Universität studierenden Klägers gemäß § 1 Abs. 1 Nr. 1 WPflG. Nach dieser Vorschrift sind wehrpflichtig alle Männer vom vollendeten 18. Lebensjahr, die Deutsche im Sinne des Grundgesetzes sind und ihren ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland haben. Das Verwaltungsgericht hat sich – ohne dies den Beteiligten vorher ausdrücklich mitzuteilen – bei der Auslegung dieser Regelung an die ständige Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts gehalten. Danach ist der Ausbildungs- oder Studienort eines Wehrpflichtigen wegen des seiner Eigenart nach nur vorübergehenden dortigen Aufenthalts des Auszubildenden oder Studierenden regelmäßig nicht der Ort, an dem sich der Wehrpflichtige “ständig“ im Sinne des § 1 WPflG aufhält (vgl. Urteil vom 23. Februar 1983 – BVerwG 6 C 90.82 – Buchholz 448.0 § 3 WPflG Nr. 12 S. 1 ≪3≫ m.w.N.). Der ständige Aufenthalt eines Wehrpflichtigen im Sinne des § 1 WPflG bleibt vielmehr während seiner Ausbildung oder seines Studiums in der Regel am Wohnort der Eltern erhalten, sofern der Wehrpflichtige seinen Lebensmittelpunkt nicht erkennbar an anderer Stelle geschaffen hat (vgl. Urteil vom 23. Februar 1983 a.a.O. S. 3 m.w.N.). Denn obwohl der ständige Aufenthalt im Sinne des § 1 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 WPflG nicht wie der Wohnsitz nach § 7 BGB begründet wird, entsprechen sich beide Begriffe weitgehend in den wesentlichen Merkmalen (vgl. Urteil vom 12. November 1975 – BVerwG 8 C 94.74 – Buchholz 448.0 § 1 WPflG Nr. 15 S. 2 ≪3≫). Teilt der Wehrpflichtige den ständigen Aufenthalt seiner Eltern, so ist seine etwa bestehende Absicht, später einen ständigen Aufenthalt anderweitig zu wählen, unerheblich. Das gilt auch dann, wenn der Wehrpflichtige künftig an den Ort zurückkehren will, den er verlassen hatte, um seinen Eltern an deren neuen ständigen Aufenthaltsort zu folgen (vgl. Urteil vom 12. November 1975 a.a.O. S. 3 f.). Der Begriff des ständigen Aufenthalts setzt objektiv voraus, dass der Niederlassungsort den räumlichen Schwerpunkt der Lebensverhältnisse bildet (vgl. Urteil vom 1. März 1978 – BVerwG 8 C 62.76 – Buchholz 448.0 § 1 WPflG Nr. 17 S. 13 ≪16≫ m.w.N.). Dieser räumliche Schwerpunkt der Lebensverhältnisse ist an einem Niederlassungsort gegeben, der vor allen anderen örtlichen Beziehungen Ausgangs- und Anknüpfungspunkt für die Entfaltung des gesamten Lebens darstellt (vgl. Urteile vom 9. November 1967 – BVerwG 8 C 141.67 – BVerwGE 28, 193 ≪195≫ und vom 1. März 1978 a.a.O. S. 17). Subjektiv ist für die Annahme des ständigen Aufenthalts der Wille erforderlich, den Schwerpunkt der Lebensverhältnisse am Niederlassungsort dauernd beizubehalten (vgl. Urteil vom 1. März 1978 a.a.O. S. 16). Dieser Wille muss durch feststellbare äußere Umstände zutage getreten sein, da er als innerer Vorgang einer unmittelbaren Erkenntnis entzogen ist (vgl. Urteil vom 9. November 1967 a.a.O. S. 195). Die Beurteilung, wo sich nach den dargelegten vom Verwaltungsgericht herangezogenen Kriterien der ständige Aufenthalt eines Wehrpflichtigen und seiner Eltern befindet, erfordert eine Gesamtwürdigung aller insoweit bedeutsamen Umstände des Einzelfalles (vgl. Urteil vom 1. März 1978 a.a.O. S. 17; Beschluss vom 5. Januar 2000 – BVerwG 6 B 52.99 – Buchholz 448.0 § 1 WPflG Nr. 24).
Dieser Gesamtwürdigung entsprechend hat das Verwaltungsgericht sämtliche während des Verwaltungs- und Gerichtsverfahrens erkennbar gewordenen Anhaltspunkte zum Aufenthalt des Klägers sowie seiner Eltern in eine Zusammenschau gebracht. Es hat dabei nicht ausschließlich auf den Aufenthalt der Mutter abgestellt, sondern sämtliche ihm unterbreiteten Sachverhaltsaspekte zum Aufenthalt von Eltern und Sohn abgewogen. Die Auswertung der tatsächlichen Anhaltspunkte ist für das Gericht dadurch erschwert gewesen, dass die Angaben zu den Aufenthalten des Klägers und seiner Eltern niemals geschlossen, sondern jeweils auf einzelne Aspekte bezogen vorgebracht worden sind und sich im Laufe der Zeit auch nicht vollständig deckten. Dies lässt sich anhand der Aufenthaltsangaben zum Vater ersehen. Das Kreiswehrersatzamt Darmstadt hatte mit Schreiben vom 6. Januar 2000 an den Klägerbevollmächtigten “um Vorlage der angekündigten Bescheinigung über den Lebensmittelpunkt Ihres Mandanten und seiner Eltern” gebeten. Dieser legte daraufhin eine Bescheinigung der Botschaft des Königreichs Saudi Arabien vom 26. November 1999 vor, wonach die Familie des Klägers seit 1970 in Riyadh/Saudi Arabien wohnhaft sein sollte. Abermals wurde in einer Auskunft der Botschaft des Königreichs Saudi Arabien vom 17. Juli 2000 bestätigt, dass der Kläger seit 1979 saudi-arabischer Staatsangehöriger sei “und dass er seitdem mit seiner Familie in Riyadh/Saudi Arabien lebt”. Im Schriftsatz an das Verwaltungsgericht vom 27. September 2002 teilte der Klägerbevollmächtigte dann mit, der Vater des Klägers habe “immer schon seinen ständigen Wohnsitz und Aufenthaltsort allein in Tunesien gehabt”. Der Aufenthalt der Mutter war zwischen den Beteiligten vor allem in der Weise umstritten, dass der Kläger während des erstinstanzlichen Verfahrens die rechtliche Erheblichkeit dieses Aufenthaltes in Abrede gestellt und dazu nie konkretere Angaben als diejenige vom 22. Dezember 2000 gemacht hat, wonach die Mutter des Klägers “sporadisch immer wieder für einige Monate zur Betreuung des Klägers in der Bundesrepublik gewesen” sei.
Das Verwaltungsgericht war nicht gemäß § 108 Abs. 2 VwGO verpflichtet, sein rechtliches Verständnis von § 1 Abs. 1 Nr. 1 WPflG vorab dem Kläger zu erläutern, weil anwaltlich vertretene Parteien auch ohne besonderen Hinweis des Gerichts damit rechnen müssen, dass das Gericht seiner Entscheidung die höchstrichterliche Rechtsprechung zu Grunde legt (Beschluss vom 26. Juni 1998 – BVerwG 4 B 19.89 – NVwZ-RR 1998, 711). Auch durch die vom Verwaltungsgericht vorgenommene Bewertung des Aufenthaltes der Mutter des Klägers ist der Kläger nicht unzulässig überrascht worden; dies folgt schon daraus, dass dieser Punkt zwischen den Beteiligten ausdrücklich umstritten war und daher nicht von vornherein ausgeschlossen war, dass sich das Verwaltungsgericht der Auffassung der Beklagten anschloss.
Der Grundsatz rechtlichen Gehörs verpflichtete das Verwaltungsgericht ferner nicht dazu, vor der Entscheidung den Kläger aufzufordern, zu den Aufenthalten der Mutter in Deutschland weiter vorzutragen. Eine derartige Verpflichtung ergab sich insbesondere nicht mit Blick auf die Aussage im angefochtenen Urteil, es sei nicht dargetan, in welchem zeitlichen Umfang die Mutter sich tatsächlich in Deutschland aufhalte (Urteilsabdruck S. 7). Damit hat das Verwaltungsgericht nicht etwa aus mangelndem Vortrag des Klägers – nach Art einer “Beweislastumkehr” – zu dessen Lasten nachteilige Schlüsse gezogen. Wie die weiteren Ausführungen vielmehr belegen, hat es auf der Grundlage der vom Kläger gemachten Angabe entschieden, die Mutter sei sporadisch immer wieder für einige Monate zu seiner Betreuung in der Bundesrepublik gewesen (vgl. die Schriftsätze vom 22. Dezember 2000 und 28. Mai 2001); weitergehende Vermutungen zum Nachteil des Klägers hat es nicht angestellt. Die von diesem vor allem beanstandete Formulierung, die Mutter habe noch ein “Standbein” in Deutschland beibehalten, besagt nicht mehr, als dass das Verwaltungsgericht einen fortbestehenden Kontakt der Mutter zum Land ihrer Herkunft und Staatsangehörigkeit konstatieren wollte.
b) Die vom Kläger im Hinblick auf den Aufenthalt seiner Mutter in der Bundesrepublik Deutschland erhobene Aufklärungsrüge (§ 86 Abs. 1 VwGO) bleibt gleichfalls ohne Erfolg. Eine solche Rüge ist nur dann im Sinne des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO ordnungsgemäß erhoben, wenn substantiiert dargelegt ist, hinsichtlich welcher tatsächlichen Umstände Aufklärungsbedarf bestanden hat, welche für geeignet und erforderlich gehaltenen Aufklärungsmaßnahmen hierfür in Betracht gekommen wären und welche tatsächlichen Feststellungen bei Durchführung der unterbliebenen Sachverhaltsaufklärung voraussichtlich getroffen worden wären; weiterhin muss entweder dargelegt werden, dass bereits im Verfahren vor dem Tatsachengericht, insbesondere in der mündlichen Verhandlung, auf die Vornahme der Sachverhaltsaufklärung, deren Unterbleiben nunmehr gerügt wird, hingewirkt worden ist oder dass sich dem Gericht die bezeichneten Ermittlungen auch ohne ein solches Hinwirken von sich aus hätten aufdrängen müssen (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 ≪n.F.≫ VwGO Nr. 26).
Der Kläger bringt vor, das Verwaltungsgericht hätte gerade deshalb, weil es auf die Gesamtumstände abgestellt habe, die einzelnen Aspekte und dabei insbesondere die Art und Dauer des Aufenthalts der Mutter des Klägers ergänzend aufklären müssen. Bei einer entsprechenden Vernehmung der Mutter oder auch einer Anhörung des Klägers im Rahmen der mündlichen Verhandlung hätte sich herausgestellt, dass sich die Mutter maximal 1 bis 2 Mal im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte. Auf dieser Grundlage wäre das Verwaltungsgericht zu dem Ergebnis gekommen, dass die Gesamtumstände nicht die Annahme rechtfertigten, dass der Kläger seinen ständigen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland begründet habe.
Die Beschwerde hat nicht dargetan, welche zu einer anderen Entscheidung führenden Angaben eine Befragung der Mutter des Klägers oder des Klägers selbst zu deren Aufenthalt erbracht haben würde. Die Aussage in der Beschwerdebegründung, “dass sich die Mutter maximal 1 bis 2 Mal im Jahr in der Bundesrepublik Deutschland aufhalte” unterscheidet sich nicht nennenswert vom früheren schriftsätzlichen Vortrag, den das Verwaltungsgericht wie dargelegt seiner Entscheidung zu Grunde gelegt hat. Die Aufklärungsrüge des Klägers wird daher bereits den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO nicht gerecht.
c) Das Urteil enthält schließlich keine willkürliche Tatsachen- und Beweiswürdigung.
Die Beschwerde begründet ihre Rüge, das Urteil beruhe auf sachwidrigen Erwägungen, so dass das Willkürverbot bei der Sachverhaltswürdigung verletzt werde, damit, aus dem erstinstanzlichen Vortrag des Klägers könne unter keinem denkbaren Gesichtspunkt die Schlussfolgerung gezogen werden, dass die Mutter des Klägers “ein Standbein” in der Bundesrepublik Deutschland habe. Der Begriff des “Standbeins” sei bereits vieldeutig. Hätte das Gericht den klägerischen Vortrag in Bezug auf die Aufenthaltsdauer sachgerecht gewürdigt, wäre es nicht zu der Schlussfolgerung gekommen, dass ein “Standbein” bestehe. Wenn es nicht überhaupt der Klage stattgegeben hätte, hätte es jedenfalls einen Aufklärungshinweis erteilt, auf den hin der Kläger vorgetragen haben würde, dass die Mutter ihn nur kurzfristig für wenige Wochen in Deutschland besuche.
Eine offensichtlich sachwidrige und damit objektiv willkürliche Würdigung eines Parteivorbringens stellt einen Verstoß gegen das aus Art. 3 Abs. 1 GG abzuleitende Verbot dar, offensichtlich unsachliche Erwägungen zur Grundlage einer staatlichen Entscheidung zu machen. Auf subjektive Umstände oder ein Verschulden des Gerichts kommt es dabei nicht an (BVerfGE 57, 39, 42). Davon kann bei der durch das Verwaltungsgericht unternommenen Sachverhaltswürdigung nicht die Rede sein. Die Angaben des Klägers zum Aufenthalt seiner Mutter sind trotz ausführlicher schriftsätzlicher Erörterung zwischen den Beteiligten am Ende nicht exakt quantifizierbar gewesen. Dies hat das Gericht dazu veranlasst, von einem “Standbein” der Mutter in der Bundesrepublik Deutschland zu sprechen. Mit diesem bildhaften Begriff hat es sich nicht sachwidrig oder gar objektiv willkürlich zu dem ihm unterbreiteten Sachverhalt gestellt, sondern hat in qualitativer Hinsicht der Gewissheit von einem fortbestehenden Kontakt der Mutter zu Deutschland Ausdruck verleihen wollen.
2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO, die Festsetzung des Streitwertes für das Beschwerdeverfahren beruht auf § 14 Abs. 1 Satz 1, Abs. 3, § 13 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Bardenhewer, Büge, Graulich
Fundstellen