Entscheidungsstichwort (Thema)
Gewöhnlicher Aufenthalt. Auslandsaufenthalt. ius soli. Staatsangehörigkeitserwerb durch Geburt
Leitsatz (amtlich)
Zur Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG.
Normenkette
AuslG § 85 Abs. 1; StAG § 4 Abs. 3 S. 1; SGB I § 30 Abs. 3 S. 2; AG-StlMindÜbK Art. 2
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 07.11.2003; Aktenzeichen 13 S 122/03) |
VG Stuttgart (Entscheidung vom 12.11.2002; Aktenzeichen 6 K 2226/02) |
Tenor
Die Beschwerde der Klägerinnen gegen die Nichtzulassung der Revision in dem Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 7. November 2003 wird zurückgewiesen.
Die Klägerinnen tragen die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 8 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde der Klägerinnen hat keinen Erfolg. Die geltend gemachte grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO) liegt nicht vor. Der behauptete Verfahrensmangel der Verletzung des rechtlichen Gehörs (§ 132 Abs. 2 Nr. 3 VwGO i.V.m. § 108 Abs. 2 VwGO, Art. 103 Abs. 1 GG) ist schon nicht in einer Weise dargelegt, die den Anforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO genügt.
Die Beschwerde hält die Frage für grundsätzlich bedeutsam, wie endgültig und unter Heranziehung welcher Begriffe aus anderen gesetzlichen Bestimmungen der “gewöhnliche Aufenthalt” nach § 4 Abs. 3 Staatsangehörigkeitsgesetz – StAG – zu bestimmen sei. Das Verwaltungsgericht habe mangels obergerichtlicher Klärung dieser Frage bereits die Berufung zugelassen. Der Verwaltungsgerichtshof habe in seiner Entscheidung ebenfalls nicht abschließend festgestellt, wie dieser gesetzlich nicht geklärte Begriff zu interpretieren sei. Ob die vom Verwaltungsgerichtshof herangezogenen Hilfsdefinitionen aus anderen gesetzlichen Tatbeständen des Ausländergesetzes anwendbar seien oder ob neue Kriterien für den Begriff “gewöhnlicher Aufenthalt” nach dem Staatsangehörigkeitsgesetz festzulegen seien, sei deshalb höchstrichterlich zu klären. Es sei in diesem Zusammenhang auch klärungsbedürftig, ob dieser Begriff trotz der anders gearteten Integrationserwartungen des in der Bundesrepublik Deutschland geborenen Kindes ausländischer Eltern in § 4 Abs. 3 StAG ebenso zu beurteilen sei wie bei der Einbürgerung nach § 85 Abs. 1 AuslG.
Mit diesem Vorbringen wird eine bestimmte klärungsbedürftige Rechtsfrage, die sich in dem angestrebten Revisionsverfahren stellen würde, nicht aufgezeigt. Die mit Wirkung vom 1. Januar 2000 in das Staatsangehörigkeitsgesetz eingefügte Bestimmung des § 4 Abs. 3 StAG (Art. 1 Nr. 3 des Gesetzes zur Reform des Staatsangehörigkeitsrechts vom 15. Juli 1999, BGBl I S. 1618) setzt für den Erwerb der deutschen Staatsangehörigkeit eines Kindes ausländischer Eltern durch Geburt im Inland u.a. voraus, dass ein Elternteil seit acht Jahren rechtmäßig seinen gewöhnlichen Aufenthalt im Inland hat. Dass der Gesetzgeber damit an die wortgleiche Voraussetzung der Einbürgerungsvorschrift in § 85 Abs. 1 Satz 1 AuslG und die hierzu ergangene Rechtsprechung angeknüpft hat, liegt auf der Hand und bedarf nicht der Klärung in einem Revisionsverfahren. Der Verwaltungsgerichtshof hat zur Auslegung des Begriffs “gewöhnlicher Aufenthalt” in § 4 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 StAG daher zutreffend auf die Kriterien zurückgegriffen, die von der Rechtsprechung zu dem gleichen Begriff in § 85 Abs. 1 AuslG entwickelt worden sind. Danach besagt der Begriff des gewöhnlichen Aufenthalts im Wesentlichen dasselbe wie der Begriff “dauernder Aufenthalt” im Sinne des Art. 2 des Gesetzes zur Verminderung der Staatenlosigkeit vom 29. Juni 1977 (BGBl I S. 1101) – AG-StlMindÜbK –, und es kann ebenso wie hinsichtlich dieses Begriffs auch hier an die Legaldefinition in § 30 Abs. 3 Satz 2 Sozialgesetzbuch – Allgemeiner Teil – (SGB I) und die dazu ergangene Rechtsprechung des Bundessozialgerichts angeknüpft werden (vgl. Beschluss vom 29. September 1995 – BVerwG 1 B 236.94 – Buchholz 402.240 § 89 AuslG 1990 Nr. 1; Urteil vom 23. Februar 1993 – BVerwG 1 C 45.90 – BVerwGE 92, 116 ≪121 ff.≫; zu demselben Begriff in § 16 Abs. 1 AuslG ferner Urteil vom 19. März 2002 – BVerwG 1 C 19.01 – BVerwGE 116, 128 ≪137 ff.≫). Die Beschwerde zeigt keine Gründe auf, die dafür sprechen könnten, dass der Gesetzgeber trotz wortgleicher Formulierung insoweit andere Kriterien angewandt wissen wollte. Der Hinweis der Beschwerde auf etwaige anders geartete Integrationserwartungen für in Deutschland geborene Kinder ausländischer Eltern führt angesichts des gesetzlichen Wortlauts nicht weiter. Im Übrigen legt die Beschwerde auch nicht ansatzweise dar, welche anderen Kriterien ihrer Ansicht nach für die Auslegung des Begriffs des gewöhnlichen Aufenthalts in Betracht kommen und inwieweit sie für das Klagebegehren der Klägerinnen entscheidungserheblich sein sollten.
Soweit die Beschwerde weiter bemängelt, der Verwaltungsgerichtshof habe den weniger als ein Jahr dauernden Auslandsaufenthalt des Vaters der Klägerin zu 2 einschließlich der Zeit der Auslieferungshaft zu Unrecht als Unterbrechung seines gewöhnlichen Aufenthalts in der Bundesrepublik Deutschland angesehen, und meint, diese Frage sei ebenfalls grundsätzlich klärungsbedürftig, fehlt es schon an der Formulierung einer über den Einzelfall hinausgehenden verallgemeinerungsfähigen Rechtsfrage. Abgesehen davon setzt sich die Beschwerde auch nicht – wie erforderlich – mit den einschlägigen Rechtsgrundlagen und der rechtlichen Argumentation in der Berufungsentscheidung auseinander. Sie geht weder auf die Problematik der Anwendbarkeit der Regelung über unschädliche Unterbrechungen durch Auslandsaufenthalte in § 89 Abs. 1 und 2 AuslG im Rahmen von § 4 Abs. 3 StAG allgemein ein noch auf den Umstand, dass das Berufungsgericht nach seinen – nicht erfolgreich mit Verfahrensrügen angegriffenen (vgl. unten zu 2.) und deshalb für das Revisionsgericht bindenden – Feststellungen bereits das Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des § 89 Abs. 1 AuslG verneint hat, weil nach seiner tatrichterlichen Überzeugung der Vater der Klägerin zu 2 seinen gewöhnlichen Aufenthalt in der Bundesrepublik Deutschland aufgegeben und in Albanien neu begründet hat (UA S. 15).
Auch die weiteren Ausführungen der Beschwerde über die angeblich offensichtlich fehlerhafte Anwendung der §§ 21 und 20 AuslG führen nicht auf einen Revisionszulassungsgrund im Sinne des § 132 Abs. 2 VwGO.
Die von der Beschwerde erhobene Rüge der Verletzung des rechtlichen Gehörs der Klägerinnen genügt bereits nicht den Darlegungsanforderungen des § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO. Die Beschwerde macht geltend, die Klägerinnen und ihr Prozessbevollmächtigter hätten erst in der Berufungsverhandlung erfahren, dass das Gericht die Akten aus dem Strafverfahren des Vaters der Klägerin zu 2 beigezogen habe. In der Urteilsbegründung sei gerade der Inhalt dieser Strafakte im Wesentlichen zur Bewertung der Art des Aufenthalts des Vaters in Albanien herangezogen worden. Aufgrund dieser späten Mitteilung sei es den Klägerinnen nicht mehr möglich gewesen, sich zu den Feststellungen im Strafverfahren zu äußern. Diese Rüge ist schon deshalb nicht schlüssig erhoben, weil die Beschwerde nicht – wie erforderlich – angibt, welche neuen Erkenntnisse aus den Strafakten im Einzelnen das Berufungsgericht unter Verstoß gegen § 108 Abs. 2 VwGO verwertet haben soll und was die Klägerinnen noch Entscheidungserhebliches vorgetragen hätten, wenn sie früher hierauf hingewiesen worden wären (vgl. Beschluss vom 13. Januar 1999 – BVerwG 9 B 90.98 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 36). Unabhängig davon lässt sich den Akten auch nicht entnehmen, dass das Berufungsgericht die Strafakten selbst beigezogen und verwertet hat. Es hat sich vielmehr in seinem Urteil auf die Feststellungen aus dem Strafurteil vom 21. September 1999 gegen den Vater der Klägerin zu 2 bezogen, das sich in der ihn betreffenden Ausländerakte befindet. Dass diese Akte zum Verfahren beigezogen worden war, war dem Prozessbevollmächtigten der Klägerinnen aber ausweislich der Gerichtsakten bekannt, zumal das Strafurteil bereits im erstinstanzlichen Verfahren verwertet worden ist (VG-Urteil, UA S. 8). Im Übrigen hätte er auch noch in der Berufungsverhandlung eine Vertagung oder die Einräumung einer Frist zur weiteren Stellungnahme beantragen können und müssen, wenn er sich – wie behauptet – unerwartet mit neuen Erkenntnissen konfrontiert gesehen hätte. Auf eine Verletzung des rechtlichen Gehörs wegen mangelnder Gelegenheit zur Äußerung können sich die Klägerinnen, die sich das Verschulden ihres Prozessbevollmächtigten zurechnen lassen müssen (§ 173 VwGO i.V.m. § 85 Abs. 2 ZPO), auch aus diesen Gründen nicht mit Erfolg berufen.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Die Streitwertfestsetzung beruht auf § 13 Abs. 1 Satz 2 GKG a.F. i.V.m. § 72 GKG i.d.F. des Kostenrechtsmodernisierungsgesetzes vom 5. Mai 2004 (BGBl I S. 718).
Unterschriften
Eckertz-Höfer, Beck, Prof. Dr. Dörig
Fundstellen
Haufe-Index 1283634 |
DÖV 2005, 430 |
InfAuslR 2005, 63 |
StAZ 2005, 236 |
VR 2005, 179 |
AuAS 2005, 43 |