Verfahrensgang
OVG Mecklenburg-Vorpommern (Urteil vom 05.11.2008; Aktenzeichen 3 L 281/03) |
Tenor
Die Beschwerden des Beklagten und der Beigeladenen zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts Mecklenburg-Vorpommern vom 5. November 2008 werden zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens je zur Hälfte. Die Beigeladene zu 2 trägt ihre außergerichtlichen Kosten selbst.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 50 000 € festgesetzt.
Gründe
Rz. 1
Die auf die Zulassungsgründe nach § 132 Abs. 2 Nr. 1 und 2 VwGO gestützten Beschwerden bleiben ohne Erfolg.
Rz. 2
1. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO), die ihr die Beschwerde beimisst.
Rz. 3
Das Oberverwaltungsgericht hat sein stattgebendes Urteil damit begründet, dass die angefochtenen Bescheide (Bauvorbescheid vom 29. Mai 1997 für die Errichtung eines “Markthallen und Sonderposten Center Kessin” mit einer Gesamtverkaufsfläche von ca. 9 000 qm; Baugenehmigung vom 11. März 1998 in der Fassung des Änderungsbescheides vom 8. Dezember 1998 für den Bau eines “Rest- und Sonderposten-Centers” mit einer Nutzfläche von 10 763 qm) rechtswidrig seien und die Klägerin in ihren Rechten verletzten. Sofern die Festsetzungen des Bebauungsplans “SO Verbrauchermarkt” der Beigeladenen zu 2 (in der Fassung der 1. Änderung) wirksam seien, sei das Vorhaben der Beigeladenen zu 1, das als Einkaufszentrum zu qualifizieren sei, gemäß § 30 Abs. 1 BauGB bauplanungsrechtlich unzulässig (UA S. 22 ff.), weil es den textlichen Festsetzungen des Bebauungsplans (“Verbrauchermarkt ≪Sortiment: Lebensmittel, Ge- und Verbrauchsgüter des kurz- und mittelfristigen Bedarfs≫, Verkaufsfläche max. 3 500 qm; Fachmärkte ≪branchenspezifisches Sortiment≫, Verkaufsfläche max. 800 qm; Läden; Büros und Dienstleistungseinrichtungen; Tankstelle mit Autowaschanlage und Werkstatt”) widerspreche. “Unabhängig davon” sei der Bebauungsplan sowohl in der Fassung seiner 1. Änderung als auch in seiner Ursprungsfassung unwirksam (UA S. 27 ff.) mit der Folge, dass sich die Zulässigkeit des Vorhabens nach § 35 Abs. 2 BauGB beurteile. Als sonstiges Außenbereichsvorhaben sei das Vorhaben bauplanungsrechtlich unzulässig, weil es einer förmlichen Planung bedürfe und deshalb öffentliche Belange im Sinne des § 35 Abs. 3 BauGB beeinträchtige (UA S. 33 ff.). Die Klägerin werde durch die rechtswidrigen Bescheide auch in ihren Rechten verletzt. Aus § 2 Abs. 2 BauGB folge, dass sich die Nachbargemeinde gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art zur Wehr setzen könne. Bei Einkaufszentren würden solche Auswirkungen gemäß § 11 Abs. 3 BauNVO unwiderleglich vermutet. Diese Grundsätze, die das Bundesverwaltungsgericht für § 35 BauGB aufgestellt habe, müssten auf Vorhaben, die mit (wirksamen) Festsetzungen eines Bebauungsplans nicht vereinbar seien, übertragen werden (UA S. 35 f.). Der Klägerin sei die Berufung auf § 2 Abs. 2 BauGB auch nicht deshalb verwehrt, weil das Vorhaben mit ihr abgestimmt gewesen wäre. Denn eine abschließende Abstimmung habe nicht stattgefunden (UA S. 36 f.).
Rz. 4
Das Oberverwaltungsgericht hält eine subjektive Rechtsverletzung der Klägerin (§ 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO) mithin sowohl für den Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans als auch für den Fall seiner Unwirksamkeit für gegeben. Hiergegen richten sich die Grundsatzrügen des Beklagten und der Beigeladenen zu 1.
Rz. 5
a) Der Beklagte möchte rechtsgrundsätzlich klären lassen (Bl. 670, 673 d.A.),
ob eingeholte Sachverständigengutachten, die lediglich untergeordnete, unter den einschlägigen Schwellenwerten (ab 10 %) liegende Kaufkraftabflüsse erwarten lassen, geeignet sind, das “starke Anzeichen” für ein Planungserfordernis, das die Rechtsprechung des Bundesverwaltungsgerichts (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – BVerwGE 117, 25 ≪32≫ juris Rn. 22) einem qualifizierten interkommunalen Abstimmungsbedarf nach § 2 Abs. 2 BauGB entnimmt, bzw. die in § 11 Abs. 3 BauNVO genannten (vermuteten) Rechtsfolgen zu widerlegen.
Rz. 6
Diese Frage lässt sich auf der Grundlage der zitierten Entscheidung des Senats ohne Weiteres verneinen und rechtfertigt deshalb nicht die Zulassung der Revision. Der Senat hat ausgeführt, dass ein qualifizierter Abstimmungsbedarf im Sinne des § 2 Abs. 2 BauGB ein starkes Anzeichen dafür ist, dass die Zulassungsschranken, die § 35 Abs. 3 BauGB aufrichtet, nicht ausreichen, um ohne planerische Abwägung eine Entscheidung über die Zulässigkeit des beabsichtigten Vorhabens treffen zu können (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 22). Für das dort zur Beurteilung stehende Einkaufszentrum hat er allerdings so intensive Auswirkungen auch für das Gebiet der benachbarten Gemeinde angenommen, dass er ein aus § 2 Abs. 2 BauGB folgendes Bedürfnis nach planerischer Bewältigung als gegeben angesehen hat (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 23). Er hat dies (unter anderem) damit begründet, dass im Falle von Einkaufszentren, die gemäß § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 BauNVO außer in Kerngebieten nur in eigens festgesetzten Sondergebieten zulässig sind und deshalb wegen der mit ihnen verbundenen nachteiligen Wirkungen nicht einmal in Misch-, Gewerbe- oder Industriegebieten verwirklicht werden dürfen, eine Abstimmung nach § 2 Abs. 2 BauGB unumgänglich ist und deshalb eine Zulassung ohne jegliche Planung zwangsläufig auf eine Beeinträchtigung der öffentlichen Belange hinausläuft (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 25 f.). § 11 Abs. 3 BauNVO ist – so die weitere Begründung des Senats – Ausdruck der Erkenntnis, dass Einkaufszentren regelmäßig geeignet sind, Nachbargemeinden in so gewichtiger Weise zu beeinträchtigen, dass sie ohne eine förmliche Planung, die dem Abstimmungsgebot des § 2 Abs. 2 BauGB gerecht wird, nicht zugelassen werden dürfen (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 27). Die Vermutungsregel, die der Normgeber in § 11 Abs. 3 Satz 3 BauNVO aufstellt, bezieht sich zwar nur auf großflächige Einzelhandelsbetriebe und sonstige großflächige Handelsbetriebe im Sinne des § 11 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 und 3 BauNVO. Dies bedeutet jedoch nicht, dass der Normgeber Einkaufszentren eine Vorzugsbehandlung angedeihen lässt. Das Gegenteil ist der Fall. Damit die in § 11 Abs. 3 BauNVO genannten Rechtsfolgen eintreten, bedarf es deshalb nicht eigens der Feststellung, welche nachteiligen Wirkungen konkret zu erwarten sind. Der Normgeber geht davon aus, dass sich die in § 11 Abs. 3 Satz 2 BauNVO bezeichneten Auswirkungen bei Einkaufszentren generell nicht ausschließen lassen (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 28). Die Auffassung des Oberverwaltungsgerichts, aus § 11 Abs. 3 BauNVO folge, dass für ein Einkaufszentrum ein qualifizierter interkommunaler Abstimmungsbedarf gemäß § 2 Abs. 2 BauGB und ein Planungsbedürfnis unwiderleglich vermutet werde (UA S. 35), steht mit diesen Ausführungen im Einklang. Ob in besonders gelagerten Ausnahmefällen im Lichte verfassungsrechtlicher Vorgaben (insbesondere Art. 28 Abs. 2 Satz 1 und Art. 14 GG) etwas anderes zu gelten hat, kann offen bleiben, weil ein solcher Fall hier ersichtlich nicht vorliegt.
Rz. 7
Abgesehen davon erscheint auch die Annahme der Beschwerde, dass Kaufkraftabflüsse unter 10 % grundsätzlich von lediglich untergeordneter Natur und deshalb geeignet seien, ein Planungsbedürfnis zu widerlegen, rechtlich fragwürdig. Der Senat hat Kaufkraftabflüsse aus Nachbargemeinden zwar als mögliches Kriterium für die interkommunale Verträglichkeit von Einzelhandelsgroßprojekten im Grundsatz anerkannt (Urteil vom 17. September 2003 – BVerwG 4 C 14.01 – BVerwGE 119, 25 ≪32 ff.≫). Die städtebaulichen Auswirkungen eines prognostizierten Kaufkraftabflusses zu beurteilen, hat er jedoch den Tatsachengerichten überlassen (Beschluss vom 28. Dezember 2005 – BVerwG 4 BN 40.05 – BRS 69 Nr. 1 ≪juris Rn. 19≫). Nur ergänzend ist darauf hinzuweisen, dass ein Kaufkraftabfluss von mehr als 10 % bereits mit den Zielen der Landesplanung kollidieren und über das Anpassungsgebot des § 1 Abs. 4 BauGB zur Rechtswidrigkeit und Unwirksamkeit der Planung führen kann (vgl. z.B. OVG Koblenz, Urteil vom 15. Oktober 2008 – 1 A 10387/08 – juris).
Rz. 8
b) Hilfsweise möchte der Beklagte grundsätzlich geklärt wissen (Bl. 671 d.A.),
ob nicht zumindest bei der Bestimmung des Kreises der Gemeinden, die Nachbargemeinden im Sinne des § 2 Abs. 2 BauGB sind und sich auf eine Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebots bzw. auf ein Planungsbedürfnis als öffentlichen Belang nach § 35 Abs. 3 BauGB berufen dürfen, auf die konkreten Kaufkraftabflüsse abzustellen ist, und ob insoweit ein Gutachten, das für eine bestimmte Nachbargemeinde zu Kaufkraftabflüssen unter 10 % kommt, zu dem Schluss führen muss, dass diese Nachbargemeinde nicht in eigenen Rechten verletzt wird, selbst wenn objektiv ein Planungserfordernis zu bejahen sein sollte.
Rz. 9
Auch diese Fragen lassen sich auf der Grundlage vorhandener Senatsrechtsprechung ohne Weiteres verneinen und rechtfertigen nicht die Zulassung der Revision. Bei der Bestimmung, wer benachbarte Gemeinde im Sinne des § 2 Abs. 2 BauGB ist, kommt es nicht auf ein unmittelbares Angrenzen der Gemeinden, sondern auf die Reichweite der planungsrechtlichen Auswirkungen eines Vorhabens an. Dem entsprechend sind die planerischen Auswirkungen auf die vom Einzugsbereich des Vorhabens erfassten Gemeinden in den Blick zu nehmen (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 21; Beschluss vom 9. Januar 1995 – BVerwG 4 NB 42.94 – Buchholz 406.11 § 2 BauGB Nr. 37). Zu berücksichtigen ist hierbei, dass sich bei einem Einkaufszentrum Auswirkungen auf Nachbargemeinden, die einen Abstimmungsbedarf nach § 2 Abs. 2 BauGB auslösen, generell nicht ausschließen lassen und sich eine Einzelfallprüfung erübrigt (Urteil vom 1. August 2002 – BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 28). Zur Bestimmung der Gemeinden, die durch das Unterlassen der Planung in eigenen Rechten verletzt werden, ist es deshalb grundsätzlich ausreichend, auf den Einzugsbereich eines Einkaufszentrums abzustellen, wie das Oberverwaltungsgericht dies im vorinstanzlichen Urteil auch getan und hierbei unter Rückgriff auf die vorliegenden Gutachten festgestellt hat, dass die Klägerin in den Einzugsbereich des Vorhabens fällt. Davon, dass die Klägerin vom Einzugsbereich des Vorhabens erfasst ist, ist offensichtlich auch die Beigeladene zu 2 bei der Aufstellung des Bebauungsplans ausgegangen, weil sie die Wahl des Standorts auch mit der “günstigen Lage zur Stadt Rostock” (UA S. 3) begründet hat. Anhaltspunkte dafür, dass die Auswirkungen des Einkaufszentrums auf die Klägerin die Relevanzschwelle für die interkommunale Abstimmungspflicht nicht überschreiten, hat das Oberverwaltungsgericht nicht festgestellt. Allein der Umstand, dass der in einem Gutachten prognostizierte Kaufkraftabfluss 10 % nicht überschreitet, genügt hierfür nicht.
Rz. 10
c) Für den Fall der Wirksamkeit des Bebauungsplans sieht der Beklagte (Bl. 674 d.A.) die Frage als grundsätzlich klärungsbedürftig an,
ob die aus dem Urteil des Senats vom 1. August 2002 (– BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O.) folgenden Grundsätze auf Konstellationen zu übertragen sind, in denen keine Genehmigung nach § 35 BauGB erteilt wird, sondern stattdessen eine Baugenehmigung für ein Vorhaben im Geltungsbereich eines qualifizierten Bebauungsplans (§ 30 BauGB) erteilt wird, bei der das Vorhaben nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht, aber auch keine rechtmäßige Befreiung erteilt wird.
Rz. 11
Auch diese Frage lässt sich auf der Grundlage der bisherigen Rechtsprechung des Senats ohne Durchführung eines Revisionsverfahrens beantworten. Der Senat hat in seinem Urteil vom 1. August 2002 (– BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O., juris Rn. 21) ausgeführt, dass § 2 Abs. 2 BauGB einen Interessenausgleich zwischen den benachbarten Gemeinden und eine Koordination der gemeindlichen Belange fordert. Es liegt auf der Hand, dass ein sich aus § 2 Abs. 2 BauGB ergebendes Bedürfnis nach Abstimmung und planerischer Koordinierung zwischen den betreffenden Gemeinden nicht nur dann einer Genehmigung entgegensteht, wenn überhaupt nicht geplant worden ist, sondern auch dann, wenn etwas anderes als das abstimmungsbedürftige Vorhaben geplant worden ist und deshalb dessen Auswirkungen weder mit den benachbarten Gemeinden abgestimmt noch abgewogen worden sind. Auch in diesem Fall kann sich die Nachbargemeinde gegen unmittelbare Auswirkungen gewichtiger Art zur Wehr setzen.
Rz. 12
d) Die Beigeladene zu 1 meint aber, dass das streitgegenständliche Vorhaben mit der Klägerin doch abgestimmt worden sei und möchte deshalb rechtsgrundsätzlich klären lassen (Bl. 710 f. d.A.),
ob eine Verletzung des interkommunalen Abstimmungsgebots gemäß § 2 Abs. 2 BauGB vorliegen kann, wenn eine Abstimmung tatsächlich stattgefunden hat, diese sich aber nicht in einem wirksamen Bebauungsplan niedergeschlagen hat, bzw. sich zwar in einem Bebauungsplan niedergeschlagen hat, aber ein nicht abgestimmtes Vorhaben auf der Grundlage dieses Bebauungsplans genehmigt wird, bzw. wenn dieses abgestimmte Vorhaben genehmigt wird, obwohl es nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans entspricht.
Rz. 13
Diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Von der ihnen unterlegten Prämisse, dass eine interkommunale Abstimmung des genehmigten (oder eines vergleichbaren) Vorhabens mit der Klägerin tatsächlich stattgefunden habe, ist das Oberverwaltungsgericht nämlich nicht ausgegangen. Es hat im Gegenteil ausdrücklich festgestellt, dass es an einer abschließenden Abstimmung des Vorhabens mit der Klägerin fehle, zum einen deshalb, weil das Schreiben der Klägerin vom 22. Mai 1991 nahezu sieben Jahre vor der Genehmigung ergangen sei, zum anderen, weil diese Stellungnahme auch keine abschließende Abstimmung enthalten habe (UA S. 36 f.). Mit Verfahrensrügen sind diese Feststellungen nicht angegriffen worden.
Rz. 14
e) Grundsatzbedeutung misst die Beigeladene zu 1 vor dem Hintergrund, dass das geplante Vorhaben nach der Auffassung des Oberverwaltungsgerichts nicht den Festsetzungen des Bebauungsplans entspreche, weil es als Einkaufszentrum und nicht als Verbrauchermarkt zu qualifizieren sei, ferner der Frage zu (Bl. 705 d.A.),
welche Anforderungen an die Zweckbestimmung und die Beschreibung eines Sondergebiets nach § 11 BauNVO zu stellen sind, um ein Einkaufszentrum festzusetzen, insbesondere, ob der aus dem Baugesetzbuch folgende Grundsatz der Planerhaltung es erfordert, in einem Fall, in dem die Zweckbestimmung eines Sondergebiets auf mehrere Arten ausgelegt werden kann, diejenige Auslegung zugrunde zu legen ist, die nicht nur dem Willen des historischen Satzungsgebers, sondern auch dem geltenden Recht entspricht.
Rz. 15
Auch diese Fragen würden sich in einem Revisionsverfahren nicht stellen. Die Auslegung des Bebauungsplans durch das Oberverwaltungsgericht ist für den Senat gemäß § 173 VwGO i.V.m. § 560 ZPO grundsätzlich bindend. Eine Verkennung bundesrechtlicher Auslegungsmaßstäbe oder eine Verletzung sonstigen Bundesrechts hat die Beschwerde nicht in einer den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügenden Weise dargelegt. Das gilt umso mehr, als die Gemeinde – wovon auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen ist (UA S. 26) – bei der Festsetzung der Art der Nutzung für ein Sondergebiet nicht an die in § 2 bis § 10 BauNVO aufgeführten einzelnen Nutzungsarten gebunden ist (Beschluss vom 8. Mai 1989 – BVerwG 4 B 78.89 – Buchholz 406.11 § 31 BBauG/BauGB Nr. 27; Urteil vom 3. April 2008 – BVerwG 4 CN 3.07 – BVerwGE 131, 86 ≪Rn. 16≫).
Rz. 16
f) Grundsätzlich klärungsbedürftig ist nach Ansicht des Beklagten schließlich die Frage (Bl. 675 d.A.),
ob ein neues Ziel der Raumordnung auch aus Anlass geringfügiger Bebauungsplan-Änderungen wegen § 1 Abs. 4 BauGB dazu verpflichtet, den gesamten Plan an dieses Ziel anzupassen.
Rz. 17
Diese Frage würde sich in einem Revisionsverfahren ebenfalls nicht stellen. Sie ist nicht entscheidungserheblich. Da das Oberverwaltungsgericht die Voraussetzungen des § 113 Abs. 1 Satz 1 VwGO sowohl für den Fall der Rechtswirksamkeit als auch der Rechtsunwirksamkeit des Bebauungsplan bejaht hat, kann offen bleiben, ob der Bebauungsplan rechtsunwirksam ist, weil die Beigeladene zu 2 im Rahmen der 1. Änderung des Bebauungsplans verpflichtet gewesen sein könnte, den vor der 1. Änderung des Bebauungsplans in Kraft getretenen Zielen der Raumordnung Rechnung zu tragen.
Rz. 18
Gleiches gilt für die vom Beklagten (Bl. 676 f. d.A.) und von der Beigeladenen zu 1 (Bl. 703 d.A.) als grundsätzlich bedeutsam erachteten Fragen,
ob ein Bebauungsplan wegen “Unbrauchbarkeit des Planungsergebnisses” funktionslos wird, wenn der Plangeber nach Erlass der Satzung einer – unterstellten – umfassenden Plananpassungspflicht unterliegt, weil neue Ziele der Raumordnung wirksam wurden, denen der Bebauungsplan nicht von vornherein entsprach, dieser Anpassungspflicht aber nicht nachgekommen ist, bzw. ob das Zusammentreffen eines rechtlichen und eines tatsächlichen Umstandes, die für sich allein nicht zur Funktionslosigkeit des Bebauungsplans führen, durch ihr Zusammentreffen die Funktionslosigkeit begründen können.
Rz. 19
2. Die vom Beklagten geltend gemachte Abweichung von einer Entscheidung des Bundesverwaltungsgerichts (§ 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO) führt ebenfalls nicht zur Zulassung der Revision.
Rz. 20
Der Beklagte macht geltend, das Oberverwaltungsgericht habe gleichsam “automatisch” ohne Untersuchung des Einzelfalls und konkret insbesondere ohne Berücksichtigung der vorliegenden, klar gegen eine gewichtige Beeinträchtigung der Klägerin sprechenden Sachverständigengutachten allein wegen der Bejahung eines qualifizierten Abstimmungsbedarfs gemäß § 2 Abs. 2 BauGB ein Planungsbedürfnis im Sinne eines der Vorhabenszulassung nach § 35 BauGB entgegenstehenden öffentlichen Belangs angenommen. Abweichend hiervon handle es sich nach dem Urteil des Senats vom 1. August 2002 (– BVerwG 4 C 5.01 – a.a.O.) bei einem solchen – hier unterstellten – Abstimmungsbedarf aber nur um ein “starkes Anzeichen” für ein Planungsbedürfnis, aus dem sich zwingend entnehmen lasse, dass nach der Vorstellung des Senats nicht ein “Automatismus” herrsche, sondern vielmehr das Anzeichen zur Annahme eines Planungsbedürfnisses im konkreten Einzelfall durch weitere Feststellungen erhärtet werden müsse, aber auch widerlegt werden könne. Dass sich ein derartiger Rechtssatz diesem Urteil des Senats nicht entnehmen lässt, wurde bereits dargelegt.
Rz. 21
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 159 Satz 1, § 162 Abs. 3 VwGO. Die Streitwertfestsetzung stützt sich auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Rubel, Dr. Philipp, Petz
Fundstellen
BauR 2010, 740 |
ZfBR 2010, 269 |
BBB 2010, 61 |
BRS-ID 2010, 9 |