Verfahrensgang
OVG des Landes Sachsen-Anhalt (Urteil vom 29.11.2007; Aktenzeichen 2 L 220/05) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten und der Beigeladenen zu 1 gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Oberverwaltungsgerichts des Landes Sachsen-Anhalt vom 29. November 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte und die Beigeladene zu 1 tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens mit Ausnahme der außergerichtlichen Kosten der Beigeladenen zu 2, die diese selbst trägt, jeweils zur Hälfte.
Der Wert des Streitgegenstandes wird auf 80 000 € festgesetzt.
Gründe
Die auf den Zulassungsgrund der grundsätzlichen Bedeutung (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) gestützte Beschwerde des Beklagten und der Beigeladenen zu 1 bleibt ohne Erfolg.
I
Die Klägerin wendet sich gegen die Versagung zweier Vorbescheide zur Errichtung von zwei Windenergieanlagen. Das Berufungsgericht hat in Abänderung des erstinstanzlichen Urteils einen Anspruch der Klägerin auf Erteilung der Vorbescheide bejaht und zur Begründung im Wesentlichen ausgeführt: Der Regionale Entwicklungsplan Altmark (REP Altmark) entfalte keine Ausschlusswirkung im Sinne des § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB. Das klägerische Vorhaben liege zwar außerhalb der im REP Altmark festgesetzten Eignungsgebiete. Ein Eignungsgebiet im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ROG entfalte aber mangels Durchsetzungskraft keine Ausschlusswirkung (UA S. 11). Darüber hinaus leide der REP Altmark unter einem Abwägungsdefizit; dem Plan liege kein schlüssiges Gesamtkonzept zugrunde. Die Beigeladene zu 1 habe bei der Planung nicht sämtliche für die Nutzung der Windenergie in Betracht kommenden Gebiete in die Abwägung einbezogen (UA S. 12 ff.). Sie habe vielmehr den vorhandenen Windparks, die in bereits früher ausgewiesenen Eignungsgebieten errichtet worden seien, einen Vorrang eingeräumt, der der Planung als unabgewogener Ausgangspunkt vorangestellt worden sei. Ausweislich des Kartenmaterials sei in Anwendung der einschlägigen Abstandsregelungen eine Vielzahl so genannter “Weißflächen” als potenzielle Ausweisungsflächen in Betracht gekommen. Die Beigeladene zu 1 habe aber nicht sämtliche Weißflächen in ihre Abwägung einbezogen; insofern fehle es an der erforderlichen Abwägungsoffenheit. Sie sei vielmehr von den in der Vorgängerplanung – im Regionalen Entwicklungsplan Magdeburg (REP Magdeburg) – ausgewiesenen und mit einem Windpark bebauten Eignungsgebieten ausgegangen und habe nur bezogen auf diese Gebiete ihr Abstandskriterium Nr. 30 “Abstände der einzelnen Eignungsgebiete untereinander” angewandt. Auf dieser Grundlage seien zahlreiche Weißflächen, die als potentielle Konzentrationsflächen in Betracht gekommen wären, ausgesondert worden, weil sie den gebotenen Abstand zu den Gebieten mit vorhandenen Windparks nicht einhalten würden. Bei dieser Sachlage habe es in Anwendung des Abstandskriteriums jeweils einer Abwägung bedurft, ob sich jeweils das bereits nach der Vorgängerplanung ausgewiesene und mit einem Windpark bebaute Eignungsgebiet oder die mit diesem Gebiet in Konkurrenz tretende Weißfläche durchsetze. Eine frühere Ausweisung und Bebauung könne zwar für eine Festsetzung des Gebiets sprechen. Dieser Umstand dürfe aber nicht willkürlich der Abwägung vorangestellt werden. Die Ausweisungen seien nicht das Ergebnis einer eigenen schlüssigen Planung, sondern stellten eine bloße Fortschreibung der bereits im REP Magdeburg ausgewiesenen Eignungsgebiete dar. Das Abwägungsdefizit wiege umso schwerer, als diese Planung ihrerseits aufgrund von Abwägungsmängeln unwirksam sei; sie tauge daher umso weniger als Ausgangspunkt der neuen Planung. Der Abwägungsmangel sei auch beachtlich, weil er offensichtlich und auf das Abwägungsergebnis von Einfluss gewesen sei. Dem Vorhaben der Klägerin könne der REP Altmark auch nicht als ein in Aufstellung befindliches Ziel der Raumordnung entgegengehalten werden (UA S. 16 f.). Die Beigeladene zu 1 habe zwar zwischenzeitlich beschlossen, dass vier der insgesamt siebzehn ausgewiesenen Eignungsgebiete nunmehr als Vorranggebiete festgesetzt werden sollen. Da der Abwägungsprozess aber noch gänzlich offen sei, könne nicht davon ausgegangen werden, dass der Entwurf zu einer verbindlichen Vorgabe erstarken werde. Bei einem schlüssigen Gesamtkonzept sei nicht ausgeschlossen, dass sowohl geringere Abstände zugrunde gelegt als auch andere als die bisher berücksichtigten Gebiete als Konzentrationsflächen ausgewiesen würden. Unter diesen könne sich auch der Standort des klägerischen Vorhabens befinden (UA S. 17). Im Übrigen genüge es nicht, lediglich einige Eignungsgebiete in Vorranggebiete “umzuwandeln”. Denn der Plan leide nicht nur daran, dass er keine Vorranggebiete ausweise, sondern darüber hinaus an den dargelegten sonstigen Planungs- und Abwägungsmängeln (UA S. 17 f.).
II
1. Die von dem Beklagten und der Beigeladenen zu 1 als klärungsbedürftig aufgeworfene Frage,
ob auch die Ausweisung von Eignungsgebieten nach § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ROG in einem Regionalplan geeignet ist, der Nutzung der Windenergie in substanzieller Weise Raum zu verschaffen oder ob einer solchen Ausweisung die interne Durchsetzungskraft fehlt und diese nur bei der Ausweisung von Vorranggebieten gegeben ist (BBegr. S. 3),
rechtfertigt nicht die Zulassung der Revision. Ist eine gerichtliche Entscheidung – wie hier – auf mehrere, jeweils für sich selbstständig tragfähige Gründe gestützt worden, kommt eine Zulassung der Revision nur in Betracht, wenn für jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund geltend gemacht wird und vorliegt. Das Berufungsgericht hat – wie dargelegt – zur Begründung sowohl auf die mangelnde Durchsetzungskraft von Eignungsgebieten im Sinne des § 7 Abs. 4 Satz 1 Nr. 3 ROG abgestellt als auch darüber hinaus moniert, dass dem Plan ein von Abwägungsfehlern freies schlüssiges Gesamtkonzept fehle. Da die unterschiedlich formulierten Grundsatzrügen der Beschwerde zu den Anforderungen an ein schlüssiges Gesamtkonzept ohne Erfolg bleiben, ist auf die erste Frage nicht einzugehen.
2. Die Beschwerde möchte rechtsgrundsätzlich geklärt sehen,
– ob es ein Abwägungsdefizit darstellt, wenn die Abstandsregelungen unter den einzelnen Standorten für Windkraftanlagen vorrangig auf vorhandene Windparks angewendet werden, ohne dieses “Vorrangprinzip” selbst zum Gegenstand der Abwägung zu machen (BBegr. S. 3, 4 ff.),
– ob es willkürlich ist, das Vorhandensein von Anlagen vorrangig in die Abwägung unter an sich geeigneten Standorten einzustellen (BBegr. S. 3),
– welche Bedeutung die Überplanung vorhandener Windkraftstandorte in grundsätzlich für Windkraftanlagen geeigneten Gebieten hat und ob und in welchem Umfang derartige Standorte zur Disposition der planenden Stelle stehen (BBegr. S. 3, 8),
– mit welchem Gewicht bereits errichtete Anlagen in die Abwägung eingehen und ob die planende Stelle auch bei den Hilfskriterien immer weitere Zusatzkriterien erfinden und anwenden muss, die sich aber am Ende in einem Zirkelschluss verlieren (BBegr. S. 8),
– ob die planende Stelle ein Gesamtkonzept aufstellen darf, dessen Umsetzung in der Realität zumindest teilweise an bereits verwirklichten Anlagen scheitert (BBegr. S. 3, 8).
2.1 Diese Fragen sind, soweit sie sich in einem Revisionsverfahren stellen würden, einer rechtsgrundsätzlichen Klärung nicht zugänglich.
Mit den Fragen werden dem Berufungsgericht Aussagen und Annahmen unterstellt, die es nicht getroffen hat. Das macht auch die Beschwerdebegründung deutlich, in der ausgeführt wird, die Auffassung des Gerichts müsse “wohl” dahingehend “interpretiert” werden, dass die in der Örtlichkeit vorzufindenden Anlagen nicht entscheidend seien (BBegr. S. 4). Dass das Vorhandensein von Windenergieanlagen ein zulässiges Auswahlkriterium ist, stellt das Berufungsgericht nicht in Abrede. So hat es ausdrücklich darauf hingewiesen, dass die Abwägung auch von dem planerischen Willen geleitet sein kann, bereits vorhandenen Windparks einen gewissen Vorrang dergestalt einzuräumen, dass die entsprechenden Flächen nach Möglichkeit erneut als Konzentrationsflächen ausgewiesen werden und sich unter Berücksichtigung von Mindestabständen im Zweifel auch gegenüber sonstigen in Betracht kommenden Ausweisungsflächen durchsetzen sollten (UA S. 12). Das Berufungsgericht hat darüber hinaus klargestellt, dass es durchaus für die Ausweisung einer Fläche als Eignungsgebiet oder sonstige Konzentrationsfläche sprechen mag, wenn diese Fläche bereits in der Vorgängerplanung als Eignungsgebiet festgesetzt war und dementsprechend bereits mit Windkraftanlagen bebaut ist oder demnächst werden soll (UA S. 13 f.).
Ausgehend von dem vom Berufungsgericht zugrunde gelegten Grundsatz, dass vorhandene Windenergieanlagen als Tatsachenmaterial bei der Abwägung zu berücksichtigen sind, zielen die von der Beschwerde aufgeworfenen Fragen zum Vorhandensein von Anlagen, zur Bedeutung der Überplanung, zum Gewicht bereits errichteter Anlagen oder zur Umsetzung in der Realität – ungeachtet der allgemein gehaltenen Formulierungen – auf die Abwägung im Einzelfall mit Blick auf die konkrete Planungssituation. Fallübergreifende Fragen von grundsätzlicher Bedeutung stellen sich insoweit nicht.
2.2 Zur Klärung der Frage, ob es ein Abwägungsdefizit darstellt, wenn die Abstandsregelungen unter den einzelnen Standorten für Windkraftanlagen vorrangig auf vorhandene Windparks angewendet werden, ohne dieses “Vorrangprinzip” selbst zum Gegenstand der Abwägung zu machen, bedarf es nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens. Die Frage lässt sich auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats ohne Weiteres beantworten.
Potentiell für die Windenergienutzung geeignete Bereiche dürfen nur aus sachlichen Aspekten (z.B. aus Landschafts- und Naturschutzgründen) aus der Planung ausgeklammert werden, d.h. es bedarf einer nachvollziehbaren Begründung für die Ablehnung von Flächenausweisungen. Der unter anderem an die Träger der Raumordnungsplanung, insbesondere der Regionalplanung, gerichtete Planungsvorbehalt gemäß § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB setzt gebietsbezogene Festlegungen des Plangebers über die Konzentration von Windenergieanlagen an bestimmten Standorten voraus, durch die zugleich ein Ausschluss der Anlagen an anderer Stelle im Plangebiet angestrebt und festgeschrieben wird. § 35 Abs. 3 Satz 3 BauGB verleiht derartigen Festlegungen rechtliche Ausschlusswirkung gegenüber dem Bauantragsteller mit der Folge, dass Vorhaben außerhalb der Konzentrationszonen in der Regel unzulässig sind. Die negative und die positive Komponente der festgelegten Konzentrationszonen bedingen einander. Dem Plan muss daher ein schlüssiges gesamträumliches Planungskonzept zugrunde liegen, das den allgemeinen Anforderungen des planungsrechtlichen Abwägungsgebots gerecht wird (Urteil vom 13. März 2003 – BVerwG 4 C 4.02 – BVerwGE 118, 33). Dazu bedarf es zunächst der Ermittlung des Tatsachenmaterials, das in die Abwägung einzustellen ist. Nicht zu beanstanden ist, dass der Plangeber das gesamte Planungsgebiet zunächst nach allgemeinen Kriterien untersuchen lässt (Urteil vom 24. Januar 2008 – BVerwG 4 CN 2.07 – NVwZ 2008, 559). Auf dieser Grundlage hat er ein Auswahlkonzept zu entwickeln, das auf sachlich nachvollziehbaren Auswahlkriterien beruht. Dabei muss der Plangeber alle ermittelten, d.h. potentiell für die Windenergienutzung geeigneten Bereiche im Blick behalten. Die Abwägung aller beachtlichen Belange muss sich auf die positiv festgelegten und die ausgeschlossenen Standorte erstrecken. Von diesem Grundsatz der Abwägungs- und Entscheidungsoffenheit ist auch das Oberverwaltungsgericht ausgegangen und ist in Würdigung der konkreten Situation zu dem Ergebnis gelangt, dass die fragliche Planung diesen Anforderungen nicht genügt. Ein revisionsgerichtlicher Klärungsbedarf verbindet sich mit diesen Ausführungen des Berufungsurteils nicht.
3. Die Frage,
ob die Überplanung geeigneter Standorte Entschädigungsansprüche ggf. nach § 42 BauGB auslöst und mit welchem Gewicht dies in der Abwägung zu Buche schlägt (BBegr. S. 3, 7 f.),
ist nicht entscheidungserheblich, da nach der maßgeblichen Rechtsauffassung des Berufungsgerichts ein Abwägungsausfall vorliegt, so dass sich die Frage, welche Gesichtspunkte in die gebotene Abwägung einzustellen sind, nicht stellt.
4. Ebenso wenig stellt sich die Frage,
welche Anforderungen an die Ausweisung von Vorranggebieten zu stellen wären, wenn es einer solchen Ausweisung im Regionalplan bedürfte (BBegr. S. 3, 9).
Entscheidungserheblich für die Frage, ob der Änderungsentwurf der Beigeladenen zu 1 als ein in Aufstellung befindliches Ziel im Sinne des § 4 Abs. 4 Satz 1 ROG zu qualifizieren wäre, ist nach Auffassung des Berufungsgerichts allein der Umstand, ob der Entwurf zur 1. Änderung des REP Altmark in Verbindlichkeit erwachsen wird (UA S. 16 f.). Welchen Anforderungen die Ausweisung eines Vorranggebiets zu genügen hat, ist für diese Frage unerheblich.
5. Soweit die Beschwerde auf zwei Urteile des Senats verweist (Urteile vom 22. Mai 1987 – BVerwG 4 C 57.84 – BVerwGE 77, 300 und vom 14. September 1992 – BVerwG 4 C 34 – 38.89 – BVerwGE 91, 17), versteht der Senat diesen Vortrag als Teil der Begründung der Grundsatzrügen, da weder ein Rechtswiderspruch aufgezeigt noch sonst deutlich gemacht wird, dass damit Divergenzrügen geltend gemacht werden sollten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 154 Abs. 2, § 162 Abs. 3 VwGO, die Streitwertfestsetzung auf § 47 Abs. 1 und 3, § 52 Abs. 1 GKG.
Unterschriften
Dr. Paetow, Dr. Philipp, Dr. Bumke
Fundstellen
BauR 2008, 2009 |
ZfBR 2008, 808 |