Entscheidungsstichwort (Thema)
Bebauungsplan. Erforderlichkeit. Funktionslosigkeit
Leitsatz (amtlich)
- Die Erforderlichkeit eines Bebauungsplans im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die zuständigen Baurechtsbehörden von der zwangsweisen Durchsetzung einer Festsetzung bei schon bebauten Grundstücken nur unter Berücksichtigung der jeweiligen entgegenstehenden Belange im Einzelfall Gebrauch machen.
- Die ein Grundstück betreffenden Festsetzungen verstoßen nicht allein deshalb gegen § 1 Abs. 3 BauGB, weil auf anderen Grundstücken gleichartige Festsetzungen nicht oder noch nicht verwirklicht sind.
Normenkette
BauGB § 1 Abs. 3
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 23.09.2002; Aktenzeichen 3 S 278/02) |
VG Freiburg i. Br. (Entscheidung vom 22.05.2001; Aktenzeichen 4 K 843/00) |
Tenor
Die Beschwerde des Klägers gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 23. September 2002 wird zurückgewiesen.
Der Kläger trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 1 400 € festgesetzt.
Gründe
Die auf den Zulassungsgrund des § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO gestützte Beschwerde gegen die Nichtzulassung der Revision bleibt ohne Erfolg. Die Rechtssache hat nicht die grundsätzliche Bedeutung, die ihr der Kläger beimisst. Dies setzt die Formulierung einer bestimmten, höchstrichterlich noch ungeklärten und für die Revisionsentscheidung erheblichen Rechtsfrage des revisiblen Rechts und außerdem die Angabe voraus, worin die allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedeutung bestehen soll (vgl. BVerwGE 13, 90 ≪91 f.≫; stRspr). Nicht jede Frage sachgerechter Auslegung und Anwendung einer Vorschrift enthält gleichzeitig eine gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO erst im Revisionsverfahren zu klärende Fragestellung. Nach der Zielsetzung des Revisionszulassungsrechts ist Voraussetzung vielmehr, dass der im Rechtsstreit vorhandene Problemgehalt aus Gründen der Einheit des Rechts einschließlich gebotener Rechtsfortentwicklung eine Klärung gerade durch eine höchstrichterliche Entscheidung verlangt. Das ist nach der ständigen Rechtsprechung aller Senate des Bundesverwaltungsgerichts dann nicht der Fall, wenn sich die aufgeworfene Rechtsfrage auf der Grundlage der vorhandenen Rechtsprechung und mit Hilfe der üblichen Regeln sachgerechter Gesetzesinterpretation ohne weiteres beantworten lässt (BVerwG, Beschluss vom 28. Mai 1997 – BVerwG 4 B 91.97 – Buchholz 407.4 § 5 FStrG Nr. 10 = NVwZ 1998, 172; stRspr). So liegt es hier.
Die von der Beschwerde zunächst aufgeworfene Frage
“Ist eine planerische Festsetzung (hier Festsetzung einer Arkade in einem Straßenzug), die ihren städtebaulichen Sinn erst durch ihren Vollzug im Bereich aller betroffenen Grundstücke entfaltet, im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB erforderlich bzw. von Anfang an funktionslos, wenn die planende Gemeinde zugleich mit dem jeweiligen Satzungsbeschluss ihren Vollzug für das jeweilige Einzelgrundstück von dem Belieben bzw. den konkreten Bauabsichten des jeweiligen Eigentümers abhängig macht?”
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. In der Rechtsprechung des Senats ist entschieden, dass eine Planung mit § 1 Abs. 3 BauGB nicht vereinbar ist, wenn sie sich als nicht vollzugsfähig erweist, weil ihr auf unabsehbare Zeit unüberwindliche rechtliche oder tatsächliche Hindernisse im Wege stehen. Denn dann kann sie ihre Aufgabe, die bauliche und sonstige Nutzung der Grundstücke in der Gemeinde zu leiten, nicht erfüllen; sie verfehlt ihren gestaltenden Auftrag (vgl. z.B. Urteile vom 12. August 1999 – BVerwG 4 CN 4.98 – BVerwGE 109, 246 und vom 21. März 2002 – BVerwG 4 CN 14.00 – Buchholz 406.11 § 1 BauGB Nr. 110 = DVBl 2002, 1469). Auf der Grundlage dieser Rechtsprechung ist der Verwaltungsgerichtshof zu dem Ergebnis gelangt, dass einer Verwirklichung der Festsetzungen des umstrittenen Bebauungsplans auch insoweit keine rechtlichen oder tatsächlichen Hindernisse entgegenstehen, als dort auf den beiden Seiten der als Fußgängerzone genutzten Straße Arkaden vorgesehen sind. Zwar führe ein (dreißig Jahre vor Erlass des Bebauungsplans) an das Regierungspräsidium gerichtetes Schreiben, wonach der Einbau der Arkaden nur bei wesentlichen Umbauten verlangt werde, zu einer zeitlichen Verzögerung der Verwirklichung. Daraus folge aber nicht, dass schon bei Erlass des Bebauungsplans davon auszugehen gewesen sei, dass eine durchgehende Arkade auf absehbare Zeit nicht zu verwirklichen sei.
Vor dem Hintergrund der darin liegenden tatsächlichen Feststellungen, an die das Revisionsgericht gebunden wäre, lässt sich der von der Beschwerde formulierten Frage kein Grund für die Zulassung der Revision entnehmen. Die Erforderlichkeit eines Bebauungsplans wird nicht dadurch in Frage gestellt, dass die zuständigen Baurechtsbehörden von der zwangsweisen Durchsetzung einer Festsetzung bei bebauten Grundstücken nur unter Berücksichtigung der jeweiligen entgegenstehenden Belange im Einzelfall Gebrauch machen. Dies ändert nichts daran, dass jeder Grundstückseigentümer planungsrechtlich zum Umbau verpflichtet ist, sobald sich die Genehmigungsfrage neu stellt. Im Übrigen beruht die von der Beschwerde gestellte Frage insoweit auf einer mit den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nicht zu vereinbarenden Unterstellung: Dieses ist nicht davon ausgegangen, dass mit der Beschlussfassung “zugleich” der Vollzug von bestimmten Bedingungen habe abhängig gemacht werden sollen. Vielmehr setzt sich das Gericht mit den Wirkungen einer dreißig Jahre davor abgegebenen Erklärung auseinander. Dass beschlossen worden sei, diese Praxis auch nach Erlass des Bebauungsplans aus dem Jahre 1988 fortzuführen, ist dagegen nicht festgestellt worden.
Davon abgesehen liegt der Beschwerde offenbar die Vorstellung zu Grunde, eine Planung könne sich auch dann als nicht vollzugsfähig im Sinne der Rechtsprechung des Senats erweisen, wenn “der städtebauliche Sinn” einer planerischen Festsetzung sich erst nach deren vollständiger Verwirklichung erweise. Dem ist in zweierlei Hinsicht nicht zu folgen: Zum einen lässt sich den tatsächlichen Feststellungen des Berufungsgerichts nichts dafür entnehmen, dass die Errichtung von Arkaden vorliegend überhaupt erst dann ihren Sinn erfüllt, wenn diese dem Fußgänger im gesamten Verlauf der Straße zur Verfügung stehen. Zum anderen ist aus rechtlicher Sicht jedenfalls im Regelfall nicht davon auszugehen, dass die ein Grundstück betreffenden Festsetzungen gegen § 1 Abs. 3 BauGB verstoßen, weil auf anderen Grundstücken gleichartige Festsetzungen nicht oder noch nicht verwirklicht sind. Das Vorbringen des Klägers läuft letztlich darauf hinaus, dass er eine ihm mögliche Umsetzung des Bebauungsplans nicht vornehmen will, weil andere Grundstückseigentümer dies ebenfalls noch nicht getan haben. Mit diesem Einwand kann die Erforderlichkeit einer als belastend empfundenen Festsetzung in einem Bebauungsplan jedoch nicht in Frage gestellt werden.
- Der Kläger stellt ferner die Frage, ob ein Bebauungsplan unter den vorliegenden Voraussetzungen funktionslos geworden sei. Diese Frage beruht wiederum auf der vom Berufungsgericht nicht getroffenen Feststellung, die planerische Festsetzung entfalte ihren städtebaulichen Sinn erst durch ihren Vollzug im Bereich aller betroffenen Grundstücke. Schon deswegen legt sie keine Frage von grundsätzlicher Bedeutung dar, die in einem Revisionsverfahren zu klären wäre. Davon abgesehen ist in der Rechtsprechung des Senats geklärt, dass eine bauplanerische Festsetzung erst dann außer Kraft tritt, wenn und soweit die Verhältnisse, auf die sie sich bezieht, in der tatsächlichen Entwicklung einen Zustand erreicht haben, der eine Verwirklichung der Festsetzung auf unabsehbare Zeit ausschließt, und wenn diese Tatsache so offensichtlich ist, dass ein in ihre Fortgeltung gesetztes Vertrauen keinen Schutz verdient. Entscheidend ist, ob die jeweilige Festsetzung noch geeignet ist, zur städtebaulichen Ordnung im Sinne des § 1 Abs. 3 BauGB im Geltungsbereich des Bebauungsplans einen sinnvollen Beitrag zu leisten. Die Planungskonzeption, die einer Festsetzung zu Grunde liegt, wird nicht schon dann sinnlos, wenn sie nicht mehr überall im Plangebiet umgesetzt werden kann (vgl. z.B. BVerwG, Urteil vom 3. Dezember 1998 – BVerwG 4 CN 3.97 – BVerwGE 108, 71 ≪76≫). Bereits die Ausführungen unter 1. machen deutlich, dass der vorliegende Fall auch hinsichtlich der nachträglichen Funktionslosigkeit keine weiter gehenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung aufwirft. Soweit der Kläger auf Besonderheiten seines Grundstücks hinweist, fehlt die rechtsgrundsätzliche Bedeutung.
- Die Beschwerde wirft ferner die Frage auf, ob ein Eigentümer auch nach Ablauf der Sieben-Jahres-Frist gemäß § 215 Abs. 1 Nr. 2 BauGB eine unmittelbare Verletzung seines Eigentumsrechts aus Art. 14 Abs. 1 GG durch die Festsetzung eines Bebauungsplans bzw. durch die Vollzugspraxis der planenden Gemeinde geltend machen könne. Auch damit wird ein Zulassungsgrund nicht dargelegt. Im Grundsatz werden Inhalt und Schranken des Eigentums sowohl durch die Festsetzungen in einem Bebauungsplan als auch durch die die gerichtliche Überprüfbarkeit dieser Festsetzungen regelnden Vorschriften bestimmt. In der Allgemeinheit, in der die Beschwerde ihre Frage aufwirft, ist insoweit ein weiterer Klärungsbedarf nicht ersichtlich. Der Senat hat überdies in seinem Beschluss vom 2. Januar 2001 – BVerwG 4 BN 13.00 – (Buchholz 406.11 § 215 BauGB Nr. 17 = BauR 2001, 1888; vgl. auch Berliner Kommentar zum BauGB, Rn. 14 zu § 215) auf verfassungsrechtliche Bedenken Bezug genommen, die in der Literatur zu bestimmten Fallkonstellationen – zunächst nicht verwirklichter Bebauungsplan und besonders schwere Abwägungsmängel – geltend gemacht worden sind. Das Berufungsgericht hat sich hiermit auseinander gesetzt und bereits das Vorliegen einer derartigen Konstellation verneint. Hierzu wirft die Beschwerde keine weiter gehenden Fragen von grundsätzlicher Bedeutung auf.
- Die abschließend von der Beschwerde aufgeworfene Frage zur Erteilung einer Befreiung gemäß § 31 Abs. 2 BauGB enthält bereits in ihrem Wortlaut eine Reihe von Besonderheiten des vorliegenden Einzelfalls und wäre überdies ohne Berücksichtigung weiterer hier vorliegender Umstände nicht zu beantworten, so dass sie sich einer allgemeinen über den konkreten Einzelfall hinaus gehenden Beantwortung entzieht und somit keine grundsätzliche Bedeutung hat.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 14 Abs. 1 und 3, § 13 Abs. 1 Satz 1 GKG.
Unterschriften
Lemmel, Rojahn, Jannasch
Fundstellen
Haufe-Index 905908 |
DWW 2003, 132 |
NuR 2003, 547 |
ZfBR 2003, 385 |
DVBl. 2003, 817 |
UPR 2003, 229 |
FSt 2003, 816 |