Entscheidungsstichwort (Thema)
Dienstunfall. Schullandheimaufenthalt. Notwendigkeit der Übernachtung. Körperpflege. spezifisches örtliches Risiko
Leitsatz (amtlich)
Ein Unfall, den ein Lehrer im Schullandheim während des morgendlichen Duschens erleidet, geschieht jedenfalls dann “in Ausübung des Dienstes” im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG, wenn der Lehrer aus dienstlichen Gründen im Schullandheim übernachten muss und sich ein spezifisches örtliches Risiko verwirklicht.
Normenkette
BeamtVG § 31 Abs. 1 S. 1
Verfahrensgang
VGH Baden-Württemberg (Urteil vom 28.09.2007; Aktenzeichen 4 S 516/06) |
VG Stuttgart (Entscheidung vom 07.12.2005; Aktenzeichen 17 K 951/04) |
Tenor
Die Beschwerde des Beklagten gegen das Urteil des Verwaltungsgerichtshofs Baden-Württemberg vom 28. September 2007 wird zurückgewiesen.
Der Beklagte trägt die Kosten des Beschwerdeverfahrens.
Der Wert des Streitgegenstandes wird für das Beschwerdeverfahren auf 5 000 € festgesetzt.
Gründe
Die Beschwerde des Beklagten, die auf die Revisionszulassungsgründe der grundsätzlichen Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO und der Divergenz gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO gestützt ist, kann keinen Erfolg haben.
Der Verwaltungsgerichtshof hat das beklagte Land verpflichtet, den zu einer Schulterverletzung führenden Sturz der Klägerin, einer Lehrerin, beim morgendlichen Duschen während eines mehrtägigen Schullandheimaufenthalts als Dienstunfall im Sinne von § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG anzuerkennen. Der Unfall sei in Ausübung des Dienstes geschehen, weil das Duschen in engem Zusammenhang mit den dienstlichen Aufgaben der Klägerin gestanden habe. Diese habe während des Schullandheimaufenthalts eine umfassende, zeitlich nicht begrenzte Betreuungs- und Aufsichtspflicht gegenüber den Schülern wahrgenommen. Außerdem sei dem Dienstherrn zuzurechnen, dass ein von der Duschvorrichtung ausgehendes besonderes Gefahrenmoment wesentlich zu dem Unfall beigetragen habe.
1. Der Beklagte hält die Fragen für rechtsgrundsätzlich bedeutsam im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO,
in welcher Weise der dienstunfallrechtlich geschützte Bereich während eines Schullandheimaufenthalts abzugrenzen sei;
welche besonderen Gefahrenmomente der Unterkunft es rechtfertigten, eine der privaten Sphäre angehörende Handlung dem dienstunfallrechtlich geschützten Bereich zuzuordnen.
Eine Rechtssache hat grundsätzliche Bedeutung gemäß § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, wenn sie eine konkrete, in dem zu entscheidenden Fall erhebliche Frage des revisiblen Rechts aufwirft, die im Interesse der Einheitlichkeit der Rechtsprechung oder Rechtsfortbildung der Klärung in einem Revisionsverfahren bedarf. Gemäß § 133 Abs. 3 Satz 3 VwGO obliegt es dem Beschwerdeführer darzulegen, worin der allgemeine, über den Einzelfall hinausgehende Bedarf an der Klärung der von ihm aufgeworfenen Rechtsfrage bestehen soll (Urteil vom 2. Oktober 1961 – BVerwG 8 B 78.61 – BVerwGE 13, 90 ≪91≫; stRspr).
Davon ausgehend verleihen die vom Beklagten aufgeworfenen Rechtsfragen der Rechtssache keine grundsätzliche Bedeutung im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 1 VwGO, weil es zu ihrer Klärung nicht der Durchführung eines Revisionsverfahrens bedarf. Denn sie können auf der Grundlage der Rechtsprechung des Senats zum Dienstunfallbegriff gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG ohne Weiteres beantwortet werden.
Nach dieser Rechtsprechung verlangt das gesetzliche Merkmal “in Ausübung des Dienstes” gemäß § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG eine besonders enge ursächliche Verknüpfung des Unfallereignisses mit dem Dienst (Urteile vom 24. Oktober 1963 – BVerwG 2 C 10.62 – BVerwGE 17, 59 ≪62 f.≫, vom 18. April 2002 – BVerwG 2 C 22.01 – Buchholz 239.1 § 31 BeamtVG Nr. 12 S. 2 und vom 15. November 2007 – BVerwG 2 C 24.06 – juris).
Dabei kommt nach dem Normzweck der gesetzlichen Regelung dem Kriterium der Beherrschbarkeit des Risikos der Geschehnisse durch den Dienstherrn herausragende Bedeutung zu. Der Beamte steht bei Unfällen, die sich innerhalb des vom Dienstherrn beherrschbaren räumlichen Risikobereichs ereignen, unter dem besonderen Schutz der beamtenrechtlichen Unfallfürsorge. Zu diesem Bereich gehört der Dienstort, an dem der Beamte seine Dienstleistung erbringen muss, wenn dieser Ort zum räumlichen Machtbereich des Dienstherrn gehört. Risiken, die sich hier während der Dienstzeit verwirklichen, sind in der Regel dem Dienstherrn zuzurechnen (Urteile vom 24. Oktober 1963 a.a.O. S. 67 und vom 15. November 2007 a.a.O.).
Leisten Beamte – wie Lehrer während eines Schullandheimaufenthalts – Dienst außerhalb ihres eigentlichen Dienstortes, so genießen sie hierbei Dienstunfallschutz, wenn die konkrete Tätigkeit, bei der sich der Unfall ereignet hat, im engen natürlichen Zusammenhang mit ihren dienstlichen Aufgaben oder dienstlich notwendigen Verrichtungen besteht. Der Unfall muss seine wesentliche Ursache in den Erfordernissen des Dienstes haben und dadurch nach seiner Eigenart geprägt sein (Urteile vom 3. November 1976 – BVerwG 6 C 203.73 – BVerwGE 51, 220 ≪222 f.≫ und vom 14. Dezember 2004 – BVerwG 2 C 66.03 – Buchholz 239.1 § 45 BeamtVG Nr. 6 S. 11). Davon ausgehend kann kein Zweifel daran bestehen, dass diese Voraussetzungen hier vorliegen:
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs hatte die Klägerin einen umfassenden, nicht auf bestimmte Zeiten beschränkten Betreuungsauftrag gegenüber den Schülern wahrzunehmen. In ihrer Eigenschaft als aufsichtsführende Lehrerin war sie dienstlich verpflichtet, die Schüler “rund um die Uhr” zu betreuen. Sie hatte die Schüler auch außerhalb konkreter Veranstaltungen zu beaufsichtigen und musste jederzeit, auch während der Nachtstunden, ansprechbar und bereit sein, einzugreifen, wenn sich ein Anlass ergab. Diesen dienstlichen Erfordernissen konnte die Klägerin nur gerecht werden, wenn sie, wozu sie ausdrücklich verpflichtet war, in dem Schullandheim übernachtete. Daher war sie zwangsläufig darauf angewiesen, die dort vorhandenen sanitären Einrichtungen zu benutzen. Das Schullandheim war für die Dauer des Aufenthalts Dienstort der Klägerin.
Muss der Beamte in einem vom Dienstherrn bestimmten Gebäude übernachten, um dort seine dienstlichen Aufgaben zu erfüllen, so ist dieses Gebäude nach dem Normzweck des § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG der räumlichen Risikosphäre des Dienstherrn zuzurechnen. Dies bedeutet, dass der Dienstherr jedenfalls das spezifische örtliche Risiko für solche Verrichtungen trägt, die wie die Körperpflege eigentlich der privaten Lebenssphäre zuzurechnen sind, die der Beamte aber aufgrund der dienstlichen Erfordernisse in dem Gebäude vornehmen muss. Der Beamte genießt hier Dienstunfallschutz, wenn der Unfall seine wesentliche Mitursache in der baulichen Beschaffenheit oder Ausstattung des Gebäudes hatte und er nicht bei einer Verhaltensweise eingetreten ist, die mit der Dienstausübung schlechthin nicht mehr in Zusammenhang gebracht werden kann.
Nach den Feststellungen des Verwaltungsgerichtshofs stellte die besondere Beschaffenheit der Duschvorrichtungen eine wesentliche Ursache für den Sturz der Klägerin dar. Der Zusammenhang mit der Dienstausübung war nicht gelöst, weil die Klägerin in dem Gebäude übernachten und demnach dort auch ihre morgendliche Körperpflege verrichten musste.
2. Weiterhin macht der Beklagte geltend, das Berufungsurteil weiche von dem Urteil des Senats vom 24. Oktober 1963 – BVerwG 2 C 10.62 – BVerwGE 17, 59 ≪62 f.≫ ab. Danach sei das gesetzliche Merkmal “in Ausübung des Dienstes” regelmäßig dann verwirklicht, wenn der Beamte während der Arbeitszeit im Dienstgebäude zu Schaden komme. Demgegenüber befinde er sich außerhalb der regelmäßigen Arbeitszeit nur im Dienst, wenn er dienstlich notwendige Verrichtungen ausübe. Diese Abgrenzungsgrundsätze habe der Verwaltungsgerichtshof nicht zutreffend angewandt.
Eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO liegt vor, wenn die Entscheidung der Vorinstanz auf einem abstrakten Rechtssatz beruht, der im Widerspruch zu einem Rechtssatz steht, den das Bundesverwaltungsgericht in Anwendung derselben Rechtsvorschrift aufgestellt hat. Demnach setzt eine Divergenz voraus, dass zwischen beiden Gerichten ein prinzipieller Auffassungsunterschied über den Bedeutungsgehalt einer Rechtsvorschrift besteht. Dagegen liegt eine Divergenz nicht vor, wenn die Vorinstanz einen Rechtssatz des Bundesverwaltungsgerichts im Einzelfall rechtsfehlerhaft anwendet oder daraus nicht die rechtlichen Folgerungen zieht, die etwa für eine Sachverhalts- und Beweiswürdigung geboten sind (Beschluss vom 19. August 1997 – BVerwG 7 B 261.97 – Buchholz 310 § 133 n.F. VwGO Nr. 26; stRspr).
Das Urteil des Senats vom 24. Oktober 1963 (a.a.O.) ist zu § 107 Abs. 2 Satz 1 des Deutschen Beamtengesetzes i.d.F. vom 21. Oktober 1941 (RGBl I S. 646) ergangen, während der Verwaltungsgerichtshof § 31 Abs. 1 Satz 1 BeamtVG angewandt hat. Davon abgesehen kommt eine Divergenz im Sinne von § 132 Abs. 2 Nr. 2 VwGO im vorliegenden Fall nicht in Betracht, weil sich der Senat in dem Urteil vom 24. Oktober 1963 (a.a.O.) ausschließlich mit der Auslegung des gesetzlichen Merkmals “in Ausübung des Dienstes” bei Unfällen des Beamten befasst hat, die sich während der Dienstzeit in dem Gebäude ereignen, in dem der Beamte üblicherweise seinen Dienst zu verrichten hat (Dienstort). Dagegen hat der Senat keine die Entscheidung tragenden Rechtssätze zu dem Bedeutungsgehalt dieses Merkmals für Sachverhalte aufgestellt, die dem hier festgestellten, wesentlich anders gelagerten Sachverhalt vergleichbar sind.
Die Kostenentscheidung folgt aus § 154 Abs. 2 VwGO. Der Wert des Streitgegenstandes beruht auf § 47 Abs. 1 Satz 1 und Abs. 3, § 52 Abs. 2 GKG.
Unterschriften
Albers, Groepper, Dr. Heitz
Fundstellen
ZBR 2008, 256 |
DÖD 2008, 180 |
DÖV 2008, 611 |
RiA 2008, 268 |
VR 2008, 287 |
SchuR 2009, 38 |